Wird der Ausbau des Münchner Radverkehrsnetzes durch die GroKo im Rathaus systematisch ausgebremst?
Anfrage Stadtrats-Mitglieder Paul Bickelbacher, Herbert Danner und Sabine Nallinger (Fraktion Bündnis 90/Die Grünen/Rosa Liste) vom 13.10.2015
Antwort Baureferentin Rosemarie Hingerl:
In Ihrer Anfrage führen Sie aus:
„Am 5.8.2015 wurde von mehreren Stadträtinnen und Stadträten der CSU-Fraktion der Antrag ‚Markierung von Radfahrstreifen: Entfall von Fahr- spuren nur nach Stadtratsbefassung!’ gestellt. Demnach soll künftig der Stadtrat über jede einzelne Abmarkierung von Radfahrstreifen entscheiden, falls diese sich auf den Kfz-Verkehr in Hauptstraßen auswirken. Anstatt also die notwendige und auch von der GroKo vermeintlich gewünschte Radverkehrsförderung durch die Verwaltung endlich zu beschleunigen, sol- len in Wirklichkeit nun weitere formale Hürden aufgebaut werden, um den Radverkehr auszubremsen. Da das Radverkehrsaufkommen in München in den vergangenen 10 Jahren um über 70% zugenommen hat und weiter wachsen wird, ist jedoch ein möglichst rascher Ausbau der Radverkehrs- netzes zwingend notwendig, wenn man die Sicherheit der Radlerinnen und Radler weiterhin gewährleisten möchte. Die VwV StVO gibt dabei der Sicherheit ALLER Verkehrsteilnehmer Vorrang vor der Flüssigkeit des Ver- kehrs.
Auf Seiten der Verwaltung obliegt unserer Kenntnis nach die Anordnung von Verkehrszeichen, zu denen auch die Markierung von Radfahrstreifen gehört, dem Kreisverwaltungsreferat als kommunaler Straßenverkehrsbe- hörde. Bei der Anordnungsumsetzung ist die Behörde in ihren Entschei- dungen dabei an die strikten Vorgaben der Straßenverkehrsordnung (StVO) und der zugehörigen Verwaltungsvorschrift (VwV StVO) gebunden. Vorübergehende Beeinträchtigungen des (Kfz-)Verkehrs während einer Baustellenphase sind in der Regel leider nicht zu vermeiden. Während Be- hinderungen und Staus des motorisierten Verkehrs beispielsweise beim Bau des Luise-Kiesselbach-Tunnels über Jahre von der Politik selbstver- ständlich hingenommen wurden, führen deutlich geringere Beeinträchti- gungen von nur wenigen Wochen durch die Markierung neuer Radfahrstrei- fen (z.B. in der Gabelsbergerstraße) gleich zu einem Aufschrei im Rathaus und drastischen Forderungen nach einer Änderung des Verfahrensweise, siehe CSU-Antrag vom 5.8.15.
