Fahrzeugbedarf wächst: Werden alte U-Bahn-Wagen neben neuen U-Bahn-Wagen weitergenutzt?
Anfrage Stadtrats-Mitglieder Sonja Haider und Tobias Ruff (ÖDP) vom 26.3.2018
Antwort Bürgermeister Josef Schmid, Leiter des Referats für Arbeit und Wirtschaft:
In Ihrer Anfrage vom 26.3.2018 führten Sie als Begründung aus:
„München wächst dynamisch und die U-Bahnen werden immer voller. Die in den 1960er Jahren mit damals großzügigen Reservekapazitäten geplante U-Bahn-Infrastruktur stößt mancherorts an ihre Grenzen. Trotzdem erscheint Experten eine gewisse Entlastung durch weitere Taktverdichtung möglich, beispielsweise durch einen Zwei-Minuten-Takt in der Innenstadt. Wie die MVG im Januar 2018 gegenüber Stadtrat und Presse eingeräumt hat, scheitert dies aber teils noch auf Jahre am fehlenden Fahrzeugbestand. Andererseits wurde von der MVG in der Vergangenheit wiederholt angekündigt, man wolle Fahrzeuge der Baureihe A außer Betrieb nehmen und veräußern oder verschrotten.
Am 19.02.2021 wird der 50. Jahrestag der Inbetriebnahme der Münchner U-Bahn gefeiert, die ältesten Münchner U-Bahn-Fahrzeuge wären dann 50 Jahre in Betrieb. Vor einigen Jahren erklärte die MVG: ‚Grundsätzlich sind U-Bahnzüge auf eine Einsatzdauer von mindestens 40 – 50 Jahren ausgelegt.‘ Aus dieser Aussage ergibt sich, dass U-Bahnzüge bei guter Pflege und Wartung häufig auch länger als 50 Jahre eingesetzt werden können, zumal sie ja nur geringen Witterungseinflüssen ausgesetzt sind.
Selbst täglich Wind und Wetter voll ausgesetzte Bahnfahrzeuge können bei guter Pflege und Wartung über 50 Jahre betrieben werden, wie sowohl an einigen P-Wagen der Münchner Trambahn als auch an den von zahlreichen Touristenbahnen regelmäßig eingesetzten Schienenbussen (zum Beispiel Chiemgaubahn, Ilztalbahn) zu sehen ist. Lokomotiven und Bahnwaggons vieler Museumsbahnen werden teilweise sogar schon über 100 Jahre und damit rund doppelt so lange betrieben.
Im Jahr 2009 teilte die MVG mit, dass die Wagen der ersten Serienfertigung, die A-Wagen, deren jüngste Exemplare aus dem Jahr 1984 stammen, komplett bis zum Jahr 2024 ausgemustert werden sollten. Im Jahr 2012 ließ die MVG verlautbaren, dass die ältesten 42 A-Wagen aus den Baujahren 1970 - 1975 in den Jahren 2013/2014 ausgemustert werden sollten. Anfang 2017 wurde von der MVG mitgeteilt, dass nach derzeitigem Planungsstand in den Jahren 2019 - 2023 Fahrzeuge älterer Bauart abgelöst werden sollten. Den Äußerungen der MVG ist zu entnehmen, dass allmählich ein Umdenken von einer relativ frühzeitigen Ausmusterung der A-Wagen zu einer verlängerten Nutzungsdauer erfolgt ist. Vielleicht hat dazu beigetragen, dass der damalige MVG-Chef König im Jahre 2013 feststellen musste, dass ausgemusterte U-Bahn-Wagen nicht an andere Verkehrsbetriebe zur Weiternutzung verkauft werden können, da sie nur mit der speziellen Münchner Infrastruktur kompatibel sind.
Interessant ist, dass man nun auch im Jahr 2018 wieder den Einsatz der ältesten A-Wagen aus den Jahren 1970 - 1975 im Regelverkehr beobachten kann, obwohl in einer Stadtratsvorlage aus dem Jahr 2012 erklärt wurde: ‚Ein Weiterbetrieb über das Jahr 2013/2014 hinaus wäre nur möglich, wenn sowohl die Wagenkästen als auch die Hauptkomponenten grundlegend aufgearbeitet und teilweise erneuert werden würden.‘ Dies wäre mit Kosten von etlichen 100.000 Euro pro Triebwagen verbunden. Offenbar wurde eine kostengünstigere Lösung für den Weiterbetrieb gefunden oder man hat festgestellt, dass sich die Investition doch lohnt. Auch daran ist ein Umdenken der MVG zu erkennen.
