Fachstelle für Demokratie erweitern – nach den jüngsten Krawallen in Giesing endlich auch gegen Linksextremisten vorgehen
Antrag Stadträte Hans Podiuk und Manuel Pretzl (CSU-Fraktion) vom 12.12.2016
Antwort Oberbürgermeister Dieter Reiter:
Am 12.12.2016 haben Sie folgenden Antrag gestellt:
„Der Stadtrat möge beschließen:
Die Fachstellen für Demokratie wird um das Themenspektrum Linksextremismus erweitert. Dazu werden entsprechende Konzepte entwickelt und dem Stadtrat vorgestellt.“
Ihr Einverständnis vorausgesetzt, teile ich Ihnen auf diesem Wege zu Ihrem Antrag Folgendes mit:
Der Antrag bietet die Gelegenheit, noch einmal die zuletzt mit dem Stadtratsbeschluss vom 28.09.2016 (Sitzungsvorlage Nr. 14-20 / V 06652) verankerte Ausrichtung der Fachstelle für Demokratie darzustellen. Der Münchner Stadtrat hat bereits frühzeitig erkannt, welche Herausforderungen auf die Landeshauptstadt München zukommen und deshalb den Fokus der Fachstelle für Demokratie schrittweise erweitert – wie sich auch an der veränderten Namensgebung der Fachstelle zeigt.
Erst kürzlich wurde in München gemeinsam das 70-jährige Jubiläum der Bayerischen Verfassung gefeiert. Darin heißt es – wie auch im ersten Artikel des Grundgesetzes der Bundesrepublik Deutschland: „Die Würde des Menschen ist unantastbar. Sie zu achten und zu schützen ist Verpflichtung aller staatlichen Gewalt.“ Dieser zentrale Grundsatz der Verfassung bildet auch das Fundament der Arbeit der Fachstelle für Demokratie der Landeshauptstadt München.
Daraus leitet sich der grundlegende Auftrag der Fachstelle ab, sämtliche demokratischen Kräfte in München, die sich den Angriffen auf die Menschenwürde Einzelner oder ganzer gesellschaftlicher Minderheiten entgegenstellen, weiter zu vernetzen, zu stärken und deren Arbeit zu bündeln. Denn eine demokratische Stadtgesellschaft stellt langfristig den besten Schutz gegen menschenfeindliche Tendenzen und insbesondere gegen jeden Angriff auf die Menschenwürde – sei es durch Ausgrenzung, Hass oder Gewalt – dar.Fokus der Fachstelle für Demokratie sind demokratie- und menschen- feindliche Tendenzen in der Münchner Stadtgesellschaft. Die Fachstelle entwickelt vorrangig Ansätze, wie Minderheiten in unserer Stadtgesellschaft geschützt und Zivilgesellschaft und Verwaltung im Umgang mit demokratie- und menschenfeindlichen Strömungen gestärkt werden können. Demokratie- und menschenfeindliche Tendenzen finden sich – wie die bundesweite Forschung zu diesem Thema zeigt – nicht nur am Rand der Gesellschaft, sondern zunehmend auch in der Mitte der Gesellschaft. Der Fokus der Fachstelle gilt der gesamten Bandbreite des Problems. Der „Extremismus“-Begriff hingegen verengt die Problemwahrnehmung und ist nicht zielführend, um das Problem umfassend zu bearbeiten.
Dies gilt, wie die Analysen des Verfassungsschutzes – sowohl auf Landes- als auch auf Bundesebene – bestätigen für den Bereich „Rechts“: „Früher hatten wir eine relativ geschlossene rechtsextremistische Community, zu der einige bekannte Parteien und Kameradschaften zählten. Heute wachsen ideologische Versatzstücke der Rechten in die Mitte der Gesellschaft. Eine klare Grenzziehung zwischen Rechtspopulist und Rechtsextremist gibt es nicht mehr.“ (Burkhard Körner, Präsident des Landesamts für Verfassungsschutz, Münchner Merkur, 02.01.17).
