Wieso wurde das Bildungscamp vor der Universität nicht wie ge- wohnt genehmigt?
Anfrage Stadtrats-Mitglieder Gülseren Demirel, Jutta Koller und Dominik Krause (Fraktion Bündnis 90/Die Grünen/Rosa Liste) vom 13.5.2014
Antwort Kreisverwaltungsreferent Dr. Wilfried Blume-Beyerle:
Herr Oberbürgermeister Reiter hat mir Ihre Anfrage vom 13.05.2014 zur Beantwortung überlassen.
Zunächst möchte ich mich für die gewährte Terminverlängerung bei Ihnen bedanken.
Es freut mich sehr, dass das Bildungscamp mittlerweile als Veranstaltung genehmigt werden konnte. Die Möglichkeiten, das Bildungscamp im gewünschten Umfang als Versammlung durchzuführen, wären dagegen nur in einem sehr begrenzten Umfang möglich gewesen.
Inhaltlich teilten Sie Folgendes mit:
„Seit 2009 findet regelmäßig das Bildungscamp auf dem Geschwister-Scholl- und dem Professor-Huber-Platz vor der Universität statt. Seit dem ersten Mal entwickelte sich das Camp hin zu einer Veranstaltung des politischen Diskurses von Studierenden, Politikern und Interessierten. In einer Vielzahl von Workshops, Vorträgen und Podiumsdiskussionen wurde vor allem die Thematik eines gerechten Bildungssystems aus vielzähligen Blickwinkeln betrachtet. Die Teilnehmerinnen und Teilnehmer setzten sich aktiv für viele politische und gesellschaftliche Ziele ein. Einen Teil davon haben sie, zusammen mit verschiedenen anderen Akteuren, bereits umgesetzt. Als Schlagwort sei hier vor allem die Abschaffung der Studiengebühren genannt. Bei vielen anderen Zielen sind die Studierenden jedoch nach wie vor mit ihren Forderungen präsent. Dieses Jahr sollte das Camp wieder wie gewohnt stattfinden. Die Studierenden haben, nach eigener Aussage, alles, wie immer, beim KVR eingereicht und erhielten diesmal keine Genehmigung für das Aufstellen von geschlossenen Zelten und das Nächtigen am Veranstaltungsort. Diese beiden Punkte stellen jedoch eines der zentralen Elemente des Camps dar. Die Teilnehmerinnen und Teilnehmer sind die ganze Zeit vor Ort, gestalten die Veranstaltung und werden ein aktiver Teil des Camps. Es gibt keine An- und Abfahrtswege und die Veranstalter benötigen bedeutend weniger Personal für die Durchführung der Veranstaltung. Nach Angaben der Anmelder begründet das KVR dieNicht-Genehmigung mit geänderten Regelungen die infolge der Flüchtlingsproteste getroffen wurden.“
Sie haben folgende Fragen gestellt:
Frage 1:
Welche neuen Richtlinien hat das KVR aufgrund der Flüchtlingsproteste in München erstellt und auf welcher rechtlichen Grundlage geschah dies?
Antwort:
Das Kreisver waltungsreferat hat keine neuen Richtlinien aufgrund der Flüchtlingsproteste in München erstellt.
Frage 2:
Wie begründet das KVR das ausgesprochene Nächtigungsverbot? Inwiefern sieht das KVR in Gerichtsentscheiden von 2012 zum Campieren auf öffentlichen Flächen anstelle der Unterbringung in einer Gemeinschaftsunterkunft (AZ 10 CS 12.1419 und 10 CS 12.767 des VGH, April und Juli 2012) einen Zusammenhang zum Bildungscamp – insbesonders da das Bildungscamp 2012 nach der ersten Entscheidung des VGH in gewohnter
Form stattfand?
Antwort:
Das Nächtigungsverbot beruht auf § 2 Abs. 2 Ziffer 10 der städtischen Grünanlagensatzung.
Wenn das Bildungscamp als Versammlung durchgeführt worden wäre, hätte es auch anhand der versammlungsrechtlichen Grundsätze bewertet werden müssen.
Nach allgemeinem Verständnis ist unter einer Versammlung eine örtliche Zusammenkunft mehrerer Personen zum Zweck der gemeinsamen Mei-
nungsbildung und Meinungskundgabe zu verstehen.
Während das Merkmal der örtlichen Zusammenkunft beim Bildungscamp sicherlich gegeben ist, kann eine Schlafende bzw. ein Schlafender nicht zur gemeinsamen Meinungsbildung und Meinungskundgabe beitragen. Zwar
ist für die Teilnahme an einer Versammlung nicht Voraussetzung, dass man sich aktiv an dem Prozess der Meinungsbildung beteiligt. Allerdings konsumiert die oder der Schlafende noch nicht einmal passiv die Meinungsäußerungen der anderen.Von daher geht die Rechtsprechung davon aus, dass jemand, der einschläft, die Versammlung „verlässt“ und damit bis zum Erwachen nicht mehr an dieser teilnimmt. Nimmt die Person jedoch nicht mehr an der Versammlung teil, so unterliegt sie den Regelungen des allgemeinen Ordnungsrechts.
Zu diesem Ordnungsrecht gehört auch die städtische Grünanlagensatzung, die das Übernachten in Grünanlagen verbietet.
