Möglichkeit des erzwungenen Abbruchs politischer Kundgebungen bei Verübung von Gewalttaten aus der Versammlungsmenge heraus!
Anfrage Stadtrat Marian Offman (CSU) vom 16.12.2013
Antwort Kreisverwaltungsreferent Dr. Wilfried Blume-Beyerle:
Herr Oberbürgermeister Ude hat mir Ihre Anfrage vom 16.12.2013 zur Beantwortung überlassen.
Inhaltlich teilten Sie Folgendes mit:
„
Am 30. November fand auf dem Rotkreuzplatz gegen 13 Uhr eine Kundgebung der Gruppierung BIA mit Herrn Karl Richter an der Spitze statt. Nachdem von ihm und einer Kollegin über 30 Minuten ausländerfeindliche Parolen über Lautsprecher verbreitet wurden, fuhren sie mit einem Bus zu einem weiteren Standort nach Schwabing.
Während sich der Bus straßenseitig am Rotkreuzplatz langsam zur Ampel bewegte, öffnete sich eine Schiebetüre und zwei Gefolgsleute von Herrn Richter sprangen heraus und stürzten auf am Straßenrand stehende Passanten und schlugen auf sie ein. Die beiden Täter wurden sofort von anwesenden Sicherheitspersonal der Polizei überwältigt und abgeführt.
Anschließend sollte eine weitere Veranstaltung der BIA in Schwabing abgehalten werden.“
Hierzu haben Sie folgende Fragen gestellt:
Frage 1:
Welche Möglichkeiten hat die genehmigende Behörde nach Bekanntwerden, die Auflagen für eine am gleichen Tag stattfindende Folgeveranstaltung zu verschärfen oder diese Veranstaltung ganz zu verbieten?
Antwort:
Die zuständige Versammlungsbehörde kann eine Versammlung beschränken oder verbieten, wenn nach den zur Zeit des Erlasses der Verfügung erkennbaren Umständen die öffentliche Sicherheit oder Ordnung bei Durchführung der Versammlung unmittelbar gefährdet ist. Bei Hinzutreten neuer Gefährdungslagen können je nach Schwere – sowohl vor als auch nach Versammlungsbeginn – weitere Beschränkungen oder ein Verbot(bzw. nach Beginn eine sog. Auflösung) zur Gefahrenabwehr verfügt werden (Art. 15 Abs. 1, 4 BayVersG).
Hierbei hat der Gesetzgeber jedoch unterschiedliche Behörden für zuständig erklärt: Während vor Beginn einer Versammlung das Kreisverwaltungsreferat in München die zuständige Versammlungsbehörde ist, geht mit Beginn einer Versammlung die Zuständigkeit vollständig auf das Polizeipräsidium München über. Ebenso kann die Polizei in aufschiebbaren Fällen anstelle des Kreisverwaltungsreferates Maßnahmen treffen (Art. 24 Abs. 2 BayVersG). Dieses ist regelmäßig außerhalb der Bürozeiten, insbesondere an Wochenenden, der Fall.
Eine derartige Zuständigkeit des Polizeipräsidiums München („anstelle des Kreisverwaltungsreferates“) war auch am 30.11.2013 – einem Samstag – gegeben. Insoweit habe ich das Polizeipräsidium München um Stellungnahme gebeten. Dieses teilte mir hierzu Folgendes mit:
„Bereits unmittelbar nach den Festnahmen der beiden BIA-Angehörigen wegen gefährlicher Körperverletzung bat Herr Stadtrat Marian Offman den Polizeiführer vor Ort, die Versammlung „aufzulösen“ bzw. die Versammlungsreihe zu beenden. Der Polizeiführer erklärte daraufhin Herrn Offman die Rechtslage, wonach es sich bei der Versammlungsreihe um einzelne, eigenständige Versammlungen handelte, deren Beginn und Ende in der Versammlungsanzeige und Anzeigenbestätigung konkret vorgegeben waren.
Die Versammlung am Rotkreuzplatz war zur Tatzeit der gefährlichen Körperverletzungen bereits beendet. Allein deshalb war eine Auflösung dieser Versammlung nicht mehr möglich.
