Fehlverhalten des Pflegepersonals des Münchenstift Hauses St. Josef
Anfrage Stadtrat Hans Podiuk (CSU-Fraktion) vom 7.5.2014
Antwort Sozialreferentin Brigitte Meier:
In Ihrer Anfrage vom 07.05.2014 führen Sie Folgendes aus:
„In einem Fernsehbericht wurde massives Fehlverhalten von Pflegekräften im Münchenstift-Alten- und Pflegeheim St. Josef öffentlich gemacht. In einer Stellungnahme erklärte der Geschäftsführer, dass bereits im vergangenen Jahr im gezeigten Wohnbereich mit organisatorischen und personellen Maßnahmen gehandelt wurde.“
Zu Ihrer Anfrage vom 07.05.2014 nimmt das Sozialreferat im Auftrag des Herrn Oberbürgermeisters im Einzelnen wie folgt Stellung:
Frage 1:
Welche Vorfälle gab es im letzten Jahr und welche „Maßnahmen“ wurden durchgeführt?
Frage 2:
Wurde die Heimaufsicht damals eingeschaltet?
Antwort:
Da die ersten beiden Fragen in einem Kontext zu sehen sind, werden sie gemeinsam beantwortet.
Bereits Ende 2012 waren im Wohnbereich 9 mit einer Kapazität von 35 Plätzen Probleme in den Bereichen Prozess, Struktur und Ergebnisqualität zu erkennen.
Der Bereich fiel durch eine hohe Fluktuationsquote und zahlreiche Krankheitsausfälle bei den Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern auf.
Am 05.12.2012 entschied sich der damalige Geschäftsführer deshalb für einen internen Belegungsstopp für den Wohnbereich 9. Dies wurde der Heimaufsicht mitgeteilt.
Am 06.12.2012 führte die Fachreferentin der Abteilung Qualität ein wohnbereichsbezogenes Qualitätsaudit durch.
Hierbei wurden Verbesserungspotentiale und Versorgungsdefizite festgestellt und die damalige Pflegedienstleitung wurde zur sofortigen Verbesserung der Situation aufgefordert. Als Maßnahmen waren u.a. die intensiveBegleitung bzw. Kontrolle des Bereichs durch die Pflegedienstleitung geplant. Die Kontrollen sollten u.a. mittels fokussierter Pflegevisiten am Bett erfolgen.
Die im Wohnbereich 9 seit August 2012 eingesetzte Wohnbereichsleitung hatte für die angebrachte Kritik kein Verständnis bzw. zeigte keine Einsicht, bat am 09.12.2012 um ihre Versetzung und erkrankte für einen längeren Zeitraum.
Aus einem anderen Haus der MÜNCHENSTIFT GmbH wurde eine Wohn-
bereichsleitung vorübergehend bis zum 31.03.2013 eingesetzt, um den Bereich zu unterstützen.
Am 10.12.2012 fand mit dem Team des Wohnbereichs ein Krisengespräch statt. In diesem Gespräch äußerten sich die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter überwiegend als überlastet und überfordert.
Die Heimaufsicht wurde im Dezember 2012 bezüglich einer Beratung angefragt, die aus organisatorischen Gründen nicht durchgeführt werden konnte. Die Heimaufsicht bat alternativ um die Zusendung eines Maßnahmenplans. Dieser wurde der Heimaufsicht am 20.12.2012 zugesandt. U.a. wurden folgende Maßnahmen geplant und umgesetzt:
- Eine Nachbelegung frei werdender Betten auf dem Wohnbereich 9 erfolgt bis auf weiteres nicht.
- Die Pflegedienstleitung (PDL) und deren Stellvertretung sind täglich in dem Wohnbereich und begleiten und beraten Fach- und Hilfskräfte. - Die Pflege-/Bezugsgruppen werden so aufgeteilt, dass die Arbeitsbelastung für die einzelnen Pflegekräfte in etwa gleich ist.
- Um den Informationsfluss zu sichern, werden die Übergaben durch die PDL gesteuert und begleitet. Es werden systematisch Fallbesprechungen und fokussierte Pflegevisiten durchgeführt.
- Es erfolgen punktuelle und sporadische Qualitätskontrollen durch die PDL und die Qualitätsbeauftragte.
- Die eingeleiteten Interventionen werden von der Abteilung Qualität regelmäßig reflektiert. Ebenso wird das Risikomanagement anhand von Stichproben überwacht.
Die Bewohnerinnen und Bewohner des Wohnbereiches 9 (Stand:
17.01.2013: 30) zogen zum Teil in den nächsten Wochen nach Rücksprache mit den Angehörigen und Betreuerinnen und Betreuern innerhalb des Hauses um, da die Geschäftsführung beschlossen hatte, neben der Sicherungder Ergebnisqualität notwendige Modernisierungs- und Sanierungsmaßnahmen in dem Wohnbereich durchzuführen.
