In seinem „Münchner Zukunftsdialog“ hat sich Oberbürgermeister Dieter Reiter mit Experten zum Thema „Soziales Bodenrecht“ ausgetauscht. Dabei waren sich alle einig, dass dazu dringend die gesetzlichen Rahmenbedingungen geändert werden müssen. In einem Brief an die Bundeskanzlerin, der auch den Partei- und Fraktionsvorsitzenden der Regierungskoalition und dem zuständigen Ministerium zugeht, fasst Oberbürgermeister Dieter Reiter die Ergebnisse nun zusammen und fordert schnelle gesetzliche Änderungen durch den Bund.
Kernpunkt der Forderungen ist: Eine Ergänzung des Baugesetzbuches, die ermöglicht, dass bei Neubauvorhaben Belange des Gemeinwohls von den Grundstückseigentümern immer mitgetragen werden müssen – auch in Gebieten, in denen bereits Baurecht (§34 BauGB) besteht. Damit könnten Kommunen auch dort eine Mietpreis- und Belegungsbindung sowie die Beteiligung der Eigentümer an den Kosten der sozialen Infrastruktur durchsetzen.
Hier der Brief an die Bundeskanzlerin im Wortlaut:
„Im Rahmen meines ‚Münchner Zukunftsdialogs‘ habe ich mich mit einer der drängendsten Fragen beschäftigt, die die künftige Entwicklung Münchens und vieler anderer Kommunen maßgeblich mitbestimmt: Wie kann ein soziales Bodenrecht realisiert werden? Im Mittelpunkt dieses Dialogs, an dem Experten wie Alt-Oberbürgermeister Dr. Hans-Jochen Vogel, Dr. Stephan Gatz (Bundesverwaltungsgericht), Prof. Dr. Dirk Löhr (Hochschule Trier) und Prof. Dr. Christian-W. Otto (TU Berlin) teilnahmen, stand die Frage, wie trotz hoher Bodenpreise und steigender Baukosten Wohnraum geschaffen werden kann, der breiten Schichten der Bevölkerung bei noch bezahlbaren Mieten zur Verfügung steht. In den Diskussionen hat sich gezeigt, dass eine Ergänzung des Bauplanungsrechts dringend geboten ist, der Bundesgesetzgeber also aktiv werden muss.
Zwar sind in der Planungspraxis bereits zahlreiche Modelle entwickelt worden, die im Zusammenhang mit der Aufstellung von Bebauungsplänen zur Schaffung preisgebundenen Wohnraums beitragen. Dazu gehört etwa in der Landeshauptstadt München das seit 1994 praktizierte Verfahren der Sozialgerechten Bodennutzung (SoBoN). Dieses Verfahren wurde bisher bei der Aufstellung von 154 Bebauungsplänen angewendet. Dadurch sind mehr als 12.280 geförderte, mietpreisgebundene Wohnungen entstanden (Stand: Dezember 2017). Jedoch hat sich trotz dieser guten Bilanz gezeigt, dass derartige Verfahren in der Regel nur bei der erstmaligen Schaffung von Baurecht funktionieren. Denn Eigentümer, deren Grundstücke nach Maßgaben eines neu aufgestellten Bebauungsplans erstmals oder in deutlich größerem Maße bebaut werden, können mittels städtebaulicher Verträge verpflichtet werden, auch preisgebundenen Wohnraum zu schaffen. Die ihnen durch die Planung vermittelten Bodenwertsteigerungen können auf diese Weise für das Gemeinwohl eingesetzt und das Angebot an bezahlbarem Wohnraum vergrößert werden.
