Mehmet: „Es gab nie wirkliche Konsequenzen“
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Rathaus Umschau 54 / 2015, veröffentlicht am 20.03.2015
Mehmet: „Es gab nie wirkliche Konsequenzen“
Anfrage Stadtrat Richard Quaas (CSU-Fraktion) vom 4.12.2014
Antwort Kreisverwaltungsreferent Dr. Wilfried Blume-Beyerle:
Ihre Anfrage vom 4.12.2014 wurde dem Kreisverwaltungsreferat im
Auftrag von Herrn Oberbürgermeister Reiter zur Beantwortung zugeleitet.
In Ihrer Anfrage schicken Sie folgenden Sachverhalt voraus:
„In einem beachtenswerten Interview mit einer großen deutschen Tageszeitung hat sich der zwischenzeitlich in der Türkei lebende Intensivtäter Muhlis Ari, alias Mehmet, zu seiner aktuellen Situation und zu seiner Vergangenheit in Deutschland geäußert. Er hat dabei auch seinen Wunsch, wieder nach Deutschland reisen zu können formuliert, dass er dafür gerne seine Strafe hier absitzen wolle, aber sich auch damit beschäftigt, wie es denn mit ihm so weit hat kommen können. Er sieht sich immer noch als Opfer der Politik und der Umstände, aber auch anders, als das seine politischen Unterstützer immer formuliert haben und gibt damit nachträglich teilweise denjenigen Recht, die ein konsequentes Handeln gegen junge Intensivtäter gefordert hatten. So sieht er eine Schuld, dass er so eine nicht abgestoppte Karriere hingelegt hat, auch darin, dass es im staatlichen und städtischen Handeln deutlich gefehlt hat, er formuliert selbst: ‚Frühes hartes Durchgreifen. Aufzeigen von Konsequenzen. Vorbilder. Aber die haben uns Sozialarbeiter geschickt, die immer auf Verständnis gemacht haben.’ Weiter sagt er in dem Interview: ‚Die haben uns alles durchgehen lassen. Wir haben geklaut und Schule geschwänzt und es gab nie wirkliche Konsequenzen. Da dachten wir, es ist wohl okay. Meine Eltern konnten mir keine Grenzen setzen. Ich liebe sie sehr, aber sie sind an meiner Erziehung gescheitert.’ Des Weiteren führt er aus: ‚Ich war ein deutsches Kind mit einem türkischen Pass – so bin ich geboren, das hab ich mir nicht ausgesucht. Ich war ein schlimmes Kind, das ist wahr. Aber das mit der gescheiterten Integration, das stimmt schon auch. Meine Freunde und ich – wir machten einfach niemals etwas Gescheites. Wir hingen rum und niemanden hat das interessiert. Wir waren alle so, auch die Deutschen, auch die Ausländer. Ich will nicht entschuldigen, was ich damals gemacht habe, da gibt es nichts zu beschönigen. Nur dass ich als Einziger von der Politik furchtbar hart bestraft wurde.’ Zum Abschluss stellt er fest: ‚Ich will Frieden mit Deutschland machen. Alles soll abschließend und korrekt geregelt werden. Da bin ich sehr deutsch’.“Im Einvernehmen mit dem Herrn Oberbürgermeister und dem
Sozialreferat beantworte ich Ihre im Einzelnen gestellten Fragen wie folgt:
Frage 1:
Liegt ein Einreiseersuchen von Muhlis Ari, alias Mehmet nach Deutschland bei den Behörden vor?
Antwort:
Ein konkretes Einreiseersuchen liegt dem Kreisverwaltungsreferat, Ausländerbehörde aktuell nicht vor.
Frage 2:
Wenn ja, wie wird hier entschieden, wenn er seine offene Strafe in Deutschland verbüßen will?
Antwort:
Siehe 1.
Frage 3:
Herr Ari sieht sich als Opfer der Politik in dem Sinn, dass es nur ihn damals getroffen hat und nicht die vielen anderen aus seiner Clique auch, warum wurden die anderen Beteiligten für Ihre Vergehen damals nicht zur Rechenschaft gezogen, bzw. wie wurde mit den weiteren Freunden des Muhlis A. damals verfahren?
Antwort:
Bei den Personen aus seiner Clique handelte es sich teilweise um deutsche Staatsangehörige, so dass das Kreisverwaltungsreferat, Ausländerbehörde hier – hinsichtlich ausländerrechtlicher Konsequenzen – nicht zuständig war. Bei den ausländischen Mittätern erfolgten jeweils einzelfallbezogene Prüfungen, inwieweit ausländerrechtliche Maßnahmen angezeigt waren.
Aus Gründen des Datenschutzes dürfen hierzu aber keine näheren Angaben gemacht werden.
Frage 4:
Die Vorwürfe, die Muhlis Ari dem Staat und der Gesellschaft in
Deutschland macht, passen wohl so gar nicht in das Weltbild seiner Verteidiger von damals, die den Fall, als Versagen der Integrationangeprangert haben, aber in einem ganz anderem Sinn, als der Betroffene das heute selber sieht, warum gab es damals eigentlich die von Muhlis Ari geforderten und als wichtig eingestuften rechtzeitigen Konsequenzen nicht, bzw. dann, wesentlich zu spät?
