Wie SMART ist die wirkungsorientierte Steuerung in der Jugendhilfe?
Anfrage Stadtrat Cetin Oraner (Die Linke) vom 21.7.2014
Antwort Sozialreferat:
In Ihrer Anfrage vom 21.07.2014 führen Sie Folgendes aus:
„Zu den wesentlichen Voraussetzungen der wirkungsorientierten Steuerung in der Jugendhilfe gehört die Bildung von operationablen Zielen. Schon die Vorgabe, dass diese Ziele die Bedingungen der in der Abkürzung SMART zusammengefassten Eigenschaften zu erfüllen hätten, zeigt die Richtung, in der vor allem von Seiten der ausführenden Ämter und der beauftragten freien Träger die Probleme gesehen werden: die Ziele müssen - Spezifisch
- Messbar
- Akzeptiert
- Realistisch
- Terminiert
sein. Aufgrund dieser vor allem auf quantitative Auswertbarkeit ausgerichteten Ziele droht das Verständnis für eine ganzheitliche und komplexe Problemerfassung verloren zu gehen.“
Zu Ihrer Anfrage vom 21.07.2014 nimmt das Sozialreferat im Auftrag des Herrn Oberbürgermeisters im Einzelnen wie folgt Stellung:
Zum Vorhaben der wirkungsorientierten Steuerung hat der Kinder- und Jugendhilfeausschuss mit seinem Beschluss „Wirksamkeit in der Jugendhilfe“ vom 09.03.2010, Sitzungsvorlage Nr. 08-14/V 03608 bzw. Neufassung vom 13.04.2010 in der Vollversammlung am 28.04.2010 folgende Eckpunkte beschlossen:
- Kinder und Jugendliche erhalten zielgerichtete, passgenaue, qualitätsvolle und wirksame Hilfen.
- Das Stadtjugendamt München verfügt über einen empirisch abgesicherten Wissensbestand zur Situation der gesetzlichen Kinder- und Jugendhilfe (Hilfeart, Alter, Sozialregion, Maßnahmeträger, Kosten, Indikation, Elternarbeit, Dauer) und kann auf Basis dieser Daten zielgerichtet steuern.
Mit dem Projekt „Wirkungsorientierte Steuerung in den Hilfen zur Erziehung – WSE“ ist nach wie vor sichergestellt, dass alle Kinder und Jugend-lichen sowie deren Eltern bzw. alle jungen Volljährigen die für die Erziehung bzw. Entwicklung geeignete und notwendige Hilfe zur Erziehung (HzE) erhalten.
Wesentlicher Faktor erfolgreicher Hilfeleistung sind partizipativ entwickelte und kontinuierlich verfolgte Hilfeplanziele. Diese sind schon seit Jahren Kern des Hilfeplanverfahrens und auch gesetzlich gefordert, nur wurden sie in der Vergangenheit teilweise so allgemein und unverbindlich formuliert, dass die Auswahl und Ausgestaltung der Hilfeleistung darauf nicht ausreichend aufbauen konnte. Mit WSE wird dieser Teil des Hilfeplanverfahrens gestärkt. Die konkreten Ziele im Einzellfall bauen auf den Erkenntnissen der Sozialpädagogischen Diagnose auf, werden in einem gemeinsamen Prozess zwischen Fachkräften, jungen Menschen und Eltern entwikkelt und sind handlungsleitend für die Leistung der Hilfe durch den öffentlichen Träger sowie die Ausgestaltung der Hilfe durch den Leistungserbringer. Weiterhin wird der Erfolg der Hilfeleistung daran gemessen, ob und inwieweit die einzelnen Ziele im vorgesehenen Zeitraum erreicht wurden.
Die WSE setzt darauf auf und greift mittels IT-Verfahren die Summe von Einzelfallinformationen auf, um daraus Steuerungsinformationen zur Qualitätsentwicklung auf unterschiedlichen Ebenen zu gewinnen und diese den Entscheidungsträgerinnen und -trägern für den Bereich der Hilfen zur Erziehung zur Verfügung zu stellen.
