Ständige Vorab-Informationen an die Presse – Wer hat Zugriff auf Stadtratsvorlagen?
Anfrage Stadtrats-Mitglieder Johann Altmann, Dr. Josef Assal, Eva Caim, Richard Progl und Mario Schmidbauer (Fraktion Bayernpartei) vom 30.6.2017
Antwort Oberbürgermeister Dieter Reiter:
In Ihrer Anfrage schreiben Sie:
„Das ‚Durchstechen‘ von Informationen aus dem Stadtrat und der städtischen Verwaltung an Medienvertreter ist momentan groß in Mode. Es gibt kaum mehr ein Thema, zu dem nicht vorab von der Münchner Presse berichtet wird – egal, ob die zugehörige Sitzungsvorlage öffentlich oder nicht-öffentlich zu behandeln ist. Nach eigener Aussage eines Stadtrats der schwarz-roten Regierungskooperation erhält diese Beschlussvorlagen in aller Regel deutlich früher als die restlichen Stadtratsmitglieder. Auch Pressekonferenzen, bei denen städtische Referenten Details aus Vorlagen der Presse verkünden, bevor der Stadtrat offiziell informiert wird, sind gang und gäbe. Der Stadtrat wird so bewusst übergangen, die Diskussion in eine vom Referat gewünschte Richtung gelenkt und Meinungsmache betrieben.
Eine Bitte unserer Fraktion an den Oberbürgermeister, diese undemokratische Informationspolitik in Zukunft zu unterbinden, wurde mit einem Hinweis auf die Eigenverantwortlichkeit der Referenten abgetan. Der aktuell gravierendste Fall betrifft die Vorlage des Kreisverwaltungsreferenten zum Thema ‚Sicherheit in München‘. Diese Vorlage sollte nach dem Willen des Referenten in der Sitzung am 27.6.2017 beschlossen werden, obwohl im Text Bezug genommen wird auf eine weitere Vorlage (Nr. 14- 20/V 08288), über die wir vom Referat die telefonische Auskunft bekamen, dass sie noch gar nicht existiere.
Details aus besagter Vorlage zum Kommunalen Außendienst waren aber bereits vor einer Woche in allen Münchner Tageszeitungen zu lesen. Egal, ob im Einzelfall das Informationsleck auf Seiten des ehrenamtlichen Stadtrats oder der städtischen Verwaltung liegt, die Arbeit der Oppositionsstadträte wird dadurch verhöhnt und zur Makulatur gemacht.“
Zu den im Einzelnen gestellten Fragen kann ich Ihnen Folgendes mitteilen:
Frage 1:
Trifft es zu, dass den Stadträten der schwarz-roten Regierungskooperation Beschlussvorlagen regelmäßig früher zugestellt werden als den restlichen Stadträten? Wenn ja, wie viel früher?
Antwort :
Die Sitzungsunterlagen werden dem Direktorium von den Fachreferaten zugeleitet und nach § 45 Abs. 3 der Geschäftsordnung des Stadtrats (GeschO) für die Vollversammlung möglichst sechs volle Kalendertage vor der Sitzung zugestellt, die Sitzungsvorlagen für die Ausschüsse werden möglichst zwölf volle Kalendertage vor der Sitzung zugestellt.
Die Zustellung in Papierform erfolgt am Tag der Versendung nach der Freigabe durch den Oberbürgermeister durch die Stadtkanzlei an alle Ausschussmitglieder bzw. bei der Vollversammlung für den B-Teil an alle Fraktionen, Gruppierungen und Einzelstadtratsmitglieder und zusätzlich an alle Stadtratsmitglieder für den A-Teil gleichzeitig.
Zeitgleich mit der Papierzustellung wird auch die Freigabe der Tagesordnung und der Beschlussunterlagen im RIS durchgeführt. Im RIS haben alle Stadtratsmitglieder Zugriff auf alle freigegebenen Sitzungsunterlagen.
Frage 2:
Wurde dies bereits in früheren Regierungskonstellationen so gehandhabt?
Antwort:
Das unter den Antworten zu den Fragen 1 und 3 beschriebene Verfahren wird in dieser Form seit mehreren Amtsperioden entsprechend praktiziert.
Frage 3:
Durch welche Hände geht eine Beschlussvorlage gewöhnlich, bevor sie den ehrenamtlichen Stadträten zugänglich gemacht wird?
