Rechtsextremistische Versammlungen an historisch belasteten Plätzen
Anfrage Stadtrats-Mitglieder Gülseren Demirel, Jutta Koller und Dominik Krause (Fraktion Die Grünen/Rosa Liste) vom 11.10.2016
Antwort Kreisverwaltungsreferent Dr. Thomas Böhle:
Herr Oberbürgermeister Reiter hat mir Ihre Anfrage vom 11.10.2016 zur Beantwortung überlassen. Für die gewährte Fristverlängerung bedanke ich mich.
Inhaltlich teilten Sie Folgendes mit:
„Am Rande der gestrigen Pegida-Kundgebung konnten erneut bekannte Neonazis die Stufen der historisch besetzten Feldherrnhalle besteigen. Dies sollte nach einem ähnlichen Vorfall vor einem Jahr (http://www.br.de/nachrichten/oberbayern/inhalt/neonazis-feldherrnhalle-pegida-hitler-gruss-100.html) laut Sicherheitsbehörden unterbunden werden.
Auch unabhängig von diesem Vorfall tritt Pegida München mittlerweile ganz offen rechtsextrem auf. Bekannte Neonazis nehmen nicht mehr nur an den Kundgebungen teil, sondern treten dort als Redner auf – so sprach auf der gestrigen Versammlung beispielsweise ein wegen Zeigen des Hitlergru- ßes vorbestrafter NPD-Funktionär zunächst, anschließend führte er den Demonstrationszug von Pegida mit an. Der Organisator und Anmelder von Pegida München nahm kürzlich an einer Kundgebung des sogenannten ‚Dritten Weg‘ teil, der Nachfolgeorganisation des verbotenen ‚Freien Netz Süds‘.“
Zur umfassenden Beantwortung Ihrer Fragen habe ich das Polizeipräsidium München um Stellungnahme gebeten. Zusammenfassend beantworte ich Ihre Fragen wie folgt:
Frage 1:
Zum gestrigen Vorfall:
Gibt es mittlerweile eine Auflage, um das Besteigen der Stufen der Feld- herrnhalle durch Kundgebungs-TeilnehmerInnen zu verhindern? a) Falls ja: wieso war es der Polizei trotz geringer Teilnehmer-Zahl an der Pegida-Demonstration nicht möglich dies zu verhindern?
Antwort:
Bereits vor dem von Ihnen angeführten Versammlungsgeschehen am
10.10.2016 wurde in den entsprechenden Versammlungsbescheiden eine beschränkende Verfügung mit dem Inhalt, dass die Stufen der Feldherrnhalle freizuhalten sind, aufgenommen.
Obwohl die Feldherrnhalle im Rahmen des Versammlungsgeschehens am 10.10.2016 weder als Aufstellungsfläche angezeigt noch verbeschieden wurde (als Versammlungsfläche wurde nur der Platz vor der Feldherrnhalle angezeigt), überwachte die Polizei als zuständige Versammlungsbehörde die Freitreppe, um ein Betreten aus sicherheits- und ordnungsrechtlichen Gründen zu verhindern. Während eines kurzen Gesprächs der eingesetzten Polizeibeamtinnen und -beamten mit Vertreterinnen und Vertretern der Presse nutzten jedoch drei Personen aus dem rechten Spektrum diese Gelegenheit und betraten die Stufen der Freitreppe sowie anschließend die Feldherrnhalle.
Die drei Personen wurden sowohl von den Einsatzkräften der Polizei als auch vom Versammlungsleiter aufgefordert, die Feldherrnhalle unverzüglich zu verlassen. Die betroffenen Personen kamen dieser Aufforderung umgehend nach, ohne – so schildert es der Polizeibericht – weitere eigenständige Aktionen durchgeführt zu haben.
Frage 1:
b) Was wird getan um einen erneuten derartigen Vorfall zu verhindern?
Antwort:
Nach diesem Vorfall hat die Versammlungsbehörde des Kreisverwaltungsreferates die unter Frage 1 Buchstabe a) beschriebene beschränkende Verfügung modifiziert, um die Handhabung durch die Polizei zu vereinfachen. Gemäß der überarbeiteten beschränkenden Verfügungen sind nunmehr die Stufen der Feldherrnhalle während Versammlungen nicht nur freizuhalten, sondern dürfen durch Versammlungsteilnehmerinnen und -teilnehmer gänzlich nicht betreten werden.
