Entwicklung der nachhaltigen Beschaffung der Landeshauptstadt München darlegen und weitere Verbesserungsvorschläge einbringen
Anfrage Stadtrats-Mitglieder Herbert Danner, Katrin Habenschaden, Sabine Krieger und Hep Monatzeder (Fraktion Die Grünen/Rosa Liste) vom 9.6.2017
Antwort Oberbürgermeister Dieter Reiter:
Auf Ihre Anfrage vom 9.6.2017 nehme ich Bezug.
In Ihrer Anfrage haben Sie folgenden Sachverhalt vorausgeschickt: Der Stadtrat hat sich der nachhaltigen Beschaffung und Auftragsvergabe verpflichtet. Durch verschiedene Stadtratsbeschlüsse wurden Vorgaben für die Zukunft und Richtlinien für die Verwaltung festgelegt. Eine Schulung im Bundesministerium des Innern hat gezeigt, dass die dortigen Richtlinien mit den städtischen deckungsgleich sind. Die praktische Umsetzung gestaltet sich jedoch teils schwierig. Sie verweisen auf eine Internetseite der NaturFreunde Deutschland e. V. (www.nfmonitor.de), nach deren Auswertung im Zeitraum vom 25.03.2015 bis 22.05.2017 von 975 Ausschreibungen nur 14,1 Prozent nachhaltig gewesen wären.
Zu den im Einzelnen gestellten Fragen kann ich Ihnen Folgendes mitteilen:
Frage 1:
Wie wird bei den Ausschreibungen der Punkt der Nachhaltigkeit beachtet und in die Vergabe miteinbezogen?
Antwort:
Der Begriff der Nachhaltigkeit ist nicht eindeutig und schematisch definiert. Vielmehr gibt es je nach Zusammenhang eine Vielzahl von Definitionen und Aspekten, die im Zusammenhang mit dem Begriff der Nachhaltigkeit genannt werden (Ökologie, soziale Aspekte, Qualität und Langlebigkeit eines Produkts etc.). Die Frage lässt sich daher schon aus dem Aspekt des nicht vorhandenen einheitlichen Begriffsverständnisses so schematisch kaum beantworten.
Auch ist die Bandbreite an Waren und Dienstleistungen, die die Landeshauptstadt München ausschreibt, sehr groß. Die Frage nach der Nachhaltigkeit bei einer Ausschreibung kann daher fachlich tiefergehend immer nur bezogen auf das jeweilige Produkt bzw. die Dienstleistung beantwortetwerden. Beispielsweise spielen bei der Ausschreibung von Fahrzeugen (Kraftstoffverbrauch etc.) andere Nachhaltigkeitsaspekte eine Rolle als bei der Ausschreibung von Papier (Recyclingquote etc.) oder Reinigungsdienstleistungen (tarifgerechte Vergütung etc.). Generelle Aussagen zur Berücksichtigung der Nachhaltigkeit sind nur schwer möglich.
Die Kompetenzstelle nachhaltige Beschaffung (KNB), angesiedelt beim Beschaffungsamt des Bundesministeriums des Innern, definiert nachhaltige Beschaffung wie folgt: „Unter nachhaltiger Beschaffung durch öffentliche Auftraggeber versteht man einen Prozess, Produkte und Dienstleistungen zu beschaffen, die von der Herstellung bis zur Entsorgung, unter Berücksichtigung sozialer, ökologischer und ökonomischer Aspekte, geringere Folgen für die Umwelt haben, als vergleichbare Produkte und Dienstleistungen“.
Nach der Definition der Plattform Kompass Nachhaltigkeit, ein Projekt des Bundesministeriums für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung (BMZ) und der Gesellschaft für Internationale Zusammenarbeit (GIZ), soll nachhaltige Beschaffung die Einhaltung von sozialen und ökologischen (Mindest-)Anforderungen über die komplette Lieferkette auf der Basis ökonomischer Nachhaltigkeit sicherstellen. Dies umfasst die Planung, Umsetzung und Überwachung der notwendigen Instrumente und Abläufe zur Durchsetzung von Nachhaltigkeitsstandards bei Lieferanten.
Schon diese beiden Definitionen zeigen die große Bandbreite und die Betroffenheit verschiedenster Aspekte bei der nachhaltigen Beschaffung, die eine kurze schematische Beantwortung verhindert.
