Flüchtlinge als Lehrlinge und Arbeitskräfte bringen nichts‘ – was ist da dran?
Anfrage Stadtrat Karl Richter (BIA) vom 30.6.2017
Antwort Bürgermeister Josef Schmid, Leiter des Referats für Arbeit und Wirtschaft:
In Ihrer Anfrage vom 30.6.2017 führten Sie als Begründung aus:
„Noch vor zwei Jahren erwarteten sich Politiker und viele Wirtschaftsver- treter vom Massenzustrom an ‚Flüchtlingen‘ Impulse für die Konjunktur und eine Bereicherung des bundesdeutschen Arbeitsmarktes. SPD- Kanzlerkandidat Martin Schulz vertrat vor Jahresfrist, im Juni 2016, gar die Auffassung: ‚Was die Flüchtlinge zu uns bringen, ist wertvoller als Gold.‘ Die Euphorie ist mittlerweile allerdings herber Ernüchterung gewichen. Der weitaus überwiegende Teil der seit Herbst 2015 nach Deutschland gekom- menen ‚Flüchtlinge‘ ist auf dem deutschen Arbeitsmarkt nicht vermittelbar. Es fehlt an der Qualifikation und an Sprachkenntnissen. Der ‚Münchner Merkur‘ zitierte dieser Tage den Erdinger Kreishandwerksmeister Rudolf Waxenberger mit der lapidaren Feststellung: ‚Flüchtlinge als Lehrlinge und Arbeitskräfte bringen nichts.‘ Quelle: https://www. merkur.de/lokales/erding/erding-ort28651/ernuechternde-bilanz-von-handwerk-und-industriefluechtlinge-als-arbeitskraefte-bringen-nichts-8441908.html; zul. aufgerufen: 30.6.2017, 2.15 Uhr; KR).
Der Bildungsökonom Ludger Wößmann erklärte in einem Interview mit der Wochenzeitung ‚Die Zeit‘, zwei Drittel der Schüler in Syrien könnten nur sehr eingeschränkt lesen, schreiben und rechnen. Selbst wenn sie irgendwann Deutsch gelernt hätten, könnten sie kaum dem Unterrichts- geschehen folgen. Wößmann wörtlich: ‚Vom Lernstoff her hinken syrische Achtklässler im Mittel fünf Schuljahre hinter etwa gleichaltrigen deutschen Schülern hinterher.‘ Zwei Drittel der jungen Syrer gälten nach internationalen Bildungsstandards als funktionale Analphabeten. Daher werde ihnen, prognostiziert der Bildungsexperte, zumeist die nötige Ausbildungsreife für deutsche Betriebe fehlen: ‚Wir müssen uns darauf einstellen, dass die Mehrheit der jungen Flüchtlinge an einer drei Jahre langen Vollausbildung mit hohem Theorieanteil scheitern würde. Laut Handelskammer München und Oberbayern haben 70 Prozent der Azubis aus Syrien, Afghanistan und dem Irak, die vor zwei Jahren eine Lehre begonnen haben, diese bereits wieder abgebrochen.‘ Man müsse den jungen ‚Flüchtlingen‘ deshalb ‚andere Angebote machen; ihnen mehr Ausbildungsbegleiter an die Seite stellen; über teilqualifizierende Ausbildungen nachdenken, die stärker die praktischen Fähigkeiten betonen und die theoretischen Grundlagen be-grenzen‘. Und: ‚Es gibt schon solche Berufe, etwa den Krankenpflegehelfer. Ähnliches muss auch in anderen Branchen möglich sein, bei Maurern zum Beispiel. Wir brauchen mehr einjährige Qualifikationen – mit der Möglichkeit, diese später in eine Vollausbildung auszuweiten.‘ (Zitate: verschiedene Quellen). – Es stellen sich Fragen.“
Zu den im Einzelnen gestellten Fragen kann ich Ihnen Folgendes mitteilen:
Frage 1:
Wie stellt sich die Situation in der LHM dar, was Qualifikation und Ausbildungstauglichkeit junger ‚Flüchtlinge‘ angeht? Inwieweit kann das Referat für Arbeit und Wirtschaft die Zahlen der Handelskammer bestätigen, wonach 70 Prozent der Azubis aus Syrien, Afghanistan und dem Irak, die vor zwei Jahren eine Lehre begonnen haben, diese mittlerweile wieder abgebrochen haben? In welchem Umfang spielt funktionales Analphabetentum bei in München geförderten jungen Syrern eine Rolle, was ihre Ausbildungsfähigkeit und Integrierbarkeit in den lokalen Arbeitsmarkt angeht? Welche Zahlen liegen vor?
