Darstellung der derzeit möglichen Gesamtkapazität des ÖPNV innerhalb der Stadtgrenzen Münchens
Antrag Stadträte Richard Quaas und Walter Zöller (CSU-Fraktion) vom 22.2.2018
Antwort Bürgermeister Josef Schmid, Leiter des Referats für Arbeit und Wirtschaft:
In Ihrem o.g. Antrag fordern Sie die Darstellung der zahlenmäßigen Kapazität des ÖPNV sowie der vorhandenen Spielräume des derzeitigen Netzes und des Umfangs der Verkehrsleistungen bei einer weiteren Zunahme der Benutzer.
Ihr Einverständnis vorausgesetzt, erlaube ich mir, Ihren Antrag anstelle einer Stadtratsvorlage als Brief zu beantworten.
Die Münchner Verkehrsgesellschaft mbH (MVG) hat bezüglich U-Bahn, Bus und Tram wie folgt Stellung genommen:
„Eine fundierte Analyse des Ist-Zustands ist die Grundlage der Einschätzungen zur Auslastungsqualität und damit für künftige Planungen. Mit Hilfe von manuell und/oder automatisch erhobenen Fahrgastzähldaten werden laufend entsprechende Daten ermittelt, mit früheren Zählereignissen abgeglichen und entsprechend analysiert. Für künftige Planungen werden auf Basis dieser gesammelten Daten sowie Erkenntnissen über künftige Entwicklungen (Einwohnerprognosen, Neubaugebiete, Schulstandortentwicklungen, Arbeitsplatzverlagerungen etc.) Modellrechnungen mit anerkannten wissenschaftlichen Methoden zu diversen möglichen Zielhorizonten erstellt. Diese ermöglichen Rückschlüsse auf künftige Fahrgastentwicklungen und damit auf potentiell notwendige einzuleitende Planungsschritte. Gesammelt werden die Daten in einem das gesamte Stadtgebiet umfassenden Verkehrsmodell. Mit diesem Planungsinstrument können neben linienspezifischen Betrachtungen auch stadtweite Entwicklungen und deren Auswirkungen auf zu erwartende Verhaltensänderungen der Fahrgäste dargestellt werden.
Eine der wichtigsten Planungsrichtlinien stellen die Kriterien des Nahverkehrsplans der Landeshauptstadt München dar. Zahlreiche Qualitätskriterien (Taktdichten, Auslastungsgrenzen, Erschließungsradien) beschreiben einen Rahmen für die Angebots- und Fahrplanerstellung. Ferner spielen wirtschaftliche und betriebliche Parameter eine Rolle. So sind beispielsweise die Takte der U-Bahn wegen behördlicher Auflagen, Tramlinien wegen der Auslastung von Straßenknoten und Buslinien wegen infrastruktureller Einschränkungen in den Umsteigeanlagen nicht ohne weiteres verdichtbar. Ferner ist durch Lage und Kapazität der Wendeanlagen eine Verdichtung oft auf längeren Abschnitten betrieblich erforderlich, als sie nachfragebedingt nötig wäre. Dies erweckt an einigen Stellen den Eindruck von Kapazitätsreserven. So gibt es z.B. zwischen Kolumbusplatz und der Messestadt Riem auf der U2 Ost keine Wendeanlagen, so dass eine Taktverdichtung stets bis zur Endstation erfolgen muss und entsprechende Kosten verursacht.
Maßgeblich sind für die Beurteilung der Auslastung von Verkehrsmitteln immer die stärksten Querschnitte einer Linie oder Strecke. Durch das historisch konzentrisch ausgerichtete Schienensystem bei U-Bahn und Tram befinden sich diese bei der U-Bahn z.B. in der Regel im Zentrum im Zulauf auf die großen Umsteigeknoten wie Sendlinger Tor und bei Buslinien oft im Zulauf auf die Umsteigepunkte zu U- und S-Bahn oder zu wichtigen Zielen. An diesen Querschnitten wird das Angebot ausgerichtet und an diesen bemisst sich auch die noch verfügbare „Restkapazität“ des Netzes hinsichtlich des Bestandsangebots und der noch möglichen Ausweitungen an den stärksten Querschnitten. Bedingt durch fehlende leistungsfähige tangentiale Verbindungen ist die Auslastung der Fahrzeuge und der Bahnhöfe bzw. Haltestellen vor allem zu den Hauptverkehrszeiten im Zentrum der Landeshauptstadt folglich am höchsten.