Zu Ihren Fragen nehmen wir wie folgt Stellung:
Frage 1:
Welche Kritik wurde in der vorausgegangenen Erprobungsphase der wirkungsorientierten Steuerung u.a. von den beteiligten Ämtern und vor allem den freien Trägern geäußert?
Antwort:
Zum Abschluss der Erprobungsphase fand am 07.05.2013 ein ganztägiger Erprobungsworkshop statt. Beteiligt waren interne Fachkräfte aus den Erprobungs-Fallverteilungsgruppen (Bezirkssozialarbeit und Vermittlungsstelle der Sozialbürgerhäuser) sowie Fachkräfte von Münchner HzE-Einrichtungen.
Die Praktikerinnen und Praktiker diskutierten innerhalb des Workshops über die positiven aber auch kritischen Erfahrungen innerhalb der Erprobungsphase. Gegenstand der Diskussion bildete das wirkungsorientierteHilfeplanverfahren. Lösungsorientierte Vorschläge für die gelingende Projektumsetzung wurden erarbeitet. Diese lassen sich wie folgt zusammenfassen:
Notwendigkeit gemeinsamer Schulungen zur Implementation der Wir-
kungsorientierten Steuerung in den HzE für Fachkräfte des öffentlichen Trägers und der freien Träger.
Überprüfung einzelner Hilfeleistungen, inwieweit das Hilfeplanverfahren nach dem Achten Sozialgesetzbuch (SGB VIII) bzw. das Regionale Fachteam verpflichtend sind. Sofern ein Regionales Fachteam notwendig ist, muss der Auftrag des Regionalen Fachteams eindeutig beschrieben werden.
Die Schwierigkeiten der Fachkräfte bei der Formulierung SMARTer Zielvereinbarungen müssen bei den Fortbildungen berücksichtigt werden. Beschreibung und Identifikation neuer (höherer) Anforderungen durch WSE für die Fachkräfte und Aufgriff durch die Hierarchie.
Qualifikation von Fallübergaben bei den Fachlichkeiten Bezirkssozialarbeit, Wirtschaftliche Jugendhilfe und Vermittlungsstelle (Formularwesen vereinfachen; allen Akteurinnen und Akteuren im Fall vollständige Unterlagen aushändigen usw.).
Die Lösungsvorschläge und die Kritik werden im Rahmen des Projekts aufgegriffen. Die an das Projekt gerichteten Themen und Fragen konnten bereits teilweise beantwortet werden, sind aber weiterhin Gegenstand des Projektes und werden in die alltägliche dialogische Steuerungsarbeit der Abteilung Erziehungshilfen und Kinderschutz überführt.
Eine Reihe der im Workshop geäußerten Vorschläge und Kritiken wurde bereits mit dem Beschluss vom 15.07.2014 im KJHA aufgegriffen. Die Implementation findet mehrstufig statt, so dass die Praktikerinnen und Praktiker in den Sozialbürgerhäusern und bei den Trägern nicht nur gemeinsam geschult werden, sondern auch die Möglichkeit haben, sich in Workshops über die Umsetzung des WSE-Verfahrens auszutauschen.
Frage 2:
Wie kann angesichts der sehr in Einzelziele zerlegten Problematik des Jugendlichen eine ausreichende Analyse des Gesamtzusammenhangs, in
den sich das Einzelziel einbettet, gewährleistet werden?Antwort:
Nach WSE werden zu Beginn einer Hilfeplanung aufwändigere oder mehr Gespräche zur sozialpädagogischen Diagnose und zur partizipativen Zielerarbeitung und -vereinbarung zwischen Klientinnen und Klienten und fallführender Fachkraft stattfinden. Beziehungsaufbau und Vertrauensqualität sind wichtige Prozessmerkmale einer gelingenden Beratungs- und Hilfebeziehung; dies gilt unabhängig von WSE. Für Fachkräfte der Sozialbürgerhäuser wird dies im wirkungsorientierten Hilfeplanverfahren zukünftig eine noch wichtigere Rolle spielen, weil sie insbesondere in den ersten Schritten des Hilfeplanverfahrens über ihre Gesprächsführungs- und professionelle Beziehungskompetenz einen höheren Grad an Partizipation erreichen sollen.
