Zur Vorbereitung auf das Gespräch zum Thema Luftreinhaltung am 4. September im Bundeskanzleramt hat Oberbürgermeister Dieter Reiter an die Bundeskanzlerin und Kanzleramtschef Peter Altmaier folgenden Brief geschickt:
„Sie haben mich gebeten, beim Gespräch zum Thema Luftreinhaltung als Eingangsstatement die zentralen Gesichtspunkte aus Münchner Sicht darzulegen. Erlauben Sie mir, Ihnen diese zur Vorbereitung vorab schriftlich zu übermitteln.
Ich begrüße, dass ein Austausch zwischen den verantwortlichen Ebenen und den betroffenen Kommunen stattfindet. Es ist der richtige und überfällige Rahmen, um die - positiv formuliert - große Herausforderung der Luftreinhaltung anzupacken.
Lassen Sie mich klar betonen: der Gesundheitsschutz der Münchner Bevölkerung hat für mich in der Gesamtdebatte als Oberbürgermeister höchste Priorität.
Wie Sie vielleicht wissen, ist München besonders von einer hohen Luftbelastung durch NO2 betroffen. An der wohl inzwischen bundesweit bekannten Messstation an der Landshuter Allee wurde 2016 der zulässige Jahresgrenzwert für Stickstoffdioxid von 40 µg/m3 mit dem Wert von 80 µg/m3 um das Doppelte überschritten.
Der Diesel-Verkehr ist an dieser Stelle mit 91Prozent der lokalen Immissionsbelastung auch eindeutig der Hauptverursacher. Eine Mitte Juli veröffentlichte und im Auftrag des Bayerischen Landesamtes für Umwelt erstellte Berechnung hat zudem eine Grenzwertüberschreitung an 24 Prozent des 511 Kilometer langen Hauptverkehrsstraßennetzes in München festgestellt. Es handelt sich also nicht um ein lokales, punktuelles, sondern um ein stadtweites Problem an 24 Prozent der Hauptverkehrsachsen. Festhalten möchte ich, dass die Grenzwerte für Feinstaub dank unserer erfolgreichen Umweltzone seit 2012 eingehalten werden können. Doch für eine Reduzierung der Luftbelastung durch NO2 ist der Handlungsbedarf sehr hoch.
Dieser Handlungsdruck wird durch verschiedene laufende Gerichtsverfahren noch erhöht.
Die Zuständigkeit für die Luftreinhaltung in der Landeshauptstadt München liegt beim Freistaat Bayern. Dieser wurde bereits 2012 zu einer Verschärfung des entsprechenden Luftreinhalteplans rechtskräftig verurteilt. Für München wurde zudem das umfassende Paket von 20 Maßnahmen in der seit Dezember 2015 gültigen 6. Fortschreibung des Luftreinhalteplans als nicht ausreichend erachtet.
Zuletzt wurde der Freistaat in einem Vollstreckungsverfahren am 27.02.2017 dazu verpflichtet, bis 31.12.2017 ein vollzugsfähiges Konzept vorzulegen, das auch Diesel-Fahrverbote beinhaltet.
Der Bayerische Verwaltungsgerichtshof sowie alle weiteren befassten Gerichte in Deutschland erachten Dieselfahrverbote zur Einhaltung der Grenzwerte und damit zum Gesundheitsschutz der Menschen für unerlässlich. Ich als Oberbürgermeister möchte Fahrverbote selbstverständlich möglichst vermeiden.
Die Landeshauptstadt München betreibt seit vielen Jahren eine sehr aktive Umweltpolitik.
- Die Münchner Umweltzone hat seit ihrer Einführung 2008 und mit den stufenweisen Verschärfungen dazu geführt, dass mit der ausgelösten Flottenerneuerung die Feinstaubbelastung kein Problem mehr darstellt. Wesentliche Treiber waren auch die „Abwrackprämie“ des Bundes sowie die technische Nachrüstung der Fahrzeuge.
- München betreibt intensiv den Ausbau des ÖPNV. Die 2.S-Bahn-Stammstrecke wird vom Freistaat Bayern und der Deutschen Bahn AG endlich gebaut, der U-Bahn-Ausbau ist in Vorbereitung, die Kapazitäten bei Bus und Tram werden kontinuierlich ausgebaut.
