Geht der Stadt gutes Personal verloren durch bürokratische Einstellungskriterien?
Anfrage Stadtrats-Mitglieder Johann Altmann, Dr. Josef Assal, Richard Progl und Ursula Sabathil (Fraktion Bürgerliche Mitte – Freie Wähler/ Bayernpartei) vom 4.2.2015
Antwort Personal- und Organisationsreferent Dr. Thomas Böhle:
Auf Ihre Anfrage vom 4.2.2015 nehme ich Bezug. Sie haben folgenden Sachverhalt vorausgeschickt:
„Seit längerer Zeit sind von unterschiedlichen Seiten massive Klagen darüber zu hören, dass die Einstellungspolitik der Landeshauptstadt zu langwierig, umständlich und bürokratisch ist und am realen Bedarf der Einrichtungen vor Ort vorbei geht.
Betroffen sind hiervon alle städtischen Dienstleister und Anlaufstellen für Bürgerinnen und Bürger wie das Einwohnermeldeamt, die Lokalbaukommission und die Kfz-Zulassungsstelle (wo es aus Personalmangel zu langen Wartezeiten und Bearbeitungsstaus kommt) bis hin zu Schulen, Kindertagesstätten, etc.
Jüngstes Beispiel ist ein Hausmeister einer städtischen Grundschule (siehe Medienberichte, bspw. SZ vom 4.2.2015, S. R5, ‚Bewährt, beliebt, abserviert’), der sich seit über einem Jahr in seiner täglichen Arbeit bestens bewährt hat, bei allen Beteiligten überaus beliebt ist und über sein eigentliches Aufgabengebiet hinaus auch noch wertvolle Dolmetscherdienste für Schüler und Eltern, die kaum Deutsch sprechen, leistet. Diesem Hausmeister wird nun von Seiten des Personal- und Organisationsreferats aus formalen Gründen eine Festanstellung verwehrt. Der Stadtrat genehmigt laufend Stellenzuschaltungen in den Referaten, dennoch scheint sich die Personalsituation nicht wesentlich zu verbessern. Wegen der langwierigen Ausschreibungs- und Einstellungsprozesse bleiben viele Stellen lange Zeit unbesetzt, durch die Bürokratie ergeben sich immer wieder Verzögerungen.
Geeignetes Personal zu finden, ist überaus schwierig. Pragmatische Lösungen statt bürokratischer Prinzipienreiterei sind hier dringend erforderlich – es muss ein Umdenken im Personal- und Organisationsreferat stattfinden.“
Herr Oberbürgermeister Reiter hat mir Ihre Anfrage zur Beantwortung zugeleitet. Für die gewährte Fristverlängerung bedanke ich mich und beantworte die aufgeworfenen Fragen wie folgt:Frage 1:
Wie viele Stellen bei der LH München sind bereits seit mehr als sechs Monaten unbesetzt?
Antwort:
Zum Stichtag 31.12.2014 sind in den Referaten und Eigenbetrieben der Landeshauptstadt München 702,3 Stellen (VZÄ) seit mehr als 6 Monaten unbesetzt. Hinzu kommen 211,7 Stellen (VZÄ) in den sogenannten
homogenen Bereichen (Erziehungsdienst, Lehrdienst, Feuerwehr).
In diesem Zusammenhang verweise ich auf die zahlreichen
Stellenschaffungen in den Referaten. Wie bereits im Beschluss des Stadtrats vom 10.12.2014 (VPA)/17.12.2014 (VV) (14-20/V 01861,
Personalgewinnungssituation und Stellenbesetzungsverfahren bei der Landeshauptstadt München) ausgeführt, wurden im Jahr 2013 1.022 Stellen neu geschaffen, die durch die Abteilung P 5 zu besetzen sind.
Im Jahr 2014 wurden 1.115 Stellen neu geschaffen, die durch die Abteilung P 5 zu besetzen sind.
Berücksichtigt man überdies die normale Fluktuation auf den bestehenden ca. 33.000 Stellen der Stadtverwaltung, die dazu führt, dass höhere Vakanzen aufgrund von Abgängen in den Ruhestand, Beurlaubungen, erfolgreichen Bewerbungen auf anderen Stellen etc., entstehen, wird die enorme Dimension der aktuellen Herausforderung klar, vor der unsere Personalverwaltung steht.
Frage 2:
In welchen Referaten und Unterorganisationen gestaltet sich die Stellenbesetzung erfahrungsgemäß am schwierigsten und langwierigsten? Wo ist die Fluktuation am höchsten?
