Reale Werte der NO2-Belastung für Münchens Bürger*innen offenlegen
Anfrage Stadtrats-Mitglieder Herbert Danner, Dominik Krause, Sabine Krieger und Dr. Florian Roth (Fraktion Die Grünen/Rosa Liste) vom 16.5.2017
Antwort Referentin für Gesundheit und Umwelt Stephanie Jacobs:
Am 16.05.2017 haben Sie die schriftliche Anfrage „Reale Werte der NO2-Belastung für Münchens Bürger*innen offenlegen“ gestellt. Ihrer Anfrage liegt folgender Sachverhalt zu Grunde:
„Die LH München ist zusammen mit dem Freistaat Bayern vom Baye- rischen Verwaltungsgerichtshof dazu verpflichtet worden, zeitnah effiziente Maßnahmen zum Schutz der Bürger*innen vor NO2-Emissionen zu ergreifen und für die Einhaltung der Grenzwerte zu sorgen. Kürzlich veröffentlichte Messergebnisse an Münchner Schulen in der Nähe von Hauptstraßen kamen zum Ergebnis, dass die 40 μg/m³ Grenzwerte für die Stickoxidbelastung meist überschrit ten wurden.
Das Bayerische Verwaltungsgericht hat in seinem Urteil vom Februar 2017 einen klaren Fahrplan zur Verbesserung der Situation vorgegeben. So muss die LH München als erste Stufe bis zum 29.6. 2017 alle Straßenabschnitte in München veröffentlichen, an denen der NO2-Jahresmittelwert überschritten wird.
Das Gericht erwartet hier sicherlich reale Werte. Allerdings erfolgt die Berechnung der Emissionen dieser Straßen bundesweit nach einem einheitlichen Modell, das sowohl den Straßenschluchtcharakter als auch die Emissionen der Fahrzeuge einbezieht. Bei letzterem fließen unseres Wissens nach die Werte der im Testbetrieb der Automobilkonzerne nach dem NEFZ-Fahrzyklus für die Typenzulassung ermittelten Emissionen in die Berechnungssoftware ein. Spätestens nach dem Diesel-Gate ist bekannt, dass die Werte im Realbetrieb um ein Vielfaches über diesen (Fake-) Laborwerten liegen. Ab September 2017 werden für die Typenzulassung die Emissionswerte nach dem RDE-Prüfverfahren (Real Driving Emissions) ermittelt. Bis 2020 dürfen die Grenzwerte jedoch noch um 110% überschritten werden, nach 2020 wird eine Überschreitung von 50% noch toleriert. Für Lastkraftwagen, die eine Zulassung nach Euro VI beantragen, wird bereits seit 2011 der Ausstoß der Stickstoffoxide im realen Fahrbetrieb auf der Straße gemessen. Auch diese Werte liegen jedoch in der Realität deutlich höher, da die AdBlue-Manipulation bei LKWs weit verbreitet ist. Das führt zu einer Verfälschung der Angaben und es wird 1. nur ein Bruchteil der zu hoch belasteten Straßenabschnitte ermittelt und 2. die Belastung der aufgeführten Straßenabschnitte deutlich zu gering dargestellt.Dies trifft auch auf die derzeit im Netz verfügbaren Karten und ihre veröffentlichten Werte zu, die ebenfalls nicht mit Emissionswerten aus dem Realbetrieb gespeist sind.“
Herr Oberbürgermeister Reiter hat mir Ihre Anfrage zur Beantwortung zugeleitet. Zunächst einmal bitte ich um Nachsicht für die verspätete Antwort, die aufgrund eines Büroversehens nach Fertigstellung und Freigabe nicht im Juni ausgelaufen ist.
Der Bayerische Verwaltungsgerichtshof hat in der Verwaltungsstreitsache Deutsche Umwelthilfe e.V. gegen den Freistaat Bayern wegen der Änderung des Luftreinhalteplans für die Landeshauptstadt München Vollstreckung gegen den Freistaat aus verwaltungsgerichtlichem Urteil im Beschluss vom 27.02.2017 unter Punkt II festgelegt:
„1. Dem Beklagten wird ein Zwangsgeld in Höhe von 2.000 Euro angedroht, falls er bis zum Ablauf des 29. Juni 2017 der Öffentlichkeit kein vollständiges Verzeichnis aller Straßen(abschnitte) im Gebiet der Beigeladenen zugänglich macht, an denen der in § 3 Abs. 2 der 39. Verordnung zur Durchführung des Bundes-Immissionsschutzgesetzes festgesetzte Immissionsgrenzwert nach dem aktuellsten dem Beklagten zur Verfügung stehenden Erkenntnisstand überschritten wird.“ Beklagter ist der Freistaat Bayern, die Landeshauptstadt München war Beigeladene. Insofern liegt es in der Zuständigkeit des Freistaates Bayern und nicht bei der Landeshauptstadt München die o.a. Entscheidung umzusetzen.