Bei den zu diesem Zeitpunkt bereits stattgefundenen drei Versammlungen der BIA an diesem Tag (einschließlich der Versammlung am Rotkreuzplatz) kam es aus den jeweiligen Versammlungen heraus zu keinerlei Straftaten durch die Teilnehmer der BIA. Auch vor dem Hintergrund, dass durch die beiden BIA-Angehörigen nach Beendigung der Versammlung am Rotkreuzplatz Straftaten begangen wurden, waren für den Polizeiführer keine Umstände erkennbar, die die öffentliche Sicherheit und Ordnung bei der Durchführung der weiteren Versammlungen unmittelbar gefährdet hätte.
Den beiden Straftätern war die Teilnahme an den noch ausstehenden Versammlungen durch ihre Festnahme und die anschließende Haftsachenbe-arbeitung nicht mehr möglich. Bei den noch verbliebenen fünf BIA-Angehörigen konnte aufgrund ihres bis dahin friedlichen Verhaltens nicht darauf geschlossen werden, dass diese bei den weiteren Versammlungen strafbare Handlungen begehen würden, die ein Verbot der Versammlungen gem. Art. 15 BayVersG gerechtfertigt hätte. Die drei weiteren, für diesen Tag angezeigten Versammlungen, konnten ohne Störungen durchgeführt werden.“
Frage 2:
Inwiefern haben solche Zwischenfälle Folgen für die Genehmigung künftiger Veranstaltungen in Hinblick auf die Zuverlässigkeit des Verantwortlichen?
Antwort:
Grundsätzlich müssen Versammlungen nicht genehmigt, sondern lediglich angezeigt werden.
Im Rahmen der Prüfung dieser Anzeige wird routinemäßig auch die „Zuverlässigkeit“ der jeweiligen Versammlungsleiterin bzw. des jeweiligen Versammlungsleiters durch das Kreisver waltungsreferat im Benehmen mit dem Polizeipräsidium München überprüft. Eine Ablehnung einer Versammlungsleiterin bzw. eines Versammlungsleiters ist dabei nur möglich, wenn Tatsachen die Annahme rechtfertigen, dass diese bzw. dieser die Friedlichkeit der Versammlung gefährdet (Art. 13 Abs. 5 BayVersG).
Der Gesetzgeber bringt in dieser Vorschrift zum Ausdruck, dass die Gefährdung unmittelbar von der Leiterin bzw. dem Leiter ausgehen muss. Gefährdungslagen, die aufgrund des Verhaltens Dritter, seien sie Versammlungsteilnehmer/-innen oder Außenstehende, bestehen, sind im Rahmen dieser Vorschrift nur dann beachtlich, wenn sie erst aufgrund der Person der Leiterin bzw. des Leiters relevant oder zumindest deutlich verstärkt werden. Für eine derartige Annahme liegen dem Kreisverwaltungsreferat keine Erkenntnisse vor. Die Handlungen der (vormaligen) Versammlungsteilnehmer können daher nach derzeitiger Aktenlage der (vormaligen) Versammlungsleiterin für die Zukunft nicht negativ zugerechnet werden (vgl. Wächtler /Heinhold/Merk, BayVersG, Rz. 19 zu Art. 10).
Daneben kann die zuständige Versammlungsbehörde eine künftige Versammlung insbesondere dann beschränken, wenn Tatsachen festgestellt sind, aus denen sich ergibt, dass der Veranstalter oder sein Anhang einen gewalttätigen Verlauf anstreben (Art. 15 Abs. 1 i.V.m. Art. 12 Abs. 1 Nr. 3BayVersG). Auch für eine derartige Prognose liegen dem Kreisver waltungsreferat zum jetzigen Zeitpunkt keine entsprechenden Erkenntnisse hinsichtlich der Veranstalterin vor. Selbstverständlich wird das Kreisverwaltungsreferat im Falle einer erneuten Versammlungsanzeige der Veranstalterin eine umfassende Gefahrenprognose anstellen.
Auf die Antwort des Polizeipräsidiums München zu Frage 1 wird abschließend ergänzend ver wiesen.