Das neue Ausbildungsjahr hat begonnen – was machen die Abbrecher aus den Vorjahren?
Anfrage Stadtrats-Mitglieder Cetin Oraner und Brigitte Wolf (Die Linke) vom 14.9.2016
Antwort Bürgermeister Josef Schmid, Leiter des Referats für Arbeit und Wirtschaft:
Für die eingeräumte Fristverlängerung für die Beantwortung Ihrer Anfrage vom 14.9.2016 bedanke ich mich sehr herzlich. In dieser Anfrage führen Sie als Begründung aus, dass trotz des grundsätzlich guten Münchner Ausbildungsmarktes viele Jugendliche unversorgt bleiben bzw. ihre Ausbildung wieder abbrechen.
Zu den im Einzelnen gestellten Fragen kann ich Ihnen Folgendes mitteilen:
Frage 1:
Wie viele Auszubildende haben nach Beginn des Ausbildungsjahres 2016/17 (Stand etwa EndeSeptember 2016) noch keinen Ausbildungs- platz? Wie viel Prozent aller Auszubildenden entspricht dies?
Antwort:
Die Agentur für Arbeit München weist in Ihrer Pressemitteilung vom 2.11.2016 für den 30.9.2016 253 unversorgte Bewerberinnen bzw. unversorgte Bewerber aus. Das Bundesinstitut für Berufsbildung (BIBB) gibt in seiner Erhebung zum 30.9.2016 für den Bezirk der Agen tur für Arbeit München 12.600 neu abgeschlossene Ausbildungsverträge an. Somit entsprechen die 253 Unversorgten 2,0% der neu abgeschlossenen Ausbildungsverträge.
Frage 2:
Wie viele Auszubildende, die im Herbst 2016 mit einer betrieblichen Ausbildung begonnen haben, sind in einem Betrieb des „ersten Arbeitsmarktes“ untergekommen – aufgegliedert nach dem üblichen Branchenschlüssel – wie viele sind in „betreuenden“ Einrichtungen (Soziale Betriebe, BBJH u.ä. Einrichtungen) untergekommen?
Antwort:
Das BIBB weist in seiner Statistik zum 30.9.2016 die neu abgeschlossenen Ausbildungsverträge nicht nach Branchen, sondern nach zuständigen Stellen aus. Im Agenturbezirk München wurden im Jahr 2016 12.600 (Absolutwerte werden aus Datenschutzgründen vom BIBB jeweils auf ein Vielfaches von 3 gerundet; der Gesamtwert kann daher von der Summe der Einzelwerte abweichen) Ausbildungsverträge abgeschlossen. Mit 7.641 bzw. 60,7% entfallen die meisten der neu abgeschlossenen Ausbildungsverträge auf den Bereich Industrie und Handel. 2.565 bzw. 20,4% der Verträge wurden im Handwerk abgeschlossen. 1.818neue Ausbildungsverhältnisse bzw. 14,4% entfallen auf den Bereich der Freien Berufe. 432 Plätze bzw. 3,4% verteilen sich auf den Öffentlichen Dienst, 114Plätze bzw. 0,9% auf die Landwirtschaft und 27Plätze bzw. 0,2% auf die Hauswirtschaft.
Neben der Zahl der neu abgeschlossenen Ausbildungsverhältnisse weist das BIBB auch die Zahl der überwiegend öffentlich finanzierten Ausbildungsverhältnisse aus. Im Bezirk der Agentur für Arbeit München werden im Ausbildungsjahr 2016 156der 12.600 neu abgeschlossenen Ausbil-
dungsplätze überwiegend öffentlich finanziert, dies entspricht einem Anteil von 1,2%. In Deutschland beträgt der Anteil der überwiegend öffentlich finanzierten Ausbildungsplätze 3,4% (Alte Länder: 2,8%, Neue Län der und Berlin: 6,9%). 87der in München überwiegend öffentlich finanzierten Ausbildungsplätze entfallen auf das Handwerk, 48 auf Industrie und Handel und 21auf die Hauswirtschaft.
