Tierquälerei bei der Schweineschlachtung – auch in München?
Anfrage Stadtrats-Mitglieder Paul Bickelbacher, Herbert Danner, Gülseren Demirel, Katrin Habenschaden und Dominik Krause (Fraktion Die Grünen/Rosa Liste) vom 12.12.2016
Antwort Kreisverwaltungsreferent Dr. Thomas Böhle:
In Ihrer Anfrage vom 12.12.2016 „Tierquälerei bei der Schweineschlachtung – auch in München?“ führten Sie zunächst aus:
„Rund 60 Millionen Schweine werden in Deutschland jährlich geschlachtet, auch am Münchner Schlachthof. Für eine Studie des Bayerischen Landesamtes für Gesundheit und Lebensmittelsicherheit (LGL) wurden die Schlachtvorgänge in 20 der 30 größten Schlachtbetriebe in Bayern ein Jahr lang untersucht, nach Informationen der grün-rosa Fraktion auch Betriebe am Münchner Schlachthof.
Die Studie eröffnet einen selten möglichen Einblick hinter die Mauern der Schlachthöfe und zeigt, dass viele Betriebe durch Fehler und Nachlässigkeiten bei der Betäubung von Schweinen gegen das Tierschutzgesetz verstoßen. Das bayerische Verbraucherschutzministerium selbst spricht von ‚vereinzelt erneut gravierenden Mängeln‘. Wie die Süddeutsche Zeitung (SZ) am 08.12.2016 unter dem Titel ‚Schmerz, lass nach‘ zum Thema berichtete, wird vor allem die dem eigentlichen Schlachten vorausgehende Betäubung häufig mangelhaft durchgeführt – die SZ spricht unter Berufung auf die Studie von jedem vierten Tier! Dies führt bei den betroffenen Schweinen im schlimmsten Fall zu einem bewussten Erleben der Tötung durch Stich in die Halsschlagader oder des Verbrühens zur Abtrennung der Borsten – eine Grausamkeit, die den Tatbestand der Tierquälerei erfüllt.“
Ihre in diesem Zusammenhang an Herrn Oberbürgermeister Reiter gerichteten Fragen darf ich in Abstimmung mit dem Oberbürgermeister nachfolgend beantworten:
Frage 1:
Wurden in der angesprochenen Studie auch Münchner Schweineschlachtbetriebe untersucht?
Antwort:
Die Schweineschlachtung München GmbH wurde im Rahmen der erwähnten Studie des Landesamtes für Gesundheit und Lebensmittelsicherheit (LGL) kontrolliert.
Frage 2 und 3:
Wenn ja, wurden auch dort Verstöße gegen das Tierschutzgesetz festgestellt?
Wenn ja, welche waren das und in welcher Häufigkeit?
Antwort:
Im Rahmen der Kontrolle des LGL wurden Verstöße gegen tierschutzrechtliche Bestimmungen festgestellt, die vom LGL als geringgradig eingestuft wurden.
Es handelte sich hierbei um
- Bauliche Mängel:
einzelne Tränken mit unzureichendem Wasserfluss (inzwischen behoben); teilweise Seitenbegrenzung der Wartebuchten und Treibgänge nicht durchgängig gegen Hindurchstrecken der Gliedmaßen gesichert (wird baulich nachgerüstet); optische Hindernisse im Treibgang (inzwischen behoben)
- Organisatorische Mängel:
vereinzelt geringgradige Überbelegung der Wartebuchten (arbeitstägliche Kontrollen); ein Schwein mit Anzeichen einer Kreislaufschwäche infolge des Transports wurde nicht unverzüglich geschlachtet (arbeitstägliche Kontrollen); zu hoher Lärmpegel beim Treiben der Tiere (Mitarbeiter wurden geschult); zu geringe Reinigungsfrequenz des Bodens und dadurch Erhöhung der Rutschgefahr (Anpassung des Reinigungsplanes); nicht optimale Positionierung des Betäubers vor der Betäubungsbox (inzwischen behoben)
- Mängel bei der Elektrobetäubung
Optisches Signal bei fehlerhafter Betäubung nicht bestens platziert, da nicht im direkten Sichtfeld des Betäubers. Bei auf das Tier gerichtetem Blick kann der Betäuber das optische Signal nicht deutlich sehen. Hierzu muss er die Blickrichtung verändern.
