Aussagekraft und Realitätsnähe des Mietspiegels erhöhen Einrichtung einer Expertenkommission
Antrag Stadträte Fritz Schmude und Andre Wächter (ALFA – Allianz für Fortschritt und Aufbruch) vom 19.9.2016
Antwort Sozialreferentin Dorothee Schiwy:
Nach § 60 Abs. 9 GeschO dürfen sich Anträge ehrenamtlicher Stadtratsmitglieder nur auf Gegenstände beziehen, für deren Erledigung der Stadtrat zuständig ist. Sie beantragen die Einrichtung einer Expertenkommission aus Vertretern der Wissenschaft, des Stadtrats, des Haus- und Grundbesitzervereins, des Mieterschutzbundes und evtl. weiterer relevanter Gruppen, um die Aussagekraft des Mietspiegels für München zu verifizieren und ggf. zu verbessern.
Der Inhalt des Antrages betrifft eine laufende Angelegenheit, deren Besorgung nach Art. 37 Abs. 1 GO und § 22 GeschO dem Oberbürgermeister obliegt. Eine beschlussmäßige Behandlung der Angelegenheit im Stadtrat ist daher rechtlich nicht möglich.
Zu Ihrem Antrag vom 16.9.16 teile ich Ihnen in der Sache aber gerne Folgendes mit:
Sie weisen darauf hin, dass in zwei Münchner Tageszeitungen Mietpreise veröffentlicht wurden, die sich erheblich von den Werten des aktuellen Mietspiegels für München 2015 unterscheiden.
Hierzu ist auszuführen:
Während die online durchgeführten Umfragen der Presse keinen Anspruch auf Repräsentativität erheben und die gesammelten Daten nicht überprüfbar sind (z.B. durch Einblick in den jeweiligen Mietvertrag), werden bei der Mietspiegelerhebung des Sozialreferates persönliche Interviews mit den Mieterinnen und Mietern geführt, so dass die gesammelten Daten zur Miethöhe anhand des Mietvertrags bzw. des aktuellsten Mieterhöhungsschreibens auch nachprüfbar sind. Es ist darüber hinaus nicht die gesetzliche Aufgabe des Mietspiegels, tagesaktuelle Neuvermietungsmieten abzubilden: In § 558 Absatz 2 des Bürgerlichen Gesetzbuchs (BGB) ist ausdrücklich geregelt, dass die vom Mietspiegel ausgewiesene „ortsübliche Vergleichsmiete“ sämtliche Mieten umfassen muss, die „in den letzten vier Jahren neu vereinbart bzw. geändert worden sind“. Da somit in den Mietspiegel auch diejenigen Mieten einfließen, die im Vier-Jahres-Zeitraumerstmals seit längerer Zeit erhöht wurden und trotz Ausschöpfens der sog. Kappungsgrenze von 15 Prozent (vgl. § 558 Abs. 3 BGB) deutlich unter der ortsüblichen Miete liegen, ist es offensichtlich, dass die Durchschnittswerte des Mietspiegels unter der aktuellen Marktmiete liegen müssen.
Die gesetzlichen Regelungen zum Mieterhöhungsverfahren im Rahmen der ortsüblichen Vergleichsmiete stellen einen Kompromiss zwischen Vermieter- und Mieterinteressen dar:
Als Ausgleich dafür, dass im Wohnraummietrecht seit 1971 keine „Änderungskündigung“ zur Durchsetzung erhöhter Mieten mehr zulässig ist, hat der Gesetzgeber ein förmliches Mieterhöhungsverfahren entwickelt, das auf dem Begriff der „ortsüblichen Vergleichsmiete“ basiert. Hierdurch wird den Vermieterinnen und Vermietern garantiert, durch ein praktikables Verfahren Mieterhöhungen im Rahmen der „ortsüblichen Vergleichsmiete“ durchzusetzen. Im Interesse der Mieterinnen und Mieter hat der Gesetzgeber jedoch bewusst darauf verzichtet, der Vermieterseite bei bestehenden Mietverhältnissen das Recht einzuräumen, im Rahmen einer Mieterhöhung die aktuelle Marktmiete geltend zu machen, die bei Neuvermietungen erzielt werden kann. Diesem Zweck diente zum Einen die Einführung des Vier-Jahres-Zeitraums, zum Anderen die sog. Kappungsgrenze. Es liegt daher ein Missverständnis vor, wenn bei Presseveröffentlichungen (z.B. durch Interessenverbände) der Eindruck erweckt wird, dass die Werte des Mietspiegels unerklärlicherweise hinter den „tagesaktuellen Mietpreisen“ zurückbleiben: Die gesetzliche Vorgabe zur Erstellung des Mietspiegels lässt gar kein anderes Ergebnis zu. Der Mietspiegel für München 2015 führt nicht zu einer „Marktverzerrung“, das Sozialreferat der Landeshauptstadt München beachtet vielmehr schlicht und einfach die gesetzlichen Grundlagen der Mietspiegelerstellung. Ich weise zusätzlich darauf hin, dass mit dem Marktforschungsinstitut TNS Deutschland sowie dem Lehrstuhl für Statistik der Ludwig-Maximilians-Universität (LMU) zwei anerkannte und vertrauenswürdige Institute mit der Erstellung des aktuellen Mietspiegels für München 2015 beauftragt wurden. Die Aussage eines Interessenverbandes, die Stadt „wehre sich gegen jegliche Einsichtnahme“, trifft nicht zu. Soweit rechtlich zulässig, wurden und werden Auskünfte zur Erhebung und Analyse der Mietspiegeldaten erteilt.