Trotz des vielfältig definierbaren Begriffs der nachhaltigen Beschaffung berücksichtigt die Stadt seit vielen Jahren bei der Beschaffung nachhaltige Kriterien und fördert im Rahmen ihrer rechtlichen und tatsächlichen Möglichkeiten den fairen Handel. Nach wie vor ist es aber in vielen Bereichen auf Grund teils langer Lieferketten schwierig bis nahezu unmöglich, die Einhaltung nachhaltiger Kriterien zu überprüfen und durchgängig sicher zu stellen. Insofern sind gegenüber den Darstellungen in der Beschlussvorlage vom 27.01.2016 (Sitzungsvorlage Nr. 14-20 / V 04519) keine signifikanten Änderungen eingetreten.
Wie in anderen deutschen Kommunen erfolgt die Weiterentwicklung der nachhaltigen Beschaffung bei der Stadt produktorientiert. Die Stadt berücksichtigt für viele Produktgruppen und Dienstleistungen strategische, ökologische und soziale Beschaffungsziele und -vorgaben. Die Ziele sindabhängig von den jeweiligen Produkten bzw. Produktgruppen (z. B. Arbeits- und Dienstkleidung, Beleuchtung, Blumen, Büromaterial und -ausstattung, Elektrotechnik und -geräte, Fahrzeugtechnik, Holz, Hygieneartikel, IT, Lebensmittel, Natursteine, Papier, genährte Sportbälle, Textilien, Werkzeuge). Je nach Produkt bzw. Produktgruppe wird geprüft, ob und welche Nachweise oder Zertifikate zur Verfügung stehen, wie weit die Lieferkette zurück verfolgt werden kann und ob es unabhängige Kontroll- und Zertifizierungsstellen gibt.
Die Stadt beachtet bei Beschaffungen die von der Bayerischen Staatsregierung bekannt gemachten Richtlinien über die Berücksichtigung von Umweltgesichtspunkten bei der Vergabe öffentlicher Aufträge (Umweltrichtlinien Öffentliches Auftragswesen – öAUmwR) und die Bekanntmachung zur Vermeidung des Erwerbs von Produkten aus ausbeuterischer Kinderarbeit. Ein (Landes-)Vergabegesetz, in dem die nachhaltige Beschaffung definiert werden könnte, gibt es in Bayern nicht.
In der städtischen Beschaffungsordnung (BeschO) ist festgelegt, dass bei der Bedarfsermittlung, -prüfung und -begründung neben den Kriterien Notwendigkeit, Zweckmäßigkeit und Wirtschaftlichkeit auch stadtinterne Regelungen wie die Vergabeermächtigung durch Stadtratsbeschluss, umweltbezogene Aspekte (z. B. biologisch erzeugte Lebensmittel), soziale Belange (z. B. Entgeltgleichheit von Frauen und Männern, Fair-Trade), Arbeits- und Gesundheitsschutz zu beachten sind. Dem Gesichtspunkt des Umweltschutzes ist dabei besonders Rechnung zu tragen. Soweit wirtschaftlich vertretbar, sind umweltfreundliche Produkte zu beschaffen.
Im ökologischen Bereich werden daher je nach Produkt und Einzelfall beispielsweise Anforderungen wie Umweltverträglichkeit, Langlebigkeit, Reparaturfreundlichkeit, Ressourcenschonung, niedrige Emissionen, geringe Gefahrenstoffe und Abfälle, Energieeffizienz und Wiederverwertbarkeit als Kriterien in die Ausschreibung integriert. Im Bereich der sozialverantwortlichen Beschaffung werden internationale Sozialstandards der Internationalen Arbeitsorganisation (IAO oder ILO) wie beispielsweise „keine ausbeuterische Kinderarbeit (ILO 182)“ oder „gleiche Entlohnung für Frauen und Männer“ und die Einhaltung der internationalen Standards des fairen Handels bei Waren aus Asien, Afrika und Lateinamerika berücksichtigt.