Die dringliche Behandlung dieses Antrags im Feriensenat am 12.8.2015 wurde seinerzeit abgelehnt, dennoch scheint der Antrag bereits ohne erforderlichen Stadtratsbeschluss Spuren zu hinterlassen. So ist dem Sit-zungsprotokoll des Feriensenats vom 12.8.2015 zu entnehmen, dass nach Auskunft von Herrn Bürgermeister Schmid bevorstehende Radverkehrs- maßnahmen durch das Baureferat ausgesetzt werden sollten.“
Zunächst ist aus Sicht des Baureferates zu dem von Ihnen geschilderten Sachverhalt Folgendes mitzuteilen:
Anlass Ihrer Anfrage ist der von mehreren Stadträtinnen und Stadträten der CSU-Fraktion am 5.8.2015 gestellte Antrag zur dringlichen Behandlung für den Feriensenat am 12.8.2015 „Markierung von Radfahrstreifen: Entfall von Fahrspuren nur nach Stadtratsbefassung!“. In der Begründung dieses Antrages wird ausgeführt:
„Das Kreisverwaltungsreferat stützt die Anordnung dieser Maßnahmen auf Ziffer 19. des Grundsatzbeschlusses des Stadtrats vom 29.7.2009. Danach gilt Folgendes:
(…)
Antragspunkt 19: Das KVR trifft bei Maßnahmen, die nicht unter Punkt 7 (s.o.) fallen, Einzelentscheidungen (in Abstimmung mit den Bezirksausschüssen und den Referaten) und berichtet anschließend dem Stadtrat. Dies sind vor allem Maßnahmen, die aus Gründen der Verkehrssicherheit notwendig sind und die keinen Einfluss auf die Leistungsfähigkeit haben, z.B. Markierungslösungen.“
Markierungen und Radverkehrsführungsmarkierungen sind Verkehrszeichen im Sinne der StVO. Als Verkehrszeichen sind sie Verwaltungsakte in Form der Allgemeinverfügung, die den Verkehrsteilnehmern ein bestimmtes Verhalten anordnen. Sie werden von der Straßenverkehrsbehörde mittels verkehrsrechtlicher Anordnung erlassen und vom Straßenbaulastträger durch das Herstellen der Fahrbahnmarkierung bekannt gemacht. Die Durchführung von Markierungsarbeiten setzt folglich eine entsprechende verkehrsrechtliche Anordnung voraus. Mit Markierungsarbeiten für die Radverkehrsführung (und damit auch mit der dafür erforderlichen verkehrsrechtlichen Anordnung) wird eine verkehrsplanerische Entscheidung der Stadt München (z.B. Neuaufteilung des Straßenraums) vollzogen.
Mit dem im o.g. Stadtratsantrag vom 5.8.2015 zitierten Grundsatzbeschluss der Vollversammlung vom 29.7.2009 hat der Stadtrat die Entscheidungskompetenz für diese verkehrsplanerischen Entscheidungen betreffend Markierungslösungen für den Radverkehr, die keinen Einfluss auf die Leistungsfähigkeit haben, auf das Kreisverwaltungsreferat übertragen. Ausweislich des Protokolls des Feriensenates vom 12.8.2015 soll die Frage derverkehrsplanerischen Entscheidungskompetenzen im interfraktionellen Arbeitskreis Verwaltungsoptimierung diskutiert und anschließend durch den Stadtrat entschieden werden. Dieses Vorgehen hat der IAK am 30.7.2015 so beschlossen. Aus Sicht des Baureferates ist es daher aufgrund dieser Entscheidung des IAK’s geboten, den Vollzug verkehrsplanerischer Entscheidungen des Kreisverwaltungsreferates solange zurückzustellen, bis der Stadtrat sich eine abschließende Meinung über die entsprechenden verkehrsplanerischen Entscheidungskompetenzen gebildet hat.
Die Abmarkierung und Beschilderung von Radfahrstreifen erfolgen entweder im Zuge von Straßenbauprojekten oder als „reine“ Markierungsarbeiten im Bestand. Der o.g. Grundsatzbeschluss vom 29.7.2009, auf den sich der von Ihnen genannte Stadtratsantrag vom 5.8.2015 bezieht, regelt die verkehrsplanerischen Entscheidungskompetenzen für „reine“ Markierungslösungen. Die verkehrsplanerischen Entscheidungskompetenzen bei der Durchführung von Bauprojekten sind dagegen grundsätzlich anders geregelt. Im Sinne des von Ihnen aufgezeigten Anlasses Ihrer Anfrage beziehen wir die nachfolgenden Einzelantworten daher auf reine Markierungslösungen.
Frage 1:
Welche konkreten Maßnahmen zum Ausbau des Radverkehrsnetzes und zur Verbesserung der Sicherheit im Straßenverkehr (bauliche Radwege und Markierung von Radspuren) sind seit der Veröffentlichung des o.g. CSU- Antrags gestoppt worden? Bitte jeweils die Örtlichkeit und die Art der Maßnahme angeben.