Das Polizeipräsidium München teilte dem Kreisverwaltungsreferat auf Anfrage mit, dass seit dem Vorfall vom 10.10.2016 seitens der einsatzführenden Dienststellen konsequent darauf geachtet werde, dass die Freitreppe und die Feldherrnhalle nach der Vorgabe der beschränkenden Verfügung nicht mehr betreten wird.
Frage 2:
Inwiefern bewertet das Kreisverwaltungsreferat das Abhalten von Pegida-Kundgebungen an historisch belasteten Plätzen angesichts des mittlerweile offen rechtsextremen Auftretens neu?
Antwort:
Die Versammlungsbehörde des Kreisverwaltungsreferates beobachtet das Versammlungsgeschehen von Pegida München e.V. umfassend und wertet alle Erkenntnisquellen, insbesondere die Stellungnahmen der beteiligten Sicherheitsbehörden, wie der Polizei und des Bayerischen Landesamtes für Verfassungsschutz, sorgfältig aus.
Zum jetzigen Zeitpunkt kann festgestellt werden, dass das rechtsextremistische Gepräge von Pegida München e.V. in den letzten Monaten stetig zugenommen hat. Amtsbekannte Rechtsextremisten halten mitunter Redebeiträge, tragen Banner in herausgehobenen Positionen und werden sowohl behördlich als auch medial als „Rückgrat“ der Bewegung wahrgenommen. Insbesondere durch diese Inszenierung hat ein Radikalisierungsprozess stattgefunden. Die Verdrängung des bürgerlich-konservativen Spektrums aus dem Teilnehmerkreis spiegelt sich auch in den sinkenden Teilnehmerzahlen wider.
Das Kreisverwaltungsreferat beobachtet diese Entwicklung sorgfältig und prüft derzeit intensiv, inwieweit eine formelle örtliche Verlegung gemäß dem Bayerischen Versammlungsgesetz im Rahmen einer etwaigen Versammlungsanzeige für Versammlungen an historisch belasteten Plätzen geboten und rechtlich möglich ist.
Die rechtlichen Voraussetzungen für eine solche örtliche Verlegung sind jedoch sehr hoch und stellen sich wie folgt dar:
Nach dem Bayerischen Versammlungsgesetz kann eine Versammlung unter freiem Himmel grundsätzlich dann beschränkt werden, wenn nach den zur Zeit des Erlasses der Verfügung erkennbaren Umständen die öffentliche Sicherheit oder Ordnung bei Durchführung der Versammlung unmittelbar gefährdet ist – d. h. wenn bei ungehindertem Geschehensablauf mit hoher Wahrscheinlichkeit mit einem Schaden für die der Versammlungsfreiheit entgegenstehenden Rechtsgüter zu rechnen ist.
Eine Versammlung kann nach dem Bayerischen Versammlungsgesetz des Weiteren insbesondere dann beschränkt oder verboten werden, wenn nach den zur Zeit des Erlasses der Verfügung erkennbaren Umständendie Versammlung an einem Tag oder Ort stattfinden soll, dem ein an die nationalsozialistische Gewalt- und Willkürherrschaft erinnernder Sinngehalt mit gewichtiger Symbolkraft zukommt, und durch sie die unmittelbare Gefahr einer erheblichen Verletzung grundlegender sozialer oder ethischer Anschauungen besteht (Art. 15 Abs. 2 Nr. 1 Buchstabe b) BayVersG). Eine Beschränkung in diesem Sinne ist auch die Verlegung des Versammlungsortes.
Unter Berücksichtigung der Bedeutung der Versammlungsfreiheit dürfen beim Erlass von versammlungsrechtlichen Beschränkungen jedoch keine zu geringen Anforderungen an die Gefahrenprognose gestellt werden. Sie ist auf konkrete und nachvollziehbare tatsächliche Anhaltspunkte zu stützen, die bei verständiger Würdigung eine hinreichende Wahrscheinlichkeit des Gefahreneintritts ergeben. Bloße Verdachtsmomente und Vermutungen reichen für sich allein nicht aus.
Im September 2015 unterlag das Kreisverwaltungsreferat vor den Verwaltungsgerichten gegen Pegida München e. V. wegen der örtlichen Verlegung einer Versammlung, die ursprünglich vor der Feldherrnhalle angezeigt worden war.