Das wirkungsorientierte Hilfeplanverfahren geht davon aus, dass die Lebenssituation der Klientinnen und Klienten bei der partizipativen Erarbeitung von SMARTen Zielen berücksichtigt werden. Im Hilfeplanverfahren bildet die strategische Perspektive (Richtungsziel) die Leitlinie für die Ausgestaltung der Hilfe.
Frage 3:
Wie kann von den beteiligten Ämtern und freien Trägern noch ein für die weitere Arbeit mit dem Jugendlichen erforderliches Vertrauensverhältnis auch zum familiären Umfeld aufgebaut werden?
Antwort:
Der Schlüssel erfolgreicher Hilfeleistung ist, neben individuellen und personellen Wirkfaktoren, ein gut durchdachtes und systematisch aufgestelltes Hilfeplanverfahren. Im Rahmen eines partizipativen Ansatzes soll der Hilfeprozess den Familien Unterstützungsleistungen anbieten, die Perspektiven für die Kinder, Jugendlichen und Eltern schaffen. Erfolgversprechend ist dabei die Berücksichtigung der Erwartungen aller Beteiligten. Im Rahmen des veränderten Hilfeplanverfahrens werden Eltern und der junge Mensch wesentlich umfangreicher als bisher einbezogen und aktiv am Prozess beteiligt. Durch die deutlich stärkere Subjektorientierung findet ein intensiver Austausch und eine Auseinandersetzung mit den Absichten, den impliziten Werthaltungen, den Handlungsmöglichkeiten und den Normbezügen der jungen Menschen und deren Familie statt. Diese Aushandlung über die Sinnhaftigkeit der Erziehungshilfe schafft die Möglichkeit für einen vertrauensvollen Hilfeprozess. Dazu gehört auch, dass nicht nur die Fachkräfte den Erfolg der Maßnahme bewerten, sondern auch die Eltern und der junge Mensch. Diese wesentlichen partizipativen Elemente bildendie Grundlage für die gemeinsam geplante Erziehungshilfe und deren erfolgreiche Umsetzung.
Frage 4:
Wer evaluiert die angedachte erweiterte Erprobungsphase und welches Handwerkszeug/welche tools wurden dazu entwickelt?
Antwort:
Die wesentlichen Aspekte des gesamten Evaluationsprozesses werden auf Grundlage des Beschlusses des Kinder- und Jugendhilfeausschusses vom 15.07.2014 praxisnah entwickelt und durch die Lenkungsgruppe des WSE-Projektes verabschiedet. Im Rahmen des vorgeschriebenen Vergabeverfahrens findet die Auswahl einer Anbieterin bzw. eines Anbieters statt, die bzw. der die Evaluation durchführen wird. Es wird von der Anbieterin bzw. vom Anbieter er wartet, dass die geeigneten Methoden einer objektiven und wissenschaftlich fundierten Evaluation angewandt werden.
Frage 5:
Lässt sich anhand der bisherigen Auswertungen schon ein Veränderungsbedarf erkennen und wer hat diesen ermittelt?
Antwort:
Bisherige Datenauswertungen aus QSDHP
1 durch das Controlling der Ab-
teilung Erziehungshilfen und Kinderschutz während der zweiten Projektphase hatten weniger eine inhaltliche Zielrichtung, sondern dienten primär der Überprüfung der Leistungsfähigkeit des Datenbanksystems. Wenn die Bedingungen vorliegen, werden im Rahmen der wirkungsorientierten
Steuerung inhaltliche Analysen vorgenommen. Die Ergebnisse werden auch dem KJHA bekannt gegeben.
1 QSDHP unterstützt die Qualitätssicherung (QS), dies meint die Einwertung von Gefährdungsfällen, die Sozialpädagogische Diagnose (SD) von Kindern und Jugendlichen sowie die Dokumentation zum gesetzlich vorgeschriebenen Hilfeplanverfahren (HP).