Die Auffassung, dass die Durchführung einer Versammlung nicht gleichsam automatisch das Aufstellen von Zelten oder Pavillons als „notwendige Bestandteile“ der Versammlung und der dabei beabsichtigten kollektiven Meinungsbildung und Meinungsäußerung mit umfasst, wurde in den von Ihnen genannten VGH-Entscheidungen bestätigt. Einen weiteren Zusammenhang zwischen dem Campieren von Flüchtlingen und dem Bil-
dungscamp sieht das Kreisverwaltungsreferat nicht. Da zwischen VGH-Entscheidungen und deren Veröffentlichung und Berücksichtigung immer ein gewisser Zeitraum vergeht, wurden diese versammlungsrechtlichen Grundsätze bei den bisher stattgefundenen Bildungscamps nicht berücksichtigt.
Frage 3:
Laut Anmelder argumentiert das KVR, dass die Durchführung des Bildungscamps unter Berufung auf die Versammlungsfreiheit Art. 8 GG nicht gedeckt sei, da die Ziele bereits verwirklicht seien. Hat das KVR tatsächlich eine solche Argumentation getätigt, falls ja wie kommt es zu dieser Annahme?
Antwort:
In einer Besprechung mit den Veranstaltern hatten diese erläutert, dass andere Bildungsformen, wie eben das Bildungscamp, notwendig seien. In diesem Zusammenhang führte das Kreisverwaltungsreferat aus, dass die Versammlungsfreiheit nicht so weit gehe, dass das mit der Versammlung bezweckte Ziel, also die Einrichtung von Bildungscamps, bereits durch die Versammlung selbst erzwungen werden kann.
Frage 4:
Wie begründet das KVR das, nach Aussage des Anmelders, erfolgte Verbot der Kulturjurte, obwohl der Veranstalter neben der Ungeklärtheit des „Nächtigungsverbots“ durch Ausweichmöglichkeiten glaubhaft versichert, dass keine Übernachtungen darin stattfinden?Antwort:
Das Verbot bezieht sich auf die versammlungsrechtliche Beurteilung. Selbst im Vergleich zur angefragten Kulturjurte wären wesentlich kleinere Pavillions versammlungsrechtlich nur zulässig, wenn sie notwendiger Bestandteil der Versammlung sind. Was notwendig ist, ist dabei eng zu fassen. Die Aufstellung eines Pavillons oder auch einer Kulturjurte fällt dann nicht in den Schutzbereich des Grundrechts auf Versammlungsfreiheit, wenn sie lediglich logistischen Zwecken, z.B. auch als Sonnenschutz, dienen. Selbst wenn die Verwendung eines Pavillons versammlungsimmanent sein sollte, müsste dieser grundsätzlich nach allen Seiten offen sein und dürfte auch bei schlechter Witterung grundsätzlich nicht durch Seitenwände verschlossen werden. Dies ergibt sich aus dem Grundsatz, dass öffentliche Versammlungen unter freiem Himmel nicht von ihrer Umgebung abgegrenzt sein dürfen. Sie sind vielmehr strukturell nach außen gewandt. Jedermann soll durch schlichtes Hinzutreten die Teilnahme gestattet und umgekehrt einfaches Weggehen ermöglicht sein. Dies muss natürlich ebenso für die Kulturjurte gelten.
Mittlerweile konnte die Kulturjurte jedoch als Ausnahme in Grünanlagen als Veranstaltungsbestandteil zugelassen werden.
Frage 5:
Welchen Unterschied sieht das KVR bei einer Anmeldung als Privatveranstaltung und wieso legt es dies nahe?
Antwort:
Das Kreisver waltungsreferat hat empfohlen, das Bildungscamp als Veranstaltung und nicht als Versammlung durchzuführen. Die Empfehlung beruht darauf, dass veranstaltungsrechtlich in Grünanlagen mehr zugelassen werden kann, als das, was versammlungsrechtlich notwendig ist.
Frage 6:
Warum gibt es keine Ausnahmegenehmigung analog zum Streetlife?
Antwort:
Beim Streetlife-Festival handelt es sich im Gegensatz zum Bildungscamp nicht um eine Veranstaltung (hauptsächlich) in Grünanlagen, sondern um eine Veranstaltung auf öffentlichem Verkehrsgrund. Von den dafür geltenden Veranstaltungsrichtlinien hat der Stadtrat für das Streetlife-Festival einen eigenen Ausnahmebeschluss gefasst. Einen entsprechenden Stadt-ratsantrag für das Bildungscamp würde das Kreisverwaltungsreferat prüfen und dem Stadtrat zur Entscheidung vorlegen.
Ich möchte aber nochmals betonen, dass das Bildungscamp, mit Ausnahme der Übernachtung, auch ohne einen eigenen Stadtratsbeschluss genehmigt werden konnte.
Frage 7:
Was können die Organisatoren unternehmen, damit sie eine Genehmigung für die Zelte erhalten?
Antwort:
Die Genehmigung für die Zelte konnte mittlerweile veranstaltungsrechtlich erteilt werden.
Ich darf Sie um Kenntnisnahme dieser Ausführungen bitten und gehe davon aus, dass die Angelegenheit damit erledigt ist.