Zusätzliche Potentiale für den Radverkehr im urbanen Raum
Anfrage Stadtrats-Mitglieder Paul Bickelbacher, Herbert Danner und Sabine Nallinger (Fraktion Bündnis 90/Die Grünen/Rosa Liste) vom 28.2.2014
Antwort Stadtbaurätin Professorin Dr. (I) Elisabeth Merk:
Mit Schreiben vom 28.02.2014 haben Sie gemäß § 68 GeschO folgende Anfrage an Herrn Oberbürgermeister gestellt. Mit Schreiben vom
20.03.2014 und 05.05.2014 wurden Sie jeweils um Fristverlängerung gebeten, die Sie gewährten. Dafür bedanke ich mich bei Ihnen.
Ihre Anfrage wird vom Referat für Stadtplanung und Bauordnung wie folgt beantwortet:
In Ihrer Anfrage führen Sie Folgendes aus: Die Bundesanstalt für Straßenwesen (BASt) veröffentlichte Ende Januar 2014 eine neue Studie „Radpotenziale im Stadtverkehr“, welche erstmals belastbare Daten zur Umweltentlastung durch eine maßgebliche Zunahme des Radverkehrsanteils in Städten liefert. Sie geben an, dass die Studie wissenschaftlich belegt, dass eine sinnvolle und systematische Förderung des Radverkehrs eine Abnahme der Autofahrten bewirke und damit ein wesentlicher Beitrag zur Umweltentlastung von Ballungsräumen leisten könne. Weiterhin führen Sie aus, dass bei einer systematischen Förderung und ausreichend politischem Willen die Verlagerungspotentiale zugunsten des Radverkehrs in München aufgrund der guten Rahmenbedingungen wie z.B. günstige Witterung, hohe Bereitschaft in der Bevölkerung usw. bei über 13% liegen könnten.
Frage 1:
Was bedeuten die Ergebnisse der BASt-Studie konkret für München?
Antwort:
Die Studie wurde umfassend von der Fachabteilung ausgewertet. Sie ist gerade durch den Versuch einer Ermittlung konkreter Kennwerte zu Verlagerungspotenzialen bezüglich des Modal Split von besonderem Interesse. Nach eingehender Durchsicht und Prüfung der Studie ist das Referat für Stadtplanung und Bauordnung grundsätzlich zu der Einschätzung gelangt, dass die Analysen, Modellierungsergebnisse und Schlussfolgerungen gegenüber älteren Studien eine vergleichsweise konkrete Orientierung über die erschließbaren Potenziale geben.Nichtsdestotrotz lässt sich anhand der durchgeführten Studie nicht bestimmen, inwieweit auf Grundlage der durchgeführten Analysen konkrete Zahlen, Trends oder Aussagen für die Situation in München abgeleitet werden können. Eine detailliertere Begründung zu dieser Einschätzung findet sich in der Antwort zu Frage 2.
Ergänzend sei hier noch erwähnt, dass die BASt-Studie vornehmlich auf Städten fußt, deren Radverkehrsangebot einer deutlichen Erweiterung (Quantität) und Verbesserung (Qualität) bedarf. In den Untersuchungen wird daher immer wieder die Entwicklung eines gesamtstädtischen Radverkehrskonzeptes empfohlen. Dieses muss neben einer adäquaten Gestaltung der Radverkehrsanlagen (v.a. an innerstädtischen Hauptverkehrsstraßen) durch ergänzende Kommunikationsmaßnahmen (v.a. Image, Marketing) flankiert werden. Im Hinblick auf beide Stoßrichtungen ist die Landeshauptstadt München mit dem Grundsatzbeschluss Radverkehr
vom 20.5.2009 (Sitzungsvorlagen-Nr. 08 – 14/V 01793) und der Kampagne „Radlhauptstadt München“ bereits umfassend aktiv: Neben dem stetigen Ausbau und der Verbesserung der Radinfrastruktur startete im April 2010 eine großangelegte Kampagne mit dem Ziel, einen wesentlichen Beitrag zur Steigerung des Radverkehrsanteils und zur Erhöhung der Verkehrssicherheit zu leisten. Im Mittelpunkt steht seitdem, Münchnerinnen und Münchner zur häufigeren Nutzung des Fahrrads zu motivieren und eine echte Radkultur zu etablieren. Dabei wird das Radfahren nicht nur als Fortbewegungsmittel, sondern vor allem auch als urbaner Lebensstil zelebriert.
