Arbeit 4.0 (III): Wie stellt sich die Landeshauptstadt München den Herausforderungen an die Bildungsinhalte in den Berufsschulen?
Anfrage Stadtrats-Mitglieder Cetin Oraner und Brigitte Wolf (Die Linke) vom 22.11.2016
Antwort Referat für Bildung und Sport:
Auf Ihre Anfrage vom 21.11.2016 nehme ich Bezug. Sie haben Ihrer Anfrage folgenden Text vorangestellt:
„Die Arbeitswelt durchläuft derzeit eine Phase raschen Wandels durch eine fortschreitende Digitalisierung und Vernetzung der meisten Prozesse in Herstellung, Montage, Logistik und Verwaltung. Für die Lehrkräfte an den städtischen beruflichen Schulen bedeutet dies – auch wenn die Rahmenlehrpläne Angelegenheit des Freistaates sind – dass einerseits noch genauere Kenntnisse erforderlich sind darüber was in den diversen Produktionsprozessen wirklich vor sich geht, und andererseits wie mehr fachübergreifendes Wissen im Unterricht vermittelt werden kann.“
Zu den von Ihnen gestellten Fragen kann ich Ihnen Folgendes mitteilen:
Im Bereich der städtischen beruflichen Schulen betrifft das Thema Arbeit 4.0 im Besonderen die Städtische Berufsschule für Fertigungstechnik, die Städtische Berufsschule für Industrieelektronik und die Städtische Fachschule für Maschinenbau-, Metallbau-, Informatik- und Elektrotechnik – Technikerschule München bereits heute intensiv. Daher sind diese Schulen mit diesem Thema vertraut und können die Auswirkungen und den Handlungsbedarf am besten abschätzen.
An der Städtischen Berufsschule für Industrieelektronik wird beispielsweise seit Jahren der fachliche Unterricht auf Arbeit 4.0 ausgerichtet und auch die Unterrichtsinhalte der allgemeinbildenden Fächer sind hierbei eingebunden. Alle Lehrkräfte sind an der Schule im Umgang mit Kommunikationstechnik geschult und benutzen vernetzte Systeme (SMART-Technik).
Die Technikerschule München beschäftigt sich mit dem Thema „Automatisierungstechnik“ seit fast 20 Jahren. Die bestehende technische Ausrüstung (Steuerungstechnik, Software, SPS, Interneteinbindung usw.) wurde in diesem Zeitraum ständig ausgebaut und erweitert. Derzeit erreicht die Modellanlage „Digitale Fabrik“ am Standort Bergsonstraße Industriestandard, wodurch die Schülerinnen und Schüler entsprechend ausgebildet werden können. Eine zweite, hochmoderne Anlage zur Steuerungs- und Automatisierungstechnik wird derzeit am Standort Deroystraße aufgebaut.Auch die Städtische Berufsschule für Fertigungstechnik arbeitet bereits intensiv mit einzelnen Betrieben an Projekten zu Arbeit 4.0, welche im Juli 2016 präsentiert werden konnten, weitere sind in Planung. Das Besondere dabei ist die Einbindung von Lehramtsstudentinnen und -studenten der TU München in die Projektentwicklung. Eine Ausweitung auf andere Berufsfelder (Industrie-, Zerspanungsmechanik) und weitere Firmen ist angedacht und soll mittelfristig umgesetzt werden.
Frage 1:
Gibt es von den städtischen Berufsschulen ein Feedback bzw. Anfragen, wie die Zusammenarbeit mit den Ausbildungsbetrieben enger geknüpft werden kann?
Antwort:
Anfragen der städtischen Berufsschulen liegen dem Referat für Bildung und Sport - Geschäftsbereich Berufliche Schulen aktuell nicht vor.
Die städtischen Berufsschulen arbeiten allgemein sehr eng mit den Ausbildungsbetrieben zusammen und haben schulspezifische Konzepte, um diese intensive Zusammenarbeit weiterhin voranzutreiben.
An der Städtischen Berufsschule für Industrieelektronik ist zudem der Fachunterricht durchgängig handlungsorientiert in berufsspezifischen Wochenmodulen konzipiert, welche auf die jeweilige Berufsgruppe zugeschnitten sind. In den jährlichen, für alle Berufsgruppen stattfindenden „Tagen der Betriebe“ werden u.a. Informationen zum aktuellen Stand der Technik ausgetauscht. Seit Sommer 2016 wurden in Anlehnung an die technische Anforderung der Ausbildungsbetriebe drei Fachräume (IFUs) mit lokalen Netzen ausgestattet. Im Februar 2017 erfolgt die Erweiterung der schulinternen Vernetzung nach Standard 4.0. Zudem wurden in Anlehnung an die technische Entwicklung der dualen Partner bereits Sondermittel für die Aktualisierung der Ausstattung weiterer Fachräume der Schule beantragt.