Hierüber wurde die Heimaufsicht am 17.01.2013 informiert.
Im Februar 2013 konnte eine langjährige Mitarbeiterin, bis dato stellvertretende PDL im Hans-Sieber-Haus, als Pflegedienstleitung für das Haus St. Josef gewonnen werden, da die bisherige PDL aufgrund von Differenzen mit der Hausleitung das Unternehmen verließ.
Am 18.03.2013 prüfte die Heimaufsicht routinemäßig die Einrichtung. Im Wohnbereich 9 (acht Bewohnerinnen und Bewohner zu diesem Zeitpunkt) ergaben sich keine Beanstandungen.
Zum 01.05.2013 war der Bereich mit 16 Personen belegt, zum 01.06.2013 mit 22.
Da es nicht zeitnah möglich war, die Stelle der Wohnbereichsleitung im Wohnbereich 9 zu besetzen, übernahm in der Zeit vom 01.04.2013 bis 30.06.2013 die stellvertretende PDL die kommissarische Leitung dieses Wohnbereichs.
Am 01.07.2013 konnte die Stelle der Wohnbereichsleitung im Bereich 9 mit einer internen Mitarbeiterin nachbesetzt werden.
Zum 01.08.2013 war der Wohnbereich mit 35 Betten wieder voll belegt.
Im September 2013 wurde vom Pflegepersonal bei einem Bewohner ein Brillenhämatom festgestellt, dessen Ursache trotz intensiver interner Recherchen nicht geklärt werden konnte. In solchen Fällen erstattete die MÜNCHENSTIFT Strafanzeige bei der Polizei und tat dies auch in diesem Fall.
Personelle Konsequenzen, also Kündigungen, erfolgten bis dato nicht, da die Ursache des Brillenhämatoms nicht ermittelt werden konnte.
Dennoch fand in diesem Zusammenhang ein Gespräch zwischen dem Geschäftsführer und der Hausleitung statt, in welchem die Hausleitung dazu aufgefordert wurde, gemeinsam mit der verantwortlichen Pflegefachkraft ein gesondertes Augenmerk auf diesen Bereich zu legen und die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter zum Thema Hämatome/Gewalt zu sensibilisieren.
Am 25.11.2013 führte die Heimaufsicht eine anlassbezogene Prüfung durch. Die eigentliche Beschwerde auf dem Wohnbereich 6 bestätigte sich nicht. Jedoch wurde ein Mangel im Umgang mit dem Wundmanagement
bei einem Bewohner auf Wohnbereich 9 ausgesprochen.Bei diesem Bewohner sind am 12. und 17.09.2013 Hämatome entstanden. Hierzu fehlten in der Dokumentation die Nachvollziehbarkeit der Wundbeschreibung, der Entstehung und der Kommunikation mit dem Hausarzt. Hierbei handelte es sich um genau jenen Bewohner, bei welchem die MÜNCHENSTIFT GmbH bereits im September 2013 aufgrund der unkla-
ren Herkunft des Brillenhämatoms die Polizei informiert hatte.
Die Mechanismen im Rahmen der Organisationsverantwortung der MÜN-CHENSTIFT GmbH haben demnach gegriffen.
Parallel zu den seit Dezember 2012 bekannten Problemen im Wohnbereich 9 wurde auch in anderen Wohnbereichen des Hauses deutlich, dass Struktur-, Prozess- und Ergebnisqualität verbesserungswürdig waren. Diese Erkenntnisse machten es u.a. auch notwendig, im November 2013 im
Wohnbereich 6 (Wachkomabereich) einen Belegungsstopp umzusetzen.
Im Wohnbereich 1 musste die Stelle der Wohnbereichsleitung neu besetzt werden.
Eine weitere Konsequenz war, dass sich die MÜNCHENSTIFT GmbH im
Dezember 2013 von der Hausleitung trennte.
Nach Ausstrahlung des Fernsehberichts am Montag, dem 05.05.2014,
wurden bereits am nächsten Tag die drei betroffenen Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter mit sofortiger Wirkung bis auf Weiteres vom Dienst frei gestellt, das Kündigungsverfahren wurde eingeleitet.
Frage 3:
Wie konnte es trotz der bereits erfolgten „Maßnahmen“ zu weiteren schweren Fehlverhalten kommen?