- vorhandene Sachkundenachweise der am Tag tätigen Mitarbeiter waren vor Ort nicht einsehbar (inzwischen behoben)
Frage 4:
Wenn ja, sind diese Verstöße bei den Kontrolltätigkeiten des städtischen Veterinäramtes ebenfalls offenkundig und dokumentiert worden?
Antwort:
Einige der durch das LGL festgestellten, verschleißbedingt wiederkehrenden Mängel (z.B. nicht funktionsfähige Tränken; optische Hindernisse durch Beschädigungen im Treibgang) wurden bereits in der Vergangenheit durch das amtliche Überwachungspersonal beanstandet. Es wurden jeweils Fristen zur Behebung vereinbart, die seitens des Schlachtbetriebs eingehalten wurden.
Erstmalig vom LGL aufgezeigte Mängel und empfohlene Maßnahmen (Umpositionierung des Betäubers und Verkürzung des Reinigungsintervalls des Bodens) haben zum Ziel, einen flüssigeren, ruhigeren und noch schonenderen Zutrieb der Tiere zur Betäubungsfalle zu bewerkstelligen. Insoweit helfen sie, den tierschutzfachlich diffizilen Bereich des Zutriebs weiter zu verbessern.
Frage 4.1:
Wenn ja, mit welchen Konsequenzen für die privaten Betreiber der Schweineschlachtbetriebe?
Antwort:
Für bauliche Mängel wurden und werden jeweils Fristen vereinbart, die nachkontrolliert werden.
Organisatorische Mängel bzw. individuelles Fehlverhalten einzelner Mitarbeiter wurden im Rahmen von betriebsinternen Schulungen abgestellt. Die Schulungsprotokolle wurden KVR-I/52 auf Verlangen vorgelegt (in Kopie). Außerdem wurden mündliche Belehrungen von Mitarbeitern durchgeführt. Da die Mängel von LGL als geringgradig eingestuft wurden, wurde in Ausübung pflichtgemäßen Ermessens von der Einleitung eines Ordnungswidrigkeitenverfahrens abgesehen.
Frage 4.2:
Wenn nein, wie erklärt sich das Veterinäramt dies?
Antwort:
Entfällt.Frage 5:
Welche Anstrengungen werden durch das Veterinäramt heute und zukünftig unternommen, eine Schlachtung zu gewährleisten, die den Anforderungen des Tierschutzgesetzes entspricht?
Antwort:
Grundsätzlich ist festzustellen, dass für die Einhaltung der tierschutzrechtlichen Vorschriften die Schlachtbetriebe selbst verantwortlich sind. Die maßgeblichen Rechtsvorschriften fordern hierzu ausdrücklich detaillierte betriebliche Eigenkontrollen. Durch die amtliche Überwachung wird überprüft, ob diese Vorschriften eingehalten werden. Das dazu eingesetzte Personal sind primär amtliche Tierärztinnen und Tierärzte (KVR-I/52), die der fachlichen Aufsicht der Amtstierärztinnen und Amtstierärzte des Städtischen Veterinäramtes (KVR-I/51) unterliegen.
