Beschaffung von dienststellenspezifischem Fachbedarf – Verschwendung von Personalressourcen?
Anfrage Stadtrats-Mitglieder Johann Altmann, Dr. Josef Assal, Richard Progl und Ursula Sabathil (Fraktion Bürgerliche Mitte – Freie Wähler/ Bayernpartei) vom 24.9.2014
Antwort Oberbürgermeister Dieter Reiter:
Auf Ihre Anfrage vom 24.09.2014 nehme ich Bezug. In Ihrer Anfrage haben Sie folgenden Sachverhalt vorausgeschickt:
„In der städtischen Beschaffungsordnung (BeschO) wird der Grundsatz zur Beschaffung durch zentrale Vergabestellen festgelegt. Beschaffungen mit einem Auftragswert über 1.000 Euro werden daher zentral durchgeführt. Überschreitet der Auftragswert einer Beschaffung den im Liefer- und Dienstleistungsbereich derzeit gültigen Schwellenwert von 207.000 Euro wird der Auftrag europaweit ausgeschrieben. Dienststellenspezifischer Bedarf darf unabhängig vom Auftragswert von den Bedarfsstellen selbst beschafft werden. Hier scheinen sich doppelte Strukturen bei der zentralen und dezentralen Beschaffung etabliert zu haben.“
Zu den im Einzelnen gestellten Fragen kann ich Ihnen Folgendes mitteilen:
Frage 1:
Werden Vergabestellen durch die Deklaration „dienststellenspezifischer Bedarf“ vorsätzlich umgangen?
Antwort:
Es ist keine Beschaffung bekannt, bei der städtische Dienstkräfte die Vergabestellen durch die Deklaration eines Bedarfs als dienststellenspezifisch vorsätzlich umgangen hätten.
Bei der Abgrenzung zwischen zentral zu beschaffendem und dienststellenspezifischen Bedarf kommt es allenfalls zu ungewollten Fehlern. Durch verschiedene Hilfestellungen und Maßnahmen sind die Fehler auf ein Minimum reduziert. Sollte eine Beschaffung von einer unzuständigen Dienststelle durchgeführt worden sein, würde die Stadtkasse dies beanstanden und die zuständige Vergabestelle verständigen (Ziffer 9 BeschO).
Der Abgrenzung von dienststellenspezifischem zu zentral zu beschaffendem Bedarf erfolgt über die Gliederung und den Wirkungskreis der Vergabestellen. Bedarf, der im Wirkungskreis nicht ausgewiesen ist, darf vonden Bedarfsstellen selbst beschafft werden. Bei diesen Artikeln wird davon ausgegangen, dass sie nur an einer Dienststelle singulär anfallen. Eine Bündelung zum wirtschaftlicheren Einkauf entfällt damit. Die Vergabestellen sind aufgerufen, auftretende Zuständigkeitsfragen durch eine möglichst enge, konstruktive Zusammenarbeit sowohl untereinander wie auch mit den Bedarfsstellen auszuräumen. Als Kommunikationsgremium dient der „Runde Tisch Beschaffungswesen“, bei dem Vergabestellen und Bedarfsstellen über Rechtsänderungen, Rahmenverträge und Beschaffungsabläufe diskutieren und Lösungen vorschlagen.
Frage 2:
Müssen durch diese Doppelstrukturen somit Beschäftigte in den Vergabestellen und in den Dienststellen über das Fachwissen zur Erstellung von Ausschreibungsunterlagen verfügen und könnten diese Personalressourcen in den Dienststellen nicht geeigneter genutzt werden?
Antwort:
Beschäftigte in den Vergabestellen und in den Dienststellen müssen über Vergabewissen verfügen, jedoch in unterschiedlicher Tiefe und Ausprägung.
Wenn die Zuständigkeit für die Beschaffung von dienststellenspezifischem Bedarf bei den Dienststellen abgezogen und den Vergabestellen zugeordnet werden würde, müssten auch die Personalressourcen dazu übertragen werden.
Frage 3:
Besitzen diese Dienststellen die nötige Kompetenz um Ausschreibungsunterlagen regelkonform zu erstellen, z. B. durch Schulungen oder Fortbildungen?
Antwort:
Die Eigenbeschaffung durch die Dienststellen entbindet nicht von der Beachtung der Vergabebestimmungen. Die Bedarfsstellen und Vergabestellen haben ein gegenseitiges Beratungsrecht und eine gegenseitige Beratungspflicht, die sich auch auf die Vergabebestimmungen erstreckt (Ziffer 2.4, Abs. 1, Satz 1 BeschO).