Antwort :
Die Erstellung von Beschlussvorlagen obliegt allein den Fachreferaten. Durch welche Hände eine Vorlage vor der Ablieferung im Direktorium geht, ist von deren Inhalt abhängig und welche innerstädtischen Dienststellen, Gremien oder Beiräte zu beteiligen sind.
Nach der Freigabe durch den berufsmäßigen Stadtrat werden die Vorlagen vom Fachreferat ans Direktorium geliefert und dort wird die Freigabe des Oberbürgermeisters eingeholt und die Versendung durchgeführt (s. Antwort zu Frage 1).
Darüber hinaus sind nach § 16 Abs 3 GeschO Beschlussentwürfe und Bekanntgaben von den Referentinnen bzw. Referenten den zuständigen Korreferentinnen bzw. Korreferenten und Verwaltungsbeirätinnen bzw. Verwaltungsbeiräten so rechtzeitig zuzuleiten, dass sie genügend Zeit zum Studium und zur Besprechung mit den Referaten und Dienststellen haben. Es ist nicht auszuschließen, dass im Einzelfall auch vorab Gespräche zwischen den Fachreferaten und ehrenamtlichen Stadtratsmitgliedern stattfin-den. Dies obliegt der Einzelverantwortung der Referentinnen und Referenten.
Frage 4:
Welche Sanktionsmöglichkeiten bestehen, wenn noch nicht für die Öffentlichkeit bestimmte Informationen an die Presse weitergegeben werden?
Antwort:
Soweit es ehrenamtliche Stadtratsmitglieder betrifft, führt die Rechtsabteilung des Direktoriums Folgendes aus:
„Gemäß Art. 20 Abs. 2 Satz 1 GO haben die ehrenamtlichen Stadtratsmitglieder über die ihnen bei ihrer ehrenamtlichen Tätigkeit bekannt gewordenen Angelegenheiten Verschwiegenheit zu bewahren. Die Verschwiegenheitsverpflichtung gilt nicht für Mitteilungen im amtlichen Verkehr und über Tatsachen, die offenkundig sind oder ihrer Bedeutung nach keiner Geheimhaltung bedürfen.
Das Verfahren zur Ahndung von Pflichtverletzungen ehrenamtlicher Stadtratsmitglieder ist in § 36 GeschO genauer geregelt.
Je nach dem Ergebnis der Untersuchung kann der Oberbürgermeister nach Beratung im Ältestenrat der Vollversammlung eine schriftliche Missbilligung, eine Missbilligung durch den Oberbürgermeister in öffentlicher Stadtratssitzung oder ein Ordnungsgeld empfehlen (§ 36 Abs. 3 Ziffern 1, 2 und 4 GeschO). Die Höhe des durch den Stadtrat festzusetzenden Ordnungsgeldes beträgt grundsätzlich bis zu 250 Euro, bei Offenbarung personenbezogener Daten bis zu 500 Euro. Auch wenn für eine Verletzung der Verschwiegenheitspflicht die Missbilligung als milderes Mittel nicht ausdrücklich in der GeschO aufgeführt ist, so ist sie als milderes Mittel im Rahmen der Ermessensausübung auch bei Verschwiegenheitspflichtverletzungen möglich (vgl. Bauer/Böhle/Ecker, Art. 20 Rn. 23).
Nach Art. 20 Abs. 2 Satz 3 GO kann der Stadtrat zudem die Herausgabe amtlicher Schriftstücke und Aufzeichnungen jeder Art über dienstliche Vorgänge anordnen, auch soweit es sich um Wiedergaben handelt. Diese gesetzliche Befugnisnorm lässt nach Ansicht des Bayerischen Verwaltungsgerichtshofes über ihren Wortlaut hinaus auch Anordnungen zur Löschung nicht herausgabefähiger elektronischer Dateien und zur Unterlassung des Wiederherstellens solcher Dateien zu.Da ehrenamtliche Stadtratsmitglieder grundsätzlich keine Amtsträger sind, scheidet eine Strafbarkeit wegen Geheimnisverrats (§ 353b StGB) in aller Regel aus.
Alle genannten Sanktionsmöglichkeiten setzen voraus, dass der Nachweis rechtssicher erbracht werden kann, dass ein konkretes Stadtratsmitglied gegen die ihm obliegende Verschwiegenheitspflicht verstoßen hat.“
Das Personal- und Organisationsreferat nimmt Stellung zu Sanktionsmöglichkeiten bei städtischen Beschäftigten:
„Bei der Weitergabe von nicht für die Öffentlichkeit bestimmten dienstlichen Informationen an die Presse kommt eine Verletzung der Verschwiegenheitspflicht durch die Dienstkraft der Landeshauptstadt München in Betracht.