Antwort:
Mögliche ausländerrechtliche Konsequenzen wurden der Familie Ari von der Ausländerbehörde München schon in den Jahren 1996 und 1997 aufgezeigt: Am 22.2.1996 wurde die Mutter von Herrn Ari und am 27.7.1997 wurden beide Elternteile jeweils im Beisein von Muhlis niederschriftlich auf mögliche ausländerrechtliche Maßnahmen bis hin zu einer Aufenthaltsbeendigung hingewiesen. Am 22.5.1998 wurde dann der erste aufenthaltsbeendende Bescheid (Ausweisung und Versagung Aufenthaltserlaubnis) erlassen und Muhlis am 14.11.1998 in die Türkei abgeschoben.
Auf Grund dieser Abschiebung hat die Regierung von Oberbayern
als Widerspruchsbehörde mit Widerspruchsbescheid vom 13.4.1999
die Ziffern 1 und 2 unseres Bescheides vom 22.5.1998 (Ausweisung und Wiedereinreisesperre) aufgehoben. Im Urteil des Bayerischen
Verwaltungsgerichtshofs vom 15.11.2001 wurde die Ausländerbehörde verpflichtet, die versagte Aufenthaltserlaubnis antragsgemäß zu verlängern. Demzufolge durfte Herr Ari wieder in das Bundesgebiet zurückkehren.
Mit Beschluss des Jugendgerichts beim Amtsgericht München vom
14.12.2005 wurde eine Strafaussetzung zur Bewährung hinsichtlich der im Urteil vom 2.6.2005 ausgesprochenen Jugendstrafe von einem Jahr und sechs Monaten (wegen Erpressung, Bedrohung und Körperverletzung) nicht gewährt. Ebenfalls am 14.12.2005 erging auf Grund dieser
Verurteilung Haftbefehl gegen Herrn Ari. Dieser entzog sich der drohenden Haftstrafe von zwölf Monaten (drei Monate waren schon auf Grund der Untersuchungshaft verbüßt) durch seine „Flucht“ in die Türkei. Ermittlungen des Polizeipräsidiums München ergaben, dass Herr Ari sich spätestens seit dem 20.1.2006 in der Türkei aufhält.
Mit Bescheid vom 2.6.2006 wurde Herr Ari erneut aus dem Bundesgebiet ausgewiesen und es wurde ihm die Wiedereinreise untersagt. Da kein Rechtsmittel eingelegt wurde, ist dieser Bescheid seit dem 18.7.2006 bestandskräftig.Frage 5:
Muhlis Ari beklagt auch, dass ihm damals nur immer Sozialarbeiter geschickt wurden, die immer auf Verständnis gemacht haben, wird das gegenüber solchen Intensivtätern heute immer noch so gehandhabt, oder hat hier zwischenzeitlich bei den zuständigen Behörden eine Änderung der Denkweise eingesetzt, die auch ggf. zu greifbaren Konsequenzen führt und werden dafür auch solche Persönlichkeiten eingesetzt, die schon in ihrem Auftreten und im Äußeren Vorbildcharakter haben, die natürliche Autorität ausstrahlen und sich ggf. den Respekt solcher Jugendlicher auch durch Konsequenz und falls erforderlich, Härte erwerben?
Frage 6:
Gibt es Überlegungen, Muhlis Ari, sollte er seine Strafe in Bayern absitzen, ggf. schon in einem hiesigen Gefängnis bei anderen, noch jugendlichen Insassen, dafür einzusetzen, seine Geschichte diesen nahezubringen und auch seine heutigen Forderungen an die Gesellschaft und Politik, nach mehr Konsequenz, nach Härte und nach Vorbildern usw., dort bei straffälligen Jugendlichen zu vertreten und ihnen aufzuzeigen wohin das Gegenteil führt?
Frage 7:
Könnte Muhlis Ari nach einem möglichen Gefängnisaufenthalt ggf. auch als Bewährungsauflage natürlich mit fachlicher Betreuung und Begleitung bei der Aufklärung von anfälligen Jugendlichen in Problemvierteln zum Einsatz kommen und so, dazu beizutragen, dass es zu solchen Karrieren nicht kommen muss, wenn rechtzeitig und konsequent gehandelt wird?
Zu den Fragen 5 bis 7 hat das Sozialreferat folgende Antwort beigetragen:
„Zu Frage fünf können wir aus datenschutzrechtlichen Gründen leider keine weiteren Fakten liefern, die nicht in diversen Anfragen hierzu bereits bearbeitet wurden.
Ich verweise auf die Anträge und Anfragen zum Thema „Mehmet“. -Am 9.1.2002 eine Anfrage von Herrn StR Hans Podiuk, Frau StRin Gisela Oberloher, Herrn StR Hans Wolfswinkler „Was macht „Mehmet II“ noch in München?“.