Antwort:
Seitdem die Einrichtung zum 01.01.2014 mit einer neuen Hausleitung besetzt und auch die Ebene der Pflegedienstleitung und deren Stellvertretungen reorganisiert und gefestigt besetzt ist, sind kontinuierliche Verbesserungen im Haus und vor allem auch im Wohnbereich 9 festzustellen. Seit 01.04.2014 ist eine erfahrene und langjährige Mitarbeiterin in diesem Bereich als Wohnbereichsleitung eingesetzt. Das Team erfährt seit einigen Monaten Kontinuität.
Der Einsatz von Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern von Zeitarbeitsfirmen ist gesunken.
So mussten im September 2013 von Zeitarbeitsfirmen für den Wohnbereich 9 noch 163 Fachkraft- und 246,5 Pflegehelfer-Stunden gebucht wer-den, während im April 2014 keine Fachkraft- und lediglich 22 Pflegehelfer-Stunden benötigt wurden.
Positive Veränderungen im Wohnbereich 9 bestätigte uns auch die Heimaufsicht bei ihrer letzten Prüfung am 08.05.2014.
Ein weiteres schweres Fehlverhalten neben den vom September 2013
stammenden Filmaufnahmen ist uns nicht bekannt.
Frage 4:
Welche Konsequenzen werden aus den jetzigen Vorfällen gezogen?
Anwort:
Siehe Antworten zu den Fragen 1, 2 und 3.
Frage 5:
Wie kann sichergestellt werden, dass keine weiteren Misshandlungen erfolgen?
Antwort:
Die MÜNCHENSTIFT GmbH verfolgt eine Null-Toleranz-Strategie, wenn es um Gewalt in der Pflege geht. Abwertendes Verhalten gegenüber Bewohnerinnen und Bewohnern und psychische und körperliche Gewalt werden in keinem Fall geduldet. Die MÜNCHENSTIFT GmbH scheut sich nicht, sich in derartigen Fällen sofort von den betroffenen Personen zu trennen.
Gewalt in der Pflege ist kein neues, MÜNCHENSTIFT-spezifisches Thema, sondern bedauerlicher weise ein unerträgliches und nicht zu duldendes Phänomen in der Altenhilfe.
Es ist schwierig, die Gewalt als solche aufzudecken, da die meisten Betroffenen sich schämen, Angst haben oder aufgrund ihrer Erkrankung nicht mehr in der Lage sind, sich zu erfahrener Gewalt zu äußern. Oftmals fehlen aber auch die Beweismittel, denn Gewalt wird in der Regel nicht „vor Zeuginnen und Zeugen“ ausgeübt.
Es gibt zahlreiche Faktoren, die Gewalt auslösen, z.B. Zeit- und Leistungsdruck in der Pflege, private Probleme, Missverständnisse, Hilflosigkeit und Abhängigkeit oder Gewalterfahrungen in der eigenen Lebensgeschichte.
Um dieser komplexen Situation annähernd gerecht zu werden, nutzt die MÜNCHENSTIFT GmbH Interventionsmaßnahmen, welche darauf abzie-
len, durch Professionalität, Kommunikation und Sensibilisierung Gewalt in der Pflege zu vermeiden.Neben den Angeboten zur Teamsupervision und Einzelcoaching gibt es umfangreiche Angebote an Fort- und Weiterbildungsmaßnahmen, um die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter in ihrer Fachlichkeit und somit in ihrem Verständnis für die Pflegebedürftigen zu stärken, aber auch um zum Thema zu sensibilisieren.
Mit diesem Wissen wurde bereits 2013 für das Jahr 2014 eine Schulungsmaßnahme zum Thema „Gewalt in der Pflege, wertschätzender Umgang“ organisiert. Die Maßnahme ist zweitägig und findet in jedem der neun Häuser statt; Zielgruppe ist die Führungsebene.
Parallel dazu wurde für jedes Haus ein zweitägiges „Souveränitätstraining“ organisiert, mit dem Ziel, die Pflegekräfte in ihrer Selbstwahrnehmung und Kommunikationskompetenz zu stärken.
Des Weiteren bietet der Fortbildungskatalog neben Coaching und Supervision, um der persönlichen Überlastungssituation Einzelner gerecht zu werden, Schulungen zu den relevanten Fachthemen „Neurologische Krankheitsbilder“, „Demenz“ und „lösungsorientierte Fallbesprechungen“ an, um die fachliche Kompetenz zu verbessern.
Allein für diese Themen investiert die MÜNCHENSTIFT GmbH im Jahr 2014 insgesamt 58.595 Euro.
Obwohl sich die MÜNCHENSTIFT GmbH intensiv und aufrichtig mit dem Thema Gewalt in der Pflege beschäftigt und entsprechende Ressourcen investiert, kann leider keine Garantie gegeben werden, dass ein derartiges Fehlverhalten des Pflegepersonals zukünftig gänzlich ausgeschlossen werden kann.