Zwischen 1933 und 1945 wurden in München etwa 10.000 Frauen, Kinder und Männer aus politischen und rassistischen Motiven, wegen ihrer sexuellen Orientierung, ihres Glaubens, ihrer unangepassten Lebensweise und aufgrund ihrer psychischen Erkrankungen oder Behinderungen verfolgt und ermordet. Viele dieser Menschen gerieten in den Jahrzehnten nach Kriegsende in Vergessenheit, ihr Schicksal hatte keinen Platz im kollektiven Gedächtnis.
An den einstigen Wohnorten dieser Menschen werden künftig Erinnerungstafeln und -stelen errichtet – auf Wunsch von Angehörigen oder auf Anregung aus der Stadtgesellschaft. Am Donnerstag, 26., und Freitag, 27. Juli, sowie am Sonntag, 5. August, werden erstmals Erinnerungszeichen an sechs Standorten an die Öffentlichkeit übergeben.
Die Erinnerungszeichen zeigen – falls vorhanden – ein gerastertes Bild der Person und enthalten wesentliche Lebens- und Verfolgungsdaten. Erinnerungstafeln werden am Haus, Erinnerungsstelen vor dem Haus angebracht, in dem die Menschen gelebt und gearbeitet haben. Die Stadt München hat 150.000 Euro bereitgestellt, um in den nächsten zwei Jahren Erinnerungszeichen realisieren zu können.
Oberbürgermeister Dieter Reiter: „Es ist mir wichtig, dass wir in München Formen des individuellen Gedenkens an die Opfer der NS-Zeit finden. Mit den Erinnerungsstelen und -tafeln wird uns das in angemessener Weise gelingen. Wenn wir die ersten an die Öffentlichkeit übergeben, sind Angehörige und Vertretungen der Opferverbände anwesend. Auch das zivilgesellschaftliche Engagement wird sichtbar. Ein breiter Schulterschluss nach einer langen Diskussion. Ich wünsche mir, dass die Erinnerungszeichen ihrem Namen gerecht werden. Sie sollen an die Ermordeten erinnern und ein Zeichen setzen – ,Nie wieder!‘“
[bold]Folgende Termine sind geplant:
Donnerstag, 26. Juli, 11 Uhr, Königinstraße 85:
Übergabe der Erinnerungstafel für Franz und Tilly Landauer mit Oberbürgermeister Dieter Reiter, Marian Offman, Vorstand der Israelitischen Kultusgemeinde München und Oberbayern, Rechtsanwalt Uri Siegel für die Familie Landauer, und Dr. Axel Theis, Mitglied des Vorstands der Allianz SE.
Zum Hintergrund: Der jüdische Kaufmann und Versicherungsvertreter Franz Landauer (geb. 26.8.1882) meldete sich 1914 freiwillig zum Kriegsdienst. Seine Frau Tilly (geb. 2.4.1887) arbeitete als Versicherungskauffrau. Am 12.11.1938 wurde Franz Landauer in Folge der Pogromnacht in das KZ Dachau verschleppt. Ihres Eigentums beraubt, gelang dem Ehepaar 1939 die Flucht nach Amsterdam. Sie wurden am 10.12.1942 verhaftet und im Kamp Westerbork interniert. Franz Landauer starb dort am 10.7.1943. Tilly Landauer wurde am 18.1.1944 in das KZ Theresienstadt und am 12.10.1944 in das Vernichtungslager Auschwitz deportiert. Die SS ermordete sie sofort nach ihrer Ankunft am 15.10.1944.
Donnerstag, 26. Juli, 13 Uhr, Mandlstraße 21:
Übergabe der Erinnerungsstele für Dr. Friedrich Crusius mit Stadtrat Marian Offman (CSU-Fraktion) in Vertretung des Oberbürgermeisters, Professorin Dr. Mirjam Zadoff, Direktorin des NS-Dokumentationszentrums München, Dr. Sibylle von Tiedemann, Arbeitsgruppe Psychiatrie und Fürsorge im Nationalsozialismus in München, Barbara Wenzl, für die Familienangehörigen und Initiatorin der Stele sowie Werner Lederer-Piloty, Vorsitzender Bezirksausschuss 12 Schwabing – Freimann.
Zum Hintergrund: Der Philologe Dr. Friedrich Crusius (geb. 15.8.1897) befand sich seit 1935 wegen einer psychischen Erkrankung in Behandlung. Am 30.9.1938 erfolgte seine Zwangseinweisung in die Heilanstalt Eglfing-Haar durch den zuständigen Bezirksarzt, der ihn gemäß der NS-Rechtsprechung als „gemeingefährlich“ einstufte. Am 24.10.1940 wurde er in die Heilanstalt Niedernhart verschleppt und am 8.3.1941 dort ermordet.