Hinzu kommt, dass die BASt-Studie ausdrücklich erwähnt, dass kein Zusammenhang zwischen den verschiedenen Strukturmerkmalen und der
Entwicklung des Radverkehrs aufgezeigt werden konnte. Wie diese in den späteren endgültigen Modellierungen dennoch ver wendeten Werte für den Radverkehr zu beurteilen sind, wird nicht hinreichend dargelegt.
Frage 2:
Macht es Sinn, dass das Planungsreferat für München eine vergleichbare Studie erstellen lässt oder können aus der BASt-Studie die konkreten Verlagerungspotentiale für München hinreichend genau abgeleitet werden?
Antwort:
Grundsätzlich ist anzunehmen, dass anhand der BASt-Studie die Verlagerungspotenziale für München nicht hinreichend genau abgeleitet werden können. So basieren die abschließenden Modellierungen letztlich auf lediglich drei Beispielstädten, die zweifelsohne im Hinblick auf die für die Modellierung ausschlaggebenden Strukturmerkmale – und damit letztlich dieermittelten Potentiale – in keiner Weise mit der Landeshauptstadt München zu vergleichen sind. München weist bei weitem geringere Ausbau-Potentiale auf als die herangezogenen Beispielstädte. Dies ist der Tatsache geschuldet, dass die Strategien und Umsetzungserfolge durch die seit langem währende systematische Radverkehrsförderung bereits vor dem Grundsatzbeschluss Radverkehr und der Kampagne „Radlhauptstadt
München“ sehr gut wahrnehmbar waren. Dies bedeutet, dass die Initiativen und Strategien in München schon 2009 auf einem höheren Niveau aufsetzten als heute in den aufgeführten Auswahlstädten.
Ein konkreter Mehrwert bei der Durchführung einer Studie nach dem BASt-Ansatz für München ist in Ergänzung zu den aktuellen bzw. geplanten Initiativen und Erhebungen der Landeshauptstadt München nur dann zu erwarten, wenn die Modellierung und damit die ermittelten Werte und Potenziale voll belastbar sind. Hinsichtlich der absoluten und relativen Güte der modellierten Kennzahlen liefert die BASt-Studie jedoch leider keinerlei Aussagen. Die in der Studie aufgezeigten Wirkungszusammenhänge sind bekannt und die ermittelten Dimensionen der Verlagerungspotentiale liegen im Bereich von jenen Spannen, wie sie in verschiedenen Szenarien für die Landeshauptstadt München angesetzt werden. Entsprechend handelt die städtische Verkehrsplanung bereits umfassend in diesem Sinne.
Ebenfalls zu erwähnen ist, dass die in der Studie aufgeführten 12 Auswahlstädte (Wiesbaden, Mönchengladbach, Aachen, Witten, Gütersloh, Marburg, Grevenbroich, Fulda, Coburg, Lemgo, Hückelhoven, Mettmann), die zur optimierten Bestimmung der Wirkungszusammenhänge herangezogen wurden, völlig andere Ausgangslagen als die der Landeshauptstadt München aufweisen. So weisen mit Ausnahme von Gütersloh alle genannten Städte einen weit geringeren Anteil des Radverkehrs am Modal Split auf, als dies bereits jetzt in München der Fall ist. Die Landeshauptstadt hat es über verschiedenste Maßnahmen bereits geschafft, den Anteil des Radverkehrs am Modal Split auf 17% anzuheben. Im Zuge umfangreicher weiterer Initiativen im Rahmen der Umsetzung des Grundsatzbeschlusses Radverkehr erhoffen wir uns zusätzliche Verbesserungen sowie zukunftsweisende konkrete Zahlen und Erkenntnisse, mit Hilfe derer die städtische Verkehrsplanung weiter in Richtung einer Förderung und Steigerung des Radverkehrs wirken kann. Dies wird entsprechend dem Grundsatzbeschluss Radverkehr im Zuge der regelmäßig durchgeführten bundesweiten Verkehrserhebung „Mobilität in Deutschland“ (MiD) überprüft und dem Stadtrat in einem dreijährigen Turnus in den zu erstellendenRadverkehrsberichten zur Kenntnis gegeben. Die nächste „Mobilität in Deutschland“ findet voraussichtlich in 2015 statt.