Antwort:
Dies richtet sich vor allem danach, welche Berufsgruppen gesucht werden und ob Stellen in sogenannten Mangelberufen zu besetzen sind. In diesem Zusammenhang verweise ich auf die jährlich erscheinende Bekanntgabe „Mittelfristige Personalplanung und stadtinterner Arbeitsmarkt“ (zuletzt Bekanntgabe im VPA am 2.7.2014, Vorlagen-Nr. 14-20/V 00376).
Hinsichtlich der Situation von Beschäftigten, die in Bereichen mithohem Kundenaufkommen tätig sind, verweise ich zusätzlich auf den Beschluss des Stadtrats vom 21.1.2015 (VPA)/28.1.2015 (VV) (14-20/V 01570, Anforderungen an Mitarbeiter in Bereichen der Landeshauptstadt München mit hohem Kundeaufkommen).
Die (externe) Fluktuation wird im jährlich erscheinenden Personalcon- trollingbericht dargestellt (siehe Intranet Basisangebot – Personal – PeCon (Personalcontrolling) – Personalcontrollingberichte).
Im Folgenden wird aus dem Bericht „Personal 2013: Daten – Fakten“ auszugsweise eine Tabelle und eine Grafik dargestellt; die Fluktuationsrate wird seit 2013 auf Basis der unbefristet und befristet Beschäftigten wie folgt neu berechnet:
Tabelle 23 des Personalcontrollingberichts
Fluktuationsrate und Fluktuation (absolute Werte) nach Berufsgruppen Zeitraum: 1.1. - 31.12.2013(Die Daten für das Jahr 2014 werden in Kürze in dem neuen
Personalcontrollingbericht veröffentlicht)
Hierbei handelt es sich insgesamt betrachtet um keine auffällig hohe Fluktuation. Vor allem auch, wenn man das Konkurrenzverhältnis mit Unternehmen und Behörden auf dem boomenden Münchner bzw.
bayerischen Arbeitsmarkt und die demographische Entwicklung mit
einbezieht.
Dies wird auch deutlich, wenn man sich die Fluktuationsgründe ansieht, die der Fluktuationsrate von 7,2% zugrunde liegen:
Grafik 13 des Personalcontrollingberichts
Anteile der Fluktuationsgründe
Bei weniger als einem Drittel erfolgt der Austritt auf eigenem Wunsch. Durch Austrittsbefragungen wurde eruiert, dass ein Großteil von diesem Drittel die Landeshauptstadt München verlässt, um wohnortnäher arbeiten zu können.Im Hinblick auf erforderliche Nachbesetzungen sind in diesem Zusammen- hang auch die internen Umsetzungen von Belang.
Hier verliert die Stadt kein Personal, sondern bietet ihm vielmehr Entwick- lungsmöglichkeiten innerhalb der Stadtverwaltung. Trotzdem sind auch die so frei werdenden Stellen in den meisten Fällen wieder zu besetzen.
(In den Summen sind nicht enthalten: Fluktuation aufgrund von Austritten, Umsetzungen, wenn Personen in die Altersteilzeit Freistellungsphase gehen, Umsetzungen aufgrund von Dienstantritten nach Beurlaubung/ Elternzeit, Abordnungen, Stellenübertragungen, Beurlaubungen ohne Umsetzung auf eine andere Stelle, Umsetzungen von Stellen der zentralen Personalbetreuung, Umsetzungen aus Kita-Pools, Umsetzungen von
Azubis und Praktikanten.
In den Summen können Umsetzungen enthalten sein, wenn bei Personen aufgrund einer Wochenarbeitszeitänderung einzelne Stunden auf anderen Stellen verrechnet werden. Dies kann ein Grund für die hohe Zahl an Um- setzungen in den Sozial- und Erziehungsberufen sein)
Frage 3:
Wie könnten die Einstellungsprozesse „verschlankt“ und optimiert werden, so dass Stellen schneller (nach-)besetzt werden? Wo gehen die Kriterien der Stellenausschreibungen an der Realität vorbei?Antwort:
Hierzu verweise ich auf den Beschluss des Stadtrats vom 10.12.2014 (VPA)/17.12.2014 (VV) (14-20/V 01861, Personalgewinnungssituation und Stellenbesetzungsverfahren bei der Landeshauptstadt München). Hier sind unter Ziffer 4 – Stellenbesetzungsverfahren – die rechtlichen Rahmenbedingungen, der Verfahrensablauf sowie die Verfahrensdauer und Optimierungsmöglichkeiten ausführlich dargestellt.