Im Rahmen der amtlichen Überwachung sind folgende Tätigkeiten durchzuführen:
1. Schlachttieruntersuchung: Prüfen, ob Anzeichen auf Tierschutzverstöße vorliegen sowie Feststellung evtl. Krankheiten der angelieferten Tiere
2. Klinische Untersuchung von ausgesonderten Tieren und Entscheidung über das weitere Vorgehen vor Ort (z.B. Schlachten an Ort und Stelle, Töten des Tieres und Entsorgung)
3. Überprüfung der Lebensmittelketteninformation (Anlage 7 der Tier-LMHV)
4. Kontrolle des Tiertransports bei der Ankunft im Schlachtbetrieb auf: - Zulassung nach Art. 10 oder 11 der VO (EG) Nr. 1/2005
- Befähigungsnachweis des Transporteurs nach Art. 17 Abs. 2, evtl. Zulassung nach Art. 18 der o.g. Verordnung
- Ausstattung und Zustand des Transportfahrzeuges (z.B. ausreichende Fahrzeughöhe, ausreichende Einstreu, Verletzungsmöglichkeiten)
- Verladungsdichte der Tiere, Zusammenstellung und evtl. Abtrennung der einzelnen Gruppen
- Transportfähigkeit und Wohlbefinden der Tiere
- Begleitdokumente > (FB-TSch-K03-23) (Formblatt aus fis-vl, Qualitätsmanagementsystem (QMS) für alle Bereiche des gesundheitlichen Verbraucherschutzes)
5. Überprüfung der Einhaltung der Tierschutzanforderungen vor Ort einschließlich der Eigenkontrolle des Schlachtbetriebs/Dokumentation:
- Entladung und Zutrieb
- Unterbringung der Tiere, Zustand der Tiere und deren Ruhigstellung vor der Betäubung
- Funktionalität der Betäubungsgeräte
- Durchführung der Betäubung
- Überprüfung des Betäubungserfolges
- Zeitintervall von Betäubung bis Entblutung, Entblutungserfolg, Umgang mit den Tieren (ruhig und schonend), → FB-TSch-K03-221
- Tätigkeit des Tierschutzbeauftragten des Betriebs und dessen Dokumentation
6. Überprüfung der korrekten Durchführung des Entblutungsschnittes
7.Überprüfung des Vorliegens der gültigen Sachkundenachweise der Beschäftigten in den Bereichen Handhabung und Pflege, Betäubung, Einhängen und Hochziehen sowie Entblutung
8. Kontrolle der Reinigung und Desinfektion der Tiertransportfahrzeuge
9. Dokumentation von Tierschutzverstößen.
Die amtliche Überwachung wird an jedem Schlachttag durch entsprechende Aufzeichnungen (Schlachttagebuch, Tagesprotokolle, Kontrollberichte, Formblätter, Checklisten/Arbeitshilfen aus dem amtl. Qualitätsmanagementsystem) dokumentiert.
Infolge der engen arbeitstäglichen Überwachung der Abläufe in den Schlachtbetrieben durch das amtliche Kontrollpersonal ist es möglich, bei kleineren Auffälligkeiten und Abweichungen von der vorgeschriebenen Verfahrensweise sofort zu reagieren und diese, soweit möglich, durch mündliche Anweisungen an die jeweiligen Verantwortlichen im Betrieb schnellstmöglich zu korrigieren. Da die Einhaltung der tierschutzrechtlichen und lebensmittelrechtlichen Vorschriften bei dem Lebensmittelunternehmer einen hohen Stellenwert einnimmt, werden korrigierende Maßnahmen in der Regel sofort umgesetzt.
Alle Mängel, die nicht sofort abgestellt werden können, müssen durch weitergehende Maßnahmen verfolgt werden: So werden z.B. Fristen zur Behebung von baulichen oder ausrüstungstechnischen Mängeln vereinbart, in seltenen schwerwiegenden Fällen muss die Schlachtung bis zur Behebung des Mangels unterbrochen werden (Bandstopp).
Solche Anweisungen werden im Kontrollbericht protokolliert und dem Rechtsunterworfenen gegen Unterschrift zur Kenntnis gegeben. Durch die im Durchschlagverfahren gefertigten Kontrollberichte (Original verbleibt beim Lebensmittelunternehmer, Durchschläge verbleiben bei der Behörde) werden alle Vorgänge für die Vorgesetzten der amtlichen Tierärzte und den Vollzug nachvollziehbar. Erforderlichenfalls werden auf deren Grundlage weitergehende verwaltungsrechtliche Maßnahmen (schriftliche Belehrungen, schriftliche zwangsgeldbewehrte Anordnungen, Einleitung von Bußgeld- oder Strafverfahren) veranlasst.
