Besteht in München die Gefahr, dass echte Kinder mit Männern, die vorgeben Kinder zu sein, zusammen untergebracht werden? Wir haben Fragen zur Altersfeststellung von jungen Flüchtlingen
Anfrage Stadträte Fritz Schmude und Andre Wächter (Liberal-Konservative Reformer) vom 5.1.2018
Antwort Sozialreferentin Dorothee Schiwy:
In Ihrer Anfrage vom 5.1.2018 führen Sie Folgendes aus:
„Sehr geehrter Herr Oberbürgermeister Reiter, nach der tödlichen Messerattacke auf eine 15-Jährige Jugendliche in Rheinland-Pfalz vor wenigen Tagen fordern Politiker fast aller Parteien konsequentere Altersprüfungen bei jungen Flüchtlingen. Die gleichen Politiker- Reaktionen brachte schon der Mord an einer Freiburger Studentin im Oktober 2016 hervor.
‚In Schweden ordnete die Regierung im Sommer 2016 die Altersprüfung aller mutmaßlich minderjährigen Flüchtlinge an, an deren Altersangaben Zweifel bestanden. Bis Anfang Dezember hatten Rechtsmediziner 7.858 Jugendliche untersucht, mithilfe von Röntgenbildern der Weisheitszähne und MRT-Aufnahmen der Kniegelenke. Dabei stellte sich heraus, dass knapp 80 Prozent, also 6.328 Personen, älter waren als 18 Jahre.(...) Nach dem Wortlaut des Gesetzes scheint sonnenklar, was geschieht, wenn das Alter eines Asylbewerbers nicht eindeutig zu erkennen ist: Im ‚Zweifelsfall‘, heißt es im Paragrafen 42 f des Achten Sozialgesetzbuches, ‚hat das Jugendamt eine ärztliche Untersuchung zur Altersbestimmung zu veranlassen‘. (Jochen Bittner, Zweifelhafte Selbstauskunft, Die ZEIT, 3.1.2018)
Das Stadtjugendamt München veranlasste angabegemäß nur selten eine ärztliche Untersuchung zur Altersbestimmung. Eine solche beinhaltete eine humanmedizinische und eine zahnärztliche Untersuchung. Auf die Aufnahmen der Handwurzelknochen, Schlüsselbeine oder Zähne wurde auch in Zweifelsfällen bisher nicht zurückgegriffen. (Vorlage 14-20/V 09275) Besteht in München die Gefahr, dass echte Kinder mit Männern, die vorgeben Kinder zu sein, zusammen untergebracht werden? In keinem anderen gesellschaftlichen Kontext würde man dies akzeptieren.“
Zu Ihrer Anfrage vom 5.1.2018 nimmt das Sozialreferat im Auftrag des Herrn Oberbürgermeisters im Einzelnen wie folgt Stellung:
Frage 1:
Wie viele minderjährige Ausländer wurden nach den Vorschriften des Achten Sozialgesetzbuches (SGB VIII) seit 1.7.2015 bis 31.10.2017 in Obhut genommen?
Antwort:
Die Frage bedarf einer Differenzierung, da sich die gesetzliche Grundlage für Maßnahmen für unbegleitete minderjährige Ausländer zum 1.11.2015 geändert hat. Von 1.7.2015 bis 31.10.2015 wurden 2.314 unbegleitete minderjährige Ausländer gemäß § 42 SGB VIII in Obhut genommen. Ab 1.11.2015 bis 31.10.2017 wurden dann 2.923 unbegleitete minderjährige Ausländer gemäß dem neuen § 42a SGB VIII vorläufig in Obhut genommen.
Frage 2:
Wie viele dieser Personen befinden sich zum Stichtag 31.10.2017 noch in Obhut der LHM?
Antwort:
Die vorläufige Inobhutnahme nach § 42a SGB VIII mündet in den meisten Fällen innerhalb der ersten vier Wochen in einem deutschlandweiten Verteilungsverfahren. Dem Stadtjugendamt München, das aufgrund der Ankunftszahlen stets abgebendes Jugendamt war, verbleiben daher nur diejenigen unbegleiteten Minderjährigen in eigener Zuständigkeit, bei denen ein Verteilungshindernis gemäß § 42a SGB VIII und § 42b SGB VIII festgestellt wurde, die also aufgrund besonderer Umstände in München verbleiben müssen. Außerdem ist eine Inobhutnahme stets nur eine vorübergehende Maßnahme und wird nach der Feststellung des individuellen Bedarfes von einer konkreten Hilfe abgelöst, bzw. endet altersbedingt.
Von den in Antwort 1 genannten 5.237 Personen, die zwischen 1.7.2015 und 31.10.2017 seitens der LHM in Obhut/vorläufig in Obhut genommen wurden, sind derzeit 649 noch in aktiver Zuständigkeit des Stadtjugendamtes.
Frage 3:
Wie viele dieser Personen haben vor dem 31.10.2017 die Altersgrenze von 18 Jahren überschritten?
Antwort:
Am 31.10.2017 waren 313 Hilfeempfänger über 18 Jahren alt, die zwischen dem 1.7.2015 und dem 31.10.2017 erstmals in Zuständigkeit des Stadtjugendamtes München aufgenommen wurden und in Zuständigkeit der LHM verblieben sind.