Wir denken, dass die Weiternutzung älterer Fahrzeuge bei einer Gesamtwürdigung der Aspekte Störanfälligkeit, Verfügbarkeit von Ersatzteilen, Fahrgastkomfort, Optik, Wirtschaftlichkeit und Ökobilanz sinnvoll ist, um mit dem wachsenden Bedarf an Fahrzeugen, einschließlich des proportional ebenfalls wachsenden Bedarfs von zehn Prozent Reserve-Fahrzeugen, zeitnah und günstig Schritt zu halten.
a) Störanfälligkeit
Die MVG teilte auf Stadtratsanfrage am 10.02.2015 mit, dass das Alter der Fahrzeuge hinsichtlich der Störanfälligkeit in der Regel keine Rolle spiele und die Auswertung der Störungsstatistiken der verschiedenen Fahrzeugtypen ein sehr gleichmäßiges Bild zeige.
b) Verfügbarkeit von Ersatzteilen
Die MVG teilte auf Stadtratsanfrage am 15.12.2012 mit, dass die Ersatzteilversorgung der Münchner U-Bahnwagen für alle drei Fahrzeugserien (A-, B-, C-Züge) gesichert sei. Während jedoch bei den modernen Zügen der zunehmende Elektronikanteil tendenziell ein erhöhtes Risiko für die langfristige Ersatzteilverfügbarkeit darstelle, könnten für die älteren Züge aufgrund der einfacheren Bauart in der Regel unproblematisch auch vom ursprünglichen Hersteller unabhängige alternative Anbieter gefunden bzw. diverse Teile selbst angefertigt werden. Auch gebe es Hilfe durch andere U-Bahn-Betriebe.
c) Fahrgastkomfort
Der Unterschied zwischen älteren und neueren U-Bahn-Zügen im Fahrgastkomfort ist relativ gering, anders als bei der Tram, wo mit Übergang von M- und P-Wagen zu Niederflurstraßenbahnen ein Quantensprung hinsichtlich der Zugänglichkeit gerade für Rollstuhlfahrer, Kinderwagen und Rollatoren erreicht wurde. Dem Vorteil der kompletten Durchgängigkeit der C-Züge stehen durchaus auch Nachteile gegenüber. Der Wunsch vieler Kundinnen und Kunden nach mehr Sitzabteilen, wie in den A- und B-Wagen, wurde bei den C-Wagen zugunsten einer höheren Fahrzeugkapazität aufgegeben. Dies ist sicherlich ein Wettbewerbsnachteil für die U-Bahn gegenüber dem privaten Pkw - oder warum ist bisher weltweit kein Pkw-Hersteller auf die Idee gekommen einen Pkw mit Stehplätzen für einen Teil der Fahrzeugin- sassen (!) anzubieten, wenn darin eine Steigerung des Fahrkomforts läge. Hinsichtlich der Haltestangen ist sogar eine gravierende Verschlechterung in den C-Wagen eingetreten. Gibt es in den Stehbereichen der A- und B-Wagen ein bis zwei Haltestangen, durchgängig vom Boden bis zur Decke, wurden diese in den C-Wagen auf halblange Haltebügel reduziert. Bei vollen Wagen ist die Erreichbarkeit der halblangen Haltebügel schwierig und man darf sich die Grifffläche bisweilen Hand auf Hand mit weiteren Fahrgästen teilen. Für große Menschen bieten sie außerdem eine schlechtere Halteergonomie als durchgehende Stangen, bei denen man sich in Schulterhöhe festhalten kann.
d) Optik
Ästhetische Vorlieben sind, jenseits gewisser Modetrends, sehr verschieden. Manche bevorzugen Fahrzeuge makelloser modernster Gestaltung, andere Fahrzeuge mit ablesbarer Geschichte. Beim Massenverkehrsmittel U-Bahn ist es vorteilhaft, etwas für unterschiedliche Geschmäcker zu bieten. Außerdem verschaffen verschiedene Fahrzeugtypen Abwechslung im Alltag. Glücklicherweise haben die Münchner Verantwortlichen für die Fahrzeugbeschaffung immer einen guten Geschmack bewiesen. So heben sich zum Beispiel die Sitzbezüge in den alten und neuen U-Bahnen positiv von den im ÖPNV verbreiteten ‚Sitzmustern des Todes‘ ab. Die petrolblauen Kunstlederbezüge der Fahrzeuge aus den siebziger und achtziger Jahren haben inzwischen sogar Kultstatus erreicht und werden bei Austausch we-gen Schadstellen einem Unternehmen überlassen, welches daraus hochwertige Designertaschen mit Geschichte fertigt. Die Unterstützung des Upcycling-Projekts durch die MVG ist ausdrücklich zu loben. Übrigens lässt sich an der Optik der unterschiedlichen Fahrzeugtypen auch eine Veränderung der gesellschaftlichen Kultur, zumindest aus Designer-Sicht, ablesen: Bei den A- und B-Wagen soll man sich eine Sitzbank mit dem Sitznachbarn in gesellschaftlicher Solidarität teilen, bei den C-Wagen wird durch Einzel- sitze für jeden Fahrgast einem gesteigerten gesellschaftlichen Individualis- mus gehuldigt.
