Wie schaut Münchens Präventionsprogramm gegen die Anwerbepropaganda extremistischer Gruppen wie der Terrorvereinigung Islamischer Staat (IS) aus?
Anfrage Stadtrats-Mitglieder Gülseren Demirel, Jutta Koller, Dominik Krause und Oswald Utz (Fraktion Bündnis 90/Die Grünen/Rosa Liste) vom 25.9.2014
Antwort Oberbürgermeister Dieter Reiter:
In Ihrer Anfrage vom 25.09.2014 führen Sie Folgendes aus:
„Die Terrororganisation Islamischer Staat soll Medieninformationen nach mittlerweile erfolgreich Kämpfer, sog. Dschihadisten, in Deutschland rekrutiert haben und nach wie vor werben. Zielgruppe sind dabei v.a. junge Männer, die über verschiedenste Medien wie Flugblätter, Zeitschriften, CD‘s, Radio, Fernsehen oder Internet geworben werden. Als wichtigste Gegenmaßnahme sehen Expertinnen und Experten die Vorbeugung, das Abrutschen in eine gewaltbereite Szene zu verhindern. In Nordrheinwestfalen etwa wurde in fünf Kommunen das Präventions- und Beratungsprojekt „Wegweiser“ etabliert. Die dortigen Mitarbeitenden bestätigen den großen Beratungsbedarf gerade bei betroffenen Eltern. Es ist davon auszugehen, dass sich die Situation in München kaum anders darstellt.“
Zu Ihrer Anfrage vom 25.09.2014 nimmt die Verwaltung im Auftrag des Herrn Oberbürgermeisters im Einzelnen wie folgt Stellung:
Frage 1:
Liegen der Landeshauptstadt München Zahlen über die Propaganda- bzw. Anwerbeaktivitäten der IS in München vor?
Antwort:
Zu dieser Frage antwortet das Kreisverwaltungsreferat wie folgt:
Wie den Presseberichten der vergangenen Wochen entnommen werden
konnte, ist die Landeshauptstadt München von der Thematik betroffen. In München gibt es sowohl Personen, bei denen zu vermuten ist, dass sie Anwerbepropaganda für die ISIS betreiben, als auch Jugendliche, bei denen zu vermuten ist, dass sie bereits erfolgreich angeworben wurden.
Dem Kreisverwaltungsreferat liegen keine konkreten Zahlen über
Propaganda- bzw. Anwerbeaktivitäten der ISIS in München vor. Diegestellten Fragen fallen in die Zuständigkeitsbereiche des Bayerischen Landeskriminalamtes und des Bayerischen Landesamtes für Ver-
fassungsschutz. Eine Beantwortung dieser Fragen kann nur durch diese Stellen erfolgen.
Frage 2:
Gibt es eine Einschätzung bei der Landeshauptstadt München, wie viele Münchner Jugendliche ggf. schon erfolgreich angeworben wurden?
Antwort:
Siehe Ausführungen zu Frage 1.
Fachstelle gegen Rechtsextremismus: Zu Anwerbeversuchen ist dem PP München nichts bekannt. Laut PP München haben allerdings mittlerweile dreizehn Personen die der Münchner salafistischen Szene zuzuordnen sind, versucht, ins türkisch-syrische Grenzgebiet zum bewaffneten Kampf auszureisen. Von zwei dieser Personen liegen bei den Sicherheitsbehörden Erkenntnisse vor, die annehmen lassen, dass die Anreise in das türkischsyrische Grenzgebiet gelungen ist.
Frage 3:
Welche Gegenmaßnahmen sind bereits ergriffen worden bzw. werden ergriffen, um dieser Entwicklung sowohl präventiv wie auch reaktiv (Gegenaufklärung, Ausstiegshilfen) zu begegnen?
Antwort:
Stelle für Interkulturelle Arbeit im Sozialreferat:
In der Landeshauptstadt München wurden bisher vereinzelt Informa- tionsveranstaltungen durchgeführt. Das Pädagogische Institut der Landeshauptstadt München führt aus, dass am 10. und 11.10.2011 eine Fachtagung zu dem Thema „Islam und Islamismus“ für Lehrkräfte durchgeführt wurde. Am 11.06.2012 folgte eine Veranstaltung zu dem Thema: „Jugendkultur zwischen Islam und Islamismus“. Ein darüber hinausgehender Bedarf wurde von den Schulen nicht angemerkt.
Im Rahmen von MünchenKompetenz, einer kommunalen Weiterbildung
für Imame und muslimische Seelsorgerinnen und Seelsorger, die von der Stelle für interkulturelle Arbeit gemeinsam mit dem Muslimrat München e.V. konzipiert worden war, fand 2012 bei der Polizei in München für Imame und muslimisches Personal aus verschiedenen Moscheen
eine Informations-, Sensibilisierungs- und Aufklärungsveranstaltung zu salafistischen Rekrutierungsversuchen über das Internet statt.