Frage 4:
Wie erfolgte die Altersfeststellung der unter Punkt 1 genannten Anzahl von Personen?
a) durch Vorlage von Ausweispapieren
b) durch Selbstauskunft
Antwort:
Die Altersfeststellung in allen Fällen erfolgte stets im Einklang mit der Regelung des § 42f SGB VIII. Das dreistufige Verfahren sieht lediglich auf der ersten Stufe die Prüfung der Ausweisdokumente vor. In keinem einzigen Fall erfolgte die Altersfeststellung allein auf Grundlage von Ausweispapieren oder Selbstauskünften, da die Echtheit der vorgelegten Papiere nicht zweifelsfrei festgestellt werden kann.
Auch trägt die Mehrheit der neu Ankommenden keine Ausweispapiere mit sich, die überprüft werden könnten. An die Überprüfung der Ausweispapiere schließt sich die qualifizierte Inaugenscheinnahme (2. Stufe der Altersfeststellung) an und in Zweifelsfällen wird die medizinische Untersuchung als dritte Stufe des Altersfeststellungsverfahrens durchgeführt.
Frage 5:
Bei wie vielen minderjährigen Personen wurde die Selbstauskunft (Punkt 4b) durch Mitarbeiter der LHM im Rahmen eines Interviews, bzw. einer qualifizierten Inaugenscheinnahme geprüft?
Antwort:
Bei allen neu ankommenden wird eine qualifizierte Inaugenscheinnahme vorgenommen. Dabei führen drei SozialpädagogInnen (Befragung, Beobachtung, Protokoll) ein etwa einstündiges Gespräch mit den jeweiligen Personen. Unter Würdigung der Glaubhaftigkeit der geschilderten Lebensumstände in der Heimat und der Fluchtgeschichte, sowie der körperlichen und geistigen Entwicklung der einzelnen Personen, setzen diese das Alter der Betroffenen fest.
Frage 6:
Bei wie vielen dieser Personen von Punkt 5 wurde eine ärztliche Untersuchung zur Altersfeststellung angeordnet?
Antwort:
Die medizinische Altersfeststellung wurde bisher nur selten veranlasst, im Jahr 2017 waren dies insgesamt 8 Fälle. Eine medizinische Altersfeststellung ist gem. der gesetzlichen Regelung lediglich dann durchzuführen, wenn nach der qualifizierten Inaugenscheinnahme noch Zweifel am Alter der zu überprüfenden Person verbleiben. Der Stadtrat wurde mit dieser Thematik bereits am 27.9.2017 befasst, vgl. Beschlussvorlage 14-20/V 09275.
Frage 7:
Wie viele dieser ärztlichen Untersuchungen (Punkt 6) beinhalteten eine human- oder zahnmedizinische Röntgenuntersuchung?
Antwort:
Von den acht medizinischen Altersfeststellungen aus dem Jahr 2017 wurden bei fünf Fällen Röntgenaufnahmen des Kiefers und der Handwurzelknochen angefertigt.
Frage 8:
Sollte die LHM eine ärztliche Untersuchung als notwendig erachtet haben, in wie vielen Fällen zwischen 1.7.2015 und 31.10.2017 betrug der Zeitraum zwischen der Registrierung und der Durchführung der medizinischen Altersbestimmung über ein Jahr?
Antwort:
In keinem Fall.
Frage 9:
Wie viele dieser in Obhut genommenen minderjährigen Ausländer wurden zwischenzeitlich als Flüchtlinge anerkannt (§ 3 Abs. 1 AsylG)?
Antwort:
Wie oben dargestellt werden seit 1.11.2015 alle unbegleiteten minderjährigen Ausländer einem bundesweiten Verteilungsverfahren unterzogen (§ 42a ff. SGB VIII). Über den aufenthaltsrechtlichen Status dieser Personen ist dem Stadtjugendamt nichts bekannt.
Frage 10:
Wie vielen dieser in Obhut genommenen minderjährigen Ausländer wurde zwischenzeitlich Asyl gewährt (§ 16 a GG und Familienasyl)?
Antwort:
Siehe Antwort zu Frage 9.
Frage 11:
Aus welchen Ländern kommen die unter Punkt 1 genannten Personen?
Antwort:
Die in Punkt 1 genannten Personen stammen aus über 60 Nationen, am häufigsten aus Afghanistan, Syrien, Eritrea, Irak, Somalia sowie Guinea.
Frage 12:
Wie viele Personen, die zwischen dem 1.7.2015 und dem 31.10.2017 bei der LHM als minderjährige unbegleitete Ausländer „vorstellig“ wurden, sind nach Abschluss des Verwaltungsverfahrens
a) nach der Inaugenscheinnahme durch Mitarbeiter des Sozialreferates (Interview)
b) nach der medizinischen Untersuchung als Volljährig eingestuft worden?
Antwort:
Im genannten Zeitraum fanden 8.635 Alterseinschätzungsgespräche statt, in denen 3.884 Personen als volljährig eingestuft wurden. Sechs Personen wurden nach einer medizinischen Untersuchung als volljährig eingestuft.
Frage 13:
Wie werden diese unter Punkt 12 genannten Personen von der LHM untergebracht?
Antwort:
Die LHM ist nicht für die Unterbringung von volljährigen Personen mit Fluchthintergrund zuständig. Unmittelbar nach der Feststellung der Volljährigkeit werden die Personen an die Gemeinschaftsunterkunft der Regierung von Oberbayern überstellt.