Verletzung der Würde von Opfern (neo-)nazistischer Gewalttaten durch Versammlungen an sensiblen Orten
Anfrage Stadtrats-Mitglieder Gülseren Demirel, Jutta Koller und Dominik Krause (Fraktion Bündnis 90/Die Grünen/Rosa Liste) vom 29.9.2015
Antwort Kreisverwaltungsreferent Dr. Wilfried Blume-Beyerle:
Herr Oberbürgermeister Reiter hat mir Ihre Anfrage vom 29.9.2015 zur Beantwortung überlassen.
Inhaltlich teilten Sie Folgendes mit:
„Vor einigen Monaten versuchten Neonazis anlässlich des NSU-Prozess- auftakts, mit einer Kundgebung die Familien und Angehörigen der Opfer dieser neonazistischen Gewalttaten zu verhöhnen. Während der Eröff- nung des NS-Dokumentationszentrums – zu der auch zahlreiche Opfer der Shoah und deren Familienangehörige geladen waren – fand direkt in Ruf- und Hörweite eine neonazistische Kundgebung statt. Und nicht zuletzt können im Rahmen von ‚Pegida‘ neuerdings diverse wegen Rechtsterro- rismus verurteilte Neonazis an Orten aufmarschieren, denen eine in Bezug auf den deutschen Nationalsozialismus gewichtige Symbolkraft zukommt. Zwar sind die rechtlichen Grundlagen unterschiedlich, dennoch wird in allen Fällen die Würde von Opfern von nazistischen und neonazistischen Gewalttaten mit Füßen getreten. Es gilt hier die richtige Balance zu finden, um das in Deutschland zurecht sehr hoch verankerte Recht auf Versamm- lungsfreiheit zu wahren, andererseits aber auch die Würde von Opfern und Angehörigen der Opfer der Shoah sowie aktueller nazistischer und rassisti- scher Gewalttaten, beispielsweise durch örtliche oder zeitliche Verlegung von Versammlungen.“
Ihre im Zusammenhang gestellten Fragen 1 a) – c) sowie 2 a) – b) können wir folgendermaßen beantworten:
Frage 1:
Orte, denen ein an die nationalsozialistische Gewalt- und Willkürherrschaft erinnernder Sinngehalt mit gewichtiger Symbolkraft zukommt: a) Was ist in diesem Fall die gesetzliche Grundlage und wann wurde diese auf den Weg gebracht? Was war aus Sicht des KVRs die damalige Inten- tion des Gesetzgebers? Wurde die Landeshauptstadt München bei der Einführung des entsprechenden Artikels konsultiert und zielte man dabei auf bestimmte Plätze ab?Antwort:
Nach Art. 15 Abs. 2 Nr. 1 a) und b) der aktuell gültigen Fassung des Bayerischen Versammlungsgesetzes (BayVersG) kann eine Versammlung insbesondere dann beschränkt oder verboten werden, wenn die Versammlung an einem Ort stattfindet, dem ein an die nationalsozialistische Gewalt- und Willkürherrschaft erinnernder Sinngehalt mit gewichtiger Symbolkraft zukommt und darüber hinaus durch sie entweder eine Beeinträchtigung der Würde der Opfer zu besorgen ist oder aber eine unmittelbare Gefahr einer erheblichen Verletzung grundlegender sozialer oder ethischer Anschauungen besteht.
Die gewichtige Symbolkraft des Ortes kann dabei zum einen aus dem Gewicht der Ereignisse erfolgen, die an diesem Ort während der Zeit des Nationalsozialismus stattgefunden haben und die dem Ort dadurch noch eine heute bekannte historische Bedeutung verleihen. Die Symbolkraft kann sich aber auch aus bewussten Akten des Gedenkens neuerer Zeit ergeben, die die Erinnerung an nationalsozialistisches Leid und Unrecht an diesem Ort wachhalten wollen.
