Steuervermeidung Münchner Firmen?
Anfrage Stadtrats-Mitglieder Sonja Haider und Tobias Ruff (ÖDP) vom 8.3.2017
Antwort Stadtkämmerer Dr. Ernst Wolowicz:
In Ihrer Anfrage haben Sie folgenden Sachverhalt zugrunde gelegt:
„Neben den bekannten internationalen Steuervermeidungsstrategien, wie diejenigen, die in den Skandalen ‚Panama Papers‘ und ‚Luxemburg Leaks‘ aufgedeckt wurden, gibt es wohl ebenso dubiose Steuerpraktiken auf nationaler Ebene. Im Ebersberger Forst existieren beispielsweise mehrere Briefkastenfirmen, die ihren öffentlich kommunizierten Hauptsitz in München haben. Nachdem in Ebersberg nur der geringstmögliche Gewerbesteuerhebesatz in Höhe von 200 Prozent gilt, vermeiden diese Unternehmen Steuern in enormer Höhe (im Vergleich: Hebesatz in München 490 Prozent).“
Zu den im Einzelnen gestellten Fragen kann ich Ihnen Folgendes mitteilen:
Frage 1:
Welche Steuervermeidungsstrategien auf nationaler Ebene sind der Verwaltung bekannt?
Antwort:
Mit dem Begriff der Steuervermeidung auf nationaler Ebene sind eine Vielzahl von Möglichkeiten und Verfahren zu verbinden, die darin bestehen die individuelle Steuerlast legal zu mindern, zeitlich zu verschieben oder gar gänzlich zu vermeiden. Von der Steuervermeidung abzugrenzen ist die nicht legale Steuerverkürzung bzw. Steuerhinterziehung. Strategien zur Steuervermeidung (auch Steuergestaltung oder Steueroptimierung) sind grundsätzlich bei allen Steuerarten möglich und sind zumeist darauf abgestimmt, die Steuerbemessungsgrundlage oder den Steuersatz bzw. ggf. auch beides im Rahmen der bestehenden Gesetze zu optimieren. Auf Ebene der Unternehmen in Deutschland können Steuervermeidungsstrategien schon bei der Unternehmensgründung beginnen (z.B. durch Wahl der Rechtsform) und reichen von der Inanspruchnahme von Steuervergünstigungen (z.B. Pauschalregelungen) über die Nutzung bilanzieller Gestaltungsmöglichkeiten (z.B. gesetzliche Aktivierungs- und Passivierungswahlrechte) bis hin zur Verrechnung von Verlusten. Ziel von Steuervermeidungsstrategien kann auch die Nutzung der von Gemeinde zu Gemeinde verschiedenen Hebesätze bei der Gewerbesteuer sein. Ausgehendvon dem im Gewerbesteuergesetz unmittelbar verankerten Mindesthebesatz von 200 Prozent (§ 16 Abs. 4 GewStG) können Städte und Gemeinden im Rahmen ihrer grundgesetzlich gewährleisteten kommunalen Finanzhoheit die Höhe ihres Gewerbesteuerhebesatzes weitestgehend frei bestimmen. Da die Gewerbesteuerhebesätze beträchtlich schwanken, eröffnet sich für die Unternehmen auch die Möglichkeit im Rahmen der Wahl ihres Standortes legale Steuereinsparungen bei der Gewerbesteuer zu erzielen. Die Ertragshoheit der Gemeinden (§ 4 GewStG) ist im Gewerbesteuerrecht zudem unmittelbar mit dem Begriff der Betriebsstätte (§ 12 AO) zu verbinden. Eine Betriebsstätte in diesem Sinne ist in der Regel jede feste Einrichtung oder Anlage, die dem Unternehmen dient. Eine Betriebsstätte kann aber auch eine sonstige Geschäftseinrichtung sein, die dem Unternehmer zur Ausübung seiner Tätigkeit zur Verfügung steht und nicht nur vorübergehend genutzt wird. Die Prüfung, ob im Einzelfall die Tatbestandsvoraussetzungen einer Betriebsstätte vorliegen, ist der Finanzverwaltung vorbehalten. Der Stadt München stehen diesbezüglich nur begrenzte Auskunfts- und Teilnahmerechte zu (§ 21 Abs. 3 FVG). Insbesondere ist Voraussetzung, dass die angesprochenen Unternehmen in München eine Betriebsstätte unterhalten oder Grundbesitz haben und die Außenprüfung im Gemeindebezirk erfolgt.
Frage 2:
Welche Erkenntnisse zu Steuervermeidungsstrategien in München ansässiger Unternehmen hat die Kämmerei?
