Modellprojekt Wasserstoffautos – München fördert Zukunftstechnologie
Antrag Stadtrats-Mitglieder Johann Altmann, Dr. Josef Assal, Eva Caim, Richard Progl und Mario Schmidbauer (Fraktion Bayernpartei) vom 2.9.2016
Antwort Oberbürgermeister Dieter Reiter:
Nach § 60 Abs. 9 GeschO dürfen sich Anträge ehrenamtlicher Stadtratsmitglieder nur auf Gegenstände beziehen, für deren Erledigung der Stadtrat zuständig ist.
Sie beantragen, Kontakt zur Münchner Linde AG und deren Car Sharing-Tochter BeeZero aufzunehmen, um einen Modellversuch mit Brennstoffzellen-Autos zu unterstützten. Ferner soll die Durchführung des Projektes begleitet und nach einer Etablierungsphase in Bezug auf Chancen, Ausbaumöglichkeiten und eventuellen Nachbesserungsbedarf evaluiert werden. Hierbei stellen Sie in Ihrem Antrag darauf ab, dass die städtische Förderung alternativer Antriebe bislang einseitig auf E-Mobilität ausgerichtet sei.
Die Stadtverwaltung ist seit Langem in stetem Kontakt und Austausch mit Firmen und Unternehmen. In vielen Fällen begleitet und unterstützt die Stadt Pilotprojekte, auch im Bereich alternativer Antriebstechniken. Der Inhalt Ihres Antrages betrifft damit eine laufende Angelegenheit, deren Besorgung nach Art. 37 Abs. 1 GO und § 22 GeschO dem Oberbürgermeister obliegt, weshalb eine beschlussmäßige Behandlung im Stadtrat rechtlich nicht möglich ist.
Zu Ihrem Antrag vom 02.09.2016 teile ich Ihnen Folgendes mit:
Vorab wird kurz der aktuelle Sachstand zur Wasserstofftechnologie dargestellt, bevor auf das in Ihrem Antrag angesprochene Projekt näher eingegangen wird.
Hintergrundinformationen
Wasserstoff (H2) ist in gebundener Form in Wasser und organischen Substanzen enthalten. Wasserstoff ist keine Energiequelle, sondern ein Energieträger, d. h. er muss erzeugt werden. Dies kann entweder aus endlichen, fossilen Energiequellen wie Kohle, Erdöl und Erdgas oder aus regenerativen Energiequellen wie Sonnenenergie, Wind-, Wasserkraft und Biomasse erfolgen. Wie auch beim Einsatz von elektrischem Strom erzeugt die Nutzung von Wasserstoff selbst keine Emissionen. Diese entstehen je nach Produktionsverfahren in der Herstellung. Nachfolgend ein kurzer Überblick der gängigsten Verfahren:
- Möglichkeit 1: „Dampfreformierung“
Bei diesem Verfahren werden fossile Brennstoffe, wie Erdgas mit Wasserdampf zur Reaktion gebracht. Der Sauerstoff aus dem Wasserdampf verbindet sich mit dem Erdgas, dabei bleibt der Wasserstoff übrig. Rund 75 Prozent des weltweit genutzten Wasserstoffs wird derzeit durch Dampfreformierung produziert. (http://www.the-linde-group.com/de)
- Möglichkeit 2: Wasserstoffproduktion aus erneuerbaren Energiequellen auf Basis nachwachsender Rohstoffe (Biomassevergasung oder Biogas-Reformierung). Dieses Verfahren funktioniert wie in Möglichkeit 1 beschrieben. Lediglich das fossile Erdgas wird durch Biogas ersetzt.
- Möglichkeit 3: Elektrolyse von Wasser mit Windkraft, Wasserkraft oder Sonnenenergie
Hier wird Wasser durch elektrische Energie in seine Bestandteile, Wasserstoff und Sauerstoff, getrennt.
Wasserstoff kann in flüssiger Form (LH2) bei -253° C in isolierten Spezialtanks oder in gasförmiger Form (CGH2) in Druckbehältern gespeichert werden. Transportiert wird der Wasserstoff je nach Aggregatzustand und Menge über Pipelines oder spezielle Tankwagen.
Die Klima- und Umweltfreundlichkeit hängt von der Herstellungsmethode des Wasserstoffs ab (s. o.). Wird der Wasserstoff mithilfe fossiler Energiequellen produziert, sind der Ressourcenverbrauch und die Emissionen ähnlich wie bei der direkten Verbrennung dieser Energiequellen.