Im Vollzug des Beschlusses des Stadtrats vom 27.01.2016 (Sitzungsvorlage Nr. 14-20 / V 04519) werden einzelne Beschaffungsprozesse produktorientiert begleitet und unterstützt.Der Stadtrat hat in der Vollversammlung vom 19.10.2016 einen Beschluss zur Beschaffung von Einsatzkleidung (Persönlicher Schutzausrüstung PSA) für die Berufsfeuerwehr und die Freiwillige Feuerwehr München gefasst (Sitzungsvorlage Nr. 14-20 / V 07016). Im Rahmen einer zuvor durchgeführten Markterkundung wurden sechs namhafte Hersteller von Brandschutzkleidung in Europa (Deutschland, Dänemark, Österreich und Schweiz) angeschrieben und nach ihren Ansätzen zu einer sozial gerechten und ökologischen Textilproduktion befragt. Ein besonderer Fokus wurde auf die Einhaltung der ILO-Kernarbeitsnormen entlang der gesamten Produktionskette gelegt. Die Befragung ergab, dass die Hersteller dies in der Regel zusichern und nachweisen können. In der europaweiten Ausschreibung soll daher die Einhaltung der ILO-Kernarbeitsnormen entlang der gesamten Lieferkette gefordert werden.
Seit 2014 arbeitet die Stadt mit der Christlichen Initiative Romero e. V. (CIR) zusammen. Mit fachlicher Unterstützung der CIR wurden beispielsweise einige Ausschreibungen für Textilien durchgeführt.
Für ihr vorbildliches Engagement wurde die Stadt mit dem „Bayerischen Eine Welt Preis 2016“ in der Kategorie „Kommunen“ ausgezeichnet. Gewürdigt wurde die „Weiterentwicklung der nachhaltigen Beschaffung der Landeshauptstadt und der Förderung des fairen Handels in München“. In einem feierlichen Festakt überreichte die Staatsministerin für Europaangelegenheiten und regionale Beziehungen, Frau Dr. Beate Merk, am 30. April 2016 den Preis. Dieser Preis ist mittlerweile die vierte Auszeichnung Münchens im Bereich sozialverantwortliche Beschaffung und fairer Handel in den vergangenen Jahren.
Seit 2013 besitzt München den Titel „Fairtrade Stadt“, welcher im Jahr 2015 um weitere 4 Jahre verlängert wurde.
Frage 2:
Wie überprüft die Landeshauptstadt München die Einhaltung der Beschlüsse von nachhaltiger Beschaffung?
Antwort:
Auf Grund der dezentralen Ressourcenverantwortung entscheiden in der Stadtverwaltung die Bedarfsstellen bzw. die Referate über ihren konkreten Bedarf (was z. B. an Büromobiliar benötigt wird, weiß die jeweilige Dienststelle besser als eine Zentralstelle). Dabei berücksichtigen die Referate auch die vom Gesetzgeber bzw. vom Stadtrat aufgestellten Regelungen. Zudem beraten die zentralen Vergabestellen, genauso wie die Klimaschutzmanagerinnen und Klimaschutzmanager, die Fachstellen wie der Fachdienst für Arbeitssicherheit, die Fachstelle Eine Welt, der Fachbereich Biostadt oder die Gleichstellungsstelle für Frauen, die Dienststellen zu ökologischen oder sozialen Aspekten der Bedarfsdeckung. Somit ist gewährleistet, dass bereits bei der Bedarfsermittlung, aber auch im Rahmen des Ausschreibungsvorgangs, soweit sinnvoll und möglich, ökologische, qualitative oder soziale Aspekte sowie die entsprechenden Stadtratsbeschlüsse zur nachhaltigen Beschaffung beachtet werden.
Derzeit prüft das Referat für Gesundheit und Umwelt die Möglichkeiten der Etablierung eines Indikators zur nachhaltigen Beschaffung für künftige Nachhaltigkeitsberichte. Dies geschieht im Austausch mit anderen Kommunen und nationalen Fachstellen. Zudem prüft das Referat für Gesundheit und Umwelt, in welcher Art und Weise das Themenfeld „Nachhaltige Konsum- und Produktionsmuster“, inklusive einer nachhaltigen Beschaffung, im Kontext der Nachhaltigkeitsberichterstattung aufgegriffen werden kann.
Aus gegebenem Anlass möchte ich auf die geplante Beschlussfassung des Stadtrats zur Umstellung der dieselbetriebenen Pkw und Nutzfahrzeuge des städtischen Fuhrparks auf alternative Antriebe hinweisen. Im Vollzug des Beschlusses wird der städtische Fuhrpark, soweit möglich und wirtschaftlich vertretbar, auf alternative Antriebsarten umgestellt. Über die Entwicklungen bei der Beschaffung von elektrisch angetriebenen Fahrzeugen in der Hoheitsverwaltung und den städtischen Gesellschaften wird dem Stadtrat voraussichtlich alle zwei Jahre berichtet werden.