Auch das Bundesamt für Verfassungsschutz stellt fest:
„Der exorbitante Anstieg rechtsextremistischer Gewalt und die zunehmende Anschlussfähigkeit des Rechtsextremismus sind zwei das vergangene Jahr prägende Entwicklungen. Ausgehend von der gestiegenen Zahl an Flüchtlingen entwickelte sich eine Anti-Asyl-Agitation zum beherrschenden Thema im Jahr 2015. Sie ist von einer schwindenden Abgrenzung zum Rechtsextremismus und einer Akzeptanz von Gewalt und Militanz in Teilen der Bevölkerung geprägt. (…) Fremdenfeindliche Gewalt wird auch von Personen außerhalb rechtsextremistischer Strukturen verübt.“ (https://www.verfassungsschutz.de/de/arbeitsfelder/af-rechtsextremismus/zah-len-und-fakten-rechtsextremismus/zuf-re-2015-straf-und-gewalttaten).
Ebenso wenig hat sich die Verwendung des Begriffs „Linksextremismus“ als zielführend für den präventiv ausgerichteten Bereich der öffentlichen Verwaltung und die von ihr geförderte Zivilgesellschaft erwiesen. Dies gilt ebenso für Kommunen, in denen durch den Bund „Partnerschaften für Demokratie/Lokale Aktionspläne“ gefördert werden. Das zeigt sehr deutlich der wissenschaftliche Gesamtbericht zum Bundesprogramm „Initiative Demokratie stärken“(2010-2014) des Bundesministeriums für Familie, Senioren, Frauen und Jugend.Das durch das Ministerium mit der Bewertung der Modellprojekte gegen „Linksextremismus“ beauftragte Deutsche Jugendinstitut kam zu folgendem Ergebnis:
„Zusammenfassend gesagt dokumentieren sich in all diesen Erfahrungen die Bemühungen der Modellprojekte, den Programmgegenstand in konkreten Ausprägungen fassbar zu machen. Dies gelingt vor allem Projekten, die sich von der Problemkategorie „Linksextremismus“ und der Extremismustheorie lösen und eigene Übersetzungen und Konkretisierungen versuchten.“ (Deutsches Jugendinstitut: Gesamtbericht der wissenschaftlichen Begleitung des Bundesprogramms „Initiative Demokratie stärken“, S. 115).
Und weiter: „Dort, wo die Problemkategorie „Linksextremismus“ übernommen wurde, bleibt das Phänomen abstrakt und die Zielgruppe unspezifisch; dort wo distanziert-relativierende Projekte einzelne Probleme identifizierten und Zielgruppen spezifizierten, wurden Einzelphänomene wie „Antisemitismus“ oder „aktionsorientierte Gewalt“ bearbeitet, die kaum noch unter dem Begriff „Linksextremismus“ als wissenschaftliche Kategorie für einen konsistenten Ursachen- und Phänomenkomplex zusammengefasst werden können.“ (Deutsches Jugendinstitut: Gesamtbericht der wissenschaftlichen Begleitung des Bundesprogramms „Initiative Demokratie stärken“, S. 123)
In der Stadtverwaltung bietet das Stadtjugendamt Fortbildungen für Multiplikatoren sowie ein Erstclearing in Fällen von politischer oder religiöser Radikalisierung von Jugendlichen an. Dort können sich Betroffene und Fachpersonal Hilfe holen. Das aktuelle Bundesprogramm „Demokratie leben! Aktiv gegen Rechtsextremismus, Gewalt und Menschenfeindlichkeit“ (2015-2019) jedoch setzt insgesamt – ebenso wie die Fachstelle für Demokratie – vorrangig auf das Konzept der Gruppenbezogenen Menschenfeindlichkeit (GMF), um Problemstellungen zu bearbeiten. (Erst kürzlich haben die Fraktionen von CDU/CSU und SPD im Bundestag in einem gemeinsamen Antrag, „die Ankündigung des Bundesministeriums für Familie, Senioren, Frauen und Jugend, die Mittel für das Bundesprogramm „Demokratie leben! Aktiv gegen Rechtsextremismus, Gewalt und Menschenfeindlichkeit“ auf 104,5 Millionen Euro zu erhöhen“ begrüßt. Im Rahmen des Bundesprogramms wird bundesweit ziviles Engagement von Initiativen und Vereinen unterstützt, die sich für Demokratie und gegen Rassismus und Menschenfeindlichkeit einsetzen (Bundestags-Drucksache 18/10634).)