In den Anwendungshinweisen zum Bayerischen Versammlungsgesetz
des Bayerischen Staatsministeriums vom 29.9.2008 sind exemplarisch für München der Platz vor der Feldherrnhalle oder ganz allgemein Gedenkstätten für Opfer oder einzelne Gruppen von Opfern der nationalsozialistischen Gewalt- und Willkürherrschaft, insbesondere Gedenkstätten für ehemalige, von den Nationalsozialisten zerstörte Synagogen aufgeführt.
Der Freistaat Bayern hat mit dem am 1. Oktober 2008 in Kraft getretenen Bayerischen Versammlungsgesetz (BayVersG) als erstes Bundesland von der neuen Gesetzgebungskompetenz für die Länder Gebrauch gemacht. Eine Intention des Gesetzgebers war unter anderem dabei, dass das bisher anwendbare Versammlungsgesetz des Bundes (VersG) nur unzulängliche Antworten auf bedenkliche Entwicklungen in den rechtsextremistischen Bereichen gab, wie beispielsweise bei den Besonderheiten rechtsextremistischer Aufmärsche.
Das Bayerische Staatsministerium des Innern hat das Kreisverwaltungsreferat bereits am 7. Juni 2005 gebeten, bayerische „Gedenkstätten“ im Sinne von § 15 Abs. 2 VersG und von sog. „beruhigten Zonen“ zu benennen.
Dem Stadtrat wurden daraufhin vom Kreisverwaltungsausschuss am
14. Juli 2005 als Antwort auf die Anfrage des Bayerischen Staatsministe-riums Örtlichkeiten für das Stadtgebiet München für die beschlussmäßige Befassung in der Vollversammlung vorgestellt. Dabei bestand Einigkeit, dass in München keine Gedenkstätten im Sinne des § 15 Abs. 2 VersG vorhanden sind. Bei der folgenden Aufzählung handelt es sich um sog. „beruhigte Zonen“ im Sinne des ehemals für Bayern gültigen VersG:
-Platz vor der Feldherrnhalle
-Königsplatz mit näherer Umgebung (Arcisstraße, Meiserstraße, Briennerstraße und Platz der Opfer des Nationalsozialismus)
-Geschwister-Scholl-Platz
-Professor-Huber-Platz
-Maxburg-/Herzog-Max-Straße
-Orte zentraler Einrichtungen ehemaliger Verfolgter des NS-Regimes, insbesondere der Israelitischen Kultusgemeinde
In der 10. Sitzung des Verwaltungs- und Rechtsausschusses des Bayerischen Städtetags am 4. Oktober 2005 in München wurde unter TOP 1 das Thema „Berücksichtigung von Gedenkstätten und beruhigten Zonen im Versammlungsrecht“ diskutiert.
Frage 1b:
Was ist aus Sicht des Kreisverwaltungsreferats das Problem bei der An- wendung des zugrunde liegenden Gesetzesartikels? Wie sähe eine ge- nauer spezifizierte Formulierung aus, die an der Feldherrnhalle und dem Königsplatz und unter Umständen dem Platz der Opfer des Nationalsozia- lismus sowie dem Geschwister-Scholl-Platz Anwendung finden könnte? Sieht das Kreisverwaltungsreferat durch eine genauere Spezifizierung die Gefahr, damit über die ursprüngliche Intention hinausgehende Einschrän- kungen des Versammlungsrechts zu ermöglichen?
Antwort:
Die Erwartung des Gesetzgebers, auf der Grundlage des Art. 15 Abs. 2 BayVersG rechtsextremistische Versammlungen nicht nur leichter beschränken, sondern insgesamt verbieten zu können, hat sich bislang nicht erfüllt. Durch die Schaffung des Art. 15 Abs. 2 BayVersG hat sich die Eingriffsschwelle des Art. 15 Abs. 1 BayVersG resp. vormals § 15 Abs. 1 VersG nicht verringert, sondern es kommt dieser Eingriffsnorm ein eher deklaratorischer Charakter zu.
