Islamistische Gefährder in München?
Anfrage Stadtrats-Mitglieder Johann Altmann, Dr. Josef Assal, Eva Caim, Richard Progl und Mario Schmidbauer (Fraktion Bayernpartei) vom 13.6.2017
Antwort Kreisverwaltungsreferat:
Ihre Anfrage vom 13.6.2017 wurde im Auftrag von Herrn Oberbürgermeister Dieter Reiter in Federführung dem Kreisverwaltungsreferat zur Beantwortung zugeleitet.
Ihrer Anfrage schicken Sie folgenden Sachverhalt voraus:
„Auf Anfrage der SPD-Fraktion im Bayerischen Landtag berichtete Innenminister Joachim Herrmann Anfang dieses Jahres von rund 16 islamistischen Gefährdern in Bayern. In den Medien kursieren Zahlen von bis zu 950 islamistischen Gefährdern deutschlandweit, davon circa 100, die ausreisepflichtig sind. Das Bundesamt für Verfassungsschutz geht von 10.000 Salafisten in Deutschland aus, die wenigsten (aber wohl) mit freundlichen Absichten‘.
Auch in der Landeshauptstadt München wird von einer ‚abstrakten Gefährdung‘ durch Terroristen ausgegangen.“
Zu den im Einzelnen gestellten Fragen teilen wir Ihnen Folgendes mit:
Frage 1:
Wie viele als Gefährder eingeschätzte Personen leben derzeit auf dem Gebiet der Landeshauptstadt München?
Antwort:
Der Polizeivizepräsident des Polizeipräsidiums München teilte hierzu mit: „München ist die sicherste Millionenstadt Deutschlands und es ist der Münchner Polizei und mir persönlich ein großes Anliegen, dass dies auch weiter so bleibt. In München gilt weiterhin Null Toleranz gegenüber Gefährdern! Unsere Arbeitsintensität gerade in diesem Bereich ist sehr hoch und wir werden die Szene intensiv im Auge behalten.
Die uns gestellten Fragen 1 und 2 können allerdings in der angefragten Detailtiefe nicht offen beantwortet werden, da sie insbesondere in Kombination zueinander möglicherweise Rückschlüsse auf verdeckte polizeiliche Maßnahmen zulassen würden.Aus diesem Grund verweisen wir zur Beantwortung der Fragestellungen allgemein auf die Ausführungen im Sicherheitsreport des Polizeipräsidiums München 2016.
Für die hervorragende und vertrauensvolle Zusammenarbeit zwischen den jeweils zuständigen Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern der Fachdienststellen der Landeshauptstadt München und der Münchner Polizei bedanke ich mich ganz herzlich, u. a. mit der von der Stadt eingerichteten AG Ausländerangelegenheiten und der unter Leitung des Bayerischen Staatsministeriums des Innern stehenden Arbeitsgruppe BIRGiT (AG BIRGiT) – Beschleunigte Identifizierung und Rückführung von Gefährdern aus dem Bereich des islamistischen Terrorismus beziehungsweise Extremismus.“
Auszug aus dem Sicherheitsreport 2016 des Polizeipräsidiums München: „Im Bereich des Polizeipräsidiums München waren zum Ende des Berichtszeitraums im Jahr 2016 insgesamt 14 Personen als ‚Gefährder‘ eingestuft. Davon sind elf Personen, die der Münchner salafistischen Szene zugeordnet werden, ins türkisch-syrische Grenzgebiet zum bewaffneten Kampf ausgereist, zwei haben auszureisen versucht. Drei der elf Gefährder kehrten wieder zurück. Von den 14 Personen befanden sich drei mit bekanntem Aufenthaltsort in München und drei in bayerischen Justizvollzugsanstalten. Die übrigen acht Gefährder befanden sich im Ausland.“
Frage 2:
Wie viele davon sind ausreisepflichtig? Wie viele davon haben die deutsche Staatsangehörigkeit?
Antwort:
Da die Frage einen eng abgrenzbaren Personenkreis betrifft, sind konkrete Angaben zur Staatsangehörigkeit und einer etwaigen Ausreisepflicht aus datenschutzrechtlichen sowie ermittlungs- und sicherheitstaktischen Gründen nicht möglich.
Einige Personen besitzen die deutsche Staatsangehörigkeit beziehungsweise die deutsche Staatsangehörigkeit und eine weitere Staatsangehörigkeit.
Frage 3:
Wie geht die LHM mit diesen Personen um?
Antwort:
Die Ausländerbehörde München unterhält eine spezielle Organisationseinheit, die ausschließlich zuständig ist für die Aufenthaltsbeendigung bei Sicherheitsgefährdern, für die Durchführung von sicherheitsrechtlichen Befragungen und für die Prüfung von Erkenntnismitteilungen der Sicherheitsbehörden mit Terrorismus- oder Staatsschutzbezug.