Antwort:
Das Ludwig-Fröhler-Institut hat im Auftrag des Zentralverbands des Deutschen Handwerks und der Handwerkskammer für München und Ober-
bayern das Potenzial junger Flüchtlinge für eine Ausbildung im Handwerk untersucht (Potenzial von jungen Geflüchteten für eine Ausbildung im Handwerk. Ergebnisse einer empirischen Untersuchung. 2017). Die Studie stellt fest, dass Flüchtlinge überwiegend längere Zeit in Deutschland bleiben möchten und bereit sind, in eine Berufsausbildung zu investieren. In der Folge stellen sie ein großes Potenzial für Nachwuchskräfte des Handwerks dar.
In Ihrer Anfrage verweisen Sie darauf, dass laut Handelskammer München und Oberbayern 70 Prozent der Auszubildenden aus Syrien, Afghanistan und dem Irak, die vor zwei Jahren eine Lehre begonnen haben, diese wieder abgebrochen hätten. Die Industrie- und Handelskammer für München und Oberbayern betont mit Nachdruck, dass sie diese Aussage nie getroffen hat, vielmehr handelt es sich um eine Äußerung des Hauptgeschäftsführers Dr. Lothar Semper der Handwerkskammer für München und Oberbayern aus dem Jahr 2015. Das Referat für Arbeit und Wirtschaft kann Abbruchquoten von 70 Prozent nicht bestätigen.
Frage 2:
Inwieweit hat sich die LHM bereits auf die deutlich nach unten korrigierten Erwartungen an Ausbildungsfähigkeit und Vermittelbarkeit junger „Flüchtlinge“ auf dem Arbeitsmarkt eingestellt, etwa durch ein größeres und speziell auf junge „Flüchtlinge“ zugeschnittenes Angebot an einjährigen Qualifikationen? Welche speziellen Programme der LHM gibt es hier ggf. inzwischen?
Antwort:
Der Umgang mit jungen Menschen, die aus anderen Ländern nach Deutschland gezogen sind und wenig Deutschkenntnisse haben, ist für die Städtischen Berufsschulen nichts Neues. An der Berufsschule zur Berufsvorbereitung gab es schon seit vielen Jahren im Rahmen der berufsvorbereitenden Angebote Klassen für Schülerinnen und Schüler mit besonderem Sprachförderbedarf und für unbegleitete minderjährige Flüchtlinge.
Im Rahmen des Münchner Jugendsonderprogramms, einem Teilprogramm des beim Referat für Arbeit und Wirtschaft angesiedelten Münchner Beschäftigungs- und Qualifizierungsprogramms (MBQ), bilden junge Geflüchtete schon immer eine Zielgruppe, die bei ihrer beruflichen Integration unterstützt wird.
Frage 3:
Inwieweit gibt es bei der LHM Überlegungen, junge „Flüchtlinge“ speziell als Krankenpflegehelfer zu gewinnen und so gezielt Personalengpässen an den Münchner Krankenhäusern entgegenzuwirken?
Antwort:
Die Städtisches Klinikum München GmbH ist sehr an motivierten und guten Schülerinnen und Schülern für die Ausbildungen in den Pflegeberufen und medizinisch-technischen Assistenzberufen interessiert. Aus diesem Grund informiert die Akademie Schulen und Einrichtungen, die Flüchtlinge betreuen, über die Ausbildungsmöglichkeiten des Unternehmens.