Donnerstag, 26. Juli, 15 Uhr, Mauerkircherstraße 13:
Übergabe der Erinnerungsstele für Paula und Siegfried Jordan mit Stadtrat Dr. Florian Roth (Fraktion Die Grünen – rosa liste) in Vertretung des Oberbürgermeisters, Bernhard Purin, Direktor des Jüdischen Museums München, Janne Weinzierl im Namen der Familie Jordan sowie Angelika Pilz-Strasser, Vorsitzende Bezirksausschuss13 – Bogenhausen.
Zum Hintergrund: Im Ersten Weltkrieg absolvierte Paula Jordan (geb. 17.5.1885) eine Ausbildung zur Krankenpflegerin, ihr Ehemann Siegfried Jordan (geb. 18.7.1887) kämpfte von 1915 bis 1918 an der Front. Das jüdische Ehepaar betrieb nach dem Krieg eine Kunstgalerie in München. Die Nationalsozialisten zwangen sie 1937 zur Aufgabe ihres Geschäfts. Siegfried Jordan wurde nach der Pogromnacht am 10.11.1938 im KZ Dachau inhaftiert. Am 20. November 1941 musste das Ehepaar Jordan die Deportation nach Kaunas antreten, wo SS-Einsatzgruppen sie am 25.11.1941 erschossen.
Freitag, 27. Juli, 15 Uhr, Daiserstraße 45:
Übergabe der Erinnerungsstele für Ludwig Holleis mit Stadtrat Klaus-Peter Rupp (SPD-Fraktion) in Vertretung des Oberbürgermeisters, Kulturreferent Dr. Hans-Georg Küppers, Friedbert Mühldorfer, Kreisvorstand München der Vereinigung der Verfolgten des Naziregimes – Bund der Antifaschistinnen und Antifaschisten, im Namen der Familie, sowie Markus Lutz, Vorsitzender Bezirksausschuss 6 Sendling.
Zum Hintergrund: Im Zusammenhang mit den Verhaftungen der Mitglieder der Widerstandsgruppe „Antinazistische Deutsche Volksfront“, der seine Schwester Emma angehörte, wurde der daran unbeteiligte Elektromaschinenbauer Ludwig Holleis (geb. 30.9.1897) am 7.1.1944 festgenommen. Die Beamten der Gestapozentrale in der Brienner Straße misshandelten ihn derart, dass er an den erlittenen Verletzungen am 29.3.1944 starb.
Freitag, 27. Juli, 17 Uhr, Auenstraße 15:
Übergabe der Erinnerungsstele für Therese Kühner mit Stadtrat Thomas Ranft (Fraktion FDP – HUT) in Vertretung des Oberbürgermeisters, Dr. Isabella Fehle, Direktorin des Münchner Stadtmuseums, Christoph Wilker, Verantwortlicher für Öffentlichkeitsarbeit der Religionsgemeinschaft der Zeugen Jehovas für den Raum München und Initiator der Stele, sowie Dr. Barbara Turczynski-Hartje vom Bezirksausschuss 2 Ludwigvorstadt – Isarvorstadt. Die Veranstaltung findet in der Klenzestraße 103 (Königreichsaal der Zeugen Jehovas) statt. Im Anschluss wird die Stele in der Auenstraße 15 der Öffentlichkeit übergeben.
Zum Hintergrund: Die Zeugin Jehovas Therese Kühner (geb. 25.4.1884) engagierte sich aktiv gegen das NS-Regime und verbreitete pazifistische Schriften. Die Gestapo verhaftete sie deswegen am 2.8.1944. Der Volksgerichtshof in Berlin verurteilte sie am 30.8.1944 zum Tode. Sie wurde am 6.10.1944 im Gefängnis Berlin-Plötzensee ermordet.
Sonntag, 5. August, 11:45 Uhr, Amalienstraße 44:
Übergabe der Erinnerungstafel für Walter Klingenbeck mit Stadtrat Marian Offman (CSU-Fraktion) in Vertretung des Oberbürgermeisters, Weihbischof Rupert Graf zu Stolberg, Dr. Michael Stephan, Leiter des Stadtarchivs München, Klaus Bäumler, Initiator der Tafel, und Christian Krimpmann, Vorsitzender Bezirksausschuss 3 Maxvorstadt.
Zum Hintergrund: Der gläubige Katholik Walter Klingenbeck (geb. 30.3.1924) sammelte eine Gruppe gleichgesinnter Jugendlicher um sich, die Flugblätter verfassten und zum Sturz des Regimes aufriefen. Er wurde am 26.1.1942 verhaftet, am 24.9.1942 vom Volksgerichtshof zum Tode ver- urteilt und am 5.8.1943 im Gefängnis München-Stadelheim ermordet. Alle Interessierten sind herzlich eingeladen, an den Veranstaltungen in der Maxvorstadt, in Schwabing – Freimann, in Bogenhausen, in der Ludwigsvorstadt – Isarvorstadt und in Sendling teilzunehmen.
Mehr Infos unter www.muenchen.de/Erinnerungszeichen.
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