Weiterführende berufliche Schulen wie beispielsweise die Technikerschule haben keine dualen Ausbildungspartner. Dennoch werden intensive Kontakte zu den Betrieben gehalten, insbesondere über die Betreuung der Projektarbeiten.
Frage 2:
Welche Qualifizierungs- und Weiterbildungsangebote könnten den Lehrkräften an den Münchner beruflichen Schulen in Zusammenhang mit „Arbeit 4.0“, den Veränderungen in der Produktion und den Anforderungen an fachübergreifender Kenntnisvermittlung gemacht werden?
Antwort:
An den Münchner beruflichen Schulen wurden und werden bereits Schulinterne Lehrer-Fortbildungen (SchiLF) für die Fachlehrkräfte zum Thema Arbeit 4.0 durchgeführt. Auch Betriebspraktika sind eine Möglichkeit der Weiterbildung.
An der Städtischen Berufsschule für Industrieelektronik werden in dem neuen, nach Industriestandard 4.0 konzipierten und eingerichteten Raum „Energietechnik“ (Einweihung Juli 2016) die Lehrkräfte kontinuierlich zu diesem Thema geschult, die Lerninhalte aktualisiert und im Unterricht praktiziert. Nach der Definition „Menschen, Maschinen, Anlagen, Logistik und Produkte kommunizieren und kooperieren direkt miteinander“ ist das Unterrichtskonzept für und in diesem Fachraum aufgebaut. Mit Hilfe des eingearbeiteten medienpädagogischen Projekts ist es allen Beteiligten möglich, die o.g. Definition aktiv zu gestalten und zu erleben. Hierzu gehören u.a. vernetzte Geräte, Multianalysatoren, Smart-Home-Gebäudetechnik, Energiesteuersysteme, welche über mobile Endgeräte erreichbar und steuerbar sind.
Dennoch sind zusätzliche Qualifizierungs- und Weiterbildungsangebote für das Lehrpersonal auf verschiedenen Ebenen sinnvoll bzw. notwendig, da die Themen „Arbeit 4.0“, aber auch „Industrie 4.0“ generell einen hohen Qualifizierungsbedarf generieren, nicht nur auf der technologischen Seite, sondern auch in den Bereichen Logistik, Dienstleistung, Verkauf sowie Planung und Produktionssteuerung und in Bezug auf die informationstechnischen Anforderungen (Software, Servertechnik, Internet, Programmierung usw.).
Grundsätzlich wäre eine schrittweise Fort- und Weiterbildung der Lehrkräfte zum Thema Arbeit 4.0 sinnvoll.
Zum einen könnten künftig verstärkt Basisfortbildungen für größere Gruppen von Lehrkräften am Pädagogischen Institut angeboten werden und neben Definitionen und Stand der aktuellen Forschung auch die aktuelle Entwicklung und die sich daraus ergebenden Möglichkeiten an den beruflichen Schulen zum Thema haben, aber auch die künftige Rolle der Berufsschule beleuchten.Auch pädagogische Fortbildungen, welche sich mit der Nutzung digitaler Medien zum Lernen, Unterrichtskonzepten 4.0, Informationsgewinnung, Einbindung von digitalen Medien und der Verknüpfung mit und im Unterricht, Lern- und Austauschplattformen oder Wissensdatenbankenbeschäftigen, könnten vom PI durchgeführt werden und werden teilweise bereits angeboten.
Darüber hinaus müssen aber spezielle Fortbildungen in den unterschiedlichsten Bereichen erfolgen: Im Bereich der Technik sollten in Vernetzung, Simulation, Diagnose oder Roboterprogrammierung, aber auch in speziellen Fachgebieten wie dem Manufacturing Execution System (MES), ausgewählte Kolleginnen und Kollegen ausgebildet werden, um entsprechend hochqualifizierte Spezialisten zu gewinnen, die dann als Multiplikatorin bzw. Multiplikator ihr Wissen an das Kollegium weitergeben können. Diese Fachfortbildungen sind sehr speziell, sehr kostenintensiv und werden nur von ausgewählten externen Anbietern durchgeführt.
Nicht zu vernachlässigen ist auch die Umsetzung des Themas „Auswirkung auf die Sozialsysteme und die gesellschaftlichen Folgeerscheinungen durch die zunehmende Automatisierung“ im Rahmen der gesellschaftswissenschaftlichen Fächer. Hier würden Fortbildungen im Zuge einer Lehrplanumstellung erfolgen.