Das Personal- und Organisationsreferat bietet in seinem Fortbildungsprogramm Schulungen an. Diese werden von Dienstkräften der Vergabestellen und des Revisionsamts durchgeführt.Frage 4:
Wie viele Beschaffungen von dienststellenspezifischen Bedarf werden von Dienststellen selbstständig pro Jahr durchgeführt?
Antwort:
Die Anzahl der Beschaffungen wird statistisch nicht erfasst, da eine solche Zahl wenig Aussagekraft hat. Von Bedeutung ist das Gesamtbeschaffungsvolumen der Vergabestellen, die Anzahl der Rahmenverträge und der Anteil der Rahmenverträge am Gesamtbeschaffungsvolumen. 2013 hatten die Vergabestellen ein Gesamtbeschaffungsvolumen von knapp 300 Mio Euro. Den Dienststellen standen 2013 fast 2.000 Rahmenverträge zur Verfügung, aus denen sie elektronisch abrufen konnten. Das Beschaffungsvolumen aus den Rahmenverträgen lag bei 200 Mio Euro. Damit war das Gesamtbeschaffungsvolumen 2013 zu etwa 70 Prozent über Rahmenverträge abgedeckt. An Rahmenverträge sind die Dienststellen unabhängig vom Auftragswert gebunden (Ziffer 2.1.1, Nr. 7, Ziffer 3.1, Punkt 3, Ziffer 3.2.1, Abs. 2, Ziffer 5 BeschO). Nach Auswertung von Beschaffungsdaten ist erkennbar, dass inzwischen nicht mehr viele Rahmenverträge möglich sind.
Bei einem Gesamtbeschaffungsvolumen im Liefer- und Dienstleistungsbereich von knapp 300 Mio Euro jährlich, macht der dienststellenspezifische Bedarf in Höhe von ca. 3 Mio Euro im Vergleich lediglich 1 Prozent aus. Es handelt sich also eher um ein geringes Ausmaß.
Frage 5:
Werden von diesen Dienststellen auch Beschaffungen oberhalb des EU-Schwellenwerts realisiert? Wenn ja, wie viele?
Antwort:
Seit 2010 sind die Dienststellen verpflichtet, sich vor einer europaweiten Beschaffung mit einer Vergabestelle in Verbindung zu setzen. Dort erhält die Dienststelle Beratung und die einschlägigen Formblätter. Nach Unterstützung durch die Vergabestelle führt die Dienststelle das Vergabeverfahren entweder selbst durch oder übergibt das Vergabeverfahren der Vergabestelle. Es ist zu beobachten, dass Dienststellen über wiegend europaweite Vergaben von einer Vergabestelle abwickeln lassen.Frage 6:
Werden geeignete Fachdienststellen für Ausschreibungen (Vergabestellen), die dazu das nötige Fachwissen über Formalitäten, Abläufe usw. besitzen, über diese Beschaffungen informiert?
Antwort:
Wie bei der Antwort zur Frage 5 bereits beschrieben, wenden sich die Dienststellen im Vorfeld einer europaweiten Beschaffung an eine Vergabestelle. Zwischen den Vergabestellen besteht ebenfalls ein Informationsaustausch über europaweite Verfahren.
Das Beschaffungssystem der Stadt nutzt die Vorteile einer zentralen Beschaffung von stadtweit benötigtem Bedarf und ergänzt diese durch die Zulässigkeit der dezentralen Beschaffung von dienststellenspezifischem Bedarf. Den Dienststellen steht die Möglichkeit offen, sich bei der Beschaffung an eine Vergabestelle zu wenden. Die Vergabestellen sind angehalten, die Aufträge im Rahmen ihrer personellen Kapazitäten anzunehmen.
Das Beschaffungssystem entspricht dem Ergebnis der Verwaltungsreform von 1996 bis 1998 mit zeitweise 8 Pilotprojekten im Beschaffungsbereich. Die Ergebnisse sind in den Beschluss zum neuen Steuerungsmodell im März 1998 eingeflossen und wurden 2000 und 2004 durch Stadtratsbeschlüsse bestätigt.
Ich hoffe, Ihre Fragen mit meinen Ausführungen beantwortet zu haben.