Regularien zur Mitnahme von Rollstuhlfahrerinnen und Rollstuhl- fahrern, Rollatornutzerinnen und Rollatornutzern sowie Kinderwagen, Fahrrädern und ähnlichen Hilfsmitteln in Fahrzeugen des städtischen
ÖPNV
Anfrage Stadtrats-Mitglieder Verena Dietl, Bettina Messinger, Christian Müller, Dr. Constanze Söllner-Schaar und Beatrix Zurek (SPD-Fraktion) vom 12.05.2015
Antwort Bürgermeister Josef Schmid, Leiter des Referats für Arbeit und Wirtschaft:
In Ihrer Anfrage vom 12.05.2015 führten Sie als Begründung aus:
„Vor dem Hintergrund eines Vorfalls aus der Vorwoche, wonach der bekannten Behindertensportlerin Birgit Kober mehrfach mit ihrem Roll- stuhl der Zugang zu einer Trambahn der MVG verwehrt worden sein soll, bitten wir die folgenden Fragen zu beantworten.“
Anhand einer Stellungnahme der Münchner Verkehrsgesellschaft mbH (MVG) können Ihre Fragen wie folgt beantwortet werden:
Vorbemerkung der MVG
„Zur Schriftlichen Anfrage Nr. 14-20/F00293 der SPD-Stadtratsfraktion vom 12.05.2015 möchten wir vorab klarstellen, dass das Verkehrsunternehmen MVG und besonders die Fahrerinnen und Fahrer für die Sicherheit all ihrer Fahrgäste, nicht nur derer im Rollstuhl oder mit anderen Hilfsmitteln, verantwortlich sind. Daher sind für uns möglichst einfache, nachvollziehbare und rechtssichere Kriterien erforderlich, die dem Fahrer wie auch dem Fahrgast die Beurteilung ermöglichen, ob ein Hilfsmittel zur Beförderung in Fahrzeugen des ÖPNV geeignet ist oder nicht. Kann eine Gefährdung von Fahrgästen aufgrund von Sicherheitsrisiken nicht ausgeschlossen werden, ist eine Beförderung nicht möglich.
So wurde z. B. die Rechtmäßigkeit eines generellen Beförderungsausschlusses von sog. Scootern aufgrund der in einem Gutachten der STUVA im Auftrag des VDV, Landesverband NRW, aufgezeigten Betriebsgefahren aktuell durch eine Entscheidung des OVG Münster (Az. 13 B 159/15) bestätigt.
Allerdings wird auch der Hilfsmittelmarkt in letzter Zeit immer breiter, mehr und mehr Nischenprodukte kommen hinzu, die die Grenzen der Beförderungsbestimmungen auszuloten versuchen und dort nicht eindeutig beschrieben werden können. Hier sind bisweilen sehr schwierige, spontaneEinzelfallbeurteilungen durch das Fahrpersonal notwendig, welches gemäß der Beförderungs- und Tarifbestimmungen der im Münchner Verkehrs- und Tarifverbund (MVV) zusammenwirkenden Verkehrsunternehmen, § 11 Absatz 3 Satz 3 die letztendliche Entscheidungshoheit über die Mitnahme hat.“
Frage 1:
Wie wird derzeit die Beförderung von Personen mit Rollstühlen, Rollatoren oder ähnlichen Mitteln zur Unterstützung von Menschen mit (Geh-) Behinderungen im Fahrgastnetz der MVG gehandhabt? Inwieweit spielen Bauart und Beschaffenheit beispielsweise von Rollstühlen bzw. bestimmter Rollstuhlbauteile hierbei eine Rolle?
Antwort der MVG:
„Die Beförderung von Personen mit Rollstühlen, Rollatoren und ähnlichen Mitteln zur Unterstützung von Menschen mit (Geh-) Behinderungen im Fahrgastnetz der MVG richtet sich nach den Beförderungs- und Tarifbestimmungen des MVV in Verbindung mit § 145 (2) SGB IX.
