Mit dem diesjährigen Geschwister-Scholl-Preis wird Hisham Matar für sein Buch „Die Rückkehr. Auf der Suche nach meinem verlorenen Vater“ ausgezeichnet. Hisham Matar berichtet darin vom Widerstand gegen Lybiens Machthaber Gaddafi und den Folgen. Die Verleihung des Preises findet im Rahmen des Literaturfests München (15. November bis 3. Dezember 2017) am Montag, 20. November, statt. Die Verleihung findetvor geladenen Gästen in der großen Aula der Ludwig-Maximilians-Universität München statt. Eine öffentliche Lesung ist für Dienstag, 21. November, 20 Uhr, in der Buchhandlung Lehmkuhl, Leopoldstraße 45, geplant. Mit dem gemeinsam von der Landeshauptstadt München und dem Börsenverein des Deutschen Buchhandels – Landesverband Bayern vergebenen und mit 10.000 Euro dotierten Preis wird jährlich ein Buch ausgezeichnet, das von geistiger Unabhängigkeit zeugt und geeignet ist, bürgerliche Freiheit, moralischen und intellektuellen Mut zu fördern und dem verantwortlichen Gegenwartsbewusstsein wichtige Impulse zu geben. Über die Vergabe haben der Kulturausschuss des Stadtrats und der Vorstand des Börsenvereins des Deutschen Buchhandels – Landesverband Bayern auf Empfehlung einer Jury entschieden.
Jurybegründung
„Hisham Matar war zwanzig Jahre alt, als sein Vater verschwand. Jaballa Matar, ein libyscher Geschäftsmann und ehemaliger Diplomat, lebte mit seiner Familie seit 1979 im Exil in Kairo. Vom Tschad aus operierte eine von ihm gelenkte Partisanentruppe gegen den Diktator Gaddafi. 1990, als Hisham Matar in London Architektur studierte, wurde sein Vater entführt. Erst sechs Jahre später erfuhr die Familie, dass er noch lebte und im berüchtigten Abu-Salim-Gefängnis in Tripolis eingesperrt war. Zwei Briefe hatten den Weg ins Freie gefunden.
In seinem Buch ,Die Rückkehr‘ berichtet Hisham Matar davon, wie er 2012 nach der libyschen Revolution in sein Heimatland kam, um seinen Vater zu suchen. Als die Eingekerkerten von Abu Salim das Tageslicht wiedersahen, war Jaballa Matar nicht unter ihnen gewesen. Im Verlauf des Buchs verdichtet sich die Vermutung fast zur Gewissheit, dass er schon 1996 einem Massaker im Gefängnishof zum Opfer fiel: einer unter geschätzten 1.200 Toten. Aber er soll später noch lebend gesehen worden sein. Hisham Matar heftet sich an diese Spur. Denn sein Vater überlebt in den Erzählungen der Mitgefangenen. Seine Leidensgefährten berichten davon, wie seine Kraft auf sie überging. Hisham Matars verschwundener Vater war in Wirklichkeit, was jeder Vater in den Augen seines Sohnes ist: ein Held. Von dem, was mit der Chiffre vom berüchtigten Gefängnis gemeint ist, bekommt der Leser eine erschütternd konkrete Vorstellung: von den Zerstörungen, die ein Gewalthaber anrichtet, der jedes Mittel einsetzt, um den Willen derer zu brechen, die er zu seinen Feinden erklärt. Dabei betritt Hisham Matar Abu Salim nicht – als wäre der Ort verflucht, als könnte er dort dem Gespenst des Vaters begegnen. Wie es dort aussah und zuging, setzt sich der Autor aus den Zeugnissen der Überlebenden zusammen, seiner Verwandten. Denn Gaddafi rächte sich durch Sippenhaft. Diesen Männern wurden Jahrzehnte ihres Lebens geraubt. Ohne Grund. Wie überbrückt man einen solchen Abgrund? Die Genauigkeit, mit der Hisham Matar über Gespräche berichtet, in denen so viel ungesagt bleiben musste, schlägt den Leser in den Bann. Der Aufbau des Buchs ist kunstvoll, verrät den Architekten: Alles, was wir über die lange Unfreiheitsgeschichte Libyens erfahren, die nach der Revolution weiterging, ist vermittelt durch den Rückkehrer, der nicht bleiben kann. ,Die Rückkehr‘ ist ein Buch über die überwältigende Widerstandskraft des menschlichen Geistes und über die Tugenden der Erinnerung, die dieser Erfahrung gerecht werden will: Beharrlichkeit, Sorgfalt und Vorsicht. Damit erinnert Hisham Matars Werk im weitesten Sinn an das Vermächtnis der Geschwister Scholl und ist geeignet, bürgerliche Freiheit, moralischen, intellektuellen Mut zu fördern und dem verantwortlichen Gegenwartsbewusstsein wichtige Impulse zu geben.“
Der Jury unter dem Vorsitz von Kulturreferent Dr. Hans-Georg Küppers und Michael Then, Vorsitzender des Börsenvereins des Deutschen Buchhandels – Landesverband Bayern, gehörten 2017 an: Patrick Bahners (FAZ /Büro München), Jobst-Ulrich Brand (Focus), Ulrich Dombrowsky (Buchhändler, Regensburg), Andreas Isenschmid (Journalist, Literaturkritiker), Michael Krüger (Schriftsteller und Publizist), Professor Dr. Armin Nassehi (LMU), Thomas Rathnow (DVA), Dr. Michael Schmitt (3sat/Kulturzeit), Sonja Zekri (Süddeutsche Zeitung) und Cornelia Zetzsche (Bayerischer Rundfunk) sowie von Seiten des ehrenamtlichen Stadtrats Marian Offman (CSU-Fraktion), Klaus Peter Rupp (SPD-Fraktion) und Dr. Florian Roth (Fraktion Die Grünen / Rosa Liste). Beratende Mitglieder waren neben Dr. Hildegard Kronawitter (Weiße Rose Stiftung e. V.) die Stadträtinnen Ulrike Grimm (CSU-Fraktion) und Dr. Constanze Söllner-Schaar (SPD-Fraktion). Nähere Informationen beim Kulturreferat, Abteilung 1, Literatur, Katrin Dirschwigl, Telefon 2 33-2 11 96, E-Mail ankatrin.dirschwigl@muenchen.de, und beim Börsenverein des Deutschen Buchhandels – Landesverband Bayern, Barbara Voit, Telefon 29 19 42 41, voit@buchhandel-bayern.de sowie unter www.geschwister-scholl-preis.de.
Informationen zum Literaturfest unter www.literaturfest-muenchen.de.