Im U-Bahnverkehr erreichen nahezu alle Innenstadtquerschnitte derzeit Auslastungswerte, die oberhalb der Kriterien des Nahverkehrsplans (NVP) angesiedelt sind. Das heißt, im Berufsverkehr sind die Kapazitäten faktisch derzeit ausgeschöpft. Durch Taktverdichtungen (Stichwort „Takt 2“) konnten im Bereich der U2 im Zentrum wieder Werte erzielt werden, die den Richtlinien des NVP entsprechen. Weitere Taktverdichtungen auf den Linien U3/ U6 und U4/U5 sind derzeit mittelfristig im Berufsverkehr in Planung. Da jedoch auch künftig von einer weiter steigenden Fahrgastzahl auszugehen ist, werden trotz einer Einführung des betrieblich ambitionierten dichten Taktes vsl. Mitte der 2030er Jahre sämtliche Reserven des U-Bahnverkehrs aufgebraucht sein. Spätestens dann sind größere infrastrukturelle Maßnahmen für die Bestandsstrecken erforderlich. Der Bau einer zusätzlichen, die Knotenbahnhöfe entlastenden Nord-Süd-Strecke (U9), stellt einen dieser Lösungsansätze dar. Mit dieser Strecke können neue Kapazitäten für Bestandsstrecken und -Bahnhöfe (auch an den Außenästen der einzelnen Strecken) geschaffen werden.
Im Trambetrieb gelten die oben getätigten Aussagen in ähnlicher Form. Im Gegensatz zum U-Bahnbetrieb können neue Kapazitäten für die hochausgelasteten Strecken, die sich ebenfalls vornehmlich im Zentrum befinden, durch den Einsatz längerer Züge geschaffen werden. Jedoch stößt der Trambetrieb an zahlreichen Verkehrsknoten an seine Grenzen. In vielen Fällen müssen Haltestellen aus- und umgebaut werden. Dies führt zu umfangreichen Umbauten und kann auch Auswirkungen auf die übrigen Verkehrsteilnehmer haben. Gleiches gilt für die Wendeanlagen, was im Übrigen auch für den Bus- und U-Bahnverkehr gilt.
Im Busbereich ist in den nächsten Jahren gezielt der Ausbau der tangentialen Verbindungen mittels neuer Querverbindungen und ExpressBus-Linien geplant. Deren Umsetzbarkeit und Wirkung hängt stark von der zur Verfügung stehenden Infrastruktur auf der Strecke und an den Endpunkten ab. Mittlerweile befindet sich ein Großteil der vorhandenen Busbahnhöfe im täglichen Betrieb an seiner Leistungsgrenze. Das heißt, dass keine zusätzlichen neuen Linien, Taktverdichtungen oder größeren Fahrzeuge mehr abgewickelt werden können und somit die Planung von Ausweitungen eingeschränkt ist. Ebenso ist die Leistungsfähigkeit der Straßen und Knoten für den ÖPNV ein wesentlich beschränkendes Element, da der Bus (und teils die Tram) mit im Stau stehen und somit keine Reisezeitvorteile gegenüber dem MIV erzielen können. Für den sinnvollen Ausbau von Tangenten im Oberflächenverkehr ist daher die Bereitstellung einer eigenen Infrastruktur oder die gezielte Umsetzung von Beschleunigungsmaßnahmen aller Art unerlässlich. Die Kapazitäten im Bestandsnetz sind beim Bus im Zulauf auf die Umsteigeknoten weitgehend ausgereizt und können häufig nur durch die Behebung der oben beschriebenen Einschränkungen noch ausgeweitet werden.“
Das Referat für Arbeit und Wirtschaft ergänzt im Hinblick auf das aus Sicht der MVG nachvollziehbare Anliegen eigener ÖV-Trassen, dass diese im Gesamtkontext der Aufrechterhaltung der Leistungsfähigkeit des Straßennetzes im Einzelfall geprüft werden müssen.
Die MVG nimmt weiter wie folgt Stellung:
„Einen nicht zu vernachlässigenden Punkt stellen neben den oben erwähnten Engpässen die Kapazitäten der für den Betrieb notwendigen Abstell- und Werkstattanlage dar. Bei allen Betriebszweigen ist daher für zusätzliche Fahrzeuge die Schaffung zusätzlicher Anlagen zwingende Voraussetzung.