Nach dem Ausländerrecht mögliche Maßnahmen werden in diesem Zusammenhang konsequent und vollumfänglich ausgeschöpft. Hierzu zählen unter anderem der Erlass von Ausweisungsverfügungen, Titelversagungen und Ausreiseuntersagungen, die Durchführung von Abschiebungen, die Anordnung von Überwachungsmaßnahmen und in geeigneten Fällen die Einschaltung des Kompetenzzentrums für Deradikalisierung.
Darüber hinaus ist die Ausländerbehörde München ständiges Mitglied einer bayernweit tätigen Arbeitsgruppe, bestehend aus Vertretern der zuständigen Bundes- und Landesbehörden. Sie wird u.a. dort von den Vertretern der Sicherheits- und Staatsschutzbehörden informiert, wenn sich Ausländerinnen und Ausländer, die dem islamistischen Terrorismus zuzurechnen sind, im Bereich der Landeshauptstadt München aufhalten.
Das Bürgerbüro ist für den Vollzug von pass- und personalausweisrechtlichen Maßnahmen zuständig. Bei diesem Personenkreis werden die Vorgaben des Bayerischen Staatsministerium des Innern, für Bau und Verkehr in Zusammenarbeit mit den Sicherheitsbehörden konsequent umgesetzt, so dass entsprechende einzelfallbezogene pass- und personalausweisrechtliche Maßnahmen durch das Bürgerbüro verfügt wurden und werden, um die mögliche Ausreise aus der Bundesrepublik Deutschland zu unterbinden.
Darüber hinaus verfügt das Kreisverwaltungsreferat basierend auf der sicherheitsrechtlichen Generalklausel des Landesstraf- und Verordnungsgesetzes, soweit notwendig, weitergehende Maßnahmen, wie Meldeauflagen, Kontaktverbote, Aufenthalts- und Betretungsverbote und Mitführverbote für bestimmte Gegenstände.
Von großer Bedeutung im Umgang mit sicherheitsgefährdenden Personen ist eine enge Zusammenarbeit der Stadtverwaltung mit den staatlichen Sicherheitsbehörden, um notwendige Maßnahmen unverzüglich einleiten zu können.
Frage 4:
Welche Möglichkeiten hat die LHM, zu verhindern dass sich auf ihrem Gebiet weitere Personen radikalisieren?
Antwort:
Das Kreisverwaltungsreferat als kommunale Sicherheitsbehörde sieht die Vermeidung möglicher Radikalisierungsprozesse als wesentlichen Bausteinpräventiver Sicherheitspolitik und bringt sich daher in verschiedenen Arbeitskreisen und Veranstaltungen zum Thema ein.
Es besteht ein enger Austausch mit den beteiligten Dienststellen innerhalb der Stadtverwaltung und auch mit externen Stellen.
Im Zusammenhang mit den Themen „Radikalisierung“ und „Salafismus“ bzw. „Islamismus“ werden eine Vielzahl unterschiedlicher Fragestellungen von internen und externen Stellen und aus der Bevölkerung an das Kreisverwaltungsreferat herangetragen. Soweit eine Beantwortung durch das Kreisverwaltungsreferat nicht abschließend möglich ist, erfolgt eine Weitervermittlung an die fachlich zuständige Stelle.
Stellungnahme der Fachstelle für Demokratie:
„Die Landeshauptstadt München hat unter Federführung der Fachstelle für Demokratie diverse Maßnahmen zur Optimierung der Verwaltungsstrukturen in diesem Bereich ergriffen und bearbeitet die religiöse Radikalisierung – ebenso wie andere Formen der Radikalisierung – im Rahmen des kommunalen Netzwerks.
Für das Kommunale Netzwerk pflegt die Fachstelle einen intensiven fachlichen Austausch – auch über konkrete Zahlen bzgl. radikalisierter Personen – mit dem Deradikalisierungsnetzwerk auf Landesebene und hier insbesondere mit dem Bayerischen Landeskriminalamt. Die in der Landeshauptstadt München fachlich mit der Thematik befassten Stellen haben sich auf eine Falldefinition analog der Falldefinition des Landeskriminalamtes geeinigt.
Das Stadtjugendamt/Jugendkulturwerk/politische Bildung bietet zudem ein Erstclearing an für Schulen und sozialpädagogische Einrichtungen. Hier kann sich pädagogisches Fachpersonal bei ‚Verdachtsfällen auf Radikalisierung‘ qualifiziert beraten lassen. Sollte sich der Radikalisierungsverdacht erhärten, wird umgehend das Kompetenzzentrum beim Landeskriminalamt eingeschaltet. Seit Anfang 2014 ergab sich hier kein Fall von Radikalisierung. Das Stadtjugendamt pflegt zur Thematik auch einen intensiven Austausch mit der NGO ‚Violence Prevention Network‘, die an das Landeskriminalamt angegliedert ist. Zusätzlich gibt es im Sozialreferat einen Arbeitskreis Radikalisierung in der Kinder- und Jugendhilfe. Dieser kommt 2 Mal im Jahr zu Sitzungen zusammen.
