Diskriminierende Umsetzung der Versammlungsstättenverordnung (VStättV) bei RollstuhlnutzerInnen in den (kommunalen) Versammlungsstätten beenden
Antrag Stadtrats-Mitglieder Anna Hanusch, Jutta Koller, Dr. Florian Roth und Oswald Utz (Fraktion Die Grünen/Rosa Liste) vom 26.4.2016
Antwort Kreisverwaltungsreferent Dr. Thomas Böhle:
Ihr Anliegen betrifft eine Angelegenheit, die der laufenden Aufgabenerledigung zuzuordnen ist und deren Besorgung nach Art. 37 Abs. 1 GO und § 22 GeschO dem Oberbürgermeister obliegt. Eine beschlussmäßige Behandlung der Angelegenheit im Stadtrat ist daher rechtlich nicht möglich. Ich erlaube mir daher, Ihren Antrag in Abstimmung mit dem Oberbürgermeister auf dem Schriftweg zu beantworten. Für die gewährte Terminverlängerung bedanke ich mich.
Mit Schreiben vom 26.4.2016 haben Sie Folgendes vorgetragen:
„Antrag
NutzerInnen von Rollstühlen ist bei sämtlichen kommunalen Versamm- lungsstätten/Einrichtungen der Zugang auch ohne Begleitpersonen zu gewährleisten. Dies gilt auch, wenn im Schwerbehindertenausweis das Merkzeichen ‚B‘ für Begleitpersonen eingetragen ist.
Begründung:
Immer wieder wird Menschen mit Behinderungen, die im Alltag zur Fortbewegung auf einen Rollstuhl angewiesen sind, der Besuch von Konzerten, beispielsweise im Gasteig, ohne Begleitperson verwehrt. Als Begründung wird dann vom Veranstalter immer wieder § 42 Abs. 1 Satz 2 VStättV und/oder das ‚B‘ (steht für Begleitperson) im Schwerbehin- dertenausweis genannt, beides ist nach unseren Recherchen nicht zulässig.
In der Rechtsprechung ist mittlerweile eindeutig geklärt, dass das ‚B‘ im Schwerbehindertenausweis ‚die Berechtigung zur Mitnahme einer Begleitperson‘ und nicht ‚die Notwendigkeit ständiger Begleitung‘ bedeutet (siehe hierzu auch § 148 Abs. 4 Satz 2 Nr.1, § 149 Abs. 2 Satz 2 Nr. 1, § 151 Abs. 2 Satz 1 des Neunten Buches des Sozialgesetzbuches und § 3 Abs. 2 der Schwerbehindertenausweisverordnung).
Der Verweis auf den Brandschutz und die VStättV ist ebenso wenig zulässig, hier verweisen wir auf ein Schreiben der Obersten Baubehörde im Bayerischen Staatsministerium des Innern, für Bau und Verkehr vom 14.8.2014, siehe Anlage.“
Antwort:
Das Thema berührt mehrere Fachbereiche und Zuständigkeiten der Landeshauptstadt München. Deshalb habe ich sowohl die Branddirektion, die Lokalbaukommission, das Kulturreferat als auch die Gasteig München GmbH eingebunden und um Stellungnahme zu Ihrem Antrag gebeten. Insbesondere das Kulturreferat begrüßte den Antrag.
Aus den Beiträgen der Fachbereiche ergibt sich im Wesentlichen Folgendes:
Derzeit gibt es kein zwingendes Erfordernis, in Versammlungsstätten für Menschen mit Behinderung, insbesondere Rollstuhlbenutzern, generell Begleitpersonen zu fordern. Die konkrete Festlegung und Anwendung der organisatorischen Maßnahmen zur Rettung von Menschen mit Behinderung obliegt dem Betreiber der Versammlungsstätte und kann objektspezifisch stattfinden.
Die Versammlungsstättenverordnung sieht in § 42 vor, dass der Betreiber einer Versammlungsstätte Maßnahmen beschreiben muss, die die Rettung von Rollstuhlbenutzerinnen und -benutzern sicherstellen. Er ist dabei frei, hier entsprechende Konzepte zu entwickeln und darzustellen, die er in der Brandschutzordnung niederschreibt.
Wichtig ist auch die Feststellung, dass das Merkzeichen „B“ im Schwerbehindertenausweis nicht dazu verpflichtet, immer eine Begleitperson dabei zu haben. Es kann also auch nicht verlangt werden. Das Merkzeichen bedeutet vielmehr, dass die Berechtigung zur Mitnahme einer Begleitperson besteht. Insofern kann sich ein Betreiber nicht darauf berufen, dass eine Begleitperson dabei sein muss. Die eigenständige und selbstbestimmte Nutzung von Kulturangeboten muss möglich sein. Dies ist auch die Absicht der UN-Behindertenrechtskonvention.
In der Begründung der Änderung der Musterversammlungsstättenverordnung (Stand Juli 2014) wird zu § 42 Absatz 1 unter anderem ausgeführt: Für Personen, die sich nicht oder nur eingeschränkt selbst retten können (Menschen mit Behinderung, ältere Menschen oder Kinder), muss die Räumung als Teil der Personenrettung im Gefahrenfall Gegenstand geeigneter betrieblicher/organisatorischer Maßnahmen sein. Dies bedeutet, dass das Verbringen der hilfsbedürftigen Personen in sichere Bereiche unverzüglich durch Betriebspersonal eingeleitet werden muss.Auch aus diesen Erläuterungen ergibt sich, dass der Veranstalter/Betreiber der Versammlungsstätte für die Verbringung der hilfsbedürftigen Personen zuständig ist. Eine Begleitperson ist daher nicht zwingend erforderlich, um eine Veranstaltung besuchen zu können.
Der in Ihrem Antrag angesprochene Gasteig behandelt derzeit in Vorbereitung auf die Generalsanierung die Belange ‚Inklusion‘ im Rahmen der Erstellung des Nutzerbedarfprogramms als eigenen Themenkomplex und beabsichtigt, damit auch eine gute bauliche Lösung im Hinblick auf das Thema Entfluchtung zu finden.
Des Weiteren liege auch aus der Sicht der Gasteig München GmbH die Verantwortung für die Erstellung eines Sicherheitskonzepts und einer Brandschutzordnung inkl. der Entfluchtung aller Besucherinnen und Besucher bei der Gasteig München GmbH als Betreiberin des Gasteigs. Die Anforderung einer Begleitperson stelle aus deren Sicht angesichts des hohen Gefährdungsgrads im Notfall und der damit einhergehenden Risikominimierung eine geeignete Maßnahme dar, um der Organisationspflicht des Betreibers, die in der VStättV gefordert ist, nachzukommen.
Meines Erachtens ist die Anwesenheit einer Begleitperson geeignet, der Verantwortung als Betreiberin bzw. Betreiber gerecht zu werden. Dass es sich jedoch um eine von der Person mit Behinderung selbst mitgebrachte Begleitperson handeln müsse, ist rechtlich nicht haltbar.
Um Kenntnisnahme von den vorstehenden Ausführungen wird gebeten. Ich gehe davon aus, dass die Angelegenheit damit abgeschlossen ist.