Abschließend bleibt festzuhalten, dass im heutigen Netz die Möglichkeiten zum weiteren Kapazitätsausbau beschränkt sind und größere Investitionen nötig sind. Besonders vorteilhaft ist – neben den dargestellten U-Bahn-Ergänzungen – die Schaffung leistungsfähiger Querverbindungen. Damit können Fahrbeziehungen ohne Durchqueren des Stadtzentrums abge-
wickelt werden. Im Idealfall kann so ein Platz zweimal genutzt werden: einerseits aus den Außenbezirken bis zu einer Umsteigemöglichkeit in eine Querverbindung, und ein zweites Mal innerhalb der Innenstadtbezirke. Mit Bau einer Tram-Nordtangente können z.B. Fahrgäste aus Bogenhausen zum FIZ mit der Nordtangente bis Hohenzollernplatz fahren und erst dort in die U2 zum FIZ umsteigen: sowohl die U4 als auch die U2 werden damit im Stadtzentrum entlastet. Diese Fahrmöglichkeit wird aber nur genutzt, wenn sie staufrei und zeitlich vorteilhaft ist. Nur mit einem Mix aus neuen U-Bahnstrecken und der Schaffung eigener Trassen für den ÖV, v.a. auf den Querverbindungen, kann der öffentliche Verkehr somit den künftigen Anforderungen gerecht werden.“
Auch hier verweist das Referat für Arbeit und Wirtschaft auf die Notwendigkeit der Einzelfallprüfung im Gesamtkontext.
Die ebenfalls um Stellungnahme gebetene Münchner Verkehrs- und Tarifverbund GmbH (MVV) teilte mit, dass die MVV GmbH nicht über aktuelle linien- bzw. fahrzeugscharfe Fahrgastzahlen aller öffentlichen Verkehrsmittel innerhalb der Landeshauptstadt München verfüge bzw. auch nicht befugt sei, diese an Dritte weiterzugeben. Jedoch ergänzte die MVV GmbH, dass die Auslastung der S-Bahn im Bereich der Stammstrecke nur als bedingt kritisch anzusehen sei. Mit der zweiten Stammstrecke könne hier rechnerisch die Anzahl der Züge verdoppelt werden. Die heute in der Regel als Vollzug verkehrenden Taktverstärker der S-Bahnen könnten – Fahrzeuge vorausgesetzt – auch als Langzug verkehren, womit die Kapazität um 33% erhöht würde. Problematisch sei laut MVV eher die Zu- und Abgangssituation, da die Rolltreppen, Lifte etc. wie auch die Bahnhöfe selbst heute gut ausgelastet seien. Jedoch sei auch hierfür die 2. Stammstrecke die geeignete Lösung.
Zudem wurde die Deutsche Bahn AG, die für die S-Bahnen in München zuständig ist, um Stellungnahme gebeten, die ich im Folgenden zitieren darf: „Zu den Hauptverkehrszeiten sind die S-Bahnen derzeit innerhalb der Stadtgrenzen Münchens – Schwerpunkt Stammstrecke – nahezu vollständig ausgelastet. Mit 30 Fahrten pro Richtung/Stunde hat die Stammstrecke hinsichtlich der Zugfrequenz ihre Leistungsgrenze erreicht.Ein Kapazitätsaufbau wäre aber noch durch vermehrte Langzugbildungen möglich.
Im Zeitrahmen des sogenannten Übergangsvertrages werden der S-Bahn München 2018/19 deshalb 21 zusätzliche ET 420 zulaufen, die vor ihrem Einsatz für den Betrieb mit Linienzugbeeinflussung ertüchtigt werden. Ebenso werden nach dem Abschluss des Modernisierungsprozesses bei den ET 423 ab 2021 weitere Fahrzeuge für den täglichen Betrieb zur Verfügung stehen.
Die sich daraus ergebenden konkreten Anpassungen bei der Zugbehängung stimmen wir derzeit noch mit unserem Aufgabenträger, der Bayerischen Eisenbahngesellschaft mbH (BEG) ab.
Auch die längerfristige Entwicklung des S-Bahn-Netzes ist über das ‚Bahnausbauprogramm München‘ des Freistaates Bayern auf dem Wachstumspfad. Nicht zuletzt wird die Zweite Stammstrecke nachhaltiges Kapazitätswachstum für den bisherigen S-Bahn-Bereich, aber auch für das weitere Umland, sicherstellen.“
Aus Sicht des Referates für Arbeit und Wirtschaft stellt auch die Planung der U5-Verlängerung nach Freiham einen wichtigen Baustein zur Kapazitätserhöhung im ÖV dar, der parallel zur U9 zu planen ist.
Ich bitte Sie, von den vorstehenden Ausführungen Kenntnis zu nehmen und hoffe, dass Ihr Antrag zufriedenstellend beantwortet ist und als erledigt gelten darf.