Zu der Tatbestandsvoraussetzung, dass es sich bei einer von der Veranstalterin bzw. dem Veranstalter angezeigten Örtlichkeit im Sinne des Art. 15 Abs. 2 BayVersG um einen NS-symbolträchtigen Ort handelt, mussein weiterer Tatbestand ursächlich hinzutreten, nämlich dass durch einen Zusammenhang zwischen der Wahl dieses Ortes und des Themas sowie der Modalitäten eine Besorgnis der Beeinträchtigung der Würde der Opfer bzw. eine Verletzung grundlegender sozialer und ethischer Anschauungen einhergeht.
Soweit die Tatbestandsverwirklichung auf Redebeiträge und sonstige Äußerungen gestützt wird, ist verfassungsrechtlich zu berücksichtigen, dass der Inhalt einer Meinungsäußerung, der im Rahmen des Art. 5 Abs. 2 GG nur unter sehr engen Voraussetzungen unterbunden werden darf, grundsätzlich nicht zur Rechtfertigung von Maßnahmen herangezogen werden kann, die das Grundrecht des Art. 8 GG beschränken. Meinungen genießen den Schutz des Art. 5 Abs. 1 Satz 1 GG in einer Art und Weise, ohne dass es dabei auf deren Begründetheit, Werthaltigkeit oder Richtigkeit ankäme. Geschützt sind in diesem Zusammenhang nach der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtes München vom 9. November 2015 selbst rechtsextreme Meinungen oder Äußerungen, die auf eine grundlegende Änderung der politischen Ordnung zielen, unabhängig davon, ob und wie weit sie im Rahmen der grundgesetzlichen Ordnung durchsetzbar sind.
Der Bayerische Verwaltungsgerichtshof geht hier noch einen Schritt weiter und stellt in seinem Beschluss vom 2. März 2015 fest: „Die Freiheit zur kollektiven Meinungskundgabe, die auch und vor allem andersdenkenden Minderheiten zugutekommt, ist für die freiheitliche demokratische Staatsordnung konstituierend und wird im Vertrauen auf die Kraft der freien öffentlichen Auseinandersetzung grundsätzlich auch den Gegnern der Freiheit gewährt.“
Das Bundesverfassungsgericht urteilt im Zusammenhang mit rechtsextremistischen Versammlungen, dass das Grundgesetz „kein allgemeines antinationalsozialistisches Grundprinzip, das ein Verbot der Verbreitung rechtsradikalen oder auch nationalsozialistischen Gedankenguts schon in Bezug auf die geistige Wirkung seines Inhalts erlaube“, kenne.
Das bedeutet für Beschränkungen von rechtsextremistischen Versammlungen, dass eine weitreichende Beschränkung nach Art. 15 BayVersG beispielsweise im Sinne eines Verbots oder einer örtlichen und zeitlichen Verlegung nur dann in Betracht kommt, wenn die Versammlung dem Zweck dient, das nationalsozialistische Regime in den Jahren von 1933 bis 1945 in seiner Gesamtheit propagandistisch gut zu heißen. Dieser Tatbestand wird laut Rechtsprechung auch dann für erfüllt angesehen, wenn die Versammlung sich durch ihr Gesamtgepräge mit den Riten und Symbolen der natio-nalsozialistischen Gewaltherrschaft identifiziert und durch das Wachrufen der Schrecken des vergangenen totalitären und unmenschlichen Regimes andere Bürgerinnen und Bürger einschüchtert.
Als Gesamtergebnis kann zwar konstatiert werden, dass die in Frage 1 b) aufgezählten Orte Feldherrnhalle, Königsplatz, Platz der Opfer des Nationalsozialismus sowie Geschwister-Scholl-Platz nach der geltenden Rechtslage mit hoher Rechtssicherheit als NS-symbolträchtig im Sinne von Art. 15 Abs. 2 BayVersG klassifiziert werden können. In der Praxis ermangelte es aber in der jüngeren Vergangenheit nach Auffassung der Verwaltungsgerichte stets am Kausal- bzw. Zurechnungszusammenhang zwischen der Versammlung, d.h. ihrem Thema, der Art und Weise ihrer Durchführung oder dem gewählten Zeitpunkt, und der Besorgnis für die Beeinträchtigung der Würde der Opfer bzw. der Verletzung grundlegender sozialer und ethischer Anschauungen der Bevölkerung. Ein Vorgehen nach Art. 15 Abs. 2 BayVersG ist somit nur dann möglich, wenn die Versammlung ein rechtsextremes Gepräge aufweist, das den erforderlichen Zusammenhang zu den symbolträchtigen Orten herstellen könnte.
