Zuverlässigkeitsüberprüfung für die Versammlungsleitung bei Pegida?
Anfrage Stadtrat Marian Offman (CSU-Fraktion) vom 3.8.2016
Antwort Kreisverwaltungsreferent Dr. Thomas Böhle:
Herr Oberbürgermeister Reiter hat mir Ihre Anfrage vom 3. August 2016 zur Beantwortung überlassen. Für die gewährte Fristverlängerung bedanke ich mich.
Inhaltlich teilten Sie Folgendes mit:
„Anlässlich der Demonstration von Pegida am Abend des 1. Juli 2016 kam es seitens der Veranstalter zu mehreren Besorgnis erregenden Vorfällen. Versammlungsleiter war der vom Verfassungsschutz beobachtete und vor Gericht verurteilte Heinz Meyer.
Als der Protestzug der Pegida das Hotel Vier Jahreszeiten passierte, ver- höhnten die Demonstrationsteilnehmer in rassistischen Äußerungen einen Hotelgast dort wegen seiner Hautfarbe und beschimpften Hotelgäste aus dem arabischen Raum. Die Polizei ermittelt deshalb wegen Volksverhetzung. Gastrednerin nach dem Demonstrationszug vor der Feldherrnhalle war Frau Tatjana Festerling. In einer längeren Rede führte sie unter anderem aus, dass im Zusammenhang mit der Flüchtlingssituation ‚Ein Genozid am deutschen Volk begangen würde‘. Sie lehnte eine Verschärfung des Waffenrechts als Reaktion auf den Amoklauf und weiteren Attentate ab und forderte im Gegenteil einen weitreichenden Aufbau von bewaffneten deutschen Bürgerwehren. Mithin eine Beendigung des Gewaltmonopols staatlicher Organe.
Die rassistischen Provokationen vor dem Hotel Vier Jahreszeiten und die Shoa relativierenden und antidemokratischen Äußerungen von Frau Festerling wurden vom Versammlungsleiter nicht unterbunden.“
Zur umfassenden Beantwortung Ihrer Fragen habe ich das Polizeipräsidium München um Stellungnahme gebeten. Zusammenfassend beantworte ich Ihre Fragen wie folgt:
Frage 1:
Gibt es durch das Kreisverwaltungsreferat eine Überprüfung der Zuverlässigkeit des angemeldeten Versammlungsleiters?
Antwort:
Nach dem Bayerischen Versammlungsgesetz kann die Versammlungsbehörde eine Versammlungsleiterin bzw. einen -leiter ablehnen, wenn Tatsachen die Annahme rechtfertigen, dass diese bzw. dieser die Friedlichkeit der Versammlung gefährdet. Die Gefährdung der Friedlichkeit durch die Leiterin bzw. den Leiter ist insbesondere dann anzunehmen, wenn zu befürchten steht, dass diese bzw. dieser ursächlich auf einen gewalttätigen oder aufrührerischen Verlauf der Versammlung Einfluss nimmt oder aufgrund ihres bzw. seines Handelns Straftaten aus der Versammlung heraus begangen werden. Dabei ist zu berücksichtigen, dass die Verwaltungsgerichte hohe Anforderungen an eine diesbezügliche behördliche Gefahrenprognose stellen. Dies musste die Versammlungsbehörde des Kreisverwaltungsreferates bei dem am 26. Oktober 2015 erlassenen Verbot für den Versammlungsleiter von Pegida München e. V. erfahren, als die Verwaltungsgerichte dieses im einstweiligen Rechtsschutzverfahren in der Interessenabwägung als rechtlich nicht tragfähig zurückwiesen. Die Verwaltungsgerichte urteilten, dass das Verhalten einzelner Versammlungsteilnehmerinnen und -teilnehmer dem Versammlungsleiter nicht pauschal zugerechnet hätte werden dürfen und die Prognose der Gefährdung der Friedlichkeit der Versammlung nicht ausreichend durch Tatsachen untermauert gewesen sei. Lägen allerdings zum Zeitpunkt des Erlasses des Verbots aktuelle Verurteilungen einer Leiterin bzw. eines Leiters wegen eines Gewaltverbrechens oder relevanter waffenrechtlicher Delikte vor, würde nach Ansicht der Rechtsprechung im Regelfall von der Erfüllung der Tatbestandsvoraussetzungen der entsprechenden Rechtsgrundlage auszugehen sein.