Der Freistaat hat durch die Regierung von Oberbayern am 18.07.2017 ein Straßenverzeichnis und eine Straßenkarte mit Überschreitungen des NO2-Grenzwertes in München veröffentlicht. Dem Münchner Stadtrat wurden die Dokumente umgehend in der Sitzung des Umweltausschusses
am gleichen Tag sowie mit Ergänzung der Sitzungsvorlage Nr. 14 – 20 / V 09397 für die Vollversammlung am 26.07.2017 zur Verfügung gestellt. Wie im Umweltausschuss am 18.07.2017 bereits ausgeführt, war eine vertiefte Prüfung der Straßenkarte noch nicht möglich, da dem Referat für Gesundheit und Umwelt die detaillierten Eingangs- und Ergebnisdaten des der Karte zugrundeliegenden Berechnungsmodells noch nicht zur Verfügung gestellt wurden. Um jedoch ein möglichst realistisches Bild der Luftqualität im Stadtgebiet zu erhalten und auch zukünftige Entwicklungen beobachten zu können, wird das Referat für Gesundheit und Umwelt nach oben genanntem Beschluss der Vollversammlung am 26.07.2017 ergänzende Messungen durchführen und die Ergebnisse in Berechnungsmodellen aufbereiten lassen.
Das Referat für Gesundheit und Umwelt hat das für die am 18.07.2017 veröffentlichten Dokumente fachlich zuständige Bayerische Landesamt fürUmwelt um eine Stellungnahme zu den folgenden Einzelfragen Ihrer Stadtratsanfrage gebeten.
Frage 1:
Auf welcher Basis werden die Emissionswerte, die den Berechnungen zugrunde liegen, ermittelt (RDE-Prüfverfahren, NEFZ-Fahrzyklus, Messwerte, vom Umweltbundesamt neu (Mai 2017) ermittelte Emissionswerte von Dieselfahrzeugen)?
Frage 2:
Werden bei der Berechnung die Toleranzwerte mit berücksichtigt?
Frage 3:
Werden die berechneten Werte durch Testmessungen einer Plausibilitätsprüfung unterzogen? Falls nein: weshalb nicht?
Frage 4:
Wenn keine realistischen Werte verwendet werden: Welchen Multiplikationsfaktor müsste man ansetzen, um zu realistischen Werten zu kommen?
Antwort:
Die einzelnen Fragen wurden vom Bayerischen Landesamt für Umwelt wie folgt zusammenfassend beantwortet:
„Ziel von Immissionsberechnungen ist es, die Belastungssituation so realitätsnah wie möglich abzubilden. Eine Voraussetzung dafür ist die Ermittlung der fahrzeugbedingten Emissionen. Im realen Fahrbetrieb können deutlich höhere Emissionen im Vergleich zu den Grenzwerten der Euro-Abgasnormen, die am Prüfstand eingehalten werden müssen, auftreten. Aus diesem Grund werden für Immissionsberechnungen stets sogenannte Emissionsfaktoren verwendet, die das reale Fahrverhalten besser widerspiegeln. In der dazu vom Umweltbundesamt veröffentlichten Datenbank „Handbuch für Emissionsfaktoren des Straßenverkehrs“ HBEFA sind die Kfz-Emissionsfaktoren in definierten Verkehrssituationen hinterlegt. Das HBEFA wird regelmäßig aktualisiert und stellt sowohl fahrzeugspezifische Emissionsfaktoren als auch Informationen zur mittleren Flottenzusammensetzung für unterschiedliche Bezugsjahre bereit. Am 25.04.2017 wurde die Version 3.3 des HBEFA als „Zwischenupdate“ veröffentlicht. Für diese Aktualisierung des HBEFA 3.3 wurden die mögli- chen Auswirkungen des 2015 bekannt ge wordenen Diesel-Skandals auf die NOX-Emissionsfaktoren von Diesel-Pkw untersucht. Danach ergeben sich für Diesel-Pkw im Realbetrieb höhere NOX-Emissionen gegenüber der Version 3.2 des HBEFA (Informationen unter http://www.umweltbundesamt.at/en/hbefa/). Die Emissionsfaktoren des HBEFA 3.3 müssen zunächst in die gängigen Berechnungsprogramme, die zur Ermittlung der Immissionen verwendet werden, integriert werden. Damit ist frühestens im zweiten Halbjahr 2017 zu rechnen. Erst danach können Berechnungen mit dieser Version durchgeführt werden. Für die Veröffentlichung der Straßenabschnitte in München, die bereits Ende Juni erfolgen soll, wurde die zum Zeitpunkt der Berechnungen aktuell gültige Version 3.2 des HBEFA verwendet. Um die erneut bekannt gewordenen Abweichungen im Realbetrieb der Fahrzeuge besser abzubilden, wurden deshalb über dieses Handbuch hinaus für Diesel-Pkw Euro 6 Zuschlagsfaktoren angesetzt. In die Berechnungen fließen neben den Emissionsfaktoren viele andere Faktoren (Meteorologie, Verkehrsstärke, Verkehrsfluss, Bebauungsstruktur usw.) ein, die gewissenhaft erhoben werden müssen. Durch Untersuchungen des Landesamt für Umwelt (LfU) wurde nachgewiesen, dass Berechnungen und Messungen von Stickstoffdioxid (NO2) eine gute Übereinstimmung zeigen und im Sinne der Datenqualitätsziele der Verordnung über Luftqualitätsstandards (39. BImSchV) belastbar sind. Weiteres entnehmen Sie bitte den Dokumenten, die zur Erfüllung des Tenor 1 des Beschlusses des Bayerischen Verwaltungsgerichtshofs vom 27.02.2017 demnächst veröffentlicht werden.“