Solidarität mit den Menschen in Afrin – ein Grund für Anzeigen?
Anfrage Stadtrat Cetin Oraner (Die Linke) vom 8.2.2018
Antwort Kreisverwaltungsreferent Dr. Thomas Böhle:
Herr Oberbürgermeister Reiter hat mir Ihre Anfrage vom 8.2.2018 zur Beantwortung überlassen. Für die gewährte Fristverlängerung bedanke ich mich.
Inhaltlich teilen Sie Folgendes mit:
„Seit Wochen haben Truppen der Türkei – unterstützt durch Panzer, Artillerie und dschihadistische Söldner – unter Missachtung der territorialen Integrität Syriens die Nordgrenze Syriens im Gebiet des Kantons Afrin überschritten. Unter dem Vorwand, das Gebiet von ‚Terroristen säubern‘ zu müssen, werden Dörfer und Siedlungen angegriffen, viele in Afrin lebende Menschen, Angehörige der Selbstverteidigungskräfte ebenso wie Frauen und Kinder, vor allem viele aus anderen Gebieten Syriens ins sichere Afrin Geflüchtete, sind bereits umgekommen. Genaue Zahlen – auch dies bezeichnet die besondere Tragik – liegen nicht vor. Diese Kriegsverbrechen der Türkei werden allgemein völkerrechtlich verurteilt. Hunderte von Münchnerinnen und Münchner, insbesondere zahlreiche Menschen kurdischer Herkunft, haben am vergangenen Wochenende friedlich gegen diese Barbarei protestiert. Dieser Protest wurde von einem breiten Aktionsbündnis ‚Hände weg von Afrin‘ organisiert. Im Bescheid der Landeshauptstadt München – Kreisverwaltungsreferat HA I/253 heißt es unter Ziff. 6 ‚Das öffentliche Zeigen oder Verteilen von Fahnen, Flaggen, Transparenten, Handzetteln oder sonstigen Gegenständen mit dem Schriftzug YPG, YPJ, PYD wird untersagt, wenn durch das Hinzutreten weiterer Umstände ein Bezug zur verbotenen Arbeiterpartei Kurdistans (PKK) erkennbar wird.‘
Obwohl alle Auflagen eingehalten wurden und zwei Stadträtinnen und ein Stadtrat anwesend waren, kam es durch die staatliche Bayerische Polizei zu mehreren Anzeigen gegen Kundgebungsteilnehmer.“
Zur umfassenden Beantwortung Ihrer Fragen habe ich das Polizeipräsidium München um Stellungnahme gebeten. Zusammenfassend beantworte ich Ihre Fragen wie folgt:
Frage 1:
Lässt sich durch die Ordnungsbehörde der Landeshauptstadt München feststellen, worin die genannten „weiteren Umstände“ lagen, die einen Bezug zum PKK-Verbot erkennen lassen?
Antwort:
Die Staatsanwaltschaft München I vertritt aktuell die Auffassung, dass das Zeigen von Abbildungen des inhaftierten PKK-Führers Abdullah Öcalan sowie von Symbolen der PYD, YPG und YPJ auf angezeigten Versammlungen stets den Anfangsverdacht eines Vergehens gem. § 20 Abs. 1 Satz 1 Nr. 5 VereinsG darstellt. Dementsprechend wurden von der Polizei bei der von Ihnen thematisierten Versammlung am 3.2.2018 mit dem Thema „Hände weg von Afrin – Solidarität ist unsere Stärke“ Strafanzeigen erstellt. Die Strafverfahren sind weiterhin anhängig und noch nicht abgeschlossen. Die versammlungsrechtlichen Bescheide im Themenzusammenhang „Afrin“ weisen regelmäßig folgenden Tenor auf: „Das öffentliche Zeigen oder Verteilen von Fahnen, Flaggen, Transparenten, Handzetteln oder sonstigen Gegenständen mit dem Schriftzug YPG, YPJ, PYD wird untersagt, wenn durch das Hinzutreten weiterer Umstände ein Bezug zur verbotenen Arbeiterpartei Kurdistans (PKK) erkennbar wird. Dies ist insbesondere dann gegeben, wenn zusätzlich Kundgebungsmittel mit dem Abbild Öcalans gezeigt werden oder wenn zusätzlich PKK verherrlichende Texte oder Lieder skandiert werden.“
Nach Ansicht der Versammlungsbehörde des Kreisverwaltungsreferates ist das Zeigen oder Verteilen von Öcalan-Portraits bzw. Fahnen mit dem Schriftzug YPG, YPJ und PYD versammlungsrechtlich unter bestimmten Voraussetzungen zulässig, auch wenn die Staatsanwaltschaft München I und Münchner Polizei unabhängig vom Vorliegen „weiterer Umstände“ das Zeigen der entsprechenden Fahnen strafrechtlich ausnahmslos zur Anzeige bringen. Namentlich bei einer Mahnwache, die ohne Zusammenhang zu PKK-nahen Aktivitäten allein die persönliche Situation des Gefangenen Öcalan zum Gegenstand der öffentlichen Meinungsbildung machen will, wäre es nicht in jedem Fall verboten, Bilder seiner Person zu zeigen.
