Sexueller Gewalt in München präventiv begegnen: Sexualpädagogik ausbauen!
Antrag Stadtrats-Mitglieder Gülseren Demirel, Lydia Dietrich, Katrin Habenschaden, Jutta Koller, Dominik Krause und Thomas Niederbühl (Fraktion Die Grünen/Rosa Liste) vom 18.2.2016
Antwort Stadtschulrätin Beatrix Zurek:
Ihr Einverständnis vorausgesetzt, teilen wir Ihnen auf diesem Wege zu Ihrem Antrag Folgendes mit:
1. Antragspunkt:
Das Pädagogische Institut wird beauftragt, im Vorfeld des im Herbst abzu- haltenden Hearings ein Konzept zum Thema Sexualpädagogik an Schulen zu erarbeiten. Dieses soll sich z.B. als Komponente in dem Projekt „Schule ohne Rassismus“ an die SchülerInnen richten und ihnen Rechte und Gren- zen im Bereich der sexuellen Selbstbestimmung vermitteln.
Normativer Rahmen
Das Projekt „Schule ohne Rassismus“ unterliegt den internen Prinzipien der Arbeit des Vereins Aktion Courage e.V.. Die Stadt München kann rein rechtlich in diesem Gefüge keine Anweisungen geben. Deswegen ist die LHM nicht befugt, inhaltliche Komponenten vorzugeben und zu vermitteln, wie von Ihnen angeregt (vgl. http://www.schule-ohne-rassismus.org/wer-wir-sind/der-traegerverein/).
Sexualpädagogik orientiert sich grundsätzlich an den allgemeinen Bildungszielen, wie sie in Art. 131 der Bayerischen Verfassung (BV) sowie in Art. 1 und 2 des Bayerischen Gesetzes über das Erziehungs- und Unterrichtswesen (BayEUG) verankert sind, ferner an den im Grundgesetz (GG) und in der BV festgelegten Prinzipien, insbesondere der Achtung der persönlichen Würde des Menschen und der freien Entfaltung seiner Persönlichkeit. Der Art. 48 Abs. 1 BayEUG stellt klar, dass im Spannungsfeld aus dem Persönlichkeitsrecht der Schülerinnen und Schüler (Art. 1 und 2 GG), der Bildungsaufsicht des Staates (Art. 7 GG) und dem Erziehungsrecht der Eltern (Art. 6 GG) Sexualerziehung zu den Aufgaben der Schule gehört. Sexualpädagogik widmet sich dem Sexualverhalten als Teil der menschlichen Existenz und des Allgemeinverhaltens und soll zu verantwortliches geschlechtliches Verhalten befähigen. Sie wird als Teil der Gesamterziehung im Rahmen mehrerer Fächer realisiert (vgl. Art. 48 BayEUG). Dabei sind den Lehrkräften Ideologisierung und Indoktrinierung untersagt (vgl. z. B. BVerfG 1977). Siehe dazu auch die Einlassungen zum Antragspunkt 3.Maßnahmen im Lern- und Lebensraum Schule
Als zentrale Lebens- und Lernräume für junge Menschen haben Schulen eine besondere Verantwortung, ein Klima zu schaffen, in dem sich alle Schülerinnen und Schüler gleichermaßen gut entwickeln können und vor Gewalt, Missbrauch, Übergriffen und Diskriminierungen geschützt sind. Unter anderem die sogenannte „Blumenaustudie“ in München 2012 (Englfried/Lormes/Schweimler 2012) zeigte aber, dass viele Mädchen und junge Frauen die Atmosphäre an den Schulen belastend und wenig förderlich beschrieben. Massive Mobbingerfahrungen und (sexuelle) Gewalt im Sozialraum sind für viele Mädchen sehr bedrohlich und können als zentrale Dimension ausgemacht werden, die sie in ihren Entfaltungsmöglichkeiten stark einschränkt, ihr Recht auf Unversehrtheit und (sexuelle) Selbstbestimmung verletzt und zu deren Rückzugsverhalten aus dem öffentlichen Raum beiträgt. Das Referat für Bildung und Sport widmet sich schon lange dem Thema „sexueller Gewalt in München präventiv begegnen“ und unterstützt Angebote wie geschlechterorientierte Anti-Gewalttrainings, Antidiskriminierungsseminare, sowie den Ausbau einer geschlechtersensiblen Schulkultur. 