Geburtenrekord und Hebammennotstand in München!
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Rathaus Umschau 63 / 2017, veröffentlicht am 31.03.2017
Geburtenrekord und Hebammennotstand in München!
Anfrage Stadtrats-Mitglieder Paul Bickelbacher, Herbert Danner, Gülseren Demirel, Lydia Dietrich, Katrin Habenschaden, Anna Hanusch, Jutta Koller, Dominik Krause, Sabine Krieger, Hep Monatzeder, Sabine Nallinger, Thomas Niederbühl, Dr. Florian Roth und Oswald Utz (Fraktion Die Grünen/ Rosa Liste) vom 7.2.2017
Antwort Stephanie Jacobs, Referentin für Gesundheit und Umwelt:
Ihre Anfrage begründen Sie mit folgender Beschreibung des Sachverhalts:
„Schon im Jahr 2014 wurden über 800 Frauen kurz vor der Geburt in Mün- chen von den Krankenhäusern abgewiesen, weil die Kapazitäten fehlten. Auf Grund der steigenden Geburtenzahlen kann für die Jahre 2015 und 2016 von noch höheren Zahlen ausgegangen werden. Nach uns vorliegen- den Informationen wurde bei Frauen die Geburt eingeleitet, ohne dass zunächst ein Bett im Kreißsaal zur Verfügung stand, die Frauen wurden stattdessen spazieren geschickt – von ‚Einleitung to go‘ ist die Rede. Zudem müssen Hebammen mittlerweile oft 3-4 Frauen gleichzeitig betreuen – ein unhaltbarer Zustand für die Hebammen und die betreuten Frauen. Planbare Geburten per Kaiserschnitt werden immer stärker bevorzugt. Die StKM hat sich bewusst diesem Trend nicht angeschlossen und die Kaiserschnittrate in den letzten Jahren gesenkt. Ebenso wird berichtet, dass die Betreuung der Frauen rund um die Geburt insbesondere in der StKM eine hohe Qualität aufweist und die Frauen nach der Geburt gut versorgt und informiert die Klinik verlassen (Zertifizierung Initiative babyfreundliches Krankenhaus). Die Frauen sind deutlich besser über das Stillen und den Umgang mit dem Baby informiert.“
Herr Oberbürgermeister Reiter hat mir Ihre Anfrage zur Beantwortung zugeleitet. Die darin aufgeworfenen Fragen beantworte ich unter Berücksichtigung der Stellungnahmen der Stadtkämmerei wie folgt:
Frage 1:
Wie viele Frauen wurden in den Jahren 2015 und 2016 in Münchens Kliniken vor der Geburt abgewiesen?
Antwort:
Verlässliche Zahlen über Abweisungen kurz vor der Geburt für die Jahre 2015 und 2016 liegen dem Referat für Gesundheit und Umwelt ebenso wenig wie für 2014 vor. Im Jahr 2014 kam es nicht zu ca. 800 Abweisungen kurz vor der Geburt, sondern diese Zahl meldeten die Kliniken insgesamt für alle Fälle, in denen sie die Anmeldungen der Frauen schon während der Schwangerschaft nicht angenommen hatten oder in denen sie die Frau kurz vor der Geburt bzw. nach Wehenbeginn an eine andere Klinik verweisen mussten. Es ist davon auszugehen, dass sowohl im Jahr 2014 als auch in den Folgejahren alle Frauen noch rechtzeitig versorgt wurden. Die dem Referat für Gesundheit und Umwelt vorliegenden Informationen lassen darauf schließen, dass die steigende Geburtenrate etwa ab Ende 2015 nicht zu einer höheren Zahl an Abweisungen, sondern allenfalls zu einer höheren Zahl an geordneten Verlegungen geführt hat. Im Übrigen sind die Kaiserschnittraten nicht gestiegen. Vielmehr haben einige Münchner Kliniken nach Erscheinen von internationalen Studien und Leitlinien, die die Nachteile der nicht medizinisch indizierten Kaiserschnittgeburt für Kind und Mutter herausstellen, ihre Kaiserschnittraten deutlich gesenkt.
Frage 2:
Welche Informationen hat das RGU zu den abgewiesenen Fällen in Münchens Kliniken?