Die Überprüfung der Einhaltung der Beschlüsse des Stadtrats zur nachhaltigen Beschaffung ist vielschichtig und über den gesamten Beschaffungsprozess verteilt.
Frage 3:
Wie kann es dazu kommen, dass von 975 Ausschreibungen nur 14,1 Prozent nachhaltiger Natur waren oder liegen der Landeshauptstadt München andere Zahlen vor?
Antwort:
In dem vom Referat für Gesundheit und Umwelt 2016 geförderten Projekt „Monitoring der Beschaffungsmaßnahmen der Stadt unter dem Aspekt der Nachhaltigkeit“ der Naturfreunde Deutschland e. V. wurde versucht, ein software-basiertes Monitoring aller Beschaffungsmaßnahmen der Stadt umzusetzen. Dabei sollten alle Ausschreibungenvon Beschaffungsmaßnahmen der Stadt erfasst und der Anteil der nachhaltigen Beschaffungen ermittelt werden.
Das Projekt hat zur nachhaltigen kommunalen Beschaffung interessante Anregungen und Impulse geliefert. Die rein softwarebasierte Lösung des entwickelten Monitoring-Instruments erfüllt die Zielsetzung jedoch nur ansatzweise und zeigt in der Anwendung ihre Grenzen. Der ermittelte nachhaltige Anteil an Ausschreibungen von 14,1 Prozent kann daher nicht als absolut angenommen werden.
Wie in den Antworten zu den Fragen 1 und 2 dargestellt, gibt es für den Begriff der nachhaltigen Beschaffung nur grobe Definitionen und die Nachhaltigkeit ist produktbezogen zu sehen. Der Begriff der Nachhaltigkeit lässt sich daher nur sehr schwer mit exakten mathematischen Formeln berechnen, sondern ist inhaltlich wertungsbedürftig. Die Umrechnung in Prozentpunkte wird dabei den tatsächlichen Begebenheiten und vielfältigen Bemühungen der Stadt nicht gerecht.
Frage 4:
Was gedenkt die Landeshauptstadt München gegen diese geringe Erfüllung des, vom Stadtrat beschlossenen, Vorsatzes der Nachhaltigkeit zu tun?
Antwort:
Es wird auf die Antwort zu Frage 3 verwiesen. Ein geringer Erfüllungsgrad ist nicht gegeben und der genannte Prozentsatz sowie dessen Berechnung fragwürdig.
Frage 5:
In welchem Zeitraum ist es möglich, eine wirklich nachhaltige Beschaffung der Landeshauptstadt München zu verwirklichen?
Antwort:
München verwirklicht bereits eine nachhaltige Beschaffung in vielen Bereichen und ist vielfach Vorreiter. Die Stadt wird sich auch weiterhin für die Einhaltung ökologischer und sozialer Kriterien beim Kauf von Produkten und Dienstleistungen einsetzen und weiterentwickeln. Mit den Herstellern und Firmen wird die Stadt, wie in der Vergangenheit auch, im engen Kontakt bleiben und gemeinsam die nachhaltige Beschaffung vorantreiben.
Aus diesem Grund plant ganz aktuell das Referat für Gesundheit und Umwelt gemeinsam mit der Klimaschutzmanagerin der Vergabestelle 1 im Rahmen der Fortschreibung des „Integrierten Handlungsprogramms Klimaschutz in München (IHKM)“ die Entwicklung einer eintägigen Basis-Schulung zur nachhaltigen Beschaffung. Diese Schulung ist sowohl für Bedarfsstellen (dienststellenbezogen) als auch für Vergabestellen geplant. Ziel der Schulung ist es, Wissen und Kompetenz zu vermitteln, um zukünftig soziale und ökologische Aspekte bei der Beschaffung durch alle Beteiligte noch stärker zu berücksichtigen und in die Vergabeverfahren einzubeziehen.
Ich bitte Sie, von den vorstehenden Ausführungen Kenntnis zu nehmen und hoffe, Ihre Anfrage damit zufriedenstellend beantwortet zu haben.