-Am 18.7.2002 ein Dringlichkeitsantrag von Bündnis90/Die Grünen/ RL-Fraktion „Bericht über das Bundesverwaltungsgerichtsurteil zu „Mehmet“.-Am 12.8.2004 eine Anfrage von Herrn StR Hans Podiuk, Herrn StR
Johann Altmann „Fördert das Kulturreferat die Verherrlichung des jugendlichen Straftäters Mehmet?“.
-Am 6.9.2004 eine Anfrage von Herrn StR Richard Quaas „Warum darf Mehmet-Videoinstallation aufgeführt werden?“.
-Am 24.1.2006 eine Anfrage von Herrn StR Hans Podiuk, Frau StRin Gisela Oberloher „Was kostet Mehmet den Steuerzahler“.
-Am 24.3.2006 Ein Antrag von Frau StRin Gisela Oberloher, Herrn StR Hans Podiuk „Was kostet Mehmet den Steuerzahler?“.
-Am 19.9.2006 ein Änderungsantrag von der CSU-Fraktion „Was kostet Mehmet den Steuerzahler? Die kriminelle Laufbahn des Jugendlichen“. -Am 18.9.2012 ein Antrag von BIA „Mehmet“ ist hier unerwünscht!“.
Hierzu gab es die Beschlüsse mit den Vorlagen Nummern:
02-08/V 00943 am 8.10.2002, 02-08/V 08564 am 19.9.2006 sowie
02-08/V 08564 am 5.10.2006.
Zum allgemeinen Vorgehen des Stadtjugendamtes München wurde
folgendes mitgeteilt:
Aufbauend auf dem § 1 des Achten Sozialgesetzbuches (SGB VIII), der sich mit der eigenverantwortlichen und gemeinschaftsfähigen Entwicklung des jungen Menschen auseinandersetzt, ist es Aufgabe der Kinder- und Jugendhilfe, das Familiensystem ganzheitlich zu unterstützen sowie die Kinder und Jugendlichen vor Gefahren für ihr Wohl zu schützen und in ihrer Entwicklung zu fördern und zu unterstützen.
Hieraus ergibt sich auch die Aufgabenstellung der Jugendgerichtshilfe. Für das spezialisierte Vorgehen im Umgang mit Intensivstraftäterinnen und -tätern wurde 2012 im Stadtjugendamt München das ProFit Team gebildet. (ProFit = PROPER-Sachbearbeitung und Frühintervention bei Gewaltdelikten). Dieses spezialisierte Team (drei Stellen) übernimmt die Fallverantwortung bei Intensivstraftäterinnen und Intensivstraftätern auf der PROPER-Liste des Polizei- Kommissariats 23 (PROPER = Projekt Personen orientierte Ermittlungen und Recherche).
Die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter der Jugendgerichtshilfe prüfen Gefährdungslagen anhand von Polizeinoten zu Gewaltdelikten bei erstmals auffälligen Jugendlichen und Heranwachsenden (Frühintervention). Weiterhin bearbeiten sie Gefährdungsfälle, die in der Jugendhilfestelle im Polizeipräsidium in der Ettstraße bekannt werden. Damit wird eine kontinuierliche Fallbearbeitung analog zu Polizei und Staatsanwaltschaftbei Mehrfachtäterinnen und -tätern sichergestellt, unabhängig von der gerichtlichen Zuständigkeit. Mit der durchgängigen Fallzuständigkeit, über das Gerichtsverfahren hinaus, wird eine schnelle und damit zeitnahe Reaktion auf delinquentes Verhalten möglich.
Zudem wurde 2010 durch interne Qualitätsstandards des
Stadtjugendamtes München verbindlich die Kooperation zwischen der Jugendgerichtshilfe und der Bezirkssozialarbeit festgelegt, damit keine Informationslücken in den Abläufen und der Fallbearbeitung entstehen. Das Stadtjugendamt München hat zudem das Jugendhilfezentrum
(freiheitsentziehende Unterbringung) in der Scapinellistraße 17 im Portfolio der Kinder- und Jugendhilfe.
Hier werden Mädchen und Jungen mit hohen dissozialen Auffälligkeiten und der damit verbundenen Selbst- und Fremdgefährdung versorgt. Rechtsgrundlage ist hierfür § 34 i.V. mit § 42 Absatz 5 SGB VIII und §1631b Bürgerliches Gesetzbuch (BGB).
Die Kinder und Jugendlichen werden in den ersten 24 Stunden
vorab gecleart, mit der Fragestellung, „ob die freiheitsentziehende Unterbringung die bedarfsgerechte Hilfemaßnahme ist“. Im Bedarfsfall erfolgt anschließend ein dreimonatiges Clearing zur Erarbeitung von Anschlussperspektiven.“
Zur Beantwortung von Frage 7 ergänzt das Kreisverwaltungsreferat, Ausländerbehörde:
Herr Ari kann derzeit kein Aufenthaltsrecht für Deutschland geltend machen, so dass er im Falle einer Verbüßung der Haftstrafe im
Bundesgebiet nach Haftentlassung wieder ausreisen müsste.