Inwieweit eine weitere Spezifizierung des Wortlauts des BayVersG in Bezug auf eine restriktivere und rechtssichere Handhabung hinsichtlich rechtsextremer Versammlungen verfassungsrechtlich konform wäre, kann von der Versammlungsbehörde nur zurückhaltend beurteilt werden. Bereits jetzt geht das BayVersG in seinem Wortlaut deutlich über das VersG hinaus. Dies hat jedoch, wie eingangs zu Frage 1 b) dargestellt, nicht zu einer Absenkung der Eingriffsschwelle bzgl. rechtsextremistischer Versammlungen geführt. Es erscheint daher zumindest zweifelhaft, ob eine weitere tatbestandliche Einengung des BayVersG einer verfassungsrechtlichen Überprüfung durch das Bundesverfassungsgericht standhalten würde bzw. ob dadurch ein faktischer Gewinn in der unmittelbaren Rechtsanwendung erzielt werden könnte. Das Grundrecht der Versammlungsfreiheit wird durch das Grundrecht der Meinungsfreiheit und der gesamten normierten Rechtsordnung ausgestaltet. Hoffnung besteht darin, dass zumindest mittelbar durch die Verschärfung der Auslegung von Straftatbeständen die versammlungsrechtliche Eingriffsschwelle niedriger gesetzt wird. Das Bundesverfassungsgericht hat im Jahre 2005 den Straftatbestand der Volksverhetzung nach § 130 Abs. 4 StGB als verfassungsimmanente Schranke des Art. 5 Abs. 2 GG (und damit mittelbar für Art. 8 GG) eingeordnet, die der propagandistischen Gutheißung des nationalsozialistischen Regimes in den Jahren 1933 bis 1945 Grenzen setzt. Die Befürwortung dieser Herrschaft sei – so das Gericht – in Deutschland ein Angriff auf die Identität des Gemeinwesens nach innen mit friedensbedrohlichem Potential.Frage 1c:
Laut Sprecher des Bayerischen Innenministeriums (siehe SZ vom 20.9. „Kein Mittel gegen Rechts“) ist der entsprechende Gesetzesartikel bereits „exakt so formuliert, dass er den Vorgaben des Bundesverfassungsge- richts entspricht“. Teilt das KVR diese Einschätzung oder bestehen durchaus mögliche Handlungsoptionen?
Antwort:
Das Kreisverwaltungsreferat teilt die Auffassung des Bayerischen Innenministeriums, dass das BayVersG hinsichtlich der Möglichkeiten der Eingriffe in die Versammlungsfreiheit, gerade wenn sie sich schwerpunktmäßig gegen die Meinungsfreiheit richten, aktuell an seine verfassungsrechtlichen Grenzen stößt.
Dabei ist jedoch zu berücksichtigen, dass die Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts sowie der Verwaltungsgerichte notwendigerweise auf aktuelle und politische Gegebenheiten und Paradigmenwechsel dynamisch reagieren müssen und sich damit für die unmittelbare Rechtsanwendung und -interpretation Spielräume eröffnen. Wie bereits im Zusammenhang mit der Verschärfung der Auslegung des § 130 Abs. 4 StGB dargestellt, liegt der Kernpunkt für inhaltsbezogene Eingriffe in die Versammlungsfreiheit in der verfassungsrechtlichen Konformität einer konkreten Einschränkung des Grundrechts der Meinungsfreiheit als Schranke für die Versammlungsfreiheit selbst. Die Einschränkung der Meinungsfreiheit unterliegt einem qualifizierten Gesetzesvorbehalt und kann nur durch ein allgemeines Gesetz eingeschränkt werden. Befinden sich rechtsextreme Äußerungen knapp unterhalb der Schwelle der Strafbarkeit nach § 130 Abs. 4 StGB, können sie nach Auffassung des Kreisverwaltungsreferates, insbesondere auch im Zusammenspiel mit der Art und Weise der Durchführung, gleichwohl einen erheblichen Eingriff in die öffentliche Ordnung darstellen. Ob eine solche Verletzung der öffentlichen Ordnung jedoch ausreichend ist, beschränkende Verfügungen zu erlassen, ist letztendlich der Prüfung des Einzelfalls vorbehalten.