Frage 3:
Wie hoch schätzt das Planungsreferat die Verlagerungspotentiale ein, wenn die städtische Radverkehrspauschale auf 25 Mio. Euro/Jahr erhöht wird, so wie im aktuellen Nationalen Radverkehrsplan 2020 (NRVP) empfohlen?
Antwort:
Grundsätzlich kann eine Erhöhung der Radverkehrspauschale weitere wichtige Impulse zugunsten des Rad- und Fußverkehrs liefern und die Landeshauptstadt München von zusätzlichen Verlagerungspotentialen profitieren. Für eine erfolgreiche Realisierung der von der städtischen Ver waltung entwickelten Ideen und gewünschten Projekte reicht allerdings allein eine Erhöhung der zur Verfügung gestellten finanziellen Mittel nicht aus. Insbesondere Projekte, die beispielsweise die Neuaufteilung von Flächen an stark frequentierten Hauptverkehrsstraßen zu Lasten des Kraftfahrzeugverkehrs erfordern, müssen für ihre erfolgreiche Verwirklichung hinreichend politisch befür wortet und getragen werden.
Die Auswirkungen solcher Investitionen auf die konkreten Verkehrsverlagerungspotentiale sind aufgrund des komplexen Wirkungsgefüges der Vielzahl an Determinanten derzeit nicht belastbar abzuschätzen. So spielen nicht nur Fördermittel und der damit einhergehende Ausbau von Radverkehrsinfrastruktur sowie flankierende Imagekampagnen eine große Rolle, sondern gleichsam ist eine gekonnte und enge Verzahnung zwischen räumlichen Strukturen, Infrastruktureinrichtungen (z.B. Nahversorgungs- und Freizeiteinrichtungen) und sozio-ökonomischen Rahmenbedingungen unabdingbar. Solche ganzheitlichen und integrativen Ansätze unterliegen einer Vielzahl von Annahmen und Szenarien.
Auch die BASt-Studie liefert hierzu keine neuen Ansätze und Erkenntnisse.
Frage 4:
Ist nach Einschätzung des Planungsreferats die unter 3. genannte Erhöhung der Radverkehrspauschale für die LHM als betriebswirtschaftlich sowie volkswirtschaftlich sinnvoll zu betrachten, wenn dadurch die entsprechenden Verlagerungspotentiale genutzt werden und die Umweltbelastung entsprechend sinkt sowie einzelne Straßenausbaumaßnahmen reduziert werden können?Antwort:
Grundsätzlich wird davon ausgegangen, dass eine Erhöhung der Radverkehrs- bzw. Nahmobilitätspauschale positive betriebs- und volkswirtschaftliche Effekte nach sich ziehen kann, sofern daraus nicht nur die Planung, sondern auch die Realisierung der entwickelten Ideen und Projekte finanziert wird. Voraussetzung hierfür sind jeweils entsprechende Beschlüsse des Stadtrats.
Zur Erarbeitung und Abstimmung von Radverkehrsprojekten sind außerdem auch personelle Kapazitäten erforderlich. Dank der Radverkehrspauschale (bzw. Nahmobilitätspauschale) konnte seit 2009 bereits zusätzliches Personal für den Radverkehr zugeschaltet werden, wodurch eine Vielzahl von Projekten bis zur Umsetzungsreife entwickelt wurden. Insofern müsste eine Erhöhung der Nahmobilitätspauschale zwingend auch zusätzliche personelle Ressourcen beinhalten.
Das Referat für Stadtplanung und Bauordnung ist weiterhin um eine Verbesserung der Radverkehrssituation bemüht und dabei auch daran interessiert, vermehrt volks- und betriebswirtschaftliche Aspekte zu berücksichtigen.