Lösungen fürs Bahnhofsviertel 11: Modellversuch zur Unterstützung alkoholabhängiger Menschen
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Rathaus Umschau 112 / 2018, veröffentlicht am 15.06.2018
Lösungen fürs Bahnhofsviertel 11: Modellversuch zur Unterstützung alkoholabhängiger Menschen
Antrag Stadtrats-Mitglieder Verena Dietl, Hans Dieter Kaplan, Horst Lischka, Gerhard Mayer, Christian Müller, Klaus Peter Rupp und
Christian Vorländer (SPD-Fraktion) vom 8.11.2017
Antwort Stephanie Jacobs, Referentin für Gesundheit und Umwelt:
Nach § 60 Abs. 9 GeschO dürfen sich Anträge ehrenamtlicher Stadtratsmitglieder nur auf Gegenstände beziehen, für deren Erledigung der Stadtrat zuständig ist. Sie beantragen einen Modellversuch zum Betrieb einer Einrichtung in der Nähe des Hauptbahnhofs, in der alkoholabhängige Menschen betreut werden und in einem kontrollierten Rahmen Alkohol zu sich nehmen können. Der Inhalt des Antrages betrifft damit eine laufende Angelegenheit, deren Besorgung nach Art. 37 Abs. 1 GO und § 22 GeschO dem Oberbürgermeister obliegt. Eine beschlussmäßige Behandlung der Angelegenheit im Stadtrat ist daher rechtlich nicht möglich.
Zu Ihrem Antrag vom 8.11.2017 teilen wir Ihnen aber Folgendes mit:
Die Umgebung des Hauptbahnhofs ist in den letzten Jahren vermehrt Treffpunkt für viele Menschen in schwierigen Lebenslagen geworden. Darunter sind auch alkoholabhängige Menschen, die dort ihre Freizeit verbringen und soziale Kontakte pflegen.
Um Menschen mit Alkoholproblemen einen Tagesaufenthalt zu bieten und ihnen einen einfachen Zugang zu Hilfs- und Behandlungsangeboten zu ermöglichen, werden in München zwei sogenannte „Kontakt- und Begegnungsstätten“ (KuB) betrieben. Diese niedrigschwelligen Einrichtungen haben das Ziel, durch tagesstrukturierende Angebote einer Verelendung entgegenzuwirken, Folgeschäden des Alkoholkonsums zu vermindern sowie den Kontakt zur Suchthilfe herzustellen und in weiterführende Angebote zu vermitteln. Die KuB des Suchthilfeträgers Blaues Kreuz e.V. befindet sich in der Kurfürstenstraße 34 in Schwabing. Die zweite Einrichtung in Trägerschaft des Club 29 e.V. liegt in Hauptbahnhofnähe in der Dachauer Straße 36.
In diesen Einrichtungen wird kein Alkohol ausgeschenkt, ebenso ist das Mitbringen von alkoholischen Getränken nicht gestattet. Wer sichtlich alkoholisiert ist, erhält keinen Zutritt. Diese Regelung hat den Hintergrund, dass die KuB auch von suchtkranken Menschen aufgesucht werden, die zumindest zeitweise auf Alkohol verzichten und die durch die Begegnungmit alkoholisierten Besucherinnen und Besuchern in ihrem Bemühen um eine abstinente Lebensweise gefährdet würden.
Um auch Menschen zu erreichen, die nicht in der Lage sind, ihren Alkoholkonsum so weit zu begrenzen, dass sie die genannten Einrichtungen nutzen könnten, hat der Träger Soziale Dienste Psychiatrie gGmbH im April 2018 eine weitere KuB in der Lindwurmstraße 12 eröffnet. Diese KuB ist insbesondere für Menschen gedacht, die sich im Umfeld des Hauptbahnhofes und des weiteren Stadtzentrums aufhalten. Sie kann auch von Personen besucht werden, die unmittelbar vorher Alkohol getrunken haben. Auch diese Einrichtung soll als Tagesaufenthalt dienen und dabei Vertrauen und Bereitschaft bei den Besucherinnen und Besuchern aufbauen, weitergehende Hilfsangebote anzunehmen. Jedoch ist auch in dieser Einrichtung der Konsum von Alkohol nicht erlaubt.
Auch in anderen niedrigschwelligen Einrichtungen wie den Kontaktläden für Drogenabhängige und der Teestube „komm“, einem Tagesaufenthalt für wohnungslose Menschen, darf kein Alkohol getrunken werden. Das hat verschiedene Gründe, so werden Übergriffe durch unter Alkoholeinfluss aggressive und gewaltbereite Besucherinnen und Besucher befürchtet. Auch sind Beratungsgespräche bei erhöhter Alkoholisierung der Klientel erschwert oder ganz unmöglich. Auch ist das Risiko von medizinischen Notfällen durch Mischintoxikation erhöht, wenn Nutzerinnen und Nutzer vor dem Besuch andere Drogen und Medikamente konsumiert haben und dann in der Einrichtung Alkohol trinken.
