Städtebauliche Entwicklungsmaßnahmen und die Alternativen
Anfrage Stadtrats-Mitglieder Johann Altmann, Dr. Josef Assal, Eva Caim, Richard Progl und Mario Schmidbauer (Fraktion Bayernpartei) vom 31.5.2017
Antwort Stadtbaurätin Professorin Dr.(I) Elisabeth Merk:
Mit Schreiben vom 31.5.2017 haben Sie gemäß § 68 GeschO folgende Anfrage an Herrn Oberbürgermeister gestellt. In Ihrer Anfrage führen Sie Folgendes aus:
„Das im Baugesetzbuch verankerte Instrument der ,Städtebaulichen Entwicklungsmaßnahme‘ (SEM) kam 1992 bei der Umwandlung von Kasernenflächen in Wohngebiete erstmals in München zum Einsatz. Seither wurden diese Maßnahmen ausschließlich auf Gebiete, die sich nicht in privater Hand befanden – militärische Areale und Konversionsflächen der Deutschen Bahn – angewandt.
Aktuell sind mit Gebieten im Münchner Nordosten (Daglfing) und Norden (Feldmoching) erstmals Flächen im Gespräch für eine SEM, die sich überwiegend in Privatbesitz befinden. Von den (noch vagen) Plänen der Landeshauptstadt, auf ihrem teils seit Jahrhunderten in Familienbesitz be- findlichen und landwirtschaftlich genutztem Grund und Boden neue Wohnsiedlungen zu errichten, erfuhren die Eigentümer aus Zeitungsinterviews des Oberbürgermeisters und der Stadtbaureferentin. Wenig verwunderlich, dass diese Informationspolitik bei den Betroffenen große Verunsicherung und Zukunftsängste hervorruft.
Es ist daher dringend geboten, Fakten zu klären und für Transparenz zu sorgen.“
Das Referat für Stadtplanung und Bauordnung beantwortet die Anfrage wie folgt:
Aufbauend auf den Untersuchungen zur langfristigen Siedlungsentwicklung sind zur Begegnung des anhaltenden Wachstums der Stadt München neben der Nachverdichtung und Konversion auch Entwicklungen am Stadtrand erforderlich. Dabei steht das Referat für Stadtplanung und Bauordnung vor der Herausforderung, neben Flächen, bei denen bereits eine Entwicklungsbereitschaft der Eigentümerinnen und Eigentümer gegeben ist, nun auch mittel- bis langfristig Flächen am Stadtrand zu betrachten, bei denen neben der Definition planerischer Zielvorstellungen auch die Auseinandersetzung mit der diversen Eigentumsstruktur eine bedeutende Rolle spielt. Für solche Aufgaben eröffnet das Baugesetzbuch bestimmteWege. Hier ist es aktuell Aufgabe der Verwaltung, gemeinsam mit den betroffenen Eigentümerinnen und Eigentümern geeignete Kooperationsmodelle und vertragliche Lösungen zu finden, um der Herausforderung der Schaffung neuen Baurechts gerecht zu werden. Der Gesetzgeber eröffnet den Kommunen die Möglichkeit, u.a. über das Instrument einer städtebaulichen Entwicklungsmaßnahme, im Sinne des Wohls der Allgemeinheit den erhöhten Bedarf an Wohn- und Arbeitsplätzen zu decken.
Frage 1:
Welche Vorteile sieht die LH München bei der Durchführung einer SEM in den Gebieten im Münchner Nordosten und Norden? Gäbe es alternative Instrumente der Stadtentwicklung? Wenn ja, welche und wo lägen hier die Vor- und Nachteile?
Antwort:
Bei den Gebieten „Münchner Norden“ und „Münchner Nordosten“ handelt es sich um große Flächen, die am bisherigen Rand der Landeshauptstadt München liegen und bisher nicht oder nur unzureichend erschlossen sind. Das Instrument der städtebaulichen Entwicklungsmaßnahme bietet Gemeinden die Möglichkeit, große Gesamtmaßnahmen einschließlich der Errichtung der notwendigen sozialen und verkehrlichen Infrastruktur durchzuführen. Das Instrument der SEM erleichtert solche Maßnahmen, indem es den Gemeinden ermöglicht, die Kosten der Maßnahme aus der Maßnahme heraus zu finanzieren. Die Überschüsse sind an die Eigentümerinnen und Eigentümer zu verteilen. Ein ähnliches Ziel verfolgen auch die Grundsätze der sozialgerechten Bodennutzung. Hier haben die Planungsbegünstigen, die von den Wertsteigerungen infolge der Entwicklung profitieren, die ursächlichen Kosten und Lasten zu tragen. Im Gegensatz zur SEM kommt ein Vorgehen über die SoBoN typischerweise für kleinere Flächen, bei denen die finanziellen Risiken überschaubar sind, etwa weil bereits eine bestimmte Infrastruktur vorhanden ist, in Betracht.