Was die „Kriterien der Stellenausschreibungen“ betrifft, weise ich auf Folgendes hin:
Während private Arbeitgeber nach freiem Ermessen über die Art
und Weise der Personalauswahl entscheiden können, keinen Dokumen- tationsverpflichtungen unterliegen und deren Auswahlentscheidungen gerichtlich nur auf Verstöße gegen das AGG-Recht und das Schwerbe- hindertenrecht überprüft werden können, müssen Auswahlentscheidungen des öffentlichen Dienstes gemäß den gerichtlich umfassend überprüfbaren Vorgaben des Art. 33 Abs. 2 GG erfolgen. Danach hat jede/r Deutsche ein grundrechtsgleiches Recht auf gleichen Zugang zu jedem öffentlichen Amt nach Eignung, Befähigung und fachlicher Leistung.
Art. 33 Abs. 2 GG hat auch das Ziel, Vetternwirtschaft, Korruption und versteckte Diskriminierungen bei der Vergabe öffentlicher Ämter zu verhindern. Personalauswahlentscheidungen des öffentlichen Dienstes müssen daher unter strikter Beachtung des Leistungsgrundsatzes, des Transparenzgebots und der Chancengleichheit erfolgen. Dies bedingt ein streng formalisiertes und umfassend dokumentiertes Auswahlverfahren unter umfangreicher Auswertung der dienstlichen Beurteilungen und ggf. Leistungsberichte und führt zu einem systembedingten zeitlichen Nachteil des öffentlichen Auswahlverfahrens im Vergleich zu den Auswahlverfahren in der Privatwirtschaft.
Ein weiterer entscheidender Unterschied liegt bei § 82 SGB IX
Öffentlichen Arbeitgebern obliegt gemäß § 82 Sätze 3 und 4 SGB IX eine besondere Einladungspflicht gegenüber schwerbehinderten Bewerberinnen und Bewerbern.Diesen rechtlichen Rahmenbedingungen ist es u.a. geschuldet, dass die Dauer von Stellenbesetzungsverfahren in der Großstadt München, in der außerdem die Klage- und Widerspruchsfreudigkeit von Beschäftigten und Bewerberinnen und Bewerbern höher sind, per se länger als bei privaten Arbeitgebern oder z.B. in kleineren und mittleren Gemeinden. Widerspruchs- bzw. Klageverfahren verzögern Stellenbesetzungsverfahren vor allem wegen der Überlastung der Justiz oftmals über Jahre, so dass es dringend geboten ist, durch rechtssichere Verfahren das Risiko der Angreifbarkeit im Vorfeld deutlich zu minimieren.
Die „Kriterien der Stellenausschreibungen“ gehen damit nicht an der Realität vorbei, sondern fußen auf den dargelegten rechtlichen Rahmenbedingungen.
Ergänzend ist hier darauf hinzuweisen, dass je nach Berufsgruppe (Stich- wort Mangelberufe) die Vakanzzeiten von Stellen erheblich variieren, unabhängig davon, ob ein öffentlicher oder privater Arbeitgeber eine Stelle besetzen will. Nach einem Bericht der Zeitung „Die Welt“ vom 8.7.2014, der sich auf Zahlen der Bundesagentur für Arbeit stützt, beträgt z.B. die Vakanzzeit bei Medizinern 167 Tage. Im Bereich der Elektrotechnik sind Stellen durchschnittlich 124 Tage unbesetzt und in der Informatik und Softwareentwicklung 117 Tage.
Frage 4:
Könnten Personalverantwortung und Kompetenz zur Stellenbesetzung in beschränktem Umfang an die unmittelbar betroffenen Einrichtungen abgegeben werden? Die Schulleiterin vor Ort kann am besten beurteilen, ob der Hausmeister, der seit einem Jahr an ihrer Schule arbeitet, für seinen Job geeignet ist und in das Team passt. Wenn ja, wie wird dies umgesetzt?
Antwort:
Die Delegation von Zuständigkeiten ist in den letzten Jahren bereits geschehen, nach dem Motto „zentral, wo sinnvoll; dezentral, wo sinnvoll“. So ist z.B. in den Bereichen des Lehrdienstes, der Feuerwehr und des homogenen Bereichs Erziehungsdienst im Referat für Bildung und Sport das jeweilige Referat für die Stellenbesetzung verantwortlich.