Die Verbände wurden bereits bisher in verschiedenen Stadien der Mietspiegelerstellung um Mitarbeit gebeten bzw. zur Stellungnahme aufgerufen. Zunächst wurden die Interessenverbände aufgefordert, an der Gestaltung des Fragebogens teilzunehmen, der den Mieterinnen und Mietern im Rahmen der Datenerhebung für den Mietspiegel vorgelegt wurde. Sowohlbei der Neuerstellung der Wohnlagenkarte als auch bei der Gestaltung der einzelnen Zu- und Abschlagsmerkmale wurden die Münchner Mietervereine sowie der Haus- und Grundbesitzerverein um Stellungnahme gebeten und aufgefordert, Anregungen einzubringen. Eine darüber hinausgehende Mitarbeit der Verbände ist aus meiner Sicht unrealistisch, da bei dem derzeit herrschenden Mietwohnungsmarkt in München die Interessen der Verbände von Vermietern und Mietern zu weit auseinanderliegen. Ich möchte in diesem Zusammenhang darauf hinweisen, dass ein Mietspiegel von den Interessenverbänden der Vermieter und Mieter auch gemeinsam erstellt und anerkannt werden könnte (§ 558c Abs. 1 BGB). Von dieser Möglichkeit haben die Verbände bislang keinen Gebrauch gemacht. Mit dem Lehrstuhl für Statistik der LMU (Prof. Dr. Kauermann), der mit der Analyse der Mietspiegeldaten betraut wurde, ist gesichert, dass neueste wissenschaftliche Erkenntnisse für die Erstellung des Mietspiegels nutzbar gemacht werden. Beispielhaft möchte ich hierbei auf die Einführung zweier „zentraler Wohnlagen“ im Mietspiegel für München 2015 hinweisen, die in nachvollziehbarer Weise zum Ausdruck bringen, dass der Mietpreis auch davon abhängt, ob die Wohnung im Zentrum oder in einem Außenbezirk liegt. Die Tatsache, dass der Mietspiegel für München von den Münchner Instanzgerichten (Amts- und Landgericht) regelmäßig als Beweismittel im Mieterhöhungsverfahren anerkannt wird, unterstreicht die Akzeptanz der Mietspiegelerstellung.
Aus meiner Sicht ist die Berufung einer Expertenkommission, um den Mietspiegel „realitätsnäher“ zu gestalten, dafür weder geeignet noch erforderlich, da der Mietspiegel aufgrund der gesetzlichen Vorgaben niemals die „tagesaktuelle Lebenswirklichkeit“ widerspiegeln kann. Auch die derzeit in Bundesrat und Bundestag diskutierten Änderungen bei der Mietspiegelerhebung (z.B. Verlängerung des vierjährigen Erhebungszeitraums) werden nicht dazu führen, dass sich in Zukunft tagesaktuelle Neuvermietungspreise im Mietspiegel finden werden.
Das Sozialreferat wird auch in Zukunft in Zusammenarbeit mit Experten auf dem Gebiet des Münchner Wohnungsmarkts (z.B. Referat für Stadtplanung und Bauordnung) und im Erfahrungsaustausch mit anderen Kommunen mit vergleichbaren Wohnungsmärkten (z.B. Frankfurt a.M.) bestrebt sein, Mietspiegel zu erstellen, die die gesetzlichen Anforderungen an einen wissenschaftlich erstellten Mietspiegel erfüllen.
Ich hoffe, auf Ihr Anliegen hinreichend eingegangen zu sein. Ich gehe davon aus, dass die Angelegenheit damit abgeschlossen ist.