In München wurden im Ausbildungsjahr 2016 in der berufsbezogenen Jugendhilfe (BBJH) 51 Ausbildungsplätze neu abgeschlossen, darüber hinaus in den Sozialen Betrieben noch acht weitere.
Frage 3:
Wie viele Auszubildende haben im vergangenen Ausbildungsjahr die Ausbildung abgebrochen?
Antwort:
Für München liegen keine Angaben über die im vergangenen Ausbildungsjahr abgebrochenen Ausbildungsverhältnisse vor. Das BIBB weist im Datenreport zum Berufsbildungsbericht2016 auf Basis des Ausbildungsjahres 2014 die vorzeitigen Lösungen von Ausbildungsverträgen auf Länderebene und bundesweit aus. Vertiefende Analysen stellt das BIBB überwiegend für die bundesweiten Vertragslösungen zur Verfügung. Die Lösungsquote lag bundesweit im Zeitraum von 2009 bis 2014 jeweils konstant über 20%. Im Jahr 2014 belief sie sich auf 24,6% (2013: 25,0%, 2012: 24,4%, 2011: 24,4%, 2010: 23,0%, 2009: 22,1%). Im Jahr 2014 lag die Lösungsquote in Bayern am zweitniedrigsten, die geringste Lösungsquote wurde mit 21,4% für Baden-Württemberg und die höchste Lösungsquote mit 33,5% für Sachsen-Anhalt ausgewiesen.
Knapp zwei Drittel der bundesweiten Vertragslösungen 2014 erfolgten innerhalb der ersten zwölf Monate nach Vertragsbeginn, 33,9% der Verträge wurden während der ersten vier Monate (Probezeit) und 31,2% zwischen dem fünften und zwölften Monat gelöst.
Frage 4:
Wie viele Auszubildende haben danach wieder eine andere Ausbildungsstelle gefunden, wie viele sind noch auf der Suche bzw. an anderer Stelle des „Übergangssystems“?
Antwort:
Die Berufsbildungsstatistik erhebt den weiteren Ausbildungsverlauf der Auszubildenden nach Vertragslösung nicht. Außerdem wird im Rahmen der Berufsbildungsstatistik auch keine feste Personennummer erfasst, die über die Verknüpfung der Meldungen zu verschiedenen Verträgen der einzelnen Auszubildenden erlauben würde, den weiteren Ausbildungsverlauf innerhalb des dualen Systems nachzuzeichnen. Alexandra Uhly (Alexandra Uhly: Vorzeitige Lösung von Ausbildungsverträgen – Einseitige Perspektive dominiert die öffentliche Diskussion. In: Berufsausbildung in Wissenschaft und Praxis 42 (2013), Heft6, S. 4f.) betont jedoch, dass die vorzeitige Lösung eines Ausbildungsvertrags für einen großen Teil der Auszubildenden keinen Ausbildungsabbruch im Sinne eines Verlassens des dualen Systems darstellt. Auf Basis ver schiedener Studien kann davon ausgegangen werden, dass ca. die Hälfte der Aus zubildenden mit gelöstem Ausbildungsvertrag in relativ kurzer Zeit nach der Vertragslösung erneut einen Ausbildungsvertrag im dualen System abschließt. Diese vorzeitigen Vertragslösungen stellen also keinen Abbruch der dualen Berufsausbildung dar. Zudem verbleibt die Mehrheit (ca. 60%) der jenigen, die nach einer Vertragslösung im dualen System bleiben, im gleichen Ausbildungsberuf. Somit stellt ein Großteil der Vertragslösungen auch keinen Berufswechsel, sondern lediglich den Wechsel des Ausbildungsbetriebs dar. Von den restlichen 50% der Vertragslösungen stellt nur ein Teil endgültige Ausbildungsabbrüche dar, wohingegen ein anderer Teil nach Maßnahmen der Grundbildung bzw. Berufsvorbereitung oder dem Erwerb eines allgemeinbildenden Schulabschlusses erneut eine Berufsausbildung antritt.