Ebenfalls 2013 holte die Stelle für interkulturelle Arbeit das mit demzweiten Platz des Jugendkulturpreises NRW ausgezeichnete Projekt „Muslim 3.0-Deutsch-deutsch, muslimisch, tolerant – ein Leben zwischen Demokratie und Glaube“ nach München. Das Projekt war im Rahmen des Bundesprogramms: „Initiative Demokratie stärken“ entwickelt worden. In München nahmen ca. 20 junge muslimische Männer an dem mehrere Tage dauernden Projekt teil. Gegenwärtig arbeiten die Initiatorinnen und Initiatoren an einer Weiterführung ihrer Projektidee mit dem Titel: „extrem out“, das im November 2014 erstmals in Dinslaken erprobt werden wird. Bei erfolgreicher Bewertung wird auch hier zu schauen sein, ob das Projekt nach München übertragen werden kann.
Die Stelle für interkulturelle Arbeit der Landeshauptstadt München arbeitet gemeinsam mit muslimischen Organisationen in München
an unterschiedlichen Formaten. Es ist von zentraler Bedeutung, dass die muslimischen Vereine in die Präventions- und Beratungsarbeit miteinbezogen werden. Für das nächste Jahr ist eine intensive Zusam- menarbeit mit den Muslimen geplant. Zudem plant die Stelle für
interkulturelle Arbeit Informationsveranstaltungen für Personen, die im sozialen Bereich tätig sind, um deren Sensibilität zu erhöhten und sie in die Lage zu versetzen, Signale einer Veränderung bei Jugendlichen rechtzeitig zu erkennen. Auch über eine zentrale Anlaufstelle, wie es sie im Beispiel Wegweiser in Nordrhein-Westfalen gibt, wird derzeit nachgedacht. In Bremen hat sich mit kommunaler Unterstützung ein Verein betroffener Eltern (die Kinder wurden angeworben) gegründet, der nun seinerseits andere Eltern berät.
Auch dieses Modell wird zu analysieren sein und auf seine Übertragbarkeit für München hin untersucht werden.
Fachstelle gegen Rechtsextremismus:
Aufgrund der Parallelen im Bereich des Menschenbildes von Rechts- extremen und extremistischen Islamisten, befasst sich auch das
städtische Netzwerk gegen Rechtsextremismus und Rassismus mit dem Thema. Im Kern gemeinsam ist ihnen ein binäres Menschenbild: Gut (richtige „Volkszugehörigkeit“, richtiger „Glaube“) vs. minderwertig. Der Abwertungsmechanismus ist in beiden Fällen ein rassistischer: Menschen werden auf ein Merkmal festgelegt, in Gruppen eingeteilt und diese Gruppen (und damit auch die einzelnen Menschen) werden als höher- oder minderwertig eingestuft.
Stadtjugendamt/Jugendkulturwerk:
Das Stadtjugendamt/Jugendkulturwerk behandelt bereits seit zwei
Jahren im Rahmen seiner Fortbildungen und Workshops zum Thema
Rechtsextremismus und Rassismus, die für Schülerinnen und Schüler,Lehrkräfte, Auszubildende der Stadt, Multiplikatoren und Fachkräfte angeboten werden, das Thema Islamismus.
Hierbei geht es nicht um eine Auseinandersetzung mit dem Islam als Religion, sondern um die Diskussion über Menschenbilder, Ausgrenzung und Werte.
Aus dem städtischen Netzwerk gegen Rechtsextremismus und
Rassismus heraus sind daher in den kommenden Monaten verschiedene Veranstaltungen – teilweise mit weiteren Kooperationspartnern - geplant.
Dazu gehören unter anderem:
29.01.2015: Virtuell geschürt, real gelebt?
Rechter und islamistischer Hass im Internet und Gegenstrategien.
Referentin: Christiane Schneider, Jugendschutz.net, Leiterin des Bereichs politischer Extremismus bei jugendschutz.net
Zielgruppe dieser Veranstaltung sind Fachkräfte der schulischen und außerschulischen Bildungsarbeit. Es handelt sich um eine
Kooperationsveranstaltung von Fachstelle gegen Rechtsextremismus, Netzwerk demokratische Bildung, KJR-M, Stadtjugendamt/Jugend-
kulturwerk/Politische Bildung.
Die folgenden, weiteren Veranstaltungen sollen voraussichtlich mit demselben Veranstalterkreis bis Sommer 2015 durchgeführt werden:
16.03.2015: Fachtag „Salafismus“
Präventiv angelegter Workshop mit dem Ziel Pädagoginnen
und Pädagogen fit zu machen, die versuchen, muslimische
Jugendlichen zu erreichen, die sich dem Islam aufgrund vielfältiger Ausgrenzungserfahrungen in der deutschen Gesellschaft zuwenden.
