Verletzung von Auflagen bei Versammlungen – Wer trägt die Verantwortung und die Kosten?
Anfrage Stadtrats-Mitglieder Johann Altmann, Dr. Josef Assal, Eva Caim, Richard Progl und Mario Schmidbauer (Fraktion Bayernpartei) vom 9.11.2016
Antwort Kreisverwaltungsreferent Dr. Thomas Böhle:
Herr Oberbürgermeister Reiter hat mir Ihre Anfrage vom 9.11.2016 zur Beantwortung überlassen. Für die gewährte Fristverlängerung bedanke ich mich.
Inhaltlich teilten Sie Folgendes mit:
„Uneinsichtig und ablehnend“ (http://www.sueddeutsche.de/muenchen/ende-mit-festnahmen-hoehen-retter-beenden-baumbesetzung-1.3237106) haben sich etliche Demonstranten bei der Auflösung des Hungerstreiks am Sendlinger Tor am 4.11.2016 laut Polizeisprecher gezeigt.
Gegen Versammlungsauflagen des Kreisverwaltungsreferates (u.A. Verbot der Baumbesetzung) wurde verstoßen, jede Kommunikation mit den Ordnungsbehörden verweigert und Widerstand gegen Vollstreckungsbeamte geleistet. 15 Personen wurden in Gewahrsam genommen. Die zunächst friedlich verlaufende Räumung des Camps eskalierte, als Unterstützer der Hungerstreikenden verbotenerweise auf Bäume kletterten. ‚Die große Mehrzahl der Baumbesetzer waren keine Flüchtlinge, sondern Unterstützer‘, sagt Polizeisprecher Gottfried Schlicht.(http://www.abendzeitung-muenchen.de/inhalt.demonstrierende-asylsuchende-sendlinger-tor-baum-kletterer-tricksen-polizei-aus.90cf2e3b-24df-4d2c-8e75-5eed903cf1a7.html) Zur Auflösung der Versammlung waren schließlich 600 Polizeibeamte im Einsatz.“
Zur umfassenden Beantwortung Ihrer Fragen habe ich das Polizeipräsidium München sowie das Baureferat um Stellungnahme gebeten. Zusammenfassend beantworte ich Ihre Fragen wie folgt:
Frage 1:
Wie hoch sind die Kosten, die durch den enormen Polizeieinsatz, der wegen des Verstoßes gegen Versammlungsauflagen nötig wurde, entstanden sind?
Antwort des Polizeipräsidiums München:
Grundsätzlich sind polizeiliche Einsätze kostenfrei, da die Polizei in Ausübung des Gewaltmonopols hoheitliche Maßnahmen zur Aufrechterhaltung der öffentlichen Sicherheit und Ordnung durchführt. Deshalb erfolgte auch hier keine pauschale Kostenberechnung. Dennoch führte das Polizeipräsidium München eine einzelfallbezogene und personenorientierte Prüfung einer Kostenerhebung durch. Nachdem strafprozessuale Maßnahmen getroffen wurden, wird im Ergebnis von einer Kostenerhebung abgesehen.
Frage 2:
Wie hoch sind die Kosten, die durch zusätzliche Reinigungsmaßnahmen und Abfallbeseitigung entstanden sind?
Antwort des Baureferats:
Nach der Auflösung des „Hungerstreiks“ war der Sendlinger-Tor-Platz in einem nur mäßig verschmutzten Zustand. Es waren keine zusätzlichen Reinigungsmaßnahmen erforderlich. Der Platz wurde beim nächsten turnusmäßigen Reinigungsumlauf gesäubert.
Frage 3:
Da die Kosten erst durch den Verstoß gegen Auflagen nötig wurden und dadurch nicht durch das Versammlungsrecht gedeckt sind: Besteht die Möglichkeit, die Kosten (oder wenigstens einen Teil davon) dem Organisa- tor/Versammlungsleiter/Veranstalter in Rechnung zu stellen?