Hinzu kommt noch der Transport des Wasserstoffes zur Verbrauchsstelle. Erfolgt dies mittels Tankwagen, verschlechtert sich die Umwelt- und CO2-Bilanz weiter. Wasserstoff im Gebrauch ist emissionsfrei und es entstehen keinerlei Abgase, Feinstaub oder Stickoxide.
Verwendung von Wasserstoff als Energieträger zum Antrieb für Fahrzeuge
Wasserstofffahrzeuge werden in der Regel mit gasförmigem Wasserstoff, der unter einem Druck von bis zu 700 bar steht, betankt. Die Betankung erfolgt in wenigen Minuten über eine Art Zapfsäule.
Die Fahrzeuge sind mit Brennstoffzellen ausgestattet, in denen der Wasserstoff kontrolliert mit Sauerstoff reagiert. Durch diese Reaktion entsteht elektrische Energie, die den Elektromotor des Fahrzeuges antreibt. Bis dato gibt es jedoch kaum serienmäßig verfügbare Fahrzeuge, die mit Wasserstoff betrieben werden. In Anlage 2 des Beschlusses des Umweltausschusses vom 12.04.2016 „Infrastruktur für Wasserstofffahrzeuge in München ausbauen“ (http://ris03.muenchen.de/RII/RII/ris_vorlagen_dokumente.jsp?risid=3962106) erläutert die SWM GmbH, dass derzeit lediglich zwei Brennstoffzellenfahrzeuge serienmäßig auf dem europäischen Markt verfügbar sind:
- Toyota Mirai: Kosten rund 80.000 EUR (Limousine)
- Hyundai Ix35 FCV: Kosten rund 66.000 EUR (kleiner SUV, 2t GG)
Diese Informationen liegen auch der Vergabestelle 1 vor. Mit serienmäßigen Pkw deutscher Hersteller kann frühestens ab 2017 gerechnet werden.
Überdies ist das Wasserstofftankstellennetz noch wenig ausgebaut. Derzeit sind in Deutschland rund 16 Wasserstofftankstellen in Betrieb, elf weitere im Bau und 25 in Planung (s. hierzu auch Beschluss vom 12.04.2016 „Infrastruktur für Wasserstofffahrzeuge in München ausbauen“).
Im Großraum München gibt es mit Stand von Oktober 2016 zwei öffentlich zugängliche Tankstellen, eine davon in der Detmoldstraße und eine weitere auf dem Gelände der Linde AG in Unterschleißheim. Eine zusätzliche soll demnächst am Flughafen München eröffnet werden, zwei weitere sind in Planung.
Die Kraftstoffkosten liegen bei rund 10 EUR pro 1 kg Wasserstoff. Mit einem Kilogramm Wasserstoff können je nach Fahrweise, Beladung, etc. etwa 100 km zurückgelegt werden.
Projekt BeeZero: Carsharing Konzept mit Wasserstoff der Linde AG
Bee Zero ist ein von der Linde Group initiiertes Carsharing-Angebot (Pilotprojekt), das seit August 2016 in München getestet wird. Ende des Jahres soll eine erste Zwischenbilanz gezogen werden und über die weiteren Schritte entschieden werden.
Die Landeshauptstadt München steht bereits in Kontakt mit der Linde AG und BeeZero. Sowohl das Referat für Arbeit und Wirtschaft, das Kreisverwaltungsreferat, das Referat für Gesundheit und Umwelt als auch mein Büro haben sich schon im Vorfeld mit Linde und BeeZero bezüglich des Carsharing-Systems ausgetauscht. Das Carsharing-System wird beispielsweise von der Linde AG als Maßnahme für den Klimapakt Münchner Wirtschaft (https://www.muenchen.de/rathaus/wirtschaft/nachhaltig-oeko/klimapakt-mu-enchner-wirtschaft.html. Die Landeshauptstadt München hat im Rahmen des Integrierten Handlungsprogrammes Klimaschutz in München den Klimapakt Münchner Wirtschaft gegründet (Schirmherrschaft Bürgermeister Josef Schmid). Teilnehmende Großunternehmen verpflichten sich zur freiwilligen, gemeinsamen Emissionsreduktion von mindestens 40.000 Tonnen Kohlenstoffdioxid bis Ende 2017.) eingebracht, um den Kohlenstoffdioxid-Ausstoß in München zu reduzieren.