Frage 3:
Wie könnte das PI (Pädagogisches Institut) bzw. die mvhs (Volkshochschule) hier durch Angebote zur Unterstützung und Weiterbildung von Be- rufsschullehrkräften praktische Hilfestellungen entwickeln?
Antwort:
Die MVHS liegt nicht in der Zuständigkeit des Referats für Bildung und Sport, so dass hierzu keine Aussage gemacht werden kann. Das Pädagogische Institut ist der Geschäftsbereich des Referats für Bildung und Sport, der in der Landeshauptstadt München unter anderem für die Fortbildung des Lehrpersonals zuständig ist.
Das Pädagogische Institut bietet die folgenden Unterstützungsangebote zur Qualifizierung und Weiterbildung von Lehrkräften an beruflichen Schulen im Rahmen von Arbeit 4.0 an bzw. könnte diese durch Bereitstellung von personellen und finanziellen Ressourcen anbieten, ausbauen und/oder vertiefen:1. Lern-/Austauschplattform „fronter“
Die vom Referat für Bildung und Sport zur Verfügung gestellte Lernplattform „fronter“ leistet auch im Rahmen von Arbeit 4.0 einen wichtigen Beitrag. In geschlossenen virtuellen Räumen können schnell, zeit- und raumunabhängig Informationen ausgetauscht werden. Durch einen elektronischen Kalender können mit allen Beteiligten (Schulleitung, Lehrkräfte, Schülerinnen und Schüler, Ausbildungsbetriebe) Termine vereinbart werden. Ein individueller Lehrplan kann in der Lernplattform hinterlegt werden, um Lernfortschritte und erreichte Qualifikationsniveaus festzuhalten und entsprechend auf Lernfortschritte zu reagieren. Für die Schülerinnen und Schüler stehen zu jeder Zeit alle für sie notwendigen Informationen und Unterrichtsmaterialien zur Verfügung. In den nur für sie zugänglichen Bereichen können sie mit ihren Lehrkräften zeitunabhängig kommunizieren. Da die Lernplattform kollaborativ aufgebaut ist, kann mit einfachen Editionswerkzeugen eine Wissensdatenbank errichtet werden, die orts- und zeitunabhängig erreichbar ist. Ähnlich wie bei der größten Wissensdatenbank der Welt, „Wikipedia“, können alle Lehrkräfte und auch Schülerinnen und Schüler diese gemeinsam erstellen. Das Pädagogische Institut Fachbereich 9 – Medienpädagogik und Neue Medien betreut dieses Projekt und seine Weiterentwicklung, bietet dazu Fortbildungskurse an und berät Lehrkräfte in pädagogischen und technischen Fragen beim Einsatz der Lernplattform.
2. Modellprojekt des Pädagogischen Instituts mit der Städtischen Berufsschule für Industrieelektronik
Bei der Neuausstattung des Fachraums ENE 2 in der Städtischen Berufsschule für Industrieelektronik wurde erstmals in München ein Raum mit einer großen Anzahl vernetzter Geräte, Multianalysatoren, Gebäudesystemtechnik (Smart Home), Energiesteuerung mit I-Pads verbunden. Alle Geräte können über LAN und WLAN mit PC und I-Pads erreicht werden. Mit den I-Pads werden beispielsweise Messungen erfasst, die für weitere Dokumentationen verwendet werden. Betriebsmittel mit Webinterface werden mobil über das I-Pad programmiert und parametriert. Zudem werden verschiedene Unterrichtsszenarien mit den Tablets erprobt und die Erfahrungen können somit direkt in die weitere Entwicklung von pädagogischen Konzepten und Fortbildungsangebote einfließen.
3. Schulinterne Lehrerfortbildungen (SchiLF) und Fortbildungen bei fremden Trägern
Aufgrund der Vielfalt der auszubildenden Fachrichtungen und den daraus resultierenden spezifischen Fortbildungsbedarfen der einzelnen beruflichen Schulen der Landeshauptstadt München unterstützt das Pädagogische Institut - Fachbereich 3 - Berufliche Schulen Lehrkräfteteams individuell undbedarfsgerecht auf Antrag mit maßgeschneiderten schulinternen Lehrerfortbildungen (SchiLF). Auch im Rahmen von Arbeit 4.0 bzw. Industrie 4.0 ist bei den Lehrkräften ein hohes Maß an berufs- und projektspezifischen Kenntnissen erforderlich, die in Form von SchiLF von qualifizierten Expertinnen und Experten aus Industriebetrieben und Forschungseinrichtungen angeboten werden. Im technischen Bereich könnten dies je nach beruflicher Schule beispielsweise SchiLF zu den Themen Vernetzung, Simulation, Manufacturing Execution System (MES), Smart-Home-Gebäudetechnik, Autonomes Fahren, Roboterprogrammierung, CADSchulungen sein.