e) Wirtschaftlichkeit
Ein neuer U-Bahnzug mit 6 Waggons kostet zirka 9 Millionen Euro, das heißt 1,5 Millionen Euro pro Waggon. Für die Aufarbeitung eines U-Bahn-Waggons wurden von der MVG im Jahr 2012 Kosten von etlichen 100.000 Euro angesetzt. Wir vermuten jedoch, dass inzwischen eine kostengünstigere Lösung gefunden werden konnte. Allein aufgrund der ein- gesparten kalkulatorischen Kosten durch die geringere Investitionssumme müsste sich eine Aufarbeitung innerhalb weniger Jahre amortisieren. Fahrgäste und Steuerzahler würden finanziell von der Weiternutzung älterer Waggons statt einem Neukauf profitieren.
f) Ökobilanz
Die Münchner U-Bahn-Fahrzeuge wurden von Anfang an für sparsamen Energieverbrauch im Betrieb konzipiert. Bereits die Wagenkästen der A-Wagen wurden aus dem Leichtmetall Aluminium gefertigt, im Unter- schied zu damals verbreiteten Wagenkästen aus Stahl. Die B- und C-Wagen sind darüber hinaus mit einer Bremsenergierückeinspeisung von zirka 40 bzw. 50% des Fahrstromverbrauchs ausgerüstet. Der unterschiedliche Stromverbrauch der verschiedenen Fahrzeugtypen pro Fahrkilometer ist im Internet weder von den Herstellern noch von der MVG veröffentlicht worden. Er scheint nicht ins Gewicht zu fallen. Lediglich Durchschnittsver- brauchswerte aller Fahrzeuge sind zu finden. Sie enthalten wohl auch den erheblichen Verbrauch für Heizung, Klimatisierung, Türschließung und Beleuchtung. 0,120 kWh/Pkm nannte das Münchner Referat für Gesundheit und Umwelt am 12.05.2011 als Verbrauchswert, 0,100 kWh/Pkm die MVG im Nachhaltigkeitsbericht von 2014/15. Für die Ökobilanz von Fahrzeugen ist aber neben dem Energieverbrauch im Betrieb der Energieverbrauch bei Herstellung und Verschrottung sehr relevant. Je länger ein Fahrzeug in Betrieb ist, desto geringer wird dieser Energieverbrauch, umgerechnet pro Betriebsjahr. Der Energieverbrauch zur Herstellung von Primäraluminium ist übrigens extrem hoch. Selbst bei hoher Recyclingquote benötigt man immer Primärrohstoffe, die im Bergbau und bei der Müllentsorgung die Umwelt belasten.“
Wir haben daraufhin die Stadtwerke München GmbH (SWM) um Stellungnahme zu Ihren im Einzelnen gestellten Fragen gebeten, die dazu Folgendes mitteilte:
Frage 1:
Wie viele Wagen, aufgeschlüsselt nach den Baureihen A, B, C1 und C2 be- sitzt die MVG derzeit, wie viele davon sind betriebsbereit?
Antwort der SWM:
„Der Fahrzeugpark umfasst derzeit folgenden Wagenpark:
A-Serie 340 Wagen
B-Serie 112 Wagen
C1-Serie 102 Wagen
C2-Serie 84 Wagen (Stand 25.06.2018)
Gesamt: 638 Wagen
Folgende Fahrzeuge sind zusätzlich im Wagenpark – allerdings (noch) nicht betriebsbereit:
C1-Serie 6 Wagen (Unfallschaden).“
Frage 2:
Wie viele Wagen wurden bisher abgegeben/veräußert, wie viele verschrottet?
Antwort der SWM:
„abgestellt/verschrottet 46 Wagen (Museumsfahrzeuge/Unfälle/Brände) verkauft 12 Wagen (VAG 2003).“
Frage 3:
Wie viele bestellte Wagen der Baureihe C2 wurden noch nicht ausgeliefert?