Das Carsharing – Pilotprojekt sieht folgendermaßen aus: in der Innenstadt Münchens (Schwabing, Haidhausen, Au, Glockenbachviertel) stehen 50 Fahrzeuge des Typs Hyundai ix35 Fuel Cell zum Verleih zur Verfügung. Das Carsharing-Konzept ist auf längere Fahrten ausgelegt, als die bestehenden Carsharing-Systeme (z. B. Tages- und Wochenendausflüge). Die Reichweite der angebotenen Fahrzeuge wird von BeeZero mit rund 400 km angegeben. Die Fahrzeuge müssen im gleichen Stadtbezirk zurückgegeben werden, in dem sie ausgeliehen wurden.
Nach der einmaligen Registrierung können die Nutzerinnen und Nutzer die Fahrzeuge über eine App oder den Browser ausleihen. Die Mietpreise setzen sich aus einem Zeit- und einem Kilometertarif zusammen und sind inklusive Treibstoff und Versicherung. Die Fahrzeuge müssen derzeit noch vom Betreiber betankt werden, da für die Betankung eine spezielle Schulung erforderlich ist. Hierzu werden die Fahrzeuge von einem Dienstleister zur Tankstelle gefahren, betankt und anschließend wieder zurückgebracht. Geplant ist, dass die Nutzerinnen und Nutzer zukünftig die Möglichkeit haben, die Pkw selbst zu betanken; der genaue Zeitpunkt ist noch nicht absehbar. Für die Betankung der Fahrzeuge in München wird laut Linde ausschließlich regenerativ erzeugter Wasserstoff verwendet.
Stellungnahme des Direktoriums, HA II, Vergabestelle 1 zum Einsatz von wasserstoffbetriebenen Fahrzeugen im städtischen Fuhrpark
Bezugnehmend auf Ihren Antrag hat die Vergabestelle 1 Kontakt mit der Firma BeeZero aufgenommen und einen Termin zum Erfahrungsaustausch vereinbart. Hierbei wurden das Konzept von BeeZero erörtert und Möglichkeiten für einen eventuellen Einsatz im städtischen Fuhrpark diskutiert. Ebenso haben wir uns zu dieser Thematik mit den oben genannten anderen städtischen Referaten ausgetauscht.
Die Kosten der beiden derzeit verfügbaren Pkw liegen deutlich über den durchschnittlichen Anschaffungskosten für städtische Dienstfahrzeuge. Noch Wesentlicher ist jedoch, dass in der Regel als Dienstfahrzeuge keine Limousinen oder SUV, sondern Kleinwagen und leichte Nutzfahrzeuge, beispielsweise für den Transport von Gerätschaften, benötigt werden.
Der Vorteil der lokalen Schadstoff- und CO2-Reduktion durch wasserstoffbetriebene Fahrzeuge kann derzeit kostengünstiger durch batteriebetriebene Elektrofahrzeuge erfüllt werden. Die Vorzüge der höheren Reichweite und kurzen Ladedauer von Wasserstofffahrzeugen gegenüber Elektrofahrzeugen ist für die städtischen E-Fahrzeuge unerheblich, da sie überwiegend weniger als 80 km am Tag fahren und über Nacht geladen werden können.
Neben den hohen Anschaffungskosten der Brennstoffzellenfahrzeuge ist noch zu berücksichtigen, dass die Kraftstoffkosten derzeit noch im Bereich von Benzinfahrzeugen liegen und somit im Gegensatz zu Elektrofahrzeugen hier keine Einsparung erzielt werden kann.
Die Anschaffung eines eigenen wasserstoffbetriebenen Fahrzeuges für den städtischen Fuhrpark ist schon aufgrund des hohen Anschaffungspreises aus heutiger Sicht noch nicht wirtschaftlich. Problematisch ist auch die Betankung des Fahrzeuges, da derzeit nur sehr wenige Tankstellen zur Verfügung stehen und der Tankvorgang nur von geschultem Personal durchgeführt werden darf.