Diese Jugendlichen haben häufig keine tieferen Islam-Kenntnisse, sie haben aber erkannt, dass sie über das Propagieren von radikalislamistischen Stereotypen Aufmerksamkeit und (negative) Anerkennung erhalten.
Eingeladen werden Experten von Ufuq - Jugendkultur, Medien und
politische Bildung in der Einwanderungsgesellschaft; www.ufuq.de
Abendveranstaltung mit der Islamwissenschaftlerin Claudia Danschke zur Fragestellung: Wie kommen die Leute in die Szene rein und wie holt man sie da wieder raus?Für Multiplikatoren und Jugend-Sozialpädagogen.
Claudia Danschke leitet die bei EXIT angesiedelte Beratungsstelle HAYAT – Beratung und Coaching von Eltern, Angehörigen und Betroffenen in der Auseinandersetzung mit Islamismus und Ultranationalismus
(http://www.exit-deutschland.de/Startseite/Islamismus-/Ultranationalismus/ HAYAT/Beratungsstelle-HAYAT-E1337.htm).
Eine umfassende Präventionsstrategie sollte aus Sicht der Stelle für interkulturelle Arbeit, des Stadtjugendamtes und der Fachstelle gegen Rechtsextremismus die folgenden Komponenten umfassen:
a) Politik:
Um die Attraktivität des extremistischen Salafismus zu minimieren, ist ein öffentlicher Diskurs erforderlich, der herausstellt, dass der Islam und deutsche Muslime selbstverständlich und ohne Wenn und Aber zu Deutschland gehören. Dies tut die Stadtpolitik bereits und diese Haltung wurde bspw. auch über die Resolution „Solidarität mit den Muslimen in unserer Stadt“ vom 1.10.2014 nachdrücklich bekräftigt.
b) Pädagogik/politische Bildung:
Hier können, das zeigen erste Erfahrungen aus Schulen und
Jugendeinrichtungen, Jugendliche über den extremistischen Salafismus aufgeklärt, sensibilisiert und gegen einfache Weltsichten immunisiert werden. Zentral bei dieser Arbeit ist die Diskussion über das Menschenbild das wir in unserer Stadtgesellschaft teilen möchten. Diskussionen über religiöse Inhalte und Strömungen sind hier nicht zentral. Daher ist im Stadtjugendamt Hr. Joelsen von der Stelle Politische Bildung beim Jugendkulturwerk Ansprechpartner.
c) muslimische Theologen:
Sollten ein werte- und lebensweltorientiertes Islamverständnis betonen und befördern, das dem der extremistischer Islamisten entgegensteht. Hier ist die Stelle für Interkulturelle Arbeit im engen Dialog mit den muslimischen Verbänden.
Ansprechpartnerin ist Frau Dr. Spohn von der Stelle für Interkulturelle Arbeit.
d) ordnungspolitische Maßnahmen:
Verbote (von Organisationen etc.) sind schwierig durchzusetzen und nur bedingt wirksam, da sie dem Opfermythos Vorschub leisten. Das KVR und das PP München ergreifen hier die erforderlichen und als sinnvoll erachteteMaßnahmen. Die Fachstelle gegen Rechtsextremismus hält zu diesem Thema ebenfalls Kontakt mit der Staatsschutzabteilung des PP München.
e) Konkrete Unterstützungsmaßnahmen für Institutionen sowie
Interventionen und Maßnahmen im Einzelfall:
Angesichts der zunehmenden Relevanz des Themas, sollte überlegt werden, ob es auch in der LHM einer städtisch geförderten Bera- tungsstelle für Betroffene und Angehörige von Islamismus und
Ultranationalismus bedarf.
Hier ist zunächst (u.a. im Rahmen der o.g. Fortbildungen) der reale Bedarf zu klären. Zudem sollten während des kommenden Jahres best-practice-Projekte in diesem Bereich nach München eingeladen werden, um
festzustellen, welches Projekt evtl. auch im Münchner Kontext sinnvoll zu implementieren ist.
Frage 4:
An wen können sich betroffene, unsichere oder besorgte Eltern, Verwandte oder Freunde bzw. Freundinnen wenden?
Antwort:
Derzeit können sich besorgte Eltern, Verwandte oder Freunde bzw. Freundinnen an die Beratungsstelle Radikalisierung des Bundesamtes für Migration und Flüchtlinge in Nürnberg wenden. Die Stelle ist von montags bis freitags von 9:00 bis 15:00 Uhr unter der Nummer 09 11-9 43 43 43 erreichbar.
Im Stadtjugendamt steht Herr Joelsen als Ansprechpartner für Multi- plikatoren und Betroffene zur Verfügung
Frage 5:
An wen können sich ausstiegswillige Jugendliche wenden?
Antwort:
Siehe Ausführungen zu Frage 4.