Seit 2012 gibt es im KVR ein Konzept mit Handlungsanweisungen zur Überwachung des Tierschutzes bei der Schlachtung. In diesem Konzept, das laufend aktualisiert wird, ist geregelt, wie die Kontrollen durch die amtlichen Tierärzte durchzuführen und welche Maßnahmen im Falle der Feststellung von Verstößen zu ergreifen sind. Das Konzept ist auf den rechtlichen Vorgaben im Bereich Tierschutz bei der Schlachtung und dem bayerischen Qualitätsmanagement (fis-vl) aufgebaut.
Mitte 2016 wurde ein Tierschutz-Team mit amtlichen Tierärzten etabliert, um Schwerpunktthemen im Bereich Tierschutz bei der Schlachtung zu bearbeiten (z.B. Erstellung von Verfahrensanweisungen im Bereich Transportfähigkeit).
Des Weiteren wurde 2016 ein Merkblatt zum Abladen und Treiben von Rindern und Schweinen für Schlachtbetriebe und Anlieferer durch KVR-I/5 erstellt und in beiden Schlachtbetrieben verteilt.
Seit Mitte 2016 werden von der AGL (Akademie für Fortbildungen von amtlichem Überwachungspersonal, angesiedelt beim LGL) spezielle Workshops zum Thema Tierschutz in großen Schlachtbetrieben angeboten, an denen bereits mehrere amtliche Tierärztinnen und Tierärzte teilgenommen haben. 2017 wird diese Fortbildung wieder angeboten, es sind bereits weitere Kolleginnen und Kollegen angemeldet.
Die Abteilung Veterinärwesen des KVR strebt an, bei der Rinder- und Schweineschlachtung über das gesetzlich vorgeschriebene Maß hinaus jeweils zusätzliche amtliche Tierärztinnen und Tierärzte eigens für die Kontrolle des Tierschutzes bei der Schlachtung einzusetzen. Hierdurch soll eine höhere Kontrolldichte aller tierschutzrelevanten Teilbereiche der Schlachtung erzielt werden. Die hierfür notwendigen zusätzlichen Stellen müssen noch durch den Stadtrat beschlossen werden.
Frage 6:
Gibt oder gab es, betreffend der Kommunikation des oben dargestellten Sachverhaltes bzw. der angesprochenen Ergebnisse der Studie nach außen, Absprachen zwischen dem bayerischen Verbraucherschutzministerium und dem Veterinäramt München?
Antwort:
Nein.
Frage 7:
Mit welchen Konsequenzen haben die BetreiberInnen von Schlachtbetrieben (ganz unabhängig von der genannten neuen Studie) in München zu rechnen, wenn Verstöße gegen das Tierschutzgesetz festgestellt werden?
Antwort:
Werden im Rahmen der amtlichen Überwachung Verstöße gegen tierschutzrechtliche Bestimmungen festgestellt, werden abhängig von der Art und Schwere des Verstoßes verwaltungsrechtliche Maßnahmen wie Belehrungen und Anordnungen veranlasst sowie Ordnungswidrigkeiten- oder Strafverfahren eingeleitet. Diese Vorgehensweise ist schriftlich fixiert und Teil des Tierschutzkonzeptes.
Sofern eine tierschutzgerechte Schlachtung der Tiere nicht sichergestellt ist (z.B. Verdacht auf technische Defekte an der Betäubungs- oder Entblutungsanlage; nicht ausreichende Anzahl sachkundiger Personen an den betreffenden Positionen), so wird die Schlachtung durch die amtlichen Tierärztinnen und Tierärzte unterbrochen, bis die festgestellte Abweichung behoben ist und eine tierschutzgerechte Schlachtung wieder gewährleistet ist.