Denkbar wäre für einen ersten Testlauf den Einsatz von wasserstoffbetriebenen Fahrzeugen im Rahmen eines zeitlich begrenzten Pilotprojektes zu testen. Beispielweise über Miete oder als sog. „Shared-Ansatz“, d. h. dass ein oder mehrere Fahrzeuge in der Dienstzeit exklusiv von der Stadtverwaltung genutzt werden können und sie nach Dienstende in einen Carsharing-Pool zurückgehen würden.Die Vergabestelle 1 wird die Einsatzmöglichkeiten prüfen und Kontakt zu möglichen Nutzerdienststellen aufnehmen. Falls eine geeignete Einsatzmöglichkeit gefunden wird, werden die nötigen Schritte eingeleitet und - soweit wirtschaftlich vertretbar - ein Pilotprojekt über einen begrenzten Zeitraum durchgeführt. Nach Abschluss des Projekts würde, in Abhängigkeit von den Projektergebnissen, den umweltpolitischen Vorgaben und der weiteren technischen Entwicklung, die Möglichkeit einer langfristigen Nutzung im städtischen Fuhrpark beurteilt und ggf. die gesamtstädtische Fuhrparkstrategie entsprechend angepasst werden.
Stellungnahme des Referates für Gesundheit und Umwelt
Das Direktorium HA II, VGSt 1 kann den Antrag nur aus Sicht des städtischen Fuhrparks bearbeiten und beantworten. Aus diesem Grund wurde zusätzlich um eine Stellungnahme des Referates für Gesundheit und Umwelt zu den allgemeinen Möglichkeiten der Begleitung und Förderung eines solchen Modellversuches gebeten.
Das RGU UW 111 teilt hierzu Folgendes mit:
Im Mai 2015 hat der Münchner Stadtrat das „Integrierte Handlungsprogramm zur Förderung der Elektromobilität in München“ - kurz IHFEM 2015 beschlossen. Mit diesem Programm werden in den nächsten Jahren eine Reihe von Maßnahmen umgesetzt, um der Elektromobilität als eine zukunftsfähige und nachhaltige Form der Mobilität in München zum Durchbruch zu verhelfen.
Entgegen der Ausführungen im Antrag, liegt bereits heute die gesicherte Reichweite bei reinen batterie-elektrischen Fahrzeugen bei mehr als 100 Kilometern und wird sich in den nächsten Jahren weiterentwickeln und weiter steigen. So ist absehbar, dass nicht nur in der Fahrzeugoberklasse, sondern auch im Volumenmarkt Reichweiten von bis zu 400 Kilometern realisiert werden und ab 2017 erhältlich sind. Mit dem geplanten Ausbau der öffentlichen Ladeinfrastruktur im Münchner Stadtgebiet im Rahmen des IHFEM 2015 sowie mit der geplanten Förderrichtlinie zur Ladeinfrastruktur des Bundesministeriums für Verkehr und digitale Infrastruktur wird der Bedarf an Ladeeinrichtungen bedarfsgerecht gedeckt werden können. Ein Laden über Nacht wird zukünftig nicht als hauptsächliches Hemmnis der Nutzung eines Elektrofahrzeugs entgegenstehen.
Die Landeshauptstadt München setzt bereits heute bei der Versorgung der städtischen Ladeeinrichtungen auf Strom aus regenerativer Energie und ist sich bewusst, dass Elektrofahrzeuge nur dann zur Erreichung der Klimaschutzziele der Stadt beitragen, wenn sie Strom aus erneuerbaren Energien beziehen. Aus diesem Grund fördert die Landeshauptstadt im Rahmen des IHFEM 2015 ausschließliche Ladeeinrichtungen, die nachweislich mit Ökostrom betrieben werden.
Eine Unterstützung von Modellversuchen mit Brennstoffzellen-Fahrzeugen wird im Zuge der Erarbeitung der Fortschreibung des Integrierten Handlungsprogramms zur Förderung der Elektromobilität in München (IHFEM 2018) vom Referat für Gesundheit und Umwelt geprüft. Dabei muss ein Abgleich mit bestehenden Förderprogrammen erfolgen, beispielsweise mit dem Nationalen Innovationsprogramm Wasserstoff- und Brennstoffzellentechnologie (NIP). Bei der Förderung der Brennstoffzellen-Technologie ist weiterhin zu prüfen, inwiefern mit dieser Technologie die Klimaschutzziele der Landeshauptstadt München erreicht werden können in Anbetracht der Tatsache, dass die energieintensive Herstellung sowie der aufwendige Transport und die Verteilung des Wasserstoffs für den Betrieb der Fahrzeuge heute noch mit hohen indirekten Emissionen verbunden ist. Auch Brennstoffzellenfahrzeuge sind nur dann ökologisch sinnvoll, wenn der bezogene Wasserstoff unter Verwendung erneuerbarer Energiequellen hergestellt wird.
Von den vorstehenden Ausführungen bitte ich Kenntnis zu nehmen und gehe davon aus, dass die Angelegenheit damit abgeschlossen ist.