Antwort:
Das Referat für Gesundheit und Umwelt hat keine Informationen über Einzelfälle. Dies widerspräche auch dem Datenschutz. Die Kenntnisse des RGU basieren auf den Informationen der im Jahr 2015 gegründeten AG Geburtshilfe München. In dieser AG sind bis auf eine kleine Privatklinik alle Münchner geburtshilflichen Abteilungen sowie die Berufsverbände der Hebammen und Gynäkologinnen bzw. Gynäkologen und Schwangeren-
beratungsstellen vertreten. Die AG tauscht sich regelmäßig zu den Engpässen in der Geburtshilfe aus und hat sich ausführlich mit der Thematik der immer wieder notwendig werdenden Verlegungen befasst. Es wurde Einigkeit darüber erzielt, dass keine Frau mit Wehen abgewiesen werden soll, wie es in 2014 tatsächlich vorgekommen war. Daher wurden gemeinsam Leitlinien zum Vorgehen bei Verlegungen entwickelt. Zentrale Punkte darin sind das verbesserte IVENA-eHealth-System, die Inanspruchnahme einer zentralen Kreißsaal-Telefon-und Faxliste für München und Umland und einheitliche Übergabeformulare. Nur noch in Ausnahmefällen kam es seitdem im Fall einer Überlastung von Abteilungen zu Abweichungen von diesem Prozedere, was sehr bedauerlich ist. Die Zusammenarbeit der Kliniken Münchens und des Umlandes hat sich laut den Teilnehmerinnen und Teilnehmern der AG Geburtshilfe seit 2015 deutlich verbessert. Es wurden zudem gemeinsame Empfehlungen aller Berufsgruppen rund um die Geburt entwickelt, die der Beschlussvorlage „Versorgungssituation rund um die Geburt“ (Beschluss der Vollversammlung vom 20.7.2016) als Anlage 3 beigefügt waren. (Versorgungssituation rund um die Geburt, Sitzungsvorlage Nr. 14-20/V 06006, Beschluss der Vollversammlung vom 20.7.2016)
Frage 3:
Wurden auch in der StKM Frauen abgewiesen?
Antwort:
Das Referat für Gesundheit und Umwelt hat davon Kenntnis, dass auch in den Frauenkliniken der Städtisches Klinikum München GmbH (StKM) Frauen weiterverwiesen werden mussten. Belastbare Zahlen zu den Abweisungen liegen dem RGU jedoch noch nicht vor. Sie werden derzeit aufbereitet und in einer gemeinsamen Beschlussvorlage der Stadtkämmerei zu den Themen Versorgung von Frühgeborenen und Babyboom (gemeinsame Sitzung des Finanzausschusses und des Gesundheitsausschusses am 4.4.2017 – Sitzungsvorlage Nr. 14-20/V 08051) dargestellt.
Frage 4:
Kann der Hebammennotstand beziffert werden und wenn ja, wie viele Hebammen fehlen, um die Geburten gut zu betreuen?
Antwort:
Der Hebammennotstand in der stationären Geburtshilfe wäre anhand der nicht besetzten Stellen zu beziffern. Hierzu wurde vom Bayerischen Hebammenverband (in der Folge: BHLV) im Dezember 2016 eine Umfrage bei allen Münchner Kliniken gestartet, auf die die meisten Münchner Kliniken, jedoch nicht alle, geantwortet haben. Deshalb ist eine genaue Bezifferung des Hebammennotstandes nicht möglich. Aus den eingegangenen Daten ist erkennbar, dass sich die Besetzung der Hebammenstellen gegenüber den Antworten auf die Klinikbefragung im Januar 2015 deutlich verbessert hat. Die Daten lassen jedoch keine Rückschlüsse darauf zu, wie viele Hebammen genau fehlen.
Gemäß dem Stadtratsbeschluss „Aufbau eines medizinischen Versorgungsmanagements“ (2 Aufbau eines medizinischen Versorgungsmanagements, Sitzungsvorlage Nr. 14-20/V 06001, Beschluss der Vollversammlung vom 20.7.2016) mit seinem Schwerpunkt „Rund um Schwangerschaft und Geburt“ (Vergabebeschluss „Rund um Schwangerschaft und Geburt“, Sitzungsvorlage Nr. 14-20/ V06893, Beschluss der Vollversammlung vom 15.11.2016) hat das Referat für Gesundheit und Umwelt eine Studie in Auftrag gegeben, die die Versorgungssituation genauer analysieren soll. Ziel ist es, aus den gewonnenen Daten kurz-, mittel- und langfristige Prognosen zur gesundheitlichen Versorgung abzuleiten und notwendige Maßnahmen zur Verbesserung zu erarbeiten. Die Studie ist auf ein Jahr angelegt. Ergebnisse sind frühestens im ersten Quartal 2018 zu erwarten.
Frage 5:
Welche Möglichkeiten sieht das RGU auf die Träger staatlicher, freigemeinnütziger und privater Krankenhäuser einzuwirken, damit dieser unhaltbare Zustand beendet wird?