Diese Beispiele zeigen, dass der Betrieb einer Einrichtung, in der mitgebrachter Alkohol konsumiert werden darf, einer sorgfältigen Planung und Abwägung verschiedener Faktoren bedarf. Betriebsrichtlinien und Hausordnung müssen in einer Weise gestaltet werden, die einerseits den Umgang mit den Auswirkungen des Alkoholkonsums der Besucherinnen und Besucher regelt, andererseits dem niedrigschwelligen Ansatz zu einer solchen Einrichtung nicht entgegensteht. Daneben stellt sich die Frage, wie das Angebot gestaltet werden muss, um eine attraktive Alternative zum Aufenthalt im öffentlichen Raum darzustellen.
Vor einem Modellversuch, wie er im Antrag ausgeführt wird, sollten die Erfahrungen neu entstehender Angebote abgewartet werden. Dazu bieten sich aufgrund der Vergleichbarkeit der Rahmenbedingungen zwei Einrichtungen an. Aus dem Betrieb der oben genannten KuB in der Lindwurmstraße können Erfahrungen gewonnen werden, wie der Umgang mit alkoholisierten Besucherinnen und Besuchern gestaltet werden kann. Zudemwird sich dort erweisen, welche Angebote geeignet sind, potentielle Besucherinnen und Besucher zur Nutzung der Einrichtung zu motivieren.
Eine weitere Einrichtung, deren Erfahrungen in die Planung mit einbezogen werden sollten, wird im Frühjahr 2018 in Augsburg eröffnet. Der „Betreute Treff Oberhausen“ soll drogen- und alkoholabhängigen Menschen, die den nahegelegenen Helmut-Haller-Platz als Treffpunkt nutzen, eine betreute Aufenthaltsmöglichkeit bieten. Die Einrichtung ähnelt mit ihrem Angebot den KuB, legt seine Zielsetzung aber stärker auf die Entlastung des öffentlichen Raumes. Um möglichst viele Menschen für den Aufenthalt in der Einrichtung zu gewinnen, wird der Konsum von mitgebrachtem Alkohol dort erlaubt sein. Hier können Erfahrungen gewonnen werden, wie mit dem Alkoholkonsum in der Einrichtung so umgegangen werden kann, dass der Betrieb weitgehend störungsfrei möglich ist und gleichzeitig möglichst viele suchtkranke Menschen die Einrichtung nutzen.
Ein weiterer wichtiger Aspekt für einen Modellversuch ist die Wahl des Standorts. Dieser sollte sich in räumlicher Nähe zu den bestehenden Treffpunkten im öffentlichen Raum befinden. Seit einiger Zeit ist die Aufenthaltssituation in der Umgebung des Hauptbahnhofs im Umbruch. Ein Teil der Menschen, die sich in diesem Bereich aufhielten, wandert in den Alten Botanischen Garten ab. Ein weiterer Teil verlegt seinen Aufenthalt zunehmend in die Umgebung des Sendlinger-Tor-Platzes. Die im Herbst 2018 beginnenden umfangreichen Baumaßnahmen am Bahnhofsgebäude und
auf dem Bahnhofsvorplatz werden diese Entwicklung noch verstärken. Mit der konkreten Planung eines Modellversuchs sollte daher abgewartet werden, wo sich die Treffpunkte im kommenden Jahr konsolidieren und dann ein entsprechender Standort gesucht wird. Nicht verschwiegen werden soll dabei, dass die Erfahrungen des Trägers Soziale Dienste Psychiatrie gGmbH zeigen, dass eine geeignete Immobilie für eine solche Einrichtung selbst in einem weit gefassten Umfeld des Hauptbahnhofs nur äußerst schwer zu finden ist.
Das Referat für Gesundheit und Umwelt wird die Entwicklung am Hauptbahnhof und dessen weiteren Umfeld weiterhin aufmerksam beobachten, in engem Kontakt mit den vor Ort tätigen Hilfseinrichtungen sowie im Rahmen des Sicherheits- und Aktionsbündnisses Münchner Institutionen (S.A.M.I.). Gleichzeitig werden die Erfahrungen aus den genannten Einrichtungen gesammelt und ausgewertet. Auf dieser Grundlage wird bewertet werden, ob eine Einrichtung für alkoholabhängige Bürgerinnen und Bürger, in der Alkoholkonsum geduldet wird, ein geeignetes Angebot für die Men-schen selbst wie auch für die Entlastung des öffentlichen Raums sein kann oder welche Alternativen ggf. gewählt werden sollten.
Um Kenntnisnahme von den vorstehenden Ausführungen wird gebeten. Wir gehen davon aus, dass die Angelegenheit damit abgeschlossen ist.