Den speziellen Fortbildungsbedarf einzelner Lehrkräfte unterstützt im Pädagogischen Institut der Fachbereich 3 - Berufliche Schulen durch die Abwicklung und Gewährung von Zuschüssen bei Fortbildungen von fremden Trägern. Diese werden von einzelnen Lehrkräften besucht, die einen speziellen Fortbildungsbedarf haben, der mit dem zentralen Fortbildungsprogramm des Pädagogischen Instituts oder einer SchiLF an der jeweiligen Schule nicht abgedeckt werden kann. Beispielsweise konnten Lehrkräfte beim Pädagogischen Institut jüngst einen Zuschuss für den Besuch der digitalen Bildungsmesse LEARNTEC im Januar 2017 beantragen.
4. Zentrale Fortbildungsveranstaltungen im Pädagogischen Institut Zentrale Fortbildungsveranstaltungen im Fortbildungsprogramm des PI werden für größere Zielgruppen, idealerweise für alle Lehrkräfte an beruflichen Schulen bzw. Lehrkräfte aller Schularten konzipiert. Bedarfsabfragen des Fachbereichs 3 - Berufliche Schulen bei den städtischen Berufsschulen zum Thema „Arbeit 4.0/Industrie 4.0“ haben ergeben, dass die beruflichen Schulen Informationsveranstaltungen, Vernetzungstreffen, Zukunftswerkstätten zum aktuellen Forschungsstand, zur aktuellen Entwicklung, Sensibilisierung und Diskussion von Arbeit 4.0 für die Qualifizierung der Lehrkräfte als hilfreich und unterstützend ansehen. Auch Veranstaltungen wie Berufliche Bildung bzw. Rolle der Berufsschule im Zeitalter der Digitalisierung, Nutzung digitaler Medien zum Lernen, Herausforderungen und Auswirkungen einer digitalen Arbeitswelt auf den Arbeitsmarkt, die Sozialsysteme und die daraus resultierenden gesellschaftlichen Folgeerscheinungen sowie ethische und (arbeits-)rechtliche Fragestellungen könnten zur Fort- und Weiterbildung der Lehrkräfte angeboten werden. Denkbar wären auch Exkursionen zu bzw. Austauschprogramme mit beruflichen Schulen in anderen (Bundes-)Ländern, die vom Pädagogischen Institut organisiert und finanziell unterstützt werden. Beispielsweise würde sich der Besuch einer Lernfabrik 4.0 an einer beruflichen Schule in Baden-Württemberg anbieten. Auch entstehen durch die Digitalisierung neue bzw. weiterentwickelte Fort- und Weiterbildungsformate, wie E-Learning-Angebote (Onlinekurse oderBlended-Learning-Kurse), die unabhängig von Ort und Zeit von den Lehrkräften in Anspruch genommen werden können.
Frage 4:
Welche Kosten wegen der erforderlichen Erweiterung des PI bzw. der mvhs könnten auf die Stadt im Zusammenhang mit solchen Angeboten für Berufsschullehrkräfte einerseits und für betriebliche Ausbilder andererseits zukommen?
Antwort:
Um dem hohen Maß an speziellen Kenntnissen und der rasanten Entwicklung zu folgen, ist es zielführend, den Lehrkräften an den beruflichen Schulen eine Erweiterung der Fort- und Weiterbildungsmaßnahmen in Form von zentralen, aber insbesondere auch maßgeschneiderten schulinternen Lehrerfortbildungen bzw. Fortbildungen bei fremden Trägern anzubieten. Ob für die Konzeption, Durchführung und Evaluation der unter den Punkten 3 und 4 genannten Veranstaltungen und Fortbildungsformaten sowie der verwaltungstechnischen Abwicklung zusätzliche personelle und finanzielle Ressourcen im Pädagogischen Institut - Fachbereich 3 - Berufliche Schulen notwendig sind, ist noch zu prüfen.
Aktuell ist es schwierig, die Dimension der notwendigen Fortbildungen für die Lehrkräfte der beruflichen Schulen abzuschätzen. Angesichts der kommenden Herausforderungen und des raschen Wandels in einer digitalisierten Arbeitswelt wäre es jedoch sinnvoll, gegebenenfalls weitere Modellversuche mit entsprechender Intensität zu beraten und zu begleiten und außerdem den spezifischen Fortbildungsbedarf der unterschiedlichen beruflichen Schulen zu bedienen. Ob hierfür weitere Ressourcen zugeschaltet werden müssten, muss noch geprüft werden.