Antwort der SWM:
„Derzeit sind von 126 bestellten Wagen der C2 Serie bereits 84 im Fahrgastbetrieb und 18 Wagen sind in der Inbetriebsetzung in München. Weitere 42 Wagen werden bis Ende 2018 ausgeliefert.
Weitere 144 Wagen der Baureihe C2 sind bestellt und werden ab 2019 sukzessive ausgeliefert.“
Frage 4:
Wie viele Wagen sind regelmäßig zu den Hauptverkehrszeiten im Einsatz?
Antwort der SWM:
„Derzeit sind 544 Wagen inklusive Reservewagen zu Spitzenzeiten im Einsatz.“
Frage 5:
Wie viele Wagen waren bisher im Zeitraum mit dem größten Fahrzeugeinsatz wegen Großveranstaltungen im Einsatz?
Antwort der SWM:
„Der Wert liegt bei Großveranstaltungen nicht höher. Es werden über das Jahr keine Züge nur für punktuell auftretende Veranstaltungen, wie etwa Fußballverkehr, Oktoberfest oder Großmessen vorgehalten. Zudem sind die Takte, die im Berufsverkehr gefahren werden, bereits so dicht, dass mit der derzeitigen Infrastruktur keine zusätzlichen Trassen mehr zur Verfügung stehen. In der Regel überlappen sich Veranstaltungsverkehr und Berufsverkehr nicht. Ausnahmen sind vereinzelte Fußballspiele des FC Bayern oder Großkonzerte im Olympiastadion jeweils unter der Woche.“
Frage 6:
Wie viele Wagen (zzgl. Reserve) werden zu Hauptverkehrszeiten benötigt, wenn die mit der Infrastruktur verträgliche größtmögliche Taktverdichtung im Innenstadtbereich realisiert wird?
Antwort der SWM:
„Bezogen nur auf die zusätzlichen Trassenkapazitäten in der Innenstadt sind derzeit folgende Taktverdichtungen geplant:
Mittelfristig: Takt 2 zwischen Implerstraße und Münchner Freiheit, was den zusätzlichen Einsatz von 24 Wagen erfordert
Langfristig: Takt 2 zwischen Max-Weber-Platz und Theresienwiese, was (nach derzeitigem Planungsstand) den zusätzlichen Einsatz von voraussichtlich 42 Wagen erfordert. Darüber hinaus sind weitere Taktverdichtungen an Außenästen geplant.
Alle diese Maßnahmen stehen unter dem Vorbehalt einer technisch infrastrukturellen Umsetzbarkeit sowie der Fahrer-, Fahrzeug- und Werkstattverfügbarkeit.“
Frage 7:
Sind bei den A-Wagen in den nächsten Jahren Instandsetzungsmaßnahmen erforderlich, die den üblichen Instandhaltungsaufwand übersteigen? Wenn ja, welche?
Antwort der SWM:
„Zusätzliche Instandsetzungsarbeiten in den kommenden Jahren sind derzeit nicht zu erwarten. Allerdings ist das Auftreten von Schäden an der Struktur der Wagenkästen und den Drehgestellen bei Fahrzeugen, die zum Teil seit über 40 Jahren in Betrieb sind, nicht auszuschließen. Sollten sich diese an den Fahrzeugen zeigen, ist ein Weiterbetrieb aus Gründen der Betriebssicherheit ausgeschlossen. Darüber hinaus sei in diesem Zusammenhang erwähnt, dass die Fahrzeuge, wenn sie über das Jahr 2025 hinaus betrieben werden sollen, mit einer Brandbekämpfungsanlage ausgestattet werden müssen, was eine enorme Investition darstellt.“
Frage 8:
Kann die Weiternutzung der A-Wagen zur Deckung des steigenden Fahrzeugbedarfs beitragen?
Antwort der SWM:
„In Abhängigkeit des Zulaufs neuer Fahrzeuge und der vorhandenen Abstell- und Werkstattkapazitäten werden die Fahrzeuge der A-Serie nach derzeitiger Planung der SWM bis zum Jahr 2025 zur Deckung des steigenden Fahrzeugbedarfs und zur Stabilisierung des Betriebes genutzt. Bei Bedarf werden lediglich einzelne Fahrzeuge zur Sicherung der Ersatzteilversorgung abgestellt und ausgeschlachtet.“
Ich hoffe, dass Ihre Fragen hiermit beantwortet werden konnten.