Auch im Bereich des RBS wird derzeit eine Struktur analog des Angebots im Stadtjugendamt etabliert. Diese referatsinternen Anlaufstellen arbeiten in enger Abstimmung miteinander und mit der Fachstelle für Demokratie.Darüberhinaus bieten diverse Stellen aus dem Kommunalen Netzwerk Fortbildungen zum Thema ‚Islam, Islamismus, Islamfeindlichkeit‘ an. Hierbei handelt es sich um präventive Angebote, die sensibilisieren und muslimische Jugendliche unterstützen sollen und die somit weit im Vorfeld einer möglichen Radikalisierung greifen. Zudem gibt es einen verwaltungsinternen Arbeitskreis ‚Salafismus‘ der sich einmal pro Jahr mit aktuellen Entwicklungen in Münchner Moscheegemeinden befasst. An diesem Arbeitskreis beteiligen sich KVR, die Stelle für Interkulturelle Arbeit, das Stadtjugendamt und künftig auch ein Vertreter/eine Vertreterin des RBS. Federführung hat hier die Fachstelle für Demokratie.“
Stellungnahme des Referats für Bildung und Sport:
„Angesichts der gesellschaftlichen Situation ist auch präventives pädagogisches Wirken notwendig. Unter anderem gilt es, sich mit der Vielfalt muslimischer Jugendkulturen auseinanderzusetzen und Kenntnisse zu Islam und Islamismus aber auch zu (antimuslimischem) Rassismus bzw. Muslimfeindschaft in Deutschland zu vertiefen.
Das Pädagogische Institut (Fachbereich Politische Bildung) widmet dem Themenfeld Interkulturalität – Diversität – Antidiskriminierung besondere Aufmerksamkeit und unterstützt die Bildungseinrichtungen dabei, menschenverachtende Ideologien der Ungleichheit bzw. allen Formen von Diskriminierung, insbesondere Rassismus, auf individueller und struktureller Ebene entgegenzuwirken.
Zur Unterstützung präventiven pädagogischen Wirkens werden Fortbildungen für Lehrkräfte und Erzieherinnen/Erzieher sowie Seminare und Workshops für Schulklassen angeboten, z. T. in Zusammenarbeit mit anderen Stellen. Auch spezielle Angebote zum Themenbereich Islam, Islamismus und antimuslimischer Rassismus sind im Programm.
Im Sinne einer präventiven Arbeit wird für Münchner Schulen zudem die umfassende Weiterbildungsreihe ‚Schule der Vielfalt: Interkulturalität, Diversität, Antidiskriminierung‘ (Zusatzqualifikation) für Lehrkräfte und Schulen angeboten.
Für Schulklassen bietet das Pädagogische Institut ein Programm zur Politischen Bildung an. Allein im Jahr 2016 wurden 195 Veranstaltungen mit Schülerinnen und Schülern durchgeführt: Workshops an der Schule, Exkursionen in München und Umgebung sowie mehrtägige Seminare in Schullandheimen/Tagungshäusern und Studienfahrten. Dabei wurden die Themenfelder Menschenrechtsbildung, Erziehung gegen Diskriminierung und Rassismus, Migration, Interkulturalität, Diversität, Verantwortung, Zivilcourage, die auch als Präventivangebote gegen Radikalisierung sind, häufig gebucht.
‚Schule ohne Rassismus – Schule mit Courage‘ (SOR-SMC), dessen Regionalkoordination im Fachbereich Politische Bildung angesiedelt ist, kann zudem als einschlägiges präventives Projekt angesehen werden, da es sich zum Ziel setzt, den gegenseitigen Respekt aller – in der Schule und darüber hinaus wirkend in der Gesellschaft – zu stärken und sich für Demokratie und gegen Gewalt bzw. menschenverachtende Ideologien einzusetzen.
Der PI-Fachbereich Politische Bildung (PI-FB4) arbeitet zudem eng mit dem Zentralen Schulpsychologischen Dienst (ZSPD) zusammen, der ebenfalls am Pädagogischen Institut (PI-FB7.2) angesiedelt ist.
Bei Verdacht auf Radikalisierung können sich die Schulen an den ZSPD wenden, der basierend auf dem Gesamtkonzept der Krisenintervention handelt und ggf. weitere Stellen einbezieht (weiteres siehe Antwort der Fachstelle für Demokratie).“