Antwort:
Aufgrund des oben genannten Ergebnisses des Feriensenats und der Entscheidung im interfraktionellen Arbeitskreis wurden folgende drei Markierungsarbeiten, die auf verkehrsplanerischen Entscheidungen des Kreisverwaltungsreferates gemäß Grundsatzbeschluss vom 29.7.2009 beruhen, zurückgestellt:
- Herzog-Heinrich-Straße/Kaiser-Ludwig-Platz:
Abmarkierung Schutzstreifen bzw. Radfahrstreifen und Reduzierung der Fahrstreifen von zwei auf einen
- Brienner Straße zwischen Arcisstraße und Karolinenplatz:
Abmarkierung Radfahrstreifen beidseitig und Entfall einer Fahrspur - Seidlstraße nördlich der Karlstraße:
Abmarkierung Radfahrstreifen Ostseite in Richtung Stiglmaierplatz,Verkürzung der Rechtsabbiegespur und Demarkierung der alten Radwegeführung auf Gehweg
Bei sämtlichen Straßen handelt es sich um Hauptverkehrsstraßen gemäß VEP.
Frage 2:
Wann sind diese Maßnahmen jeweils angeordnet worden und wann ge- nau sollten sie – ohne Stopp – eigentlich umgesetzt werden?
Antwort:
- Herzog-Heinrich-Straße/Kaiser-Ludwig-Platz:
Die mit verkehrsrechtlicher Anordnung des KVR vom 27.3.2013 geregelten Markierungsarbeiten hätten im Anschluss an die im Sommer 2015 vorgesehene Fahrbahnsanierung ausgeführt werden sollen, um Phantommarkierungen auf dem Fahrbahnbelag zu vermeiden.
- Brienner Straße zwischen Arcisstraße und Karolinenplatz:
Die mit Markierungsauftrag des KVR vom 27.1.2014 beauftragten Markierungsarbeiten hätten ebenfalls im Sommer 2015 ausgeführt werden sollen.
- Seidlstraße nördlich der Karlstraße:
Die mit Markierungsauftrag des KVR vom 21.1.2015 beauftragten
Markierungsarbeiten hätten im Herbst 2015 ausgeführt werden sollen.
Frage 3:
Ist unsere Annahme korrekt, dass für entsprechende Maßnahmenanord- nungen das KVR verantwortlich zeichnet? Wenn ja, auf welcher rechtlichen Grundlage basiert dann der Stopp dieser Maßnahmen durch das Baurefe- rat?
Antwort:
Auf vorstehende Ausführungen wird verwiesen.
Frage 4:
Hat das Baureferat hier ohne den notwendigen Stadtratsbeschluss auf Wunsch bzw. Anordnung der Stadtspitze gehandelt, obwohl die Maßnah- men verwaltungsintern bereits geprüft, fachlich befürwortet und angeord- net worden waren?
Antwort:
Auf vorstehende Ausführungen wird verwiesen.Frage 5:
Lässt sich der Stopp aus Sicht des Baureferats fachlich begründen oder liegt hier vielmehr ein Fall politischer Einflussnahme auf ein Geschäft der laufenden Verwaltung im Verantwortungsbereich des KVR vor?
Antwort:
Auf vorstehende Ausführungen wird verwiesen.
Frage 6:
Müsste das bisherige Verfahren zur Umsetzung von Ausbaumaßnahmen im Radverkehr nicht solange beibehalten werden, bis eine ggf. geänderte Verfahrensweise offiziell durch den Stadtrat beschlossen wird, anstatt die Umsetzung wichtiger Maßnahmen zur Verkehrssicherheit aufgrund eines noch nicht im Stadtrat behandelten Antrags einfach zu stoppen?
Antwort:
Inwieweit das bisherige Verfahren beibehalten wird, obliegt der Entscheidung des Stadtrates.
Frage 7:
Waren für die Umsetzung der nun gestoppten Maßnahmen bereits Firmen beauftragt worden? Falls ja, welche Kosten entstehen der Stadt München aufgrund der Verzögerung der Maßnahmenumsetzung oder aufgrund even- tueller Entschädigungszahlungen?
Antwort:
Für die Markierungsarbeiten in der Brienner Straße und der Seidlstraße sind keine Aufträge erteilt worden. Für die Fahrbahnsanierung einschließlich anschließender Markierungsarbeiten war bereits eine Firma beauftragt worden. Der Sanierungsauftrag konnte durch eine Ersatzmaßnahme kompensiert werden. Die Markierungsarbeiten hatten noch nicht begonnen.