Krankenfahrstühle können und müssen nur befördert werden, soweit die Berechtigung durch einen Schwerbehindertenausweis nachgewiesen ist und die Beschaffenheit des Verkehrsmittels dies zulässt. Ob sich ein Krankenfahrstuhl für die Beförderung eignet, ist in den Beförderungs- und Tarifbestimmungen des MVV, Anhang 4, Ziffer 2 geregelt. Zur
Aufrechterhaltung der Sicherheit und Ordnung des Betriebes sind
daher insbesondere folgende Krankenfahrstühle in jedem Fall von der Beförderung ausgeschlossen:
-Gesamtgewicht einschließlich der beförderten Person größer als 300 kg, oder
-Länge größer als 125 cm, oder
-Breite größer als 80 cm, oder
-Wendung nicht auf einer Fläche von 150 cm x 150 cm möglich, oder -die einwandfreie Funktion des Hubliftes bei der Trambahn wird
beeinträchtigt.
Sogenannte Scooter unterscheiden sich von Elektrorollstühlen im Wesentlichen durch ihre Wendigkeit. Während Elektrorollstühle mit Einzelradantrieb nahezu auf der Stelle wenden können, haben Scooter eine Lenkung ähnlich einem Auto oder GoKart. Dadurch ist neben der Länge in der Regel auch der Wendekreis erheblich größer als bei Elektrorollstühlen. Gemäßder eingangs bereits erwähnten Untersuchung der STUVA können Scooter in Bussen und Straßenbahnen bereits bei Betriebsbremsungen ins Rutschen geraten, bei Gefahrenbremsungen sogar kippen, wenn sie nicht am für Rollstühle vorgesehenen Platz aufgestellt werden. Dieser Platz kann aufgrund der mangelhaften Rangiereigenschaften jedoch kaum oder nur unter Gefährdung anderer Fahrgäste beim Rangieren erreicht werden, daher musste die Beförderung in Bussen und Straßenbahnen in den Beförderungs- und Tarifbestimmungen des MVV, Anhang 4, Ziffer 3 untersagt werden. Dem Fahrgast steht es laut Urteilsbegründung des OVG Münster (Az. 13 B 159/15) frei, zur Beförderung in Bussen einen handelsüblichen Rollstuhl zu verwenden.
Der Segway-Rollstuhl, welcher von Frau Kober benutzt wird, ist ein ein- achsiges Fahrzeug, welches über Gewichtsverlagerung und elektronische Sensoren gesteuert wird. Diese Fahrzeuge sind darauf ausgelegt, dass diese Gewichtsverlagerung aktiv vom Fahrer ausgeführt wird. Derzeit ist nicht nachgewiesen, dass sich das Fahrzeug auch beim Anfahren oder Bremsen von Bus oder Tram sicher verhält, wenn ihm sozusagen der Boden unter den Rädern weggezogen wird und diese Gewichtsverlagerung unwillkürlich aufgrund der Trägheit erfolgt. Das kann dazu führen, dass sich das Fahrzeug unkontrolliert in Bewegung setzt und dabei andere Fahrgäste schädigt. Ein Sicherheitsrisiko kann derzeit nicht ausgeschlossen werden. Daher ist eine Beförderung aktuell auch hier nicht möglich.
Die MVG war jedoch zwischenzeitlich mit Frau Kober und dem Hersteller im Gespräch. Sollten Nachweise für ein sicheres Verhalten beim Transport eines Segway-Rollstuhls in Verkehrsmitteln des ÖPNV vorgelegt werden, kann eine Neubeurteilung der Situation sinnvoll sein. Alle anderen Hilfsmittel wie Rollatoren oder Gehstöcke werden ohne weiteren Nachweis (Schwerbehindertenausweis) befördert, der Fahrgast hat jedoch selbst dafür zu sorgen, dass er sich festen Halt verschafft und sein Hilfsmittel soweit sichert, dass davon keine Gefährdung für andere Fahrgäste ausgeht. Dies gilt sinngemäß genauso für Fahrgäste mit Kinderwagen.“
Frage2:
Welche Regelungen gelten darüber hinaus – je nach Beförderungsmittel – für die Mitnahme von Fahrrädern, Kinderwagen und anderen nicht- motorisierten Fahrzeugen?