Trotz der unzähligen Beispiele für eine intakte, lebendige und verantwortungsvolle Münchner Stadtgesellschaft darf nicht verdrängt werden, dass es auch in München – wie überall in Deutschland – vermehrt zu Ausgrenzung, zu Abwertung und zur Infragestellung der Menschenwürde von einzelnen Personen oder ganzen gesellschaftlichen Minderheiten bzw. Gruppen kommt. So zeigt eine im Herbst 2016 veröffentlichte Studie der Ludwig-Maximilians-Universität, dass auch in München Minderheiten mit Misstrauen und Vorurteilen begegnet wird. Für München wurde u.a. festgestellt, dass insbesondere Muslime und Sinti und Roma einem hohen Diskriminierungsrisiko ausgesetzt sind. Ebenfalls in den Fokus von Abwertung und Ausgrenzung können in München verstärkt Juden, Homosexuelle, Arbeitslose und Flüchtlinge geraten (siehe zur Studie: http://www. muenchen/demokratie).
Die Studie zeigt auch: Demokratie- und menschenfeindliche Einstellungen ziehen sich durch alle Bevölkerungsgruppen. Es wäre deshalb ein Fehler, das Problem der Demokratie- und Menschenfeindlichkeit auf eine kleine Gruppe am äußersten rechten Rand des politischen Spektrums zu reduzieren. Dem Hass, der Ausgrenzung und der Gewalt muss stattdessen ein breites Werben für unsere Demokratie in allen Bevölkerungsgruppen und ein klares Bekenntnis zu den Werten unserer Verfassung entgegengesetzt werden. Wissenschaftler, die bundesweit zum Thema „Gruppenbezogene Menschenfeindlichkeit“ forschen, stellen fest: Die Ablehnung bestimmter Bevölkerungsgruppen „ist alarmierend und reicht bis weit in die Bevölkerungsteile, die sich selbst als Mitte oder links beschreiben.“
Erst kürzlich hat sich die Fachstelle für Demokratie beispielsweise im Rahmen einer ganztägigen Veranstaltung mit den verschiedenen (modernen) Facetten des Antisemitismus auseinandergesetzt. Die thematische Auseinandersetzung in den Workshops reichte vom „klassischen“ Antisemitismus über den Antisemitismus in der Einwanderungsgesellschaft bin hin zu Antisemitismus in Verschwörungstheorien und Kapitalismuskritik. Das Problemfeld „Antisemitismus“ und die Auseinandersetzung der Fachstelle für Demokratie mit diesem Thema zeigen sehr deutlich und beispielhaft, dass sich menschen- und demokratiefeindliche Positionen nicht zwangsläufig auf einen Rand des politischen Spektrums reduzieren lassen. Diese Erkenntnis prägt daher auch die konzeptionelle Arbeit der Fachstelle.
Ebenfalls ein Ausdruck zunehmender Demokratiefeindlichkeit ist die Austragung politischer Konflikte mittels Straftaten. Politische Konflikte dürfen in einer Demokratie nicht mit Gewalt gelöst werden. Auch das Misstrauen gegenüber den Institutionen des demokratischen Rechtsstaates ist Ausdruck zunehmender Demokratieverdrossenheit. Besonders ausgeprägt ist die Ablehnung gegenüber politischen Parteien, Medien/der Presse und den Sicherheitsbehörden. Für Vertrauen in die demokratischen und rechtsstaatlichen Institutionen zu werben – diese ggf. aber auch kritisch zu begleiten – ist Aufgabe der Fachstelle für Demokratie.Die Fachstelle sieht ihren Aufgabenbereich sehr klar abgegrenzt primär im präventiven und koordinierenden Bereich – zum Schutz der Menschenwürde aller hier lebenden Menschen und insbesondere von Minderheiten, die als Opfer in den Fokus von Ausgrenzung und Abwertung geraten. Sobald es zu demokratie- oder menschenfeindlich motivierten Straf- oder gar Gewalttaten kommt, ist die Polizei der richtige und verlässlichste Ansprechpartner zur Strafverfolgung der Täter.
Aus den dargelegten Gründen ist eine Erweiterung der Fachstelle für Demokratie um das Themenfeld „Linksextremismus“ weder zielführend noch notwendig.
Um Kenntnisnahme von den vorstehenden Ausführungen wird gebeten. Ich gehe davon aus, dass die Angelegenheit damit abgeschlossen ist.