- Die Landeshauptstadt München fördert die Elektromobilität bis 2020 mit insgesamt 60 Millionen Euro zudem freiwillig aus eigenen kommunalen Mitteln. Bis dahin werden 1.000 Ladepunkte auf öffentlichem Grund errichtet. Ebenfalls bis 2020 wird mindestens eine E-Buslinie in vollem Betrieb sein.
Die Landeshauptstadt stellt ihren städtischen Fuhrpark flächendeckend auf E-Fahrzeuge bzw. emissionsärmere Diesel-Fahrzeuge um. Ferner wurde ein städtisches Programm zur Bezuschussung von E-Taxis aufgelegt. Außerdem fördert die Landeshauptstadt den Umstieg auf leichte E-Fahrzeuge und E-Pedelecs sowie die Errichtung von Ladeinfrastruktur auf privatem Grund.
- Es erfolgt eine kontinuierliche Fortschreibung des Verkehrsentwicklungsplans und des Nahverkehrsplans
- Der Verkehrsfluss wird soweit wie möglich optimiert.
Dennoch reichen die Maßnahmen nicht aus, um die Grenzwerte für Stickstoffdioxid in München einhalten zu können.
Es muss festgehalten werden, dass die Diesel-Emissionen von Bussen im öffentlichen Nahverkehr lediglich 4 Prozent des NO2-Aufkommens ausmachen. Zudem gibt es in München lediglich 3.300 Taxikonzessionen. Die NO2-Belastung wird zu 72,5 Prozent durch Diesel-PKW verursacht. Es ist also zwar richtig, dass die Kommunen den „selbstverursachten“ Verkehr im Blick haben, maßgebliche Wirkung kann jedoch ausschließlich eine umfängliche Nachrüstung beziehungsweise Erneuerung sämtlicher betroffener Diesel-KFZ entfalten.
Auch die neueste Untersuchung des Umweltbundesamtes gibt wenig Anlass zur Hoffnung, dass die von der Automobilindustrie zugesagten Software-Updates eine wesentliche Verbesserung der Situation bringen könnten.
Am Beispiel der genannten Landshuter Allee wurde berechnet, dass sich der Wert von 80 µg/m3 durch eine Softwarelösung um lediglich 5 auf 75µg/m3 reduzieren würde.
Um Missverständnisse zu vermeiden: jede Reduzierung ist willkommen. Doch der große Durchbruch ist das bei weitem nicht, wenn wir den einzuhaltenden Grenzwert von 40 µg/m3 erreichen wollen und müssen.
Die Situation ist unbefriedigend, weil mit den derzeit diskutierten Maßnahmen eine zeitnahe Einhaltung der Grenzwerte für Stickstoffdioxid kaum erreicht werden kann.
Unabhängig davon, dass ein generelles Dieselfahrverbot von der Landeshauptstadt nicht angestrebt wird, gäbe es hierfür auch keine belastbare Rechtsgrundlage. Pauschale Dieselzufahrtsverbote nach StVO sind höchst umstritten. Ein Urteil des Bundesverwaltungsgerichts zu der Frage, ob eine Kommune zum Erlass eines solchen gerichtlich verpflichtet werden kann, steht noch aus.
Auch für differenzierte verursacherbezogene Zufahrtsbeschränkungen in Umweltzonen fehlt die Möglichkeit zur Kennzeichnung emissionsarmer Fahrzeuge durch entsprechende Plaketten.
Erlauben Sie mir an dieser Stelle der Bundesregierung einige Maßnahmen vorzuschlagen. Deren Erfüllung ist meines Erachtens unerlässlich, um kurz-, mittel- und langfristig eine Verbesserung der Luftqualität und die Einhaltung der Grenzwerte für Stickstoffdioxid zu erreichen.
1. Technische Nachrüstung durch die Automobilindustrie
Der Bund muss seinen Einfluss auf die Automobilhersteller nutzen und technische Nachrüstungen einfordern oder - noch besser - vorschreiben, die im Ergebnis die Emissionen der Fahrzeuge tatsächlich deutlich reduzieren. Die Kosten dafür dürfen keinesfalls den Fahrzeugbesitzern auferlegt werden.
2. Kaufanreize zur Flottenerneuerung
Ich begrüße, dass die Automobilhersteller freiwillige Boni bei Stilllegung eines alten Diesel-Fahrzeugs anbieten. Um kurzfristige Effekte und dadurch einen messbaren Nutzen zu erzielen, ist es allerdings aus meiner Sicht erforderlich, zusätzlich eine „Abwrackprämie“ des Bundes auf den Weg zu bringen. Dieses Instrument hat sich in der Vergangenheit bereits bewährt und wurde sehr gut angenommen.