Aus versammlungsrechtlichen Grundsätzen heraus erfolgt eine Zuverlässigkeitsüberprüfung einer Versammlungsleiterin bzw. eines Versammlungsleiters jedoch nicht generell, sondern anlassbezogen immer dann, wenn Anhaltspunkte die Prüfung der Voraussetzungen eines Versammlungsleiterinnen- bzw. -leiterverbots indizieren. Seit dem Zeitpunkt, als es der Versammlungsbehörde des Kreisverwaltungsreferates bekannt wurde, dass es im Zusammenhang mit dem Versammlungsgeschehen von Pegida München e. V. zu Strafanzeigen gegen den Versammlungsleiter und auch innerhalb der Versammlung zu relevanten Rechtsverstößen kam, zu deren Unterbindung der Versammlungsleiter im Rahmen seiner Möglichkeiten aufgefordert ist, erfolgte regelmäßig eine Zuverlässigkeitsüberprüfung unter Einbindung der zuständigen Sicherheitsbehörden. Die Versammlungsbehörde hat seitdem die daraus erworbenen Erkenntnisse bewertet sowie nach pflichtgemäßem Ermessen eine Gefahrenprognose hinsichtlich der Gefahr der Unfriedlichkeit der Versammlung erstellt und diese regelmäßigfortgeschrieben. Dieses Verfahren wird analog auch bei anderen Versammlungsleiterinnen und -leitern angewendet. Dabei bezieht sich die Versammlungsbehörde auch auf ihr bereits erworbenes Erfahrungswissen in Bezug auf einschlägig bekannte Protagonisten.
Die Versammlungsbehörde arbeitet ferner intensiv mit dem Polizeipräsidium München zusammen, um den Austausch von relevanten Infor-
mationen, insbesondere zu Rechtsverstößen im Rahmen der Pegida-Versammlungen, stetig zu verbessern. Außerdem begleitet sie lückenlos alle sich fortbewegenden Versammlungen des Pegida München e. V. im Außendienst, um das Geschehen genau zu beobachten und frühzeitig auf neuartige Entwicklungen reagieren zu können.
Frage 2:
Herr Heinz Meyer wird vom Verfassungsschutz beobachtet. Das Landeskriminalamt ermittelt gegen ihn seit drei Jahren und er wurde wegen eines Goebbels-Zitates verurteilt. Ist damit noch die Zuverlässigkeit für die Versammlungsleitung gegeben?
Während der Pegida-Demonstration wurden von den Teilnehmern in der Öffentlichkeit massiv fremdenfeindliche und rassistische Äußerungen getätigt. Außerdem von einer Rednerin die Shoa relativierende und antidemokratische Aussagen getroffen. Dieses wurde vom Versammlungsleiter nicht einmal im Ansatz versucht zu unterbinden. Ist damit noch die Zuverlässigkeit des Herrn Heinz Meyer für die Versammlungsleitung gegeben?
Antwort:
Nach ständiger Rechtsprechung der Verwaltungsgerichte ist eine Ablehnung des Versammlungsleiters nicht schon allein durch den Umstand gerechtfertigt, dass der Versammlungsleiter vom Bayerischen Landesamt für Verfassungsschutz beobachtet oder strafrechtlich gegen ihn ermittelt wird. Vielmehr müssen konkrete, gerichtsfest verwertbare Tatsachen vorliegen, die die Annahme einer ernsthaften, hinreichend wahrscheinlichen Möglichkeit eines unfriedlichen Verlaufs der Versammlung rechtfertigen.
Soweit die Gefahrenprognose auf Redebeiträge und sonstige Äußerungen gestützt wird, ist verfassungsrechtlich zu berücksichtigen, dass der Inhalt einer Meinungsäußerung, der im Rahmen des Art. 5 Abs. 2 GG nur unter sehr engen Voraussetzungen unterbunden werden darf, grundsätzlich nicht zur Rechtfertigung von Maßnahmen herangezogen werden kann, die das Grundrecht des Art. 8 GG beschränken. Meinungen genießen den Schutz des Art.5Abs.1 Satz 1 GG in einer Art und Weise, dass es dabei auf deren Begründetheit, Werthaltigkeit oder Richtigkeit nicht ankommt.Geschützt sind in diesem Zusammenhang nach der Rechtsprechung des Bayerischen Verwaltungsgerichtes München vom 9. November 2015 selbst rechtsextreme Meinungen oder Äußerungen, die auf eine grundlegende Änderung der politischen Ordnung zielen, unabhängig davon, ob und inwieweit sie im Rahmen der grundgesetzlichen Ordnung durchsetzbar sind.