Frage 2:
Bis vor einigen Jahren bestand auf Anstoß des Bayerischen Städtetags ein interkommunaler „Arbeitskreis SEM“, der dem Erfahrungsaustausch über SEM-Projekte dienen sollte. Da die Landeshauptstadt München dieses Instrument der Stadtentwicklung wiederentdeckt zu haben scheint, wäre eine Reaktivierung des Arbeitskreises angebracht?
Antwort:
Der Arbeitskreis SEM beim Bayerischen Städtetag wurde eingestellt, da kein Bedarf mehr bestand. Stattdessen wurde 2014 ein neuer ArbeitskreisMilitärkonversion beim Bayerischen Städtetag eingerichtet, der sich aber nicht speziell mit dem Thema SEM, sondern mit allen Fragestellungen rund um das Thema Militärkonversion befasst.
Im Bayerischen Städtetag werden von den Kommunen gemeinsam thematische Schwerpunkte festgelegt. Hierbei bedingt der Zuschnitt eines Flächenlandes, dass die Herausforderungen, vor denen die Kommunen stehen, in Teilen sehr unterschiedlicher Art sind. Die Landeshauptstadt München bringt sich seit Jahren aktiv in die dort geführten Diskussionen ein und hat die Möglichkeit, bei Bedarf gemeinsam mit interessierten Partnerinnen und Partnern entsprechenden Austausch zu suchen.
Die Landeshauptstadt München stimmt sich zudem auch bundesweit mit anderen Kommunen (z.B. Freiburg, Frankfurt am Main, u.a.) zu der Thematik ab. So nimmt beispielsweise eine Delegation des Referates für Stadtplanung und Bauordnung und des Kommunalreferates an einem vom difu (Deutsches Institut für Urbanistik) organisierten Erfahrungsaustausch zu städtebaulichen Entwicklungsmaßnahme im kommenden Herbst in Berlin teil.
Frage 3:
Gibt es best practice Beispiele aus anderen Kommunen, die eine SEM auf privaten Grundstücken durchgeführt haben? Wenn ja, welche? Wie liefen dort die Verhandlungen mit den Grundstückseigentümern
Antwort:
Das Instrument SEM wurde bereits in einigen Städten angewendet, bzw. wurde im Rahmen der vorbereitenden Untersuchungen, gemeinsam mit den betroffenen Eigentümerinnen und Eigentümern, nach geeigneten Instrumenten gesucht.
Ein Beispiel für eine erfolgreich durchgeführte SEM ist Riedberg (Frankfurt am Main). Auf den 267 ha haben rund 15.000 Einwohnerinnen und Einwohner Platz gefunden. Dies ist eine der größten Stadterweiterungen der letzten Jahre in Deutschland. In Riedberg haben die Grundstückseigentümerinnen und -eigentümer vorrangig eigene Baumaßnahmen durchgeführt. Damit konnte von einem ursprünglich als Regelfall vorgesehenen Zwischenerwerb der Grundstücke durch die HA Hessen Agentur GmbH, als beauftragter Treuhänder, weitestgehend abgesehen werden.
Ein anderes Projekt in Freiburg-Dietenbach befindet sich, wie die Entwicklung im Münchner Nordosten, in der Verfahrensstufe der Vorbereitenden Untersuchungen. Ein Großteil der Flächen wird ebenfalls landwirtschaftlich genutzt. Im Nachgang an den Einleitungsbeschluss wurden die entwick-lungsunbeeinflussten Anfangswerte benannt. Diese würden im Falle einer Entwicklungssatzung – die Ergebnis der Vorbereitenden Untersuchungen (geplant für 2018) wäre – beim Ankauf gezahlt werden. Aktuell ist die Stadt Freiburg i. B. dabei, in Zusammenarbeit mit der Stadtsparkasse ein Kooperationsmodell zu entwickeln. Eine abschließende Entscheidung hierzu steht noch aus.
Darüber hinaus hat die Stadt Freiburg zeitgleich mit dem Einleitungsbeschluss ebenfalls eine Vorkaufssatzung zu Gunsten der Stadt beschlossen. Diese soll dazu dienen, eine geordnete städtebauliche Entwicklung sicherzustellen.