Antwort:
Über diesen allgemein gültigen Ansatz hinaus hat die Kämmerei keine Erkenntnisse zu ortsansässigen Unternehmen. Denn maßgebend für die Gewerbesteuer ist in erster Linie das Gewerbesteuergesetz – GewStG. Hier ist geregelt, dass die Gemeinden eine Gewerbesteuer als Gemeindesteuer erheben. Die Gewerbebetriebe unterliegen in der Gemeinde, in der eine Betriebsstätte unterhalten wird, der Gewerbesteuer. Soweit sich Betriebsstätten desselben Gewerbebetriebes in mehreren Gemeinden befinden, wird die Gewerbesteuer in jeder Gemeinde nach dem Teil des Steuermessbetrages erhoben, der auf sie entfällt. Das Finanzamt setzt in einem eigenen Gewerbesteuermessbescheid den relevanten Gewerbesteuermessbetrag fest und entscheidet, welche Gemeinde hebeberechtigt ist. Sofern in mehreren Gemeinden Betriebsstätten unterhalten werden, setzt das Finanzamt die entsprechenden Anteile im Wege einer Zerlegung fest (= Zerlegungsanteile nach § 28 GewStG). Die Einzelheiten ergeben sich aus dem Abschnitt VI des GewStG. Basis für die entsprechenden Bescheide des Finanzamtes ist hier (vereinfacht ausgedrückt) – entwedereine Steuererklärung des Steuerpflichtigen oder – Feststellungen aufgrund einer Betriebsprüfung oder Fahndungsprüfung. Auf der Grundlage des finanzamtlichen Messbescheides erlässt in der Folge die Gemeinde den jeweiligen Gewerbesteuerbescheid, hier wird der gemeindliche Hebesatz angewendet und die Forderung fällig gestellt. Die finanzamtlichen Feststellungen werden von der LH München geprüft, andere Erkenntnisse werden im Wege von Einsprüchen gegen die Zerlegungsbekanntgaben durch die LH München geltend gemacht. Ziel ist hier immer die der LH München zustehende Gewerbesteuer auch tatsächlich zu erhalten. Ein Steuerpflichtiger kann grundsätzlich seinen Betriebssitz frei wählen, dies löst dann die entsprechenden steuerlichen Folgen hinsichtlich der Gewerbesteuer aus. Wie in der Anfrage korrekt dargestellt, beträgt der Hebesatz in München 490%, bei Münchner Umlandgemeinden ist dieser teilweise erheblich niedriger. Im Falle des Ebersberger Forstes handelt es sich um ein gemeindefreies Gebiet, für das nach der aufgrund von § 4 Abs. 2 GewStG erlassenen Rechtsverordnung (§ 5 Abs. 1 der Zuständigkeitsverordnung-ZustV) der Landkreis Ebersberg die Befugnisse ausübt. Der Landkreis Ebersberg hat in seinen Haushaltssatzungen einen Hebesatz für die Gewerbesteuer von 200% festgesetzt (siehe z. B. § 4 Abs. 3 Haushaltssatzung für 2016 und 2017). Dies entspricht dem gesetzlichen Mindesthebesatz (§ 16 Abs. 4 Satz 2 GewStG). Soweit ein Steuerpflichtiger seinen Betriebssitz verlegt und hier bewusst in eine Gemeinde mit einem niedrigeren Hebesatz verzieht, ist dies eine zulässige unternehmerische Entscheidung. Hier wird in der Regel der Kundenstamm, die vorhandene Infrastruktur, die Art des Gewerbes oder eine Vielzahl von anderen Gründen eine Rolle spielen. Steuerpflichtige, die nur „mit Hilfe eines Briefkastens“ den Betriebssitz fiktiv verlegen und den Betriebssitz tatsächlich in einer anderen Gemeinde haben, geben eine falsche Steuererklärung ab.
Frage 3:
Welche Gegenmaßnahmen kann die LH München ergreifen oder hat sie bereits ergriffen
Antwort:
Die LH München prüft bei Unternehmen, die ihren Gewerbebetrieb in München haben und hier steuerlich erfasst sind, ob die entsprechende Veranlagung durch das Finanzamt durchgeführt wurde und führt bei fehlenden Veranlagungen Kontrollaktionen durch, um Steuerausfälle zu vermeiden. Die LH München nimmt an Außenprüfungen des Finanzamtes bei Steuerpflichtigen, die eine Betriebsstätte im Gemeindebezirk eingerichtet haben, in ausgesuchten Fällen teil. Derzeit sind damit 6 Gemeindebeamte als städtische Betriebsprüfer/innen betraut.
Frage 4:
Werden solche Fälle, wie oben beschrieben, als steuerrechtlich beziehungsweise strafrechtlich relevant eingestuft?
Antwort:
Eigene Erkenntnisse von steuerstraf- oder ordnungswidrigkeitsrelevanten Sachverhalten werden grundsätzlich der Finanzverwaltung zur weiteren Verfolgung angezeigt.