„Weitere Umstände“ lassen beispielsweise den unzulässigen PKK-Bezug dann erkennen, wenn die Versammlungsteilnehmerinnen und -teilnehmer zusätzlich zu den Fahnen mit der Aufschrift YPG, YPJ, PYD Kundgabemittel mit dem Abbild Öcalans zeigen oder PKK verherrlichende Texte oder Lieder skandieren.
Zur Beurteilung, ob das Zeigen der gegenständlichen Symbole eine konkrete Gefahr für die öffentliche Sicherheit und Ordnung im Sinne des Versammlungsgesetzes darstellt, ist maßgeblich auf den Kontext der Verwendung dieser Symbole und den Anlass und das Ziel der Versammlung abzustellen. Entscheidend sind stets die konkreten Gegebenheiten des Einzelfalls.
Frage 2:
Kann die Landeshauptstadt – möglicherweise im Rahmen der gemeinsamen Arbeitskreise mit dem Polizeipräsidium München – nähere Informatio- nen zur Auslegung des Vereinsverbots gegen die PKK erlangen?
Antwort:
Die derzeitige Auffassung der Polizei sowie der Staatsanwaltschaft München I ist der Versammlungsbehörde des Kreisverwaltungsreferats bekannt. Die Sicherheitsbehörden stimmen sich im Rahmen der Auslegung des Vereinsverbots bereits eng ab. Auch wird aktuelle Rechtsprechung, vgl. zuletzt BayVGH, Beschluss vom 16.2.2018, Az.: 10 CS 18.405, ausgewertet und berücksichtigt.
Frage 3:
Die Art des Vollzugs des Vereinsverbots gegen die PKK hat sich offensichtlich – ohne dass für die Betroffenen ein Grund erkennbar wäre – verändert. Lässt sich ermitteln, wieso seit einiger Zeit auch Bilder von Öcalan und Symbole von YPG und YPJ – die bekanntlich die Hauptlast bei der Befreiung weiter Gebiete von den Terror-Banden des IS getragen hatten – unter die Klauseln des Vereinsverbotes fallen?
Antwort:
Mit Schreiben vom 2.3.2017 und 29.1.2018 hat das Bundesministerium des Innern nochmals zum Ausdruck gebracht, dass das Zeigen des Bildnisses von Abdullah Öcalan regelmäßig als Verwenden eines Kennzeichens einer verbotenen Vereinigung – hier der PKK – im Sinne von § 20 Abs. 1 Satz 1 Nr. 5 VereinsG anzusehen sei. Die Annahme, dass Öcalan in der öffentlichen Wahrnehmung aufgrund seiner herausgehobenen Stellung selbst die PKK verkörpert und eine besondere Symbolfigur ist, die neben dem „klassischen“ Symbol der PKK (fünfzackiger Stern mit Hammer und Sichel, umrandet mit dem Schriftzug der PKK) als Sinnbild für die Ziele der Vereinigung steht, sei auch heute noch gerechtfertigt. Ferner seien auch die Organisationen PYD, YPG und YPJ unbeschadet ihrer scheinbaren organisatorischen Selbständigkeit grundsätzlich dem Einflussbereich der PKK zuzuordnen.
Die beiden genannten Schreiben des Bundesministeriums des Innern vom 2.3.2017 und 29.1.2018 dienen den Behörden zur Konkretisierung des Kennzeichenverbots im Rahmen des PKK-Verbots.