Nach Ansicht der Gerichte genügt es für eine örtliche Verlegung nicht, wenn die Versammlung an einem Ort stattfinden soll, dem ein an die nationalsozialistische Gewalt- und Willkürherrschaft erinnernder Sinngehalt mit gewichtiger Symbolkraft zukommt. Vielmehr fordere das Gesetz einen Kausal- bzw. Zurechnungszusammenhang zwischen der Versammlung, d. h. ihrem Thema, der Art und Weise ihrer Durchführung oder dem gewählten Zeitpunkt, und der Verletzung sozialer oder ethischer Anschauungen.
Versammlungsbeschränkende Verfügungen nach Art. 15 Abs. 2 Nr. 1 Buchstabe b) BayVersG sind nur möglich, wenn die unmittelbare Gefahr einer erheblichen Verletzung grundlegender sozialer oder ethischer Anschauungen besteht. Dies hätte – so die Gerichte – nach der Gesetzesbegründung außerdem zur Voraussetzung, dass der Versammlung eine Provokationswirkung zukomme, die dazu führe, dass die Mehrheit der Bevölkerung diese Versammlung nicht nur als beängstigend oder empörend, sondern als schlechthin unerträglich und selbst in einem demokratischen, pluralistischen Gemeinwesen als inakzeptabel empfinde. Eine erhebliche Verletzung sei dann zu bejahen, wenn die Versammlungsteilnehmer den Tag oder Ort missbrauchen würden, um eine massive Verfälschung historischer Tatsachen zu betreiben oder Rituale aus der nationalsozialistischen Zeit wieder aufleben zu lassen.Behördliche Beschränkungen seien (nur) dann verfassungsrechtlich unbedenklich, wenn sie ein aggressives und provokatives, die Bürger einschüchterndes Verhalten der Versammlungsteilnehmer verhindern sollen, durch das ein Klima der Gewaltdemonstration und potentieller Gewaltbereitschaft erzeugt werde, oder wenn eine Versammlung sich durch ihr Gesamtgepräge mit den Riten und Symbolen der nationalsozialistischen Gewaltherrschaft identifiziere und durch Wachrufen der Schrecken des vergangenen totalitären und unmenschlichen Regimes andere Bürger einschüchtere. Diese Voraussetzungen seien bei der streitgegenständlichen Versammlung nicht gegeben gewesen.
Unter Berücksichtigung der dargestellten Vorgaben des Bayerischen Versammlungsgesetzes und der Rechtsprechung wird von der Versammlungsbehörde stets im Einzelfall intensiv geprüft, inwieweit eine bevorstehende Pegida-Versammlung an einem historisch sensiblen Ort die sozialen oder ethischen Anschauungen weiter Teile der Bevölkerung verletzt oder eine eindeutige Stoßrichtung gegen das Gedenken an die Opfer der nationalsozialistischen Gewalt- und Willkürherrschaft hat.
Aktuellen Anlass hierfür gibt uns das zunehmend offen zur Schau getragene rechtsextremistische Gepräge der Versammlungen sowie insbesondere auch der Vorfall vom 12.12.2016. Im Rahmen einer Versammlung an diesem Tag wurde von Pegida München e. V. am Königsplatz – vor den Propyläen – ein Zeichentrick-Clip vorgeführt, der ein antisemitisches Zerrbild Israels zum Gegenstand hatte.
Unabhängig von der strafrechtlichen Relevanz dieses Verhaltens sehe ich hier einen inneren, sicherheits- und ordnungsrechtlich relevanten und bewusst gewählten Zusammenhang zwischen der Auswahl des Ortes und der Wahl dieses Kundgabemittels.
Die Versammlungsbehörde des Kreisverwaltungsreferates wird insofern weiterhin alle zur Verfügung stehenden Erkenntnisquellen auswerten und stets prüfen, ob eine örtliche Verlegung rechtlich möglich ist. Die zunehmende Radikalisierung von Pegida München e.V. veranlasst mich, den rechtlichen Spielraum konsequent zu nutzen und bei einer erneuten Anzeige eines Versammlungsgeschehens an einem historisch belasteten Ort eine örtliche Verlegung in Betracht zu ziehen.