1995 beschloss der Stadtrat die Einführung von Mädchenbeauftragten an allen städtischen Realschulen, Gymnasien und beruflichen Schulen – eine in der Bundesrepublik Deutschland einmalige und viel beachtete strukturelle Verankerung von Mädchenarbeit an den Schulen. Die Mädchenbeauftragten sind wichtige Vertrauenspersonen der Schülerinnen, greifen unterschiedlichste Themen und Problemstellungen der Mädchen und jungen Frauen auf, initiieren Projekte u.v.m.. Heute sind auch an vielen städtischen Schulen Jungenbeauftragte benannt, die die genderpädagogische Arbeit zur Umsetzung der Geschlechtergerechtigkeit unter Buben bzw. jungen Männern entwickeln und dabei eng mit den Mädchenbeauftragten kooperieren sollen. Themenschwerpunkte der Beauftragten sind neben der Unterrichts- und Schulentwicklung die Gewaltprävention, Berufsorientierung, Sexualpädagogik und Gesundheitsförderung. Seit 1998 veranstaltet das Pädagogische Institut pro Jahr im Durchschnitt zwei Treffen zu Themen für die Mädchen- und Jungenbeauftragten, sowie diverse weitere Fortbildungsangebote zum Thema sexuelle Gewalt. Hier einige Beispiele:
-Zwischen Neugier, Schönheitsideal und Leistungsdruck: Bildungsarbeit mit Jugendlichen zu sexualisierten Medieninhalten (2014)
-Ressourcenorientiertes Arbeiten mit Mädchen (2014)
-„War doch nur Spaß“? sexuelle Grenzverletzungen durch Jugendliche verhindern (2015)
-Sexualität, Identität, Geschlecht: Akzeptanz von Vielfalt an Schulen (Fachtag) (2015)
-Böse Jungs, arme Mädchen und umgekehrt: Gewalt als Thema an der Schule (2015)-Zwangsverheiratung als ein Aspekt von Gewalt „im Namen der Ehre“ (2015, flexibel buchbar)
-Gewalt: ein Thema für die Schule (2015, flexibel buchbar)
-Sexualität und „Doing Gender“ an Schulen (2015)
-„War doch nur Spaß“? sexuelle Grenzverletzungen durch Jugendliche verhindern (2016)
-Spaß auf der Wiesn: aber sicher! (2016)
-Böse Jungs, arme Mädchen und umgekehrt: Gewalt als Thema an der Schule (2016)
Ausnahmslos gegen sexualisierte Gewalt und Rassismus (2016)
Die Grundsätze1 für eine erfolgreiche und nachhaltige Gewaltprävention gebieten es, die Prävention von sexueller Gewalt in ein koordiniertes Vorgehen auf mehreren Ebenen einzubetten. Die positiven Ergebnisse der Studien zur Täterprävention in Schulen aus Kanada (vgl. The Fourth R: Strategies for healthy Youth Relationships https://youthrelationships.org/ (19. April 2016)) weisen in die gleiche Richtung. Auch das BayEuG besagt, dass sexualpädagogische Aspekte als Teil der Gesamterziehung in mehreren Fächern realisiert werden sollen. Demzufolge sollten die Aktivitäten zur Prävention von sexueller Gewalt durch die Mädchen- bzw. Jungenbeauftragten an den Schulen fachlich geleitet, gesteuert und koordiniert werden.
Das RBS arbeitet beharrlich an der durchgängigen Realisierung folgender Maßnahmen:
-An allen städtischen Münchner Schulen gibt es eine Mädchen-/Frauenbeauftragte und einen Jungen-/Männerbeauftragten.
-Es liegen Leitlinien für die Geschlechtergerechte Arbeit an städtischen Münchner Schulen vor, an denen sich die Beauftragten orientieren können.
-Die Beauftragten organisieren in Abstimmung mit dem PI außerunterrichtliche Angebote zur Sexualpädagogik für Schülerinnen und Schüler. -Die Beauftragten stimmen mit den Lehrerinnen und Lehrern der jeweiligen Schule die diversen Angebote zum Auf- und Ausbau personaler sowie sozialer Kompetenzen sowie der Medienbildung ab, um langfristig Schülerinnen und Schüler gegen sexuelle Gewalt zu stärken.
1 vgl. auch Olweus, Dan: Gewalt in der Schule, Huber Verlag, 4te Aufl. 2006 und Prof. Dr. Heiner Keupp, Dr. Florian Straus: Gewalt und Suchtprävention für Kinder und Jugendliche an Kindertageseinrichtungen, Schulen und im Sport der Landeshauptstadt München, 2003 http://www.verantwortung.muc.kobis.de/aktuelles/bericht_band1.pdf-Die Beauftragten unterstützen die LehrerInnen an den jeweiligen Schulen dabei, Klassenelternversammlungen zum Thema Prävention von sexueller Gewalt zu organisieren.
-Alle beauftragten Mädchen- und Jungenbeauftragten erhalten gemäß ihrem Einsatz zeitliche Ressourcen.
-Alle Mädchen-/Frauenbeauftragten und Jungen-/Männerbeauftragten nehmen regelmäßig an den halbjährlichen Treffen sowie an Dienstbesprechungen teil.
