Warum verzichtete Bundesfinanzminister Schäuble auf Milliardeneinnahmen?
Anfrage Stadtrats-Mitglieder Verena Dietl, Hans Dieter Kaplan, Horst Lischka, Gerhard Mayer und Klaus Peter Rupp (SPD-Fraktion) vom
16.2.2017
Antwort Stadtkämmerer Dr. Ernst Wolowicz:
In Ihrer Anfrage haben Sie folgenden Sachverhalt zugrunde gelegt:
„Der SPIEGEL behauptet in der Ausgabe vom 4.2.2017 (Seite 75), dass Bundesfinanzminister Wolfgang Schäuble fünf Jahre lang nichts gegen Steuertricks der Banken, die dem Fiskus Milliarden Euro vorenthalten haben sollen, unternommen hat, obwohl der damalige Münchner Oberbürgermeister Christian Ude ihm geschrieben habe, dass deutsche Banken ausländische Anleger bei der Umgehung der deutschen Kapitalertragssteuer unterstützten.“
Zu den im Einzelnen gestellten Fragen kann ich Ihnen Folgendes mitteilen:
Frage 1:
Wann genau hat sich der Münchner Oberbürgermeister an den Bundesfinanzminister Wolfgang Schäuble gewandt? Mit welchen Hinweisen? Mit welcher Aufforderung?
Antwort:
Herr Oberbürgermeister Christian Ude hat sich mit Schreiben vom 29. Juni 2011 an das Bundesministerium der Finanzen, Herrn Bundesfinanzminister Dr. Wolfgang Schäuble zum Thema Dividendenstripping mit dem Hinweis gewandt, dass ihm Erkenntnisse vorliegen, dass von Kreditinstituten das Dividendenstripping in einer neuen Form praktiziert würde. Das Kreditinstitut würde dabei ausländische Anleger bei der Umgehung der deutschen Kapitalertragsteuer unterstützen und vor der Dividendenzahlung deutsche Aktien von ausländischen Anlegern erwerben. Gleichzeitig würde ein Verkauf nach dem Dividendentermin vereinbart und durch eine Teilung der gesparten Kapitalertragsteuer sowohl für den ausländischen Anleger als auch für das Kreditinstitut Vorteile erzielt.
Im Hinblick auf diese legale Steuergestaltungsmöglichkeit hat Herr Oberbürgermeister Christian Ude Herrn Bundesfinanzminister Dr. Wolfgang Schäuble gebeten, die damit verbundene Regelungslücke zu schließen und das Aufkommen der Kapitalertragsteuer zu stärken.
Frage 2:
Wie hat Bundesfinanzminister Wolfgang Schäuble darauf reagiert?
Antwort:
Unter Hinweis, dass Herr Bundesfinanzminister Dr. Wolfgang Schäuble ihn mit der Beantwortung des o.g. Schreibens beauftragt hat, hat Herr Hartmut Koschyk, Parlamentarischer Staatssekretär im Bundesfinanzministerium (2009 – 2013), mit Schreiben vom 19. Juli 2011 Herrn Oberbürgermeister Christian Ude geantwortet, dass die geschilderte Gestaltung in der Praxis als Strategie zur Vermeidung der Besteuerung inländischer Dividendenerträge ausländischer Anteilseigner sowie inländischer Kommunen als Anteilseigner diskutiert würde. Die Ausgestaltung wäre dabei insbesondere durch Kombination von zwei Kassageschäften oder durch Verknüpfung von Kassageschäften mit Termin- oder Optionsgeschäften zur Nutzbarmachung der unterschiedlichen Behandlung von Dividendenerträgen einerseits und Veräußerungsgewinnen andererseits möglich.
Ob die geschilderte Gestaltung tatsächlich kein Fall des Missbrauchs von Gestaltungsmöglichkeiten sei oder eine gesonderte gesetzliche Regelung erforderlich sein würde, sei jedoch noch nicht abschließend geklärt. Zudem lägen dem Bundesfinanzministerium auch keine Erkenntnisse vor, die ein systematisches Vorgehen von Marktteilnehmern nahelegen würde. Auch von Seiten der Bundesländer sei bisher nicht auf die geschilderte Problematik hingewiesen worden. Die Thematik würde aber kurzfristig auf Arbeitsebene weiterverfolgt werden.
Frage 3:
Wann ist das Bundesfinanzministerium tatsächlich gegen die Tricks zu Las- ten des Fiskus vorgegangen?
