Glück kann man lernen
Antrag Stadträtin Sabine Krieger (Fraktion Bündnis 90/Die Grünen/Rosa Liste) vom 6.6.2013
Antwort Stadtrat Rainer Schweppe:
Ihr Einverständnis vorausgesetzt, erlaube ich mir, Ihren Antrag „Glück kann man lernen“, als Brief zu beantworten.
„Die Landeshauptstadt München
1. führt an den städtischen Schulen das ‚Schulfach Glück’ ein 2. bietet am Pädagogischen Institut Fortbildungen für das ‚Schulfach Glück’ an.“
1. Grundlagen
1.1 Intention
Die Idee zu dem Schulfach Glück geht auf die Initiative Ernst Fritz-Schuberts (geboren 1948), Schulleiter der Willy-Hellpach-Schule in Heidelberg in den Jahren 2000 bis 2011, zurück. Die Ideen dazu
veröffentlichte er in dem Buch „Schulfach Glück – Wie ein neues Fach die Schule verändert“ (Freiburg i. B. 2011²). Seine Intention ist es unter anderem vor dem Hintergrund zunehmender Depressionen
bei Jugendlichen, die Lebenskompetenz und Lebensfreude der
Schülerinnen und Schüler in den Vordergrund zu stellen und ergänzend zum traditionellen Fächerkanon einen Erfahrungsraum dafür in der Schule durch ein eigenes Unterrichtsfach aufzuspannen. In diesem Fach sollen die Jugendlichen sich als eigene Persönlichkeiten wahrgenommen fühlen und „Life-Skills“ erwerben. Ernst Fritz-Schubert führte 2007 das Schulfach Glück an der Willy-Hellpach-Schule ein.
Glück wird in diesem Zusammenhang nicht als „momentanes Hochgefühl“, sondern als „tragende ‚Lebenszufriedenheit’“ verstanden (Ulrike Graf: Von der „Wert“haftigkeit des Glücks, in: Elisabeth Naurath u.a. (Hg.): Wie sich Werte bilden, Osnabrück 2013. S. 263-284, S. 265).
1.2 Kontext und Wirkungsmöglichkeiten
Das nach den Ideen von Ernst Fritz-Schubert gestaltete Unterrichtsfach Glück enthält viele Elemente des lösungs- und ressourcenorientierten systemischen Denkens in Folge von Paul Watzlawik, Virginia Satir, Steve de Shazer und der humanistischen Gesprächstherapie von Carl Rogers. Von daher zielt das Fach darauf ab, die Schülerinnen und Schüler zu stärken bzw. den Blick auf die eigenen Stärken zu lenken. Es ist also ressourcen-und nicht defizitorientiert. Hiermit unterstützt das Fach die Schülerinnen und Schüler dabei, sich ihrer Selbstwirksamkeit bewusst zu werden und bisher nicht oder nur ansatzweise gelebte Fähigkeiten zu entdecken und zu entfalten. Die Gesprächsführung und die Methoden veranlassen die Schülerinnen und Schüler, nach Faktoren des Gelingens ihres Handelns und ihrer Lebensgestaltung zu suchen, anstatt nach Ursachen für Schwächen und Versagen. Auf diesem Weg dürfte das Fach auch eine positive Wirkung auf die Leistungen der Schülerinnen und Schüler entfalten, da diese eine größere Selbstwirksamkeit erfahren, was eine wesentliche Voraussetzung für erfolgreiches Lernen darstellt. Zusätzlich lernen sie, nach Lösungen zu suchen und nach Unterstützung Ausschau zu halten.
Das Schulfach Glück trägt außerdem dazu bei, die eigenen Gefühle und Befindlichkeiten bewusster wahrzunehmen und auch auszusprechen.
Damit geht einerseits eine Ich-Stärkung und ein wachsendes Selbstbewusstsein einher, was wiederum dem Lernverhalten und -erfolg als auch dem kommunikativen und sozialen Verhalten in der Klasse dienlich ist. Außerdem kann das Schulfach Glück einen Beitrag leisten, emotionalen Störungen unter anderem in der Pubertät vorzubeugen. Gleichzeitig findet implizit auch eine Schulung der kommunikativen Fähigkeiten der Schülerinnen und Schüler statt. Sie lernen, einander wahrzunehmen und aufeinander einzugehen. Damit trägt das Fach zur Entwicklung von Empathie bei.
Die Methoden dieses Faches (z. B. die „Warme Dusche“) regen die Schülerinnen und Schüler dazu an, das Positive an ihren Mitmenschen wahrzunehmen und ihnen deshalb mit einer wertschätzenden Haltung zu begegnen. Hierin besteht eine gute Möglichkeit, ein gutes Klassenklima zu schaffen. Vor allem in neu zusammengesetzten Klassen lernen sich die Schülerinnen und Schüler über diese Methoden schnell kennen und positiv zu sehen. Aufgrund dieser Haltung kann dieses Fach als Prävention gegen Mobbing verstanden werden und gleichzeitig einen wichtigen Beitrag zur Inklusion leisten.