Unabhängig davon ist das Kreisverwaltungsreferat im Rahmen seiner Möglichkeiten bestrebt, einen Dialog mit dem Deutschen Städtetag, dem Staatsministerium des Innern, für Bau und Verkehr sowie über den Kreisverwaltungsausschuss mit dem Stadtrat zu führen bzw. herzustellen, um ggf. eine Novellierung des BayVersG hinsichtlich einer rechtssicheren Handhabung von rechtsextremistischen Versammlungen zu unterstützen bzw. anzustoßen.So hat sich beispielsweise das Kreisverwaltungsreferat im Sommer dieses Jahres beim Staatsministerium des Innern, für Bau und Verkehr bezüglich der Schließung von Regelungslücken in der versammlungsrechtlichen Vollzugspraxis in der Bestimmung des Art. 22 BayVersG und bei den Zuständigkeiten bei Dauermahnwachen eingebracht.
Frage 2:
Verletzung der Würde von Opfern nazistischer Gewalt und deren Angehö- rigen wie beim Beginn des NSU-Prozesses und der Eröffnungsfeier des NS-Dokuzentrums:
a) Was ist in diesem Fall die gesetzliche Grundlage?
Antwort:
Die gesetzliche Grundlage bildete bei der von der Versammlungsbehörde verfügten örtlichen Verlegung im Rahmen des NSU-Prozesses Art. 15 Abs. 1 BayVersG sowie bei der zeitlichen Verlegung bzgl. des NS-Dokumentationszentrums der speziellere Art. 15 Abs. 2 Nr. 1 Buchstaben a) und b) und subsidiär Art. 15 Abs. 1 BayVersG.
Eine Versammlung kann nach Art. 15 Abs. 1 BayVersG insbesondere dann beschränkt oder verboten werden, wenn nach den zur Zeit des Erlasses der Verfügung erkennbaren Umständen die öffentliche Sicherheit oder Ordnung bei der Durchführung der Versammlung unmittelbar gefährdet ist.
Die öffentliche Sicherheit umfasst hierbei die Individualrechtsgüter Leben, Gesundheit, Freiheit, Ehre, Eigentum und Gemeinschaftsrechtsgüter der Integrität der Rechtsordnung, Bestand und Funktionsfähigkeit des Staates und seiner Einrichtungen sowie die tragenden Prinzipien der verfassungsmäßigen Ordnung.
Unter öffentlicher Ordnung sind dabei die ungeschriebenen Verhaltensregeln, deren Einhaltung nach den Vorstellungen der Menschen im jeweiligen Rechtsraum für ein geordnetes staatsbürgerliches Zusammenleben unverzichtbar sind, zu verstehen.
Das Merkmal „Würde“ bezeichnet den besonderen Wert- und Achtungsanspruch, der dem Menschen wegen seines Menschseins zukommt und
der es verbietet, ihn zum bloßen Objekt des Staates zu machen oder ihn einer Behandlung auszusetzen, die seine Subjektqualität prinzipiell in Frage stellt.Frage 2b:
Was ist aus Sicht des Kreisverwaltungsreferats das Problem bei der An- wendung des zugrunde liegenden Gesetzesartikels? Wie sähe eine ge- nauer spezifizierte Formulierung aus? Sieht das Kreisverwaltungsreferat die Gefahr damit über die ursprüngliche Intention hinausgehende Ein- schränkungen des Versammlungsrechts zu ermöglichen?
Antwort:
Auch hier gelten die zur Rechtssystematik des Versammlungsrechts in Frage 1 b) vorgetragenen Ausführungen analog.