Antwort:
Nach dem Bayerischen Versammlungsgesetz sind Amtshandlungen nach diesem Gesetz kostenfrei. Bei der vom Kreisverwaltungsreferat angeordneten Auflösung handelt es sich um eine solche Amtshandlung. Hintergrund der 2008 eingeführten gesetzlichen Regelung des Bayerischen Versammlungsgesetzes ist die Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichtes vom 25.10.2007, wonach eine grundsätzliche Gebührenpflicht für Amtshandlungen aus Anlass von Versammlungen gegen die in Art. 8 Abs. 1 des Grundgesetzes garantierte Versammlungsfreiheit verstoßen würde.
Die Auflösung ist ein Verwaltungsakt, der gegenüber dem Veranstalter, dem Leiter und den Versammlungsteilnehmerinnen und -teilnehmern im Regelfall mündlich als Allgemeinverfügung ergeht. Die Auflösung am 4. November 2016 erfolgte, weil eine Gefahr für Leib und Leben der Versammlungsteilnehmerinnen und Versammlungsteilnehmer bestand, die sich seit dem 31. Oktober 2016 im Hungerstreik befanden. Der aus der Anordnung der Auflösung resultierenden gesetzlichen Pflicht, sich vonder Versammlungsfläche am Sendlinger-Tor-Platz, Trambahnschleife, zu entfernen, kamen die Versammlungsteilnehmerinnen und -teilnehmer unverzüglich nach. Eine beschränkende Verfügung dergestalt, dass bei der Versammlung nicht auf Bäume geklettert werden darf, war vom Kreisverwaltungsreferat nicht erlassen worden.
Auf der gegenüberliegenden Seite, in der Nähe des Sendlinger Tors, entwickelte sich teils unter Beteiligung von einzelnen Versammlungsteilnehmerinnen und -teilnehmern der ursprünglichen Versammlung, teils von weiteren Flüchtlingen sowie von Unterstützerinnen und Unterstützern ein auf die aufgelöste Versammlung bezugnehmendes Geschehen, das von der Polizei als Ersatzveranstaltung eingestuft wurde. Ersatzveranstaltungen waren vom Kreisverwaltungsreferat in der Auflösungsverfügung verboten worden. Als Rechtsfolge wurden die Teilnehmerinnen und Teilnehmer aufgefordert, die verbotene Ersatzveranstaltung zu beenden und die Örtlichkeit zu verlassen. Nachdem einige Personen dieser Aufforderung nicht nachkamen, wurde von der Polizei unmittelbarer Zwang angewendet.
Da die Vollstreckung durch die Polizei als Vollzugshilfe für die Versammlungsbehörde erfolgte, die in ihrer Allgemeinverfügung bei Zuwiderhandlung gegen das Verbot einer Ersatzveranstaltung unmittelbaren Zwang angedroht hatte, handelte es sich hierbei um eine versammlungsrechtliche Maßnahme, für welche die Kostenfreiheit des Bayerischen Versammlungsgesetzes gilt. Die Erhebung von Kosten entgegen der gesetzlichen Vorgabe würde auch in diesem Fall dazu führen, dass der Einzelne von der Ausübung seiner Versammlungsfreiheit abgehalten würde. Dies würde wiederum einen ungerechtfertigten Eingriff in die Versammlungsfreiheit darstellen.
Frage 4:
Da die Verstöße von Unterstützern der Demonstration ausgingen: Gibt es Hinweise auf Anstiftungen zu Straftaten, unterlassene Hilfeleistung der „Unterstützer“ oder Landesfriedensbruch? Gibt es bereits Ermittlungen in dieser Richtung?
Antwort des Polizeipräsidiums München:
Die Unterstützer der Versammlungsteilnehmerinnen und -teilnehmer versorgten die auf den Bäumen befindlichen Personen mit Essen, Getränken, Decken und Schlafsäcken. Das Polizeipräsidium München erstattete Anzeige gegen zehn Personen aus dem Personenkreis der Unterstützer wegen des Tatbestandes des nicht unverzüglichen Entfernens nach Auflösen einer Versammlung (Ordnungswidrigkeit nach dem Bayerischen Versammlungsgesetz) sowie wegen einer unerlaubten Ansammlung (Verstoß gegen das Ordnungswidrigkeitengesetz).