Insgesamt kann die Umsetzung der Ideen, die dem Schulfach zugrunde liegen, eine positive Haltung sowohl bei Schülerinnen und Schülern als auch bei Lehrkräften bewirken und damit das Schulklima deutlich verbessern.
1.3 Wissenschaftliche Evaluation
Es liegen bisher erst wenige wissenschaftliche Evaluierungen vor. Professor Alex Bertrams ((Universität Bern, Institut für Erziehungs-wissenschaft, Abteilung Pädagogische Psychologie, vormals
Juniorprofessur für Pädagogische Psychologie mit Schwerpunkt
angewandte Volitionsforschung Universität Mannheim) hat in einer Studie 106 Schülerinnen und Schülern an zwei Berufsschulen befragt. Er gibt dem PI in einer Mail vom 18. März 2015 folgende Auskunft: „In unserer Studie deutet sich an, dass sich das Schulfach Glück günstig auf das Wohlbefinden auswirken kann. Einen schädlichen Effekt haben wir nicht gefunden. Einschränkend muss man sagen, dass unsere Evaluation
mit einer relativ kleinen Stichprobe durchgeführt wurde, dass kausale Effekte aufgrund des Studiendesigns nur bedingt gefolgert werden können und wir uns auf bestimmte Outcome-Variablen konzentrieren mussten (es sind viele andere interessante Outcome-Variablen denkbar, die nicht erhoben wurden).“ Die ersten Ergebnisse belegen außerdem: Das Schulfach „Glück“ hat einen positiven Effekt auf das subjektive Wohlbefinden der Schülerinnen und Schüler. Aber, so deutet es sich an, ist dieser nicht bei allen gleich. Das Schulfach hat demnach einen stärkeren positiven Effekt auf diejenigen, die von vornherein emotional stabiler sind. Trotz dieser unterschiedlichen Wirksamkeit hält Professor Bertrams die Einführung des Fachs prinzipiell für sinnvoll: „Im Endeffekt geht es bei dem Schulfach Glück ja darum, dass Schüler lernen, sich mit ihrer emotionalen Seite auseinanderzusetzen und in gewisser Weise Lebenskompetenz
zu erwerben. Das halte ich für genauso wichtig wie Mathematik.
Beim Schulfach Glück werden den Schülern Übungen vermittelt, die wissenschaftlich begründbar sind. Es ist keine Esoterik.“(Quelle: http:// www.uni-mannheim.de/1/presse_uni_medien/pressemitteilungen/2011/ august/unterricht_zum_gluecklichsein/)
2. Schulfach Glück an Schulen
Im Rahmen der Recherche für die Stadtratsanfrage der GRÜNEN wurden einige Schulen befragt und teilweise besucht, die das Unterrichtsfach Glück anbieten.
2.1 Unterricht im Schulfach Glück in München
In der LH München wird das Fach Glück nach dem „Kerncuriculum ‚Schulfach Glück’“ (siehe Anlage 2) im Schuljahr 2013/14 an den unten genannten Schulen unterrichtet. Parallel dazu bot Herr Dr. Wolf-Thorsten Saalfrank (Lehrstuhl für Schulpädagogik der LMU) 14-tägig ein zweistündiges Begleitseminar für die Studierenden an, unter anderem um Aspekte und Erfahrungen aus diesem Unterricht zu thematisieren.
Dr. Saalfrank begleitet das Projekt an den Münchner Schulen wissenschaftlich. Frau Professor Ulrike Graf (Universität Osnabrück) ist mit der Evaluation betraut.- Mittelschule an der Fromundstraße (eine Klasse – 7. Jahrgangsstufe) - Mittelschule an der Führichstraße (zwei Klassen – 7. Jahrgangsstufe) - Mittelschule an der Perlacher Straße (alle Klassen der 7. Jahrgangsstufe) - Staatliche Wirtschaftsschule Pasing (eine Klasse – 11. Jahrgangsstufe) - Städtische Fridtjof-Nansen-Realschule (eine Klasse – 5. Jahrgangsstufe)
Besucht wurden die Mittelschule an der Führichstraße, Städtische Fridtjof-Nansen-Realschule und Staatliche Wirtschaftsschule Pasing.