Insofern ist auch an dieser Stelle festzuhalten, dass eine Verschärfung des BayVersG in Bezug auf rechtsextremistische Versammlungen nur unter sehr engen Voraussetzungen möglich ist. Die Versammlungsfreiheit ist stets im Lichte der Bedeutung der Meinungsfreiheit zu beurteilen. Daher steht und fällt eine Verschärfung des BayVersG mit der Interpretation und Auslegung der Meinungsfreiheit. Eine Änderung des BayVersG wäre mithin dann nicht erforderlich, sofern beispielsweise rechtsextremistische Redebeiträge als strafrechtlich relevant eingestuft werden. Das Verwaltungsgericht München hat in seiner Entscheidung vom 9. November 2015 bzgl. einer „Pegida-Versammlung“ dazu festgestellt, dass der Inhalt einer Meinungsäußerung, der im Rahmen des Art. 5 GG nicht unterbunden werden darf, nicht zur Rechtfertigung von Maßnahmen herangezogen werden kann, die das Grundrecht des Art. 8 GG beschränken. Geschützt seien – in den Schranken des Art. 5 Abs. 2 GG – selbst rechtsextremistische Meinungen (BVerfG, Beschluss vom 4.2.2010 – 1 BvR 369/04, 1 BvR 370/04, 1 BvR 371/04 – juris Rdnr. 25) oder Meinungen, die auf eine grundlegende Änderung der politischen Ordnung zielen, unabhängig davon, ob und wie weit sie im Rahmen der grundgesetzlichen Ordnung durchsetzbar seien. Sie würden den Grundrechtsschutz auch dann nicht verlieren, wenn sie scharf und überzogen geäußert werden. Der Gesetzgeber habe in den allgemeinen Gesetzen, insbesondere den Strafgesetzen, Beschränkungen des Inhalts von Meinungsäußerungen an nähere tatbestandliche Voraussetzungen gebunden. Versammlungsgesetzliche Befugnisnormen zur Unterbindung von Meinungskundgabe in kollektiver Form könnten nur herangezogen werden, wenn die Ablehnung oder Verunglimpfung von
Grundwerten in agressiver-kämpferischer Weise erfolge. So reiche allein der Umstand, dass eine rechtsextremistische Gruppierung beispielsweise am Holocaust-Gedenktag eine Versammlung durchführe, nicht in grundrechtlich tragfähiger Weise für eine Versammlungsbeschränkung gem. Art. 15 BayVersG.Die von der Versammlungsbehörde verfügten Beschränkungen hinsichtlich einer örtlichen bzw. zeitlichen Verlegung wurden von den Verwaltungsgerichten im Eilverfahren aufgehoben, wobei vom Bayerischen Verwaltungsgerichtshof im Beschluss vom 29. April 2015 offen gelassen wurde, ob es sich beim NS-Dokumentationszentrum um einen NS-symbolträchtigen Ort im Sinne von Art. 15 BayVersG handelt, nachdem das Verwaltungsgericht München dies erstinstanzlich bejaht hatte. Der Bayerische Verwaltungsgerichtshof hat diese Frage in seinem Beschluss deswegen nicht weiter verfolgt, weil er diesen Tatbestand für die Entscheidung unerheblich hielt, da er keine Besorgnis einer Beeinträchtigung für die Würde der Opfer bzw. keine Gefahr für eine Verletzung der sozialen und ethischen Anschauungen der Bevölkerung durch die Versammlung sah.
Der Bayerische Verwaltungsgerichtshof führte in der Begründung seines Beschlusses vom 2. März 2015 zum NSU-Prozess insbesondere aus,
dass für das Gericht nicht hinreichend erkennbar gewesen war, dass die streitbefangene Versammlung eine eindeutige Stoßwirkung gegen das Gedenken der Angehörigen an die Todesopfer des NSU-Terrors aufgewiesen hat. Weder das Versammlungsthema bzw. das gewählte Motto noch die gewürdigten konkreten Begleitumstände hätten ein die Menschenwürde absprechendes Verhalten hinreichend sicher erkennen lassen.