Bei der Errichtung von Gebäuden im unbeplanten Innenbereich nach § 34 BauGB, also in den Fällen, in denen ein Bebauungsplan nicht aufgestellt wird oder nur ein einfacher Bebauungsplan vorliegt, können diese Baulandmodelle jedoch nicht zum Zug kommen. Besteht bereits Baurecht, ist es aufgrund der aktuellen Gesetzeslage planungsrechtlich nicht zulässig, die Eigentümer mittels städtebaulicher Verträge zur Schaffung preisgebundenen Wohnraums zu verpflichten. Dies betrifft vor allem die bereits besiedelten Gebiete der Städte und Gemeinden. Folglich müssen die Eigentümer von Grundstücken vor allem in Innenlagen der Städte regelmäßig keinen Beitrag für eine Wohnraumversorgung zu angemessen Preisen leisten. Preisgebundener Wohnraum wird folglich in Gebieten, in denen Baurecht nach § 34 BauGB besteht, von privaten Bauherrn auch nicht geschaffen. Diese Besserstellung von Eigentümern, deren Grundstücke nach § 34 BauGB bebaubar sind, ist im Zusammenhang mit der Bereitstellung preisgebundenen Wohnraums weder zu rechtfertigen noch war sie gesetzgeberisch gewollt. Denn der Gesetzgeber ging ursprünglich sicher davon aus, dass Baurecht regelmäßig mittels Bebauungsplan entsteht und dadurch eine sozialgerechte Steuerung des Wohnungsbaus möglich ist. Dass in der Realität die deutliche Mehrzahl der Wohngebäude auf der Grundlage von § 34 BauGB zugelassen wird, hatte er bei der Ausgestaltung der städtebaulichen Instrumente offensichtlich nicht bedacht. Folglich fehlt den Gemeinden die Möglichkeit, eine Mietpreis- und Belegungsbindung auch im unbeplanten Innenbereich durchzusetzen. Mittlerweile liegen alleine in München bis zu 60 % aller Wohnbauvorhaben im Bereich von § 34 BauGB. Dies ist auch keine Münchner Sondersituation, sondern die Realität in vielen bundesdeutschen Ballungsgebieten. Es bedarf deswegen dringend einer Ergänzung des Baugesetzbuches.
Ziel dieser Ergänzung muss sein, den Gemeinden die Möglichkeit zu geben, die Bauherren auch im unbeplanten Innenbereich verpflichten zu können, einen gewissen Anteil der neu geschaffenen Wohnungen einer Mietpreis- und Belegungsbindung zu unterwerfen. Dieses Ziel kann mittels einer Satzung in Gestalt eines einfachen Bebauungsplans oder mittels einer Satzung im Rahmen des besonderen Städtebaurechts erreicht werden. Welche Satzung geeigneter ist, kann zunächst offen bleiben. Entscheidend ist, dass die Gemeinden durch die Ergänzung des Baugesetzbuches ermächtigt werden, in einer städtebaulichen Satzung zu bestimmen, dass auch bei Wohnbauvorhaben im unbeplanten Innenbereich (§ 34 BauGB) ein bestimmter Anteil an bezahlbarem/gefördertem Wohnraum geschaffen und für einen gewissen Zeitraum entsprechend genutzt werden muss. Sofern Bauherren diese Wohnungen nicht realisieren können oder wollen, müssten die Bauherren zur Zahlung eines zweckgebundenen Ausgleichsbetrags verpflichtet sein.
Denkbar wäre beispielsweise § 9 BauGB um einen Absatz 2d zu ergänzen, so dass die Gemeinden anhand eines einfachen Bebauungsplans festlegen können, welchen Beitrag neue Bauvorhaben zum Gemeinwohl leisten müssen (zum Beispiel eine bestimmte Quote an preisgebundenem Wohnraum). Vorbilder dafür finden sich in § 9 Abs. 2a), 2b) und 2c BauGB. Alternativ käme die Einführung einer Wohnraumsatzung in Betracht, für die beispielsweise ein neuer § 171g BauGB als Rechtsgrundlage geschaffen werden könnte. Im Geltungsbereich dieser Satzungen wären die Eigentümer bei der Errichtung von Wohngebäuden verpflichtet, eine bestimmte Quote an preisgebundenem Wohnraum zu schaffen und für eine gewisse Dauer zur Verfügung zu stellen.
Ich halte diese Ergänzung des Baugesetzbuches nach den im „Münchner Zukunftsdialog“ gewonnenen Erkenntnissen für eine vordringliche Aufgabe des Bundes, um das Angebot an preisgebundenem Wohnraum in den Innenstädten erheblich zu vergrößern und alle Grundeigentümer daran gleichmäßig zu beteiligen. Die Sozialbindung des Grundeigentums würde dadurch wirksam aktualisiert. Ich appelliere deshalb an Sie, die Rahmenbedingungen für eine Bodenrechtsreform zu schaffen, durch die es den Kommunen ermöglicht wird, wirksam gegen die extreme Steigerung der Bodenpreise in Ballungsräumen vorzugehen. Wir stehen gegenüber der Bevölkerung nicht nur in München, sondern in allen Ballungsgebieten in der Pflicht, der Endlosspirale steigender Mieten und Wohnungspreise auf allen Ebenen wirksame Instrumente entgegenzusetzen. Belassen Sie es nicht bei der Einrichtung einer Enquete- oder Regierungskommission. Bitte stellen Sie jetzt die maßgeblichen Weichen und befassen den Bundestag mit einem konkreten Gesetzesvorschlag.“