Außerhalb dieser homogenen Bereiche ist grundsätzlich für jede externe bzw. interne Personalauswahl, die aufgrund der Ausschreibungsrichtlinien erfolgt, das POR zuständig. Nach den Ausschreibungsrichtlinien (Buch- stabe A, Ziffer 1 der Ausführungsbestimmungen) werden alle Stellen/Funktionen der Fachrichtungen Verwaltungsdienst und Datenverarbeitung ab BesGr. A 7 sowie vergleichbare Positionen für Tarifbeschäftigte durch das POR besetzt. Unterhalb dieser Grenze sind die Referate selbst verantwortlich.
Sonderregelungen gelten für bestimmte Berufsgruppen bzw. Fach-
richtungen. So sind beispielsweise im Bereich des technischen Dienstes die Referate unterhalb der BesGr A12/EGr. 12 selbst zuständig. Auch im Bereich des Sozialdienstes z.B. werden freie Stellen der EGr. 9 durch die jeweils zuständige Organisationseinheit in eigener Zuständigkeit besetzt.
Als weiteres Beispiel für dezentrale Personalentwicklung kann auf das vom Baureferat geplante duale Studium „Bauingenieurwesen“ verwiesen werden. Da der Bedarf an Bauingenieurinnen und Bauingenieuren fast ausschließlich im Baureferat besteht, wird dieses das duale Studium selbst betreuen. In Kürze wird es hierzu eine Beschlussvorlage für den Stadtrat geben.
Durch die zentrale Zuständigkeit des POR für Stellenbesetzungsverfahren – außer in den sog. homogenen Bereichen bzw. den angesprochenen Sonderregelungen – ist es möglich, stadtweit einheitliche Standards und damit auch die Chancengleichheit und Rechtssicherheit bestmöglich sicherzustellen. Die ständige Anpassung der Abläufe an die jeweilige Rechtslage und die aktuellste Rechtsprechung wird durch diese zentrale Zuständigkeit gewährleistet. Zu den rechtlichen Anforderungen wird auf die Beantwortung der Frage Nr. 3 verwiesen.
Trotzdem werden natürlich die Kenntnisse und Einschätzungen der Führungskräfte vor Ort berücksichtigt. In dem von Ihnen angesprochenen Beispiel des städtischen Hausmeisters einer staatlichen Grundschule (die Stadt ist hier Sachaufwandsträger) konnte die betroffene Person allerdings zwingende fachliche Voraussetzungen nicht erfüllen. Das Referat für Bildung und Sport, das für die Besetzung der fraglichen Stellen zuständig ist, hat wie folgt Stellung genommen:
Bei der in der Frage angesprochenen Stelle handelt es sich um eine solche für einen Technischen Hausverwalter. Die dauerhafte Verwendung als Technischer Hausverwalter setzt eine gewerblich-technische Aus- bildung voraus, welche die in dem Einzelfall betroffene Person nicht vorweisen kann. Grund für diese Voraussetzung sind die von der
Technischen Hausverwaltung (THV) zu erfüllenden Aufgaben, wie sie in der Dienstordnung für die THV vom 17.7.2009 festgehalten wurden. Die handwerklich-technischen Verrichtungen, die Vergabe und Kontrolleentsprechender Tätigkeiten, vor allem im Zusammenhang mit dem soge- nannten Kleinen Bauunterhalt (hier stehen den Schulen Summen bis zu 35.000 Euro jährlich zur Verfügung), die regelmäßige Durchführung sicherheitstechnischer Prüfungen und nicht zuletzt die Begleitung größerer Bau- und Erweiterungsmaßnahmen (gerade dieser Aspekt gewinnt
vor dem Hintergrund des Aktionsprogramms Schul- und Kitabau 2020 zunehmend an Bedeutung) sind elementares Kerngeschäft der Technischen Hausverwaltungen. Dies spiegelt sich auch in der Berufsbezeichnung wider. Das RBS als für die Verwaltung von Schulimmobilien verantwort- liches Referat greift deshalb zur Betreuung der mit einer Schulanlage verbundenen Vermögenswerte (im Regelfall zweistellige Millionen- summen) vor Ort auf Dienstkräfte zurück, bei welchen die fachliche Eignung hierfür durch eine entsprechende einschlägige Ausbildung nachgewiesen ist.
In dem angesprochenen Einzelfall ist jedoch vorgesehen, mit dem
betroffenen „Hausmeister“ ein unbefristetes Beschäftigungsverhältnis als roulierender Hauswart abzuschließen. Für eine solche Tätigkeit ist eine abgeschlossene gewerblich-technische Ausbildung nicht erforderlich.