So erfolgte beispielsweise die Verurteilung wegen der Verwendung des „Goebbels-Zitates“ („Wollt ihr den totalen Krieg?“) nicht wegen der Erfüllung des Straftatbestandes der Volksverhetzung, sondern wegen eines Verstoßes gegen eine beschränkende Verfügung im versammlungsrechtlichen Bescheid. Das Verfahren wurde mittlerweile vom Oberlandesgericht München auf Antrag des Generalstaatsanwaltes mit Beschluss vom 4. Oktober 2016 nach §154 Abs. 2 StPO eingestellt. Auch das Bayerische Verwaltungsgericht München urteilte unabhängig davon in seinem Beschluss vom 9. November 2015, dass das Zitat weder der Verherrlichung noch der Billigung des NS-Regimes oder der Verleugnung seiner Verbrechen gedient habe, sondern zu dem anders gelagerten Zweck benutzt worden sei, ein Untergangsszenario heraufzubeschwören.
Auch die von Ihnen thematisierte Rede von Frau Festerling habe sich nach Auffassung der Strafverfolgungsbehörden im Rahmen der Meinungsfreiheit bewegt.
Nachdem sich in jüngster Zeit jedoch zahlreiche Vorkommnisse ereigneten, die ursächlich entweder vom Versammlungsleiter selbst ausgelöst, begünstigt oder zumindest gebilligt wurden und wegen ihres aufrührerischen Charakters die Friedlichkeit der Versammlung gefährdeten, lehnte die Versammlungsbehörde des Kreisverwaltungsreferates den bisherigen Versammlungsleiter mit Wirkung vom 12. Dezember 2016 bis einschließlich 31. Dezember 2017 ab. Der Veranstalter hat dagegen am 6. Januar 2017 Klage beim Bayerischen Verwaltungsgericht München erhoben und gleichzeitig einen Antrag auf Anordnung der aufschiebenden Wirkung der Klage gestellt. Das Bayerische Verwaltungsgericht München bestätigte mit Beschluss vom 6. Februar 2017 vollumfänglich das Versammlungsleiterverbot des Kreisverwaltungsreferates. Nach summarischer Prüfung im Eilverfahren sah es das Gericht als erwiesen an, dass ausreichend Tatsachen vorlagen, die in ihrer Gesamtschau die Annahme rechtfertigten, dass der Versammlungsleiter die Friedlichkeit der Versammlung gefährdet. Dabei waren für das erkennende Verwaltungsgericht insbesondere zwei aktuelle und von der Versammlungsbehörde vorgetragene Vorkommnisse im Rahmen von Versammlungen maßgeblich, bei denen der Versammlungsleiter mitursächlich durch sein Verhalten einem unfriedlichen Verlauf der Versammlun-gen Vorschub geleistet hat: Bei der Pegida-Versammlung am 7. November 2016 unterband der Versammlungsleiter die von den Versammlungsteilnehmerinnen und Versammlungsteilnehmern getroffene Unmutsäußerung gegenüber den mit der Kontrolle der Einhaltung der Lärmschutzauflage betrauten Behördenvertreter nicht, sondern bestärkte sie. Im Rahmen der sich fortbewegenden Versammlung am 21. November 2016 kam es unter den Augen des Versammlungsleiters zu einer körperlichen Attacke gegen einen Pressevertreter, ohne dass der Versammlungsleiter hiergegen einschritt.
Dieser Beschluss wurde von Pegida München e. V. nicht angegriffen, so dass die Anordnungen im Bescheid des Kreisverwaltungsreferates weiterhin vollzogen werden können. Das Urteil im Hauptsacheverfahren steht noch aus. Solange bleibt es dem Verein aber verboten, den ursprünglichen Versammlungsleiter einzusetzen.