Ausufernder Hartz-IV-Betrug durch „gut organisierte Banden“: Wie schlimm ist es in München?
Antrag Stadtrat Karl Richter (BIA) vom 21.3.2018
Antwort Sozialreferentin Dorothee Schiwy:
In Ihrem Antrag vom 21.3.2018 führen Sie Folgendes aus:
„[italic]Ich beantrage: Der Stadtrat beschließt: Das Sozialreferat legt möglichst zeitnah einen umfassenden Bericht zum Ausmaß des organisierten Hartz- IV-Betruges im Bereich der LHM vor, der insbesondere Angaben erhält zu
-Nationalitäten der beteiligten ‚organisierten Banden‘;
- Strafverfolgung durch die Münchner Jobcenter und die Sozialbehörden der LHM
- Rückholung von Leistungen;
- etwaige Mitverantwortung von Münchner Behördenmitarbeitern;
- geplante bzw. bereits umgesetzte Qualitätsverbesserungen, um weitere Leistungsmißbräuche zu verhindern
- Mitwirkung von Innenrevision und Rechtsabteilung bei der Strafverfolgung und Rückforderung mißbräuchlich bezogener Leistungen;
- zur Frage, inwieweit freiwillige Leistungen der LHM den Leistungsmißbrauch durch ‚organisierte Banden‘ möglicherweise begünstigen. Begründung:
Übereinstimmenden Medienberichten zufolge registriert die Bundesanstalt für Arbeit (BA) ein anhaltend exzessives Niveau des Sozialbetrugs in Deutschland. Laut einem BA-Bericht nahmen die Jobcenter 2017 in 148.524 Fällen (!) Ermittlungen auf. Es seien 49.769 Verfahren (+ 0,3 Prozent gegenüber 2016) an Staatsanwaltschaften oder die Zollverwaltung abgegeben worden. Zudem habe es im Jahresvergleich mehr Geldbußen gegeben: 21.281 (+ 1,3 Prozent). Dem Bericht zufolge verschwiegen Hartz- Bezieher in 82.266 Fällen Einkünfte aus Jobs, Vermögen oder Sozialleistungen und kassierten alles in allem rund 54 Millionen Euro an Sozialleistungen zu viel.
[italic]Besonderes Kopfzerbrechen bereiten der BA ‚gut organisierte Banden‘. Sie lockten ‚gezielt‘ Menschen aus osteuropäischen Ländern wie Bulgarien und Rumänien an, die in Deutschland scheinbar einer Beschäftigung nachgingen, um dann zu Unrecht Hartz-Leistungen zu kassieren. Die Banden stellten etwa Zuwanderer zum Schein ein oder gründeten Ein-Mann-Betriebe für sie. Danach werden die Zuwanderer wieder entlassen oder lösen das Arbeitsverhältnis auf, wodurch Ansprüche auf Hartz-IV-Leistungen generiert werden, die von den Betrügern kassiert werden. Mit Hilfe einer ‚ausgeklügelten Logistik‘ werde sichergestellt, daß die Leistungsbezieher zu ihren Terminen in den Jobcentern erschienen, heißt es in dem BA-Bericht (alles nach: https://www.welt.de/wirtschaft/article174727963/Hartz-IV- 150-000-Betruegsfaelle-registriert.html; zuletzt aufgerufen: 21.3.2018, 1.39 Uhr; KR).
Die Annahme ist naheliegend, daß auch die Münchner Jobcenter von ausuferndem Sozialbetrug und den Machenschaften ‚gut organisierter Banden‘ betroffen sind. Darüber hinaus durchzieht der organisierte Leistungsbetrug auch weitere Bereiche des Sozialsystems, etwa Wohnungsvergabe und Gesundheitswesen.
Vor diesem Hintergrund ist es geboten, die Bekämpfung und Durchleuchtung der geschilderten Mißstände zur Chefsache im Sozialreferat zu machen. Einen ähnlich gelagerten Präzedenzfall gibt es in München bereits mit dem Skandal um verabsäumte Abrechnungen erstattungsfähiger Leistungen für ‚Flüchtlinge‘, bei dessen Aufarbeitung sich die Öffentlichkeit mit Außenständen bzw. drohenden Verlusten in dreistelliger Millionenhöhe konfrontiert sah. Die seinerzeit eingeleiteten Maßnahmen der Stadtverwaltung, um das Ausmaß der Verluste einzugrenzen, bieten zahlreiche Anregungen, um auch jetzt dem ausufernden Sozialbetrug durch ‚organisierte Banden‘ einen Riegel vorzuschieben und die Solidargemeinschaft vor weiterer Schädigung zu bewahren. Der hier geforderte Bericht soll Umfang und Erfolg der städtischen Schadensbegrenzung für die Öffentlichkeit transparent machen.“
Das Sozialreferat hat bereits mehrfach Ihre Fragen zu vermutetem Sozialleistungsmissbrauch in unterschiedlichen Zusammenhängen beantwortet, zuletzt mit Schreiben vom 4.12.2017 zu Ihrer Anfrage vom 19.10.2017 „Leistungsmissbrauch im SGB II – wie sieht es in München aus?“ (Nr. 14-20/F 01025), mit Schreiben vom 12.1.2018 zu Ihrer Anfrage vom 7.12.2017 „Sozialleistungen in München: Wie schlägt Wohneigentum im Ausland zu Buche“ (Nr. 14-20/F 01051) und mit Schreiben vom 23.1.2018 zu Ihrer Anfrage vom 30.11.2017 „Bettler als Sozialhilfebetrüger – Ein Thema auch in München?“ (Nr. 14-20/F 01043). Darüber hinaus wurde über die Situation der Zuwanderinnen und Zuwanderer, insbesondere aus Bulgarien und Rumänien, am 9.11.2017 im Sozialausschuss berichtet (Runder Tisch zur Armutszuwanderung aus EU-Ländern-Südosteuropa, Sitzungsvorlage Nr. 14-20/V 09498).
Ihr Einverständnis vorausgesetzt, teilen wir Ihnen deshalb auf diesem Wege zu Ihrem Antrag vom 21.3.2018 Folgendes mit:
Ein solcher Bericht ist nicht erforderlich, da dem Sozialreferat keine „organisierten Banden“, die Sozialleistungsmissbrauch betreiben, bekannt sind. Ich hoffe, auf Ihr Anliegen hinreichend eingegangen zu sein. Ich gehe davon aus, dass die Angelegenheit damit abgeschlossen ist.