Darüber hinaus sind folgende Maßnahmen vorgesehen:
-Alle neu ernannten Beauftragten sind verpflichtet, eine Qualifizierungsmaßnahme „Geschlechtergerechte Pädagogik“ an Schulen zu besuchen. Sie werden hierfür von der Schulleitung freigestellt. Wahlweise können sie auch an der Zusatzqualifikation „Geschlechtergerechte Pädagogik“ teilnehmen. Den Beauftragten darf durch die Teilnahme an diesen Veranstaltungen kein Nachteil entstehen.
-Alle Beauftragten sind angehalten, sich regelmäßig im Bereich der Geschlechtergerechten Pädagogik fortzubilden. Sie nehmen pro Schuljahr mindestens einen Fortbildungstag in diesem Bereich wahr. Welche
Schwerpunktsetzung sie innerhalb dieses Bereichs wählen, ist ihnen freigestellt.
Für die Qualifizierung bietet das RBS folgende Möglichkeiten an: -Zusatzqualifikation „Geschlechtergerechte Pädagogik“ (Zertifikaterwerb möglich) oder
-verpflichtendes 2-tägiges Basismodul Geschlechtergerechte Pädagogik an Schulen
-verpflichtendes 2-tägiges Aufbaumodul Geschlechtergerechte Pädagogik an Schulen kontinuierliche Weiterbildung
-regelmäßige Teilnahme an mindestens einem Fortbildungstag im Bereich „Geschlechtergerechte Pädagogik“ pro Schuljahr. Die Schwerpunktsetzung innerhalb dieses Bereichs ist den Beauftragten freigestellt.
Übergangsphase:
Um die vorgegebenen Standards bei der Qualifizierung der Mädchen-/Frauenbeauftragten und Jungen-/Männerbeauftragten schrittweise umzusetzen, wird folgendermaßen vorgegangen:
Für die Übergangsphase erhalten die Lehrkräfte, die bereits Mädchen-/ Frauenbeauftragte bzw. Jungen-/Männerbeauftragte sind, die Möglichkeit, das Basis- und das Aufbaumodul im Zeitraum von 2 Jahren zu absolvieren. Beauftragte, die bereits an der Zusatzqualifikation Geschlechtergerechte Pädagogik teilgenommen haben oder eine andere Qualifizierung in diesemBereich vorweisen können, ist es freigestellt, ob sie das Basis- und Aufbaumodul besuchen.
Die Leitlinien für die Geschlechtergerechte Arbeit an Schulen werden am Pädagogischen Institut in enger Abstimmung mit der Gleichstellungsstelle für Frauen bis Frühjahr 2017 entwickelt.
2. Antragspunkt:
Der Oberbürgermeister wird aufgefordert, sich über den Bayerischen Städ- tetag dafür einzusetzen, dass das Thema Sexualpädagogik im bayerischen Lehrplan verpflichtend und umfassend verankert wird.
Die geltenden Richtlinien für die Familien- und Sexualerziehung in Bayerischen Schulen wurden in der Bekanntmachung (KMBek) des Bayerischen Staatsministeriums für Unterricht und Kultus vom 12. August 2002 Nr. VI/8- S44002/41-6/71325 veröffentlicht. Mit diesen Richtlinien wird der Rahmen für die Familien- und Sexualerziehung in den Schulen aufgezeigt. Die notwendigen Lerninhalte werden in die Lehrpläne der einzelnen Fächer aufgenommen. Alle Schulen sind verpflichtet, die Richtlinien einzuhalten und umzusetzen.
Im März 2016 war der Presse zu entnehmen, dass der Entwurf für eine überarbeitete Fassung der KMBek von 2002 schon im zuständigen Landtagsausschuss diskutiert wurde. Das Bayerische Staatsministerium für Bildung und Kultus, Wissenschaft und Kunst teilte mit, dass mit einer Veröffentlichung wohl im Sommer 2016 gerechnet werden kann.
3. Antragspunkt:
Die Landeshauptstadt München baut das Angebot an Sexualpädago- gik-Projekten für Geflüchtete bedarfsgerecht aus.
Das Sozialreferat/Stadtjugendamt prüft derzeit die Möglichkeit einer weiteren Finanzierung eines sexualpädagogischen Projektes für Geflüchtete von ProFamilia. Bei positiver Bewertung wird der Antrag dem Stadtrat zur Entscheidung in einer Beschlussvorlage vorgelegt.
Das Referat für Bildung und Sport unterstützt somit die Prävention von sexueller Gewalt auf vielen Ebenen und trägt entsprechend dazu bei, dass ein „nein“ auch wirklich als „nein“ verstanden wird.
Um Kenntnisnahme der vorstehenden Ausführungen wird gebeten. Wir gehen daher davon aus, dass die Angelegenheit damit abgeschlossen ist.