Antwort:
Bei dem im o.g. Schreiben von Herrn Oberbürgermeister Christian Ude geschilderten Fall eines Dividendenstripping bzw. den in den letzten Jahren zunehmend in die öffentliche Diskussion gerückten Cum/Ex- bzw. auch Cum/Cum-Geschäften handelt es sich um komplizierte Finanzgeschäfte, bei denen es im Kern um die Vermeidung der Besteuerung von Dividenden in der Kapitalertragsteuer geht. Zahlreiche Akteure (Banken, Fonds und Händler) sollen in solche Geschäfte verwickelt sein. Auch ist umstritten, ob derartige Geschäfte rund um die Dividendenzahlung illegal oder nur unanständig sind bzw. wann der Fiskus gegen diese besonderen Geschäftspraktiken hätte vorgehen müssen. Auch ist nicht bekannt, wie hoch der mögliche Steuerschaden sein könnte. Da dem Vernehmen nach sehr vieleGeschäfte dieser Art in verschiedensten Varianten abgewickelt worden sein sollen, wird von einem Schaden in Milliardenhöhe ausgegangen. Nach ersten groben Schätzungen beläuft sich z.B. der in Deutschland entstandene Steuerschaden allein durch Cum/Cum-Geschäfte auf rund eine Milliarde Euro jährlich seit 2006 (vgl.: https://www.finanzverwaltung.nrw.de/de/was-passiert-nach-den-cum-cum-geschaeften).
Wann die steuerrechtlichen Besonderheiten derartiger Geschäfte dem Bundesfinanzministerium bekannt wurden bzw. das Bundesfinanzministerium tatsächlich gegen die Tricks zu Lasten des Fiskus vorgegangen ist, kann von hier nicht beantwortet werden.
Entsprechend den öffentlich zugänglichen Quellen ist allenfalls festzustellen, dass im Zeitraum 2012 – 2016 zu Cum-Ex-Geschäften einerseits einschlägige Fälle durch die Finanzgerichtsbarkeit entschieden wurden (vgl. FG Hessen vom 8.10. 2012 – DStR 2012, S. 2381 oder BFH vom 16.4.2014 – DStR 2014 S. 2012), in denen die mehrfache Anrechnung von Kapitalertragsteuer mit unterschiedlicher Begründung abgelehnt wurde und andererseits nach Ansicht der Bundesregierung Steuerausfälle durch ungerechtfertigte Erstattungen von Kapitalertragsteuer durch eine Neuregelung des Kapitalertragsteuerabzugsverfahrens im Rahmen des OGAW-IV-Umsetzungsgesetzes mit Wirkung ab 1.1.2012 für nicht mehr möglich erachtet wurden (vgl. BT-Drucksache 17/13638 vom 27.5.2013). Adressiert an die Problematik von sogenannten Cum-Cum Geschäften wurde im Rahmen des Gesetzes zur Reform der Investmentbesteuerung vom 19.7.2016 rückwirkend zum 1.1.2016 für bestimmte Fälle zudem die Anrechenbarkeit der Kapitalertragsteuer begrenzt (vgl. § 36 a EStG). Mit Pressemitteilung Nr. 9 des Bundesfinanzministeriums vom 7.3.2017 wurde aktuell mitgeteilt, dass in Kürze ein Erlass zur steuerlichen Aufarbeitung von Cum/Cum-Gestaltungen veröffentlicht werden wird. Die Finanzämter können damit flächendeckend und nach einheitlichen Kriterien Cum/Cum-Transaktionen aufgreifen, die vor der Gesetzesänderung bis 31.12.2015 durchgeführt wurden.
Zur Untersuchung der Gestaltungsmodelle sog. Cum-EX-Geschäfte mit Leerverkäufen um den Dividendenstichtag, die auf eine mehrfache Erstattung bzw. Anrechnung von Kapitalertragsteuer gerichtet waren, obwohl die Steuer nur einmal bezahlt wurde, wurde vom Deutschen Bundestag ein Untersuchungsausschuss eingerichtet, in dem geklärt werden soll, ob und wenn ja, wann – rechtzeitig – geeignete Gegenmaßnahmen von Stellen des Bundes ergriffen wurden, ob diese ausreichten und wer gegebenenfalls jeweils die Verantwortung in diesem Zusammenhang trug (vgl.: https://www.bundestag.de/ausschuesse18/ua/4untersuchungsausschuss).
Seit seiner Einsetzung im Februar 2016 traf sich der Ausschuss zu 42 Sitzungen und nach der Zeugenbefragung von Herrn Bundesfinanzminister Dr. Wolfgang Schäuble am 16.2.2017 wird derzeit der Untersuchungsbericht verfasst. Die Ergebnisse des Untersuchungsausschusses sollen noch in diesem Jahr im Deutschen Bundestag diskutiert werden.