Nicht zuletzt würde dies der wichtigen deutschen Automobilindustrie und ihren vielen Arbeitsplätzen und Beschäftigten einen wichtigen konjunkturellen Impuls verleihen.
Über eine Wechselwirkung und gegenseitige Abhängigkeit von Zufahrtsprivilegierung und Kaufanreiz mit Schaffung einer neuen „Abwrackprämie“ für emissionsintensive Dieselfahrzeuge kann eine größtmögliche Wirkung erzielt werden.
Die Politik hat hier auch eine soziale Verantwortung gegenüber denen, die möglicherweise von Zufahrtsbeschränkungen betroffen wären. Alleine in München sprechen wir hier von ca. 80.000 Fahrzeugen, die lediglich die Norm EURO4 oder geringer erfüllen.
3. Neue Plaketten zur Weiterentwicklung der Umweltzone
Aufgrund der Dimension der Luftbelastung mit NO2 gibt es kaum eine andere Möglichkeit, als die Zufahrt von stark emittierenden Diesel-Fahrzeugen in München zu regulieren. Alle anderen, „weicheren“ Maßnahmen haben in der Summe kaum das Potential, die Einhaltung der Grenzwerte kurzfristig zu erreichen.
Mit einer Plaketten-Kennzeichnung von emissionsarmen Diesel-Fahrzeugen könnte eine verursachergerechte, verhältnismäßige und vollziehbare Maßnahme realisiert werden. Daher sind vom Bund die Voraussetzungen für weitere Plaketten zu schaffen, um saubere Fahrzeuge kennzeichnen und so die Zufahrt regeln zu können.
Es geht also um eine zielgenaue, verursachergerechte Steuerung, im Sinne einer Zufahrtsprivilegierung von emissionsärmeren und damit saubereren Dieselfahrzeugen.
Eine Plakette könnte beispielsweise für Diesel-Fahrzeuge, die EURO5 und EURO6 nachgerüstet erfüllen, eine zweite für Dieselfahrzeuge, die EURO6 im Realbetrieb, also EURO6d erfüllen, eingeführt werden.
Mit zwei Plaketten könnte man die Zufahrt in die Umweltzone stufenweise anpassen. Diese Maßnahme wäre kontrollierbar und damit vollziehbar. Ein Schutz von Handel, Handwerk und Privaten könnte durch angemessene Ausnahmen und Übergangsregelungen sichergestellt werden.
4. Aufstockung der Bundesmittel zum ÖPNV-Ausbau und Veränderung der Förderregularien des GVFG
Um insbesondere in den Metropolen echte Alternativen zum Auto anbieten zu können, brauchen wir einen verstärkten und vor allem beschleunigten Ausbau des ÖPNV. Daher wird Sie mein Wunsch an den Bund nicht überraschen, die Bundesmittel deutlich zu erhöhen.
Daneben ist aber auch die Veränderung der Förderregularien des GVFG dringend notwendig. Hier meine ich speziell den Fördernachweis über die Standardisierte Bewertung. Netzergänzende Maßnahmen, wie beispielsweise U-Bahnlinien, müssen deutlich besser berücksichtigt werden, um den besonderen Gegebenheiten in den Großstädten gerecht werden zu können.
Ich bin mir sicher, dass man mit diesen vorgeschlagenen Maßnahmen die Luftbelastung in unseren Städten entscheidend reduzieren kann, auch wenn nicht alle kurzfristig, sondern erst mittel- bis langfristig wirken werden.
Der Bund ist in der Pflicht, jetzt entschieden zu handeln, um eine deutliche Verbesserung der Luftqualität sicherzustellen und dem Diesel als saubere Antriebstechnik eine Zukunft zu geben.
Wenn erst die Kommunen von Gerichten zu pauschalen, undifferenzierten, allgemeinen Dieselfahrverboten nach StVO gezwungen werden, hätte dies mit Sicherheit gravierende, auch soziale Auswirkungen auf die Nutzer älterer Dieselmodelle.
Ich würde mich freuen, wenn wir am kommenden Montag in einen konstruktiven Dialog zu den genannten Vorschlägen treten.“