Frage 5:
[italic]Lassen sich Angaben zur Verteilung dieser „Abbrecher“
a. auf die Branchen
b. auf die Betriebsgrößen
c. auf die Herkunft – Anteile mit Migrationshintergrund machen?[/italic]
Antwort:
Das BIBB analysiert im Datenreport zum Berufsbildungsbericht 2016 die vorzeitigen Vertragslösungen nach verschiedenen Merkmalen. Dabei ergeben sich für Frauen (25,0%) und Männer (24,3%) ähnlich hoheLösungsquoten. Deutlich unterschiedliche Lösungsquoten zeigen sich bei den Verträgen der Auszubildenden mit deutscher und ausländischer Staatsangehörigkeit (der Migrationshintergrund wird nicht erhoben). Von den Ausbildungsverträgen der ausländischen Auszubildenden wurden im Durchschnitt 32,3% vorzeitig gelöst, von den Ausbildungsverträgen der Auszubildenden mit deutschem Pass 24,1%.
Bei der Betrachtung der Lösungsquoten nach dem zuvor erworbenen allgemeinbildenden Schulabschluss zeigt sich deutlich, dass die Lösungsquote umso höher ausfiel, je niedriger der allgemeinbildende Schulabschluss der Auszubildenden war (ohne Hauptschulabschluss: 37,8%, mit Hauptschulabschluss: 35,8%, mit Realschulabschluss: 21,8%, mit Studien berechtigung: 13,7%). Das Risiko einer vorzeitigen Vertragslösung ist bei Auszubildenden mit bzw. ohne Hauptschulabschluss mehr als 2,5-mal höher als bei Auszubildenden mit Studienberechtigung.
Je nach Zuständigkeitsbereich ergeben sich bundesweit sehr unterschiedliche vorzeitige Lösungsquoten. Sie betragen 2014 in Industrie und Handel 21,5%, im Handwerk 32,8%, im Öffentlichen Dienst 5,8%, in der Landwirtschaft 23,6%, in den Freien Berufen 25,1% und in der Hauswirtschaft 28,8%.
Lösungsquoten nach Betriebsgröße lassen sich nicht berechnen, da die Berufsbildungsstatistik dieses Merkmal nicht erhebt. Verschiedene Erhebungen sprechen jedoch für ein deutlich höheres Vertragslösungsrisiko in Kleinbetrieben.(Alexandra Uhly. Vorzeitige Vertragslösungen und Ausbildungsverlauf in der dualen Berufsausbildung. Forschungsstand, Datenlage und Analysemöglichkeiten auf Basis der Berufsbildungsstatistik. Bundesinstitut für Berufsbildung 2015, Wissenschaftliche Diskussionspapiere Heft157)
Frage 6:
Lassen sich Gründe für den Ausbildungsabbruch identifizieren?
Antwort:
Der Datenreport des BIBB zum Berufsbildungsbericht 2016 verweist darauf, dass Gründe für Vertragslösungen im Rahmen der Berufsbildungsstatistik nicht mehr erhoben werden. Verschiedene Studien, die Auszubildende und Ausbildungsbetriebe (sowie teilweise auch Berufs schulen) direkt nach den Ursachen von vorzeitigen Vertragslösungen befragen, kommen zu dem Ergebnis, dass Auszubildende mit vorzeitig gelöstem Vertrag überwiegend Gründe wie Konflikte mit Ausbildern und Vorgesetzten, eine mangelnde Ausbildungsqualität und ungünstige Arbeitsbedingungen nennen. In geringerem Maße werden auch persönliche und gesundheitliche Gründe sowie falsche Berufsvorstellungen genannt. Betriebe nennen überwiegend mangelnde Ausbildungsleistungen der Auszubildenden und derenmangelnde Motivation oder Integration in das Betriebsgeschehen. Hier fällt auf, dass Auszubildende und Betriebe die Gründe für die Vertragslösung jeweils bei der anderen Seite sehen. Das BIBB betont, dass die direkte Frage nach Gründen noch keine Ursachenanalyse darstellt und die Gefahr nachträglicher Rechtfertigungen sowie wechselseitiger Schuldzuweisungen besteht.
Frage 7:
Welche Maßnahmen werden im Bereich der Landeshauptstadt schon angeboten?