Wesentliche Merkmale des Unterrichts waren
-die Gestaltung positiver Beziehungen zu den Mitschülerinnen und Mitschülern sowie den Lehrkräften und den Schülerinnen und Schülern, -Sensibilisierung für positive Umgangsformen,
-Sensibilisierung der Eigen- und Fremdwahrnehmung, vor allem auch für die Wahrnehmung der Emotionen bei sich selbst und den anderen,
-Schulung von Achtsamkeit und Präsenz,
-Ressourcenorientierung,
-Stärkung der Persönlichkeit und Selbstwirksamkeit,
-Anknüpfung an die Inhalte anderer Fächer.
2.2 Unterricht im Schulfach Glück an der Theodor-Frey-Schule Eberbach (Neckar)
Fritz-Schubert führte das Schulfach Glück wie oben erwähnt an der Willy-Helpach-Schule in Heidelberg 2007 ein. Dieses Projekt wurde von einigen Schulen im Raum Heidelberg aufgegriffen, eine dieser Schulen ist die berufliche Theodor-Frey-Schule in Eberbach (Neckar). An dieser Schule konnten Herr Dr. Lehmeier (RBS-PI) und Herr Schricker (RBS-PI) sowie Herr Schmidbauer (RBS-A-F2-Fachkoordinator Ethik) am 27.11.13 an dem Unterricht in einer Doppelstunde „Glück“ in einer Klasse des Zweiges Wirtschaftsschule teilnehmen.
Das Fach Glück wird in zwei Klassen unterrichtet:
Im Berufskolleg II (führt zur Fachoberschulreife) ist „Glück“ in das verpflichtend vorgeschriebene Projektfach integriert. Die Projekte sind alle dem sozialen Bereich zugeordnet und beziehen sich auf außerschulische Lebenswelten, z.B. die „Heidelberger Tafel“ für Obdachlose, ein Kinderheim, Krebsklinik für Kinder. Eine Kleingruppe absolviert ihr Projekt an einer Dialysestation in Heidelberg und beschäftigt sich mit der Frage wie sich Krankheit auf das Glücksempfinden eines Menschen auswirkt.In der Wirtschaftsschule (führt zur Mittleren Reife) wird Glück in der 11. Jahrgangsstufe (2. Ausbildungsjahr) unterrichtet. Die Schülerinnen und Schüler führen ein Heft zur Dokumentation, Selbstreflexion und Beobachtung der eigenen Gefühle. Einträge in diesem lauten unter anderem: „‚Glück’ bewegt … verändert“, „‚Glück’ kann dein Leben verändern. Es zeigt mir wieder richtig zu leben und baut
Selbstbewusstsein und Selbstvertrauen auf“, „‚Glück’ half mir, Anschluss an die Klasse zu bekommen“, „Man lernt auch im Umgang mit Menschen viel dazu. Im Alltag konnte ich Dinge aus diesem Schulfach umsetzen, indem ich mir meiner Stärken bewusst geworden bin und das stärkt mein Selbstbewusstsein“.
Wesentliche Merkmale des Unterrichts sind auch hier
-die Gestaltung positiver Beziehungen zu den Mitschülerinnen und Mitschülern sowie den Lehrkräften und den Schülerinnen und Schülern, -Sensibilisierung für positive Umgangsformen,
-Sensibilisierung der Eigen- und Fremdwahrnehmung, vor allem auch für die Wahrnehmung der Emotionen bei sich selbst und den anderen,
-Schulung von Achtsamkeit und Präsenz,
-Ressourcenorientierung,
-Stärkung der Persönlichkeit und Selbstwirksamkeit,
In einem Gespräch mit Schülerinnen und einem Schüler äußerten diese folgende positive Erfahrungen durch das Schulfach Glück:
-schnellerer Kontaktfindung zu Mitschülerinnen und Mitschülern
-man gehe „offener und aufrechter“ durch die Schulentwicklung -Abwechslung vom allgemeinen Schulalltag
-Vertrauen
-Ruhe finden
-sich selbst mehr zu schätzen
-nicht wie eine graue Maus mit der Haltung „hoffentlich sieht mich keiner“ durchs Leben zu laufen
3. Einführung des „Schulfaches Glück“ an städtischen Schulen 3.1 Rechtliche Voraussetzungen
Die Landeshauptstadt München kann als Schultäger an ihren kommunalen Schulen prinzipiell keine Unterrichtsfächer, die benotet werden und die vorrückungsrelevant sind, einführen. Das Bayerische Staatsministerium für Unterricht und Kultus hat es in seiner Stellungnahme vom 9.9.2013 abgelehnt, die Einführung eines Unterrichtsfaches Glück zu genehmigen (Anlage 1).Nachdem das Kultusministerium keine entsprechende Genehmigung
erteilt hat, besteht aus Sicht der Rechtsabteilung des RBS keine Möglichkeit, das Fach Glück als Unterrichtsfach einzuführen. Denkbar wäre jedoch die Einrichtung eines entsprechenden Wahlfachs nach Entscheidung der Schulleitung im Rahmen des vorhandenen Budgets. Im Hinblick
auf die Inhalte des Skill-Unterrichts der 5. und 6. Jahrgangsstufen der Realschulen und Gymnasien, regt RBS-RECHT an, sich mit den jeweiligen Fachabteilungen in Verbindung zu setzen.