Antwort:
Das Referat für Gesundheit und Umwelt sieht den Austausch der Kliniken in der AG Geburtshilfe und im Runden Tisch Pflege als den wichtigsten – und bereits erfolgreichen – Weg an, auf Verbesserungen in der Versorgung hinzuwirken. In der AG Geburtshilfe werden Informationen zur Bedarfsentwicklung und zu verschiedenen Formen der Organisation von Hebammenarbeit (Beleghebammensystem, Teammodelle und Teament-
wicklung für Hebammen in Anstellung) ausgetauscht. Nichtstädtische Klinikträger haben in der Folge begonnen, ihre Raumkapazitäten auszubauen und/oder ihre Teamstrukturen zu verändern. Dadurch wurde in München in 2016 die Auslastung der Kliniken besser verteilt und die Versorgung in der Geburtshilfe verbessert.
Frage 6:
Welche Möglichkeiten sieht das RGU, diesem Notstand aus städtischer Sicht zu begegnen (zusätzliche Kreißsäle, frei praktizierende Hebammen fördern, weiteres Geburtshaus, Hebammenpraxen unterstützen)?
Antwort:
Am 7.7.2016 wurde dem Stadtrat im Rahmen einer Beschlussvorlage über die „Versorgungssituation rund um die Geburt“ (Versorgungssituation rund um die Geburt, Sitzungsvorlage Nr. 14-20/V 06006, Beschluss der Vollversammlung vom 20.7.2016) berichtet, woraufhin der Stadtrat ein umfangreiches Maßnahmenpaket zur Verbesserung der Versorgungssituation beschlossen hat. Eine der Maßnahmen ist die Verbesserung der Vernetzung der Münchner Kliniken bei akuten Engpässen in der geburtshilflichen Versorgung (siehe Antwort zu Frage 2).
Der Austausch der Kliniken zum aktuellen Bedarf an geburtshilflichen Kapazitäten muss fortgesetzt werden, um die rechtzeitige Fortentwicklung der Klinikkapazitäten zu ermöglichen. Die StKM GmbH hat dem Stadtrat bereits im April 2016 (5 Städtisches Klinikum München GmbH, Krankenhaus Schwabing: Mehr Räume und Personal in der Frauenklinik, Erhalt aller Kreißsäle in den städtischen Kliniken, Sitzungsvorlage Nr. 14-20/V 05416, Beschluss der Vollversammlung vom 20.4.2016) angekündigt, die geburtshilflichen Kapazitäten auf jährlich 6.700 Geburten bis zum Jahr 2022 zu erhöhen.
Da zusätzliche Raumkapazitäten von jeder Klinik bei der Abteilung Krankenhausplanung im Bayerischen Staatsministerium für Gesundheit und Pflege beantragt werden können – und auch bereits beantragt und gebaut wurden – liegt das Problem vorrangig bei den Personalkapazitäten im Bereich der angestellten Hebammen. Das RGU befasst sich im Rahmen des Runden Tisches Pflege an Münchner Kliniken mit Möglichkeiten, wie Personal im Bereich Akutpflege und Geburtshilfe gewonnen und gehalten werden kann. Konzepte dazu können nur gemeinsam mit allen dort vertretenen Akteuren erarbeitet werden. Für den Sommer 2017 ist eine Vergabe einer Studie zur personellen Situation in der Geburtshilfe und Pflege geplant. (Siehe auch BV Einrichtung des „Runden Tisch für Pflege an Münchner Krankenhäuser“, Sitzungsvorlage Nr. 14-20/V 06576, Beschluss der Vollversammlung vom 19.10.2016)
Das Geburtshaus hat nach eigener Auskunft trotz steigender Auslastung noch freie Kapazitäten und geht davon aus, in 2017 bis zu 300 Geburten und damit ca. 85 Geburten mehr als in 2016 versorgen zu können. Weder durch das Geburtshaus noch durch Hebammenpraxen kann der Bedarf an den von fast allen Frauen gewünschten Klinikgeburten gedeckt werden.
Das Referat für Gesundheit und Umwelt gibt durch umfassende Öffentlichkeitsarbeit wie zum Beispiel den im Jahr 2016 erschienenen Flyer „Das Baby kommt – Geburt in München“, Internetinformationen und Stadtteilflyer den Frauen Informationen an die Hand, die sie darin unterstützen, sich gut auf die Situation in der Geburtshilfe und das Wochenbett vorzubereiten (Siehe auch unter www.muenchen.de/geburt).