Antwort:
Im Bereich der Landeshauptstadt München gibt es eine Vielzahl an Maßnahmen und Projekten, welche indirekt oder direkt Ausbildungsabbrüche vermeiden helfen sollen. Über eine gelungene Berufsvorbereitung sollen Jugendliche bei der Wahl des für sie passenden Ausbildungsberufs unterstützt werden. Während der Ausbildung gibt es eine Fülle an ausbildungsbegleitenden Angeboten, z.B. die Projekte pass(t)genau und pass(t)genau für junge Flüchtlinge (beide Münchner Jugendsonderprogramm des MBQ) oder die ausbildungsbegleitenden Hilfen und die assistierte Ausbildung (beide Agentur für Arbeit). Das Projekt „azuro – Ausbildungszukunftsbüro“ wird seit 2002 durch das Münchner Jugendsonderprogramm gefördert. Es stellt für ratsuchende Auszubildende ein wichtiges Präventions- und Interventionsangebot zur Verhinderung von Ausbildungsabbrüchen bzw. zur Sicherung der beruflichen Erstausbildung dar. Einen weiteren Beitrag für eine gelungene Berufswahl bildet das 2016 offiziell eröffnete JiBB (Jugend in Bildung und Beruf). In einer zentralen Anlaufstelle sollen alle jungen Menschen unter 25Jahren einen schnellen und niederschwelligen Zugang zu allen Informations-, Beratungs- und Unterstützungsangeboten in Fragen der betrieblichen, schulischen und hochschulischen Berufsbildung erhalten.
Ende 2008 hat der Senior Experten Service (SES) zusammen mit den Spitzenverbänden der deutschen Industrie, des Handwerks und der freien Berufe die Initiative „Verhinderung von Ausbildungsabbrüchen“ (VerA) aufgelegt. VerA wird im Rahmen der Initiative Bildungsketten vom Bundesministerium für Bildung und Forschung (BMBF) gefördert und auch in München angeboten. VerA ist ein Angebot an alle, die in der Ausbildung auf Schwierigkeiten stoßen und mit dem Gedanken spielen, ihre Lehre abzubrechen. Auf Wunsch stellt der SES diesen Jugendlichen berufs- und lebenserfahrene Senior Expertinnen und Experten zur Seite.Die Industrie- und Handelskammer (IHK) für München und Oberbayern hat ein Mediationsangebot im Ausbildungsbereich entwickelt. Nach Zustimmung von Ausbildungsbetrieb und Auszubildendem zur Durchführung des Mediationsverfahrens stellt die IHK eine Übersicht mit eh renamtlichen Mediatorinnen und Mediatoren zur Verfügung. Die Me diation soll beiden Parteien helfen, einen Konflikt dauerhaft zu lösen und die Ausbildung möglichst erfolgreich zu beenden.
Auch die Handwerkskammer für München und Oberbayern hat ihre Ausbildungsberaterinnen und Ausbildungsberater zu Mediatorinnen und Mediatoren weitergebildet. Darüber hinaus bietet sie mit der App „AppZubi 2.0“ ein Instrument, mit dem die Lehrlinge bei Problemen per „SOS-Button“ direkten Kontakt zur zuständigen Ausbildungsberaterin bzw. zum zuständigen Ausbildungsberater aufnehmen können. Für junge Menschen mit Fluchthintergrund beschäftigt die Handwerkskammer einen hauptamtlichen Ausbildungsbegleiter, der sich um die besonderen Belange der Zielgruppe im Stadtgebiet kümmert und die Ausbildung so stabilisieren soll.
Zudem soll im Rahmen der bundesweiten Allianz für Aus- und Weiterbildung ein „niedrigschwelliges Beschwerdemanagement“ eingeführt werden. Die Arbeitsgemeinschaft der bayerischen Handwerkskammern, der Bayerische Industrie- und Handelskammertag und der DGB Bayern haben gemeinsam eine Projektskizze erarbeitet, die ab 2017 erprobt werden soll und ebenfalls junge Menschen unterstützt, die Ausbildung erfolgreich zu durchlaufen und abzuschließen.
Ich hoffe, dass ich Ihre Fragen hiermit zufriedenstellend beantworten konnte.