Ist die Einführung einer Impfpflicht in städtischen Kindergärten und Kinderkrippen möglich?
Anfrage Stadträte Fritz Schmude und Andre Wächter (Liberal-Konservative Reformer) vom 16.8.2017
Antwort Stephanie Jacobs, Referentin für Gesundheit und Umwelt:
In Ihrer Anfrage vom 16.8.2017 legen Sie folgenden Sachverhalt zu Grunde:
„Kindergärten und Kinderkrippen sind Orte, an denen viele Kinder lange Zeit miteinander auf relativ engem Raum verbringen. Das erhöht im Falle einer Krankheit die Ansteckungsgefahr sowohl für die anderen Kinder, als auch für das Personal. Bei einigen Erkrankungen liegt das Risiko in der Natur der Sache und es gibt keine verhältnismäßige Gegenmaßnahme. Bei anderen Krankheiten gibt es diese aber sehr wohl: Eine Impfung. Eine Impfmüdigkeit greift laut Presseberichten in einigen Gebieten Deutschlands um sich.
Dies gefährdet neben dem Kind selbst allerdings auch die anderen Menschen in den Einrichtungen.“
Herr Oberbürgermeister Reiter hat mir Ihre Anfrage zur Beantwortung zugeleitet. Die darin aufgeworfenen Fragen beantworte ich unter Berücksichtigung der Stellungnahme des Referates für Bildung und Sport wie folgt:
Frage 1:
Gibt es Erhebungen, wie viele Kinder in den städtischen Kindergärten und Kinderkrippen geimpft sind oder an einer Impfberatung teilgenommen haben?
Antwort:
Seit dem Inkrafttreten des „Gesetzes zur Stärkung der Gesundheitsförderung und der Prävention (Präventionsgesetz – PrävG)“ am 25. Juli 2015 müssen Erziehungsberechtigte bei Aufnahme des Kindes in eine Kinderkrippe und Kindergarten eine Impfberatung nachweisen. Dies geschieht in der Regel durch Nachweis der durchgeführten Vorsorgeuntersuchungen im Kindesalter, welche immer eine Impfberatung einschließen. Es gibt keine Verpflichtungen die einzelnen Impfungen selbst nachzuweisen. In städtischen Kindertageseinrichtungen gibt es diesbezüglich keine Erhebung oder Datenerfassung.
Frage 2:
Ist darüber hinaus bekannt, in wie vielen Fällen Krankheiten aufgetreten sind gegen die eine Impfmöglichkeit bestanden hätte?
Antwort:
Zu den impfpräventablen Infektionskrankheiten zählen u.a. Windpocken, Keuchhusten sowie Masern, Mumps und Röteln (MMR), welche alle meldepflichtige Erkrankungen sind. Im Gesamtjahr 2016 wurden dem Referat für Gesundheit und Umwelt in der Altersklasse aller in der Landeshauptstadt München lebenden 0-6 Jährigen (egal ob eine Kindertagesstätte besucht wird oder nicht) insgesamt 346 Erkrankungsfälle der oben genannten Infektionskrankheiten gemeldet. Der Hauptteil fällt dabei auf Windpocken, gefolgt von Keuchhusten (die nicht impfpräventablen Parapertussisfälle sind jedoch in der Zahl enthalten), MMR sind Einzelfälle. Im Jahr 2017 wurden bisher 328 Erkrankungen mit gleicher Häufigkeitsverteilung wie 2016 gemeldet.
Seitens städtischer Kindertageseinrichtungen gibt es keine Erfassung. Für das Personal an Kindertagesstätten wäre es schwierig zu erkennen, welche Krankheit mit einer geeigneten Impfung hätte verhindert werden können, da es für diese Entscheidung nicht ausgebildet ist.
Frage 3:
Ist es möglich eine Impfpflicht seitens der Stadt München für Ihre Einrichtungen und bezuschusste Einrichtungen vorzuschreiben und was empfiehlt die WHO?
Antwort:
In der Bundesrepublik Deutschland besteht keine Impfpflicht.
Impfungen werden von den obersten Gesundheitsbehörden der Länder auf Grundlage der ständigen Impfkommission (STIKO)-Empfehlungen entsprechend § 20 Abs. 3 des Infektionsschutzgesetzes (IfSG) „öffentlich empfohlen“. Die Eliminierung von Masern, Röteln und Poliomyelitis ist erklärtes und erreichbares Ziel nationaler und internationaler Gesundheitspolitik, einschließlich der Weltgesundheitsorganisation (WHO). Letztere gibt lediglich Empfehlungen für die Entwicklung nationaler Impfstrategien heraus.
Eine Impfpflicht bedeutet einen erheblichen Eingriff in das Grundrecht auf körperliche Unversehrtheit (Art. 2 Abs. 2 Satz 1 Grundgesetz). Ein solcher Eingriff, der notfalls mit Zwangsmitteln durchzusetzen wäre, kann nur alsUltima Ratio in Betracht kommen. Zunächst ist die Eigenverantwortung und Eigeninitiative der Eltern bzw. der mündigen Bürgerin und des mündigen Bürgers gefordert. Notwendig ist dabei selbstverständlich eine sachliche Information durch die Ärzteschaft und den öffentlichen Gesundheitsdienst.
§ 20 Abs. 6 des IfSG ermächtigt das Bundesministerium für Gesundheit unter Zustimmung des Bundesrates in bestimmten Fällen, eine Impfpflicht für spezifische Krankheiten und bedrohte Teile der Bevölkerung anzuordnen. Sollte das Bundesministerium hiervon keinen Gebrauch machen, so sind Landesregierungen nach § 20 Abs. 7 IfSG ermächtigt, eine entsprechende Rechtsverordnung zu erlassen. Eine Rechtsgrundlage für eine kommunale Regelung existiert nicht.
Das Referat für Bildung und Sport führt zu Frage 3 folgendes aus: „Eine Impfpflicht für Kinder vorzuschreiben, die eine bestimmte Kindertageseinrichtung besuchen, ist aus Gründen der Gleichbehandlung nicht durchführbar. Alle Kinder, die auf Grund des Wunsches der Personensorgeberechtigten nicht geimpft werden, müssten dann auf bestimmte Kitas ausweichen, in denen diese Vorgabe nicht gilt. Hiermit entfällt das Wunsch- und Wahlrecht der Personensorgeberechtigten und diskriminiert die Kinder, die nicht geimpft sind.
Es gibt sehr viele Familien die aus religiösen, gesundheitlichen, ideologischen oder anderen Gründen, ihre Kinder nicht impfen lassen. Der Frühkindliche Bildungsauftrag gilt jedoch für alle Kinder, auch mit Blick auf Bildungsgerechtigkeit darf kein Kind deshalb ausgegrenzt werden.“