In anderen Städten, wie Berlin, Hamburg etc. wurde bzw. wird das Instrument der SEM ebenfalls angewendet. Generell ist festzuhalten, dass die Rahmenbedingungen in den einzelnen Städten jedoch stark voneinander abweichen. Angesichts des steigenden Drucks auf die Ballungsräume sind die Kommunen aufgefordert, geeignete Wege zur Schaffung von Flächen für Wohnraum und Arbeitsplätze zu finden. Hierfür ist die SEM eines der Instrumente, die das Gesetz explizit eröffnet.
Frage 4:
Hat sich das Instrument der SEM tatsächlich in der Praxis bewährt, um Grundstückspreise der Spekulation zu entziehen und auf annehmbarem Niveau zu halten?
Antwort:
Das Ziel des Instruments der SEM ist nicht, die Vorgänge auf dem Grundstücksmarkt zu regulieren, sondern im Sinne des Wohls der Allgemeinheit einen erhöhten Bedarf an Wohn- und Arbeitsplätzen zu decken.
Was den Grundstücksmarkt betrifft, so führt der Zustand der Vorbereitenden Untersuchungen mit dem vorausgegangenen Einleitungsbeschluss dazu, dass spekulative Grundstückverkäufe einem größeren Risiko unterliegen. Dennoch sind die Eigentümerinnen und Eigentümer weiterhin frei in dem Umgang mit ihrem Eigentum.
Als begleitendes Instrument entscheiden sich einige Kommunen, neben den Einleitungsbeschlüssen auch Satzungen zu erlassen, die den Kommunen zur Sicherung einer geordneten Städtebaulichen Entwicklung ein Vorkaufsrecht sichern.
Frage 5:
Wann und wie plant die LHM, mit den Grundstückseigentümern im Münchner Norden in Kontakt zu treten und sie an dem Vorhaben zu beteiligen?
Antwort:
Die Verwaltung beabsichtigt, möglichst frühzeitig mit den Eigentümerinnen und Eigentümern im Gebiet in Kontakt zu treten. Erste Informationsveranstaltungen, bei denen auch zahlreiche Eigentümerinnen und Eigentümer vertreten waren, haben bereits in Zusammenarbeit mit dem BA 24 stattgefunden. Für eine qualifizierte Kontaktaufnahme ist zu mehreren hundert Eigentümerinnen und Eigentümern mit belastbaren Planungsgrundlagen erst einmal ein Beschluss des Stadtrats erforderlich, mit dem die Verwaltung beauftragt wird, die sogenannten vorbereitenden Untersuchungen durchzuführen. Die vorbereitenden Untersuchungen sind ein vom Baugesetzbuch in § 165 Abs. 4 BauGB vorgesehene „Vorstufe“ zur eigentlichen Entwicklungsmaßnahme. In deren Rahmen muss geklärt werden, ob überhaupt die rechtlichen und tatsächlichen Voraussetzungen für eine Entwicklungsmaßnahme vorliegen.
Hierbei ist eine erste Kontaktaufnahme mit den Eigentümerinnen und Eigentümern besonders wichtig. Insbesondere ist gemeinsam mit den Eigentümerinnen und Eigentümern zu klären, ob und zu welchen Bedingungen diese bereit sind, an der Entwicklung ihrer Grundstücke mitzuwirken. Für den Münchner Norden ist geplant, dass nach Beschlussfassung eine systematische Abfrage der Eigentümerinteressen erfolgt. Darüber hinaus sind auch Veranstaltungen und Workshops beabsichtigt.
Daneben haben Eigentümerinnen und Eigentümer aus den betroffenen Gebieten selbstverständlich die Möglichkeit, bei den zuständigen Stellen im Referat für Stadtplanung und Bauordnung individuelle Termine zu vereinbaren, um offene Fragen zu klären, sich über Entwicklungsperspektiven auszutauschen oder auch Bedenken zu diskutieren.
Frage 6:
Falls es tatsächlich zur Durchführung einer SEM in den oben genannten Gebieten kommen sollte, wie können die Stadtspitze und die städtische Verwaltung sicherstellen, dass dies in größtmöglichem Einvernehmen mit den Eigentümern geschieht?
Antwort:
Bestandteil der vorbereitenden Untersuchungen ist es, alternative Modelle zu entwickeln, durch die die Ziele und Zwecke der Maßnahme mit den Ei-gentümerinnen und Eigentümern genauso gut wie mittels einer förmlichen Entwicklungsmaßnahme erreicht werden können: Dabei sind insbesondere auch vertragliche Möglichkeiten zu prüfen. Es steht der Stadt grundsätzlich offen, die Eigentümerinnen und Eigentümer besser zu stellen, als dies bei Durchführung einer förmlichen Entwicklungsmaßnahme der Fall wäre.