Betreuungsstandards unbegleiteter minderjähriger Flüchtlinge
Anfrage Stadtrats-Mitglieder Cetin Oraner und Brigitte Wolf (Die Linke) vom 28.9.2016
Antwort Sozialreferentin Dorothee Schiwy:
In Ihrer Anfrage vom 28.9.2016 führen Sie Folgendes aus:
„Die missliche Situation im Stadtjugendamt aufgrund der langfristigen Erkrankung der Leiterin des Stadtjugendamtes, der beamtenrechtlichen Komplikationen und die daraus resultierende schwierige Situation für die kommissarische Leitung sind hinlänglich bekannt und verständlich.
Ebenso ist bekannt – und verdient auch eine angemessene Würdigung – mit welchem Engagement sich die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter den Herausforderungen in Zusammenhang mit dem deutschlandweit einmaligen enormen Zustrom an Geflüchteten, insbesondere der Vielzahl unbegleiteter minderjähriger Flüchtlinge (umF) gewidmet haben.
Aktuell nur durch Presseveröffentlichungen bekannt geworden ist der Abschluss verschiedener Verträge zur Sozialbetreuung unbegleiteter Min- derjähriger (uM) mit einem – angeblich – außerordentlich günstigen Betreuungsschlüssel.“
Das Sozialreferat konnte die in der Geschäftsordnung festgeschriebene Frist zum einen aufgrund personeller Engpässe nicht einhalten. Zum anderen mussten die Ergebnisse des Revisionsberichtes in dieser Sache abgewartet werden.
Für die gewährten Fristverlängerungen bedanken wir uns.
Zu Ihrer Anfrage vom 28.9.2016 nimmt das Sozialreferat im Auftrag des Herrn Oberbürgermeisters im Einzelnen wie folgt Stellung:
Frage 1:
Welche Standards gelten im Stadtjugendamt für die Betreuung der verschiedenen Zielgruppen?
Antwort:
Für Jugendhilfeeinrichtungen, in denen Kinder und Jugendliche nicht nur vorübergehend außerhalb des Elternhauses wohnen, ist vom Träger in jedem Fall vor Inbetriebnahme eine Betriebserlaubnis bei der Regierung von Oberbayern/Heimaufsicht gemäß § 45 ff. SGB VIII einzuholen.
Je nach Zielgruppe und ausgerichtet an der Konzeption einer Einrichtung werden Mindeststandards u. a. hinsichtlich der personellen Ausstattung und der Betreuungszeit festgelegt.
Unterschiede ergeben sich beispielsweise aufgrund des Alters und dem damit verbundenen Entwicklungsstand der zu Betreuenden, aber auch aufgrund des unterschiedlichen Betreuungsbedarfs der Kinder und Jugendlichen.
Eine Unterscheidung in der Betreuung von Kindern und Jugendlichen mit oder ohne Fluchthintergrund sieht das SGB VIII nicht vor.
Im Rahmen einer am Bedarf orientierten Tagesstruktur werden die Kinder und Jugendlichen verpflegt und erhalten eine medizinische Versorgung. Weiterhin erfolgen Schul- und Bildungsangebote sowie Angebote zur Freizeitgestaltung.
Für die Zielgruppe der unbegleiteten Minderjährigen (uM) erfolgt zudem eine Aufklärung zu ihrer besonderen rechtlichen Situation im Hinblick auf die Umsetzung des § 42a ff. SGB VIII (vorläufige Inobhutnahme).
Frage 2:
Der übliche Betreuungsschlüssel für schwierige Jugendliche reicht von 1:1 bis 1:2; woher kam der Betreuungsschlüssel von 1:5 bei den umFs vor Ab- schluss der neuen Verträge?
Frage 3:
Warum wurde bei der aktuellen Änderung des Betreuungsschlüssels für umFs auf 1:2,5 der Stadtrat nicht befasst?
Antwort zu Frage 2 und 3:
Diesbezüglich wird auf die Beschlussvorlage im Kinder- und Jugendhilfeausschuss vom 31.1.2017 sowie in der Vollversammlung vom 15.2.2017 jeweils in nicht-öffentlicher Sitzung verwiesen.