Verletzt eine Tarifbeschäftigte bzw. ein Tarifbeschäftigter die aus ihrem bzw. seinem Arbeitsvertrag erwachsende Verschwiegenheitspflicht, können Maßnahmen aus dem gesamten dienstaufsichtlichen Spektrum zur Anwendung kommen. Neben dem Regelfall einer Abmahnung kommt in minderschweren Fällen eine Ermahnung in Betracht. Im besonders schwerwiegenden Ausnahmefall kann auch eine Kündigung des Arbeitsverhältnisses ausgesprochen werden. Maßgeblich für die Wahl der dienstaufsichtlichen Maßnahme sind indes stets die Umstände des Einzelfalles.
Verletzt eine Beamtin bzw. ein Beamter ihre bzw. seine aus dem Beamtenverhältnis erwachsende Verschwiegenheitspflicht, kann dies durch disziplinarische Maßnahmen sanktioniert werden. Disziplinarmaßnahmen nach dem Bayrischen Disziplinargesetz reichen von einem Verweis, einer Geldbuße und einer Kürzung der Dienstbezüge im unteren bis mittleren Bereich über eine Zurückstufung bis hin zur Entfernung aus dem Beamtenverhältnis. Ob und welche Maßnahme ausgesprochen wird, hängt ebenfalls stets vom Einzelfall ab.“
Frage 5:
Um den Kreis der möglichen Presseinformanten eingrenzen zu können: Wer hatte konkret vor dem 27.6.2017 Zugang zur Stadtratsvorlage Nr. 14- 20/V 08288 und seit wann?
Antwort:
Das Kreisverwaltungsreferat führt dazu Folgendes aus:
„Gemäß 2.7.3 der Allgemeinen Geschäftsanweisung der Landeshauptstadt München (AGAM) wurde der Beschlussentwurf Nr. 14-20/V 08288 zur Einführung des Kommunalen Außendienstes (KAD), da dieser einen referatsübergreifenden Beratungsgegenstand zum Inhalt hat, in enger Abstimmung mit den jeweils fachlich tangierten Referaten und Dienststellen erstellt und diese im Rahmen der Mitzeichnung auch an der endgültigen Fassung beteiligt.
Die zu beteiligenden Stellen waren neben dem Kreisverwaltungsreferat: das Baureferat, das Kommunalreferat, das Personal- und Organisationsreferat, das Referat für Arbeit und Wirtschaft in Bezug auf die SWM/MVG, das Referat für Gesundheit und Umwelt, das Referat für Stadtplanung und Bauordnung sowie die Stadtkämmerei als Querschnittsreferat aufgrund des Finanzierungsparts. Ebenso wurden das Polizeipräsidium München und die Gleichstellungsstelle beteiligt.
Mitglieder der seit 2016 eingerichteten Projektgruppe wurden in regelmäßigen Abständen über den aktuellen Stand informiert; die Mitzeichnung des Beschlussentwurfs aller zu beteiligenden Stellen erfolgte nach Freigabe durch den Referenten Herrn Dr. Böhle ab dem 20. April 2017 im normalen Umlaufverfahren.
Nach ergangener Mitzeichnung erfolgte die Weiterleitung der Vorlage am 24. Mai 2017 an die Geschäftsleitung/Beschlusswesen (KVR GL/24) des Kreisverwaltungsreferates zur weiteren Veranlassung. Von dort erfolgte die Anmeldung zur Tagesordnung für den Kreisverwaltungsausschuss am 27.6.2017 und die Übergabe an das Direktorium/Sitzungsvorbereitung (D-II/ V1) am 30. Mai 2017. Auf Veranlassung des Direktoriums wurde die Beschlussvorlage jedoch noch nicht auf die Tagesordnung des Ausschusses im Juni zugelassen.
Nach weiteren formalen Abstimmungen zwischen dem Kreisverwaltungsreferat und dem Direktorium wurde die Beschlussvorlage dann für die Tagesordnung des Kreisverwaltungsausschusses am 25.7.2017 erneut angemeldet und regulär am 12.7.2017 vom Direktorium versandt.“