3.2 Möglichkeiten der Umsetzung
Sicherlich enthalten, wie das bayerische Staatsministerium für Unterricht und Kultus in seiner Stellungnahme vom 9.9.2013 darlegt (siehe
Anlage 1), die Bayerische Verfassung, das Bayerische Erziehungs- und Unterrichtsgesetz, die Schulordnungen und die Lehrpläne der einzelnen Schularten etliche Aspekte, die sich in den Curricula des Schulfachs Glück wiederfinden. Dieses bündelt jedoch diese Aspekte und stellt sie einen zielgerichteten Zusammenhang, der eine kontinuierliche Auseinandersetzung in einer Klasse ermöglicht. Außerdem sind der Vermittlung dieser einzelnen Aspekte bestimmte Methoden und
Unterrichtsmodelle hinterlegt, die nicht nur eine intellektuelle und kognitive Auseinandersetzung mit den besagten Inhalten bewirken, sondern diese auch mit persönlicher Erfahrung verknüpfen.
Da eine Einführung des Unterrichtsfachs Glück in die Stundentafeln der Schule laut kultusministeriellem Schreiben nicht möglich ist, stellt sich die Frage nach Alternativen. Die Recherche in München hat ergeben, dass Schulen das Fach Glück als Wahl- bzw. Projektfach anbieten, auch ein Angebot als P-Seminarfach in der gymnasialen Oberstufe dürfte möglich sein. Es ist aber durchaus denkbar, Unterrichtseinheiten des Faches Glück in den Ethik- und Religionsunterricht zu integrieren. Auch der Skill-Unterricht in den Jahrgangsstufen 5 und 6 der städtischen Realschulen und Gymnasien bietet Raum für solche Unterrichtseinheiten. Gerade hier dürften sich Unterrichtsmodelle eignen, die die Schülerinnen und Schüler der neu zusammengesetzten Klassen zusammenführen. Auch im Rahmen der Ganztagsbildung könnte das Unterrichtsfach Glück einen Platz im nachmittäglichen Zusatzangebot haben.
Die Einführung des Schulfaches Glück bzw. von Elementen desselben in dem oben genannten Rahmen an städtischen Schulen ist im Rahmen der pädagogischen Schulentwicklung zu begrüßen und zu unterstützen.
Voraussetzung dafür ist jedoch, dass dieses Fach und auch Teile davon ausschließlich durch dafür ausgebildete Lehrkräfte stattfindet.4. Ausbildung von Lehrkräften
Das Pädagogische Institut hat im Herbst 2014 mit Herrn Fritz-Schubert Konatkt aufgenommen und als ersten Schritt mit Herrn Fritz-Schubert eine viermodulige Ausbildung für das Jahr 2016 vereinbart. Die
Referentenkosten für diese Fortbildung betragen 8000 Euro.
Zwei Aufbaukurse für die Jahre 2017 und 2018 sind vorgesehen zu folgenden Themen:Es ist sinnvoll, wenn von Schulen Tandems an der Fortbildung teilnehmen, damit auch im Vertretungsfall der Unterricht im Fach Glück sachkundig durchgeführt werden kann. Außerdem können sich die Lehrkräfte des Tandems gegenseitig unterstützen.
Mit dem Besuch des Grundkurses ist gewährleistet, dass zum Beginn des Schuljahres 2016/17 20 städtische Lehrkräfte für 10 Schulen zur Verfügung stehen, um das Schulfach Glück kompetent halten zu können.
5. Einführung
Die Geschäftsbereiche RBS-A und RBS-B kommunizieren die Möglichkeit zur Einführung des Schulfachs Glück und dessen Intention an ihre Schulen und fordern diese auf, bis 1. November 2015 Lehrkräfte-Tandems für die Fortbildung am Pädagogischen Institut anzumelden. Für interessierte Schulen kann im Herbst 2015 eine Informationsveranstaltung angeboten werden.
Das RBS wird den kommunalen Schulen Münchens empfehlen, im oben beschriebener Weise das Schulfach „Glück“ anzubieten. Wir gehen davon aus, dass der Antrag damit abgeschlossen ist.
Die Anlage zur Antwort kann unter
http://www.ris-muenchen.de/RII/RII/DOK/ANTRAG/3719078.pdf abgerufen werden.