Frage 4:
Wie wurde der Betreuungsschlüssel trotz des stark schwankenden Zustroms jugendlicher Geflüchteter 2015/16 ermittelt, wie kann ein längerfristig tragfähiger Schlüssel aussehen?
Antwort:
Ausgehend von den Zugangszahlen 2014 und 2015 wurden bereits zum Jahresende 2015 Prognosen der möglichen Zugangszahlen für das Jahr 2016 erstellt. Hierzu wurden sowohl die abteilungsinternen Controlling-möglichkeiten genutzt als auch die Zahlen und Prognosen, die die Regierung von Oberbayern, das Bayerische Staatsministerium für Arbeit und Soziales und beispielsweise das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge erhoben hatten.
Basierend auf diesen Prognosen wurde eine notwendige Anzahl an Unterbringungsmöglichkeiten des sogenannten Übergangswohnens sowie die dafür erforderlichen personellen Ressourcen vorgehalten.
Parallel dazu wurde mit Beschluss vom 25.2.2016 durch den Stadtrat die Inbetriebnahme des Young Refugee Center (YRC) beschlossen. Das YRC dient der Erstaufnahme und Erstversorgung aller neu ankommenden Flüchtlinge, die angeben, minderjährig zu sein.
Das Young Refugee Center arbeitet gemäß Betriebserlaubnis, die die Regierung von Oberbayern/Heimaufsicht erteilt hat. Die personellen Ressourcen richten sich nach den Standards, die üblicherweise in Schutzstellen/ Inobhutnahmestellen Anwendung finden. Hierbei wird von der Anzahl der angebotenen Bettplätze ausgegangen und der dafür erforderlichen personellen Ausstattung in Verbindung mit der tatsächlichen Belegung. Es ist zudem zu berücksichtigen, dass Schutzstellen nicht zu 100% ausgelastet sein dürfen, da sonst im Notfall keine Inobhutnahme möglich wäre. In der Gruppe für Kinder (u14) und in der Gruppe, in der kranke Kinder und Jugendliche (ISO-Gruppe) betreut werden bzw. Kinder und Jugendliche, die aufgrund einer ansteckenden Krankheit zeitlich befristet gesondert untergebracht werden müssen, erfolgt eine entsprechend höhere personelle Ausstattung.
Die Zahl der neu ankommenden unbegleiteten Minderjährigen lässt sich nur bedingt vorhersagen. Aus diesem Grund bedarf es – basierend auf den Erfahrungen aus den Vorjahren – einer vorausschauenden Haltung im Hinblick auf die Schaffung von Unterbringungsmöglichkeiten sowie im Sinne der Prävention der Vorhaltung von personellen Ressourcen, so dass den Bestimmungen der Heimaufsicht Rechnung getragen werden kann und
Standards eingehalten werden können.
Frage 5:
Wurden auch in anderen Bereichen der sozialen Arbeit fachliche Standards reduziert?
Antwort:
Die enorm hohen Zugangszahlen in den Jahren 2014 und 2015 führten in nahezu allen Bereichen zu einer temporären Standardabsenkung, in denen mit minderjährigen und jungen volljährigen Flüchtlingen gearbeitet wurde.Auf Anfrage teilte die Abteilung S-III-MF/UF, Wohnen und Betreuen von unbegleiteten minderjährigen und heranwachsenden Flüchtlingen Folgendes mit:
„Konzeptionell wurden die Betreuungsschlüssel bei MF/UF in dieser Zeit nicht herab gesenkt, allerdings führte die Situation in der Stellenbesetzung zu ähnlich gelagerten Auswirkungen. Die Schwierigkeit, geeignetes Personal zu akquirieren und die Stellen entsprechend der Einhaltung von standardisierten Betreuungsschlüsseln zu halten, wirkte sich auch auf unseren Bereich aus. So kam es vor allem im Jahr 2015 für mindestens sechs Monate zu mehreren nicht besetzten Stellen im Bereich Wohnen.“
Es bleibt festzuhalten, dass eine Standardabsenkung notgedrungen dann gegeben war, wenn die Kriterien eines sogenannten Krisenmodus erfüllt waren und gleichzeitig aufgrund administrativer Vorgaben die notwendigen personellen Ausstattungen nicht korrespondierend mit den Zugangszahlen erfüllt werden konnten.