Antwort der MVG:
„Die Beförderung von Fahrrädern richtet sich nach Anhang 4, Ziffer 1 der Beförderungs- und Tarifbestimmungen des MVV. Demnach ist unter Berücksichtigung der dort genannten Sperr
zeiten (i.d.R. werktags zwischen6:00 und 9:00 Uhr sowie zwischen 16:00 und 18:00 Uhr) in der U-Bahn die Beförderung von einsitzigen Fahrrädern gestattet, in Tram und Bus jedoch ausschließlich die Mitnahme von zusammengeklappten Fahrrädern oder Kleinkindfahrrädern bis maximal 12,5 Zoll Reifengröße, dafür jedoch ohne Rücksicht auf Sperrzeiten. Für alle drei Verkehrsmittel gilt, dass der durch Fahrräder belegte Platz dabei nicht für die Personenbeförderung benötigt und die Sicherheit und Ordnung des Betriebs nicht gefährdet werden dürfen und eine Belästigung anderer Fahrgäste durch die Fahrradmitnahme untersagt ist.
Die Beförderung von Kindern im Kinderwagen richtet sich nach § 11 (3) der Beförderungs- und Tarifbestimmungen des MVV. Nach Möglichkeit soll das Betriebspersonal dafür sorgen, dass Fahrgäste mit Kind im Kinderwagen und Rollstuhlfahrer nicht zurückgewiesen werden. Die Entscheidung über die Mitnahme liegt beim Betriebspersonal.
Ein Beförderungsanspruch besteht, solange Platz im Fahrzeug ist und der Fahrgast ein Hilfsmittel nutzt, welches für den Transport in den von der MVG regelmäßig eingesetzten Bussen und Bahnen geeignet ist. Um die Eignung beurteilen zu können, sind in Anhang 4 Ziffer 2 Details zur Beförderung von Rollstühlen geregelt, unter anderem die maximale Länge und Breite von Krankenfahrstühlen (siehe auch oben zu Frage 1). Diese Beschränkungen sind wichtig, weil sich unsere Busse und Bahnen nur für die Beförderung von solchen Krankenfahrstühlen eignen, die u. a. diese Maßgrenzen einhalten.
Im Vorschriftenwesen der SWM/MVG wird dies u. a. durch die folgenden Regelungen weiter konkretisiert:
-Platzierung von Krankenfahrstühlen entgegen der Fahrtrichtung gegen die Rückenlehne im Mehrzweckbereich.
-Der Fahrer vergewissert sich nach dem Zustieg eines Fahrgastes mit Mobilitätseinschränkung, ob dieser einen sicheren Platz eingenommen hat (auch über Innenspiegel möglich); wenn nötig weist er diesen auf den sicheren Halt hin.
-Mehrere Krankenfahrstuhlnutzer dürfen in einem Bus befördert werden, wenn die sichere Aufstellung möglich ist, die Anzahl der Gesamtplätze nicht überschritten wird und sich der Fahrgast einen festen und sicheren Halt im Fahrzeug verschafft.
-Der Fahrer kann und soll Fahrgäste mit Kinderwagen bei Bedarf auf andere freie Plätze im Fahrzeug verweisen, um dadurch Platz imMehrzweckabteil zu schaffen und so ein Zurücklassen von Fahrgästen in Krankenfahrstühlen nach Möglichkeit zu vermeiden.
Frage 3:
Warum wurde Frau Kober am Mittwoch, 06.05.2015, mehrfach der Zugang zu Trambahnen der MVG verweigert?
Antwort der MVG:
„Siehe Antwort zu Frage 1.“
Ich hoffe, dass ich Ihre Fragen hiermit zufriedenstellend beantworten konnte.