Frage 8:
Bis zu welchem Zeitpunkt können bzw. sollen die gestoppten Maßnahmen nun frühestmöglich umgesetzt werden?
Antwort:
Erst nachdem die Frage der Entscheidungszuständigkeit abschließend geklärt ist, kann über das weitere Vorgehen entschieden werden.Frage 9:
Sollen vergleichbare Baumaßnahmen für den Kfz-Verkehr (Bsp. Tunnel- bauten am Mittleren Ring) zukünftig entsprechend auch gestoppt werden, wenn zu erwarten ist, dass die Baustellen den Verkehrsfluss behindern? Wenn nein, warum werden hier unterschiedliche Maßstäbe zwischen Fahr- rad- und Kfz-Verkehr angelegt?
Antwort:
Vorübergehende Verkehrsregelungen und hieraus ggf. resultierende vorübergehende Verkehrsbeeinträchtigungen während einer Baustellenphase sind leider nicht vermeidbar.
Dies gilt für den Fahrradverkehr in gleicher Weise wie für den motorisierten Verkehr.
Frage 10:
Wie wird der Verkehrsfluss in der Gabelsbergerstraße und der Landsberger Straße durch das KVR derzeit beurteilt, einige Wochen nach Fertigstellung des Radfahrstreifens?
Antwort:
Hierzu teilt das Kreisverwaltungsreferat Folgendes mit:
„Nach Beendigung der Umbaumaßnahmen am Knoten Grasser-/Lands-
berger Straße sowie der Markierung eines Radfahrstreifens in der Gabelsbergerstraße wurden beide Situationen durch das Kreisverwaltungsreferat eingehend vor Ort beobachtet und folgendes festgestellt:
1. Gabelsbergerstraße:
Das Geschwindigkeitsniveau des motorisierten Individualverkehres (MIV) hat sich erheblich reduziert, die gefahrenen Geschwindigkeiten sind homogener als vorher. Durch verschiedene signaltechnische Maßnahmen konnten die Auswirkungen des neuen Radfahrstreifens auf den MIV in der Gabelsbergerstraße zu einem Großteil kompensiert werden. Da die Dimensionierung der Verkehrsanlagen (Kernfahrbahn und Radfahrstreifen) bereits so gewählt wurde, dass eine mögliche Belegung durch Lieferfahrzeuge nicht dazu führt, dass eine Verkehrsfläche in Gänze nicht mehr nutzbar wäre, lässt sich beobachten, dass auch regelwidrig abgestellte (Liefer-) Fahrzeuge in den überwiegenden Fällen keine Gefährdung für den Radverkehr darstellen. Der Kfz-Verkehr im Bereich der Kernfahrbahn (= der Bereich zwischen Parkstreifen und Radfahrstreifen) kann am Lieferverkehr vorbeifahren, ohne dass der Radverkehr gefährdet ist. Weitere Optimierungslösungen zur Thematik ‚Lieferverkehr’ sind derzeit noch in Prüfung. Wegen des durch die o.a. Maßnahme erzielten Gewinns an Ver-kehrssicherheit für alle Verkehrsteilnehmer sehen wir die phasenweise bei erhöhtem Verkehrsaufkommen in den Spitzenzeiten vereinzelt auftretenden Störungen im Verkehrsfluss als verhältnismäßig an. Die Situation wird weiterhin intensiv beobachtet und ggfs. an sich ändernde Bedingungen angepasst.
Es wird daher festgestellt, dass der Verkehrsfluss in der Gabelsbergerstraße keine besonderen Probleme aufweist.
2. Grasser-/Landsberger Straße:
Die vor dem Umbau getroffenen Aussagen hinsichtlich einer ausreichenden Leistungsfähigkeit des umgebauten Knotens haben sich bestätigt. Kleinere Optimierungsmaßnahmen an der Beschilderung sowie der Markierung wurden noch ergänzend in Auftrag gegeben und teilweise bereits umgesetzt.
Es wird daher festgestellt, dass der Verkehrsfluss an der Lichtsignalanlage Grasser-/Landsberger Straße keine Probleme aufweist.“