Gebäudedämmung mit Polystyrol – zunehmende Brandgefahr und Entsorgungsprobleme?
Anfrage Stadtrats-Mitglieder Cetin Oraner und Brigitte Wolf (Die Linke) vom 10.10.2017
Antwort Kreisverwaltungsreferent Dr. Thomas Böhle:
Sie haben am 10.10.2017 folgende schriftliche Anfrage gemäß § 68 GeschO gestellt:
„Nach dem grauenvollen Brand des Wohn-Hochhauses in London Anfang Juni 2017, bei dem wohl – genauere Angaben lassen sich nicht machen – mindestens 84 Menschen ums Leben kamen, hat sich gezeigt, wie extrem brandgefährlich verschiedene Fassadenverkleidungen, insbesondere durch Dämm-Maßnahmen, sein können. Der deutsche Feuerwehrverband und die Leiter der Berufsfeuerwehren haben noch zwei Tage vor dem verheerenden Brand in London ein warnendes Positionspapier – Mitautor ist auch die Münchner Feuerwehr – veröffentlicht (Quelle: FAZ vom 6.7.2017). Der Grund: Brände von Wärmeverbundsystemen, in denen Polystyrolschaum verarbeitet sei, stellten die Feuerwehren vor enorme Herausforderungen, insbesondere durch die rasante Brandausbreitungsgeschwindigkeit und die enorme Rauchintensität.
Auch die Entsorgung von alten Styroporplatten ist noch immer ungelöst, sie dürfen noch bis Mitte 2018 verbrannt werden, ab dann steht eine langfristige Lösung an.
Durch die Förderung einer – oftmals langfristig unsinnigen – energetischen Modernisierung und die Auflagen durch Vorschriften wie die EnEV werden immer mehr Wohnhäuser auch im Bestand der Münchner Gebäude mit Styropor (Polystyrol)-Platten verkleidet.“
Für die gewährte Fristverlängerung zur Beantwortung Ihrer Anfrage möchten wir uns bedanken.
Zu Ihrer Anfrage nimmt das Kreisverwaltungsreferat in Abstimmung mit dem Baureferat und dem Referat für Gesundheit und Umwelt wie folgt Stellung:
Vorab ist festzustellen, dass die Vereinbarkeit von ausreichend sicherem Brandschutz, guter Wärmedämmung, der technischen Machbarkeit und der ökologischen Aspekte der Baustoffe sowie der daraus resultierenden Kosten durch den Bauherrn für sich zu bewerten ist. Es empfiehlt sich nicht, die Diskussion um den Brandschutz von Gebäuden auf einzelne Baustoffeoder Dämmstoffe zu reduzieren. Bezogen auf Deutschland ist es nicht angemessen, von „extrem brandgefährlichen Fassadenverkleidungen insbesondere durch Dämm-Maßnahmen“ zu sprechen. Ebenso unangemessen ist es, Polystyrolschaum als „den Grund“ für Brände und Brandgefahren in diesen Diskussionen anzuführen.
Wichtig ist dabei, dass Baustoffe mit den jeweils unterschiedlichen Brandschutzklassen (z.B. für Holz, Baustoffe aus nachwachsenden Rohstoffen oder Polystyrol) im System regelkonform zu verbauen sind. Auch die Wartung und Instandhaltung von Gebäuden wird zur Sicherung des Brandschutzes zunehmend mitverantwortlich. Basis bilden die Anforderungen des öffentlichen Rechts.
Die Vorgaben zum Brandschutz wurden seit jeher kontinuierlich fortgeschrieben, dies gilt auch für den Einsatz von Polystyrol. Deshalb erfüllen aber auch ältere oder denkmalgeschützte Gebäude nicht mehr die heutigen Ansprüche für Neubauten zum Brandschutz, unabhängig davon, ob Dämmstoffe vorhanden sind.
Das RGU verweist auf den „Leitfaden Dämmstoffe 3.0“, der soeben in einer aktualisierten Fassung erschienen ist und im Downloadbereich vom Bauzentrum München heruntergeladen werden kann. Dort sind alle wesentlichen Aspekte der Entsorgung, der energetischen Amortisation sowie der Auswahlkriterien von Dämmstoffen aufgeführt. Jede gut geplante und Qualität gesicherte Maßnahme zur Energieeinsparung an Gebäuden ist im Sinn der Nachhaltigkeit langfristig sinnvoll.
Frage 1:
Welche Gefahren sieht die Münchner Feuerwehr konkret aufgrund der zunehmenden Verwendung von Wärmeverbundsystemen mit Polystyrolschaum?
Antwort:
Wärmedämmverbundsysteme mit Polystyrolschäumen (expandiertes Polystyrol = EPS) sind bei Einhaltung der aktuellen Zulassungen und Hinweise des Deutschen Instituts für Bautechnik (www.dibt.de) brandschutztechnisch ausreichend sicher.
Frage 2:
Gab es schon Reaktionen auf das zitierte Positionspapier des Feuerwehrverbandes?
Antwort:
Das gemeinsame Positionspapier der deutschen Feuerwehren und der Vereinigung zur Förderung des deutschen Brandschutzes (vfdb e.V.) ist eingehend in der Fachwelt und in den Gremien der Bauministerkonferenz, sowie dem Deutschen Institut für Bautechnik erörtert worden. Das bayerische Staatsministerium des Innern hat ebenfalls eine Anfrage an den Landesfeuerwehrverband Bayern und die Arbeitsgemeinschaft der Leiter der Berufsfeuerwehren in Bayern (AGBF Bayern) versendet, die durch die Branddirektion München federführend für die AGBF Bayern beantwortet wurde.
Die Gremien der Bauministerkonferenz und das zuständige Gremium des Deutschen Instituts für Bautechnik arbeiten derzeit an der Erarbeitung von weiteren Zulassungsgrundsätzen, sowie Prüfnormen für Außenbrände vor Fassaden.
Bei diesen Diskussionen wird aus Sicht der Branddirektion München auch die Position der deutschen Feuerwehren berücksichtigt, um praxisnahe, wirtschaftliche und ausreichend sichere Lösungen zu finden.
Frage 3:
Welche Folgen hat die anstehende Harmonisierung von Prüfverfahren für das Bauprodukte-Recht in der EU? Könnte es zu einer Aushöhlung unserer Brandschutzvorschriften kommen?
Antwort:
Die Frage, ob europäische Prüfvorschriften das deutsche Brandschutzniveau aushöhlen, wird derzeit intensiv diskutiert. Eine Aushöhlung ist im Rahmen der bisher umgesetzten rechtlichen Anforderungen nicht erkennbar – in Teilen wird das Niveau durch europäische Prüfbestimmungen konkreter gefasst.
Frage 4:
Welche Maßnahmen sind geplant, um diesen Gefahren zu begegnen?
Antwort:
Einerseits wird das Positionspapier der deutschen Feuerwehren im Hinblick auf praxistaugliche Lösungen, die wirtschaftlich und ausreichend sicher sind, weiter bei den Beratungen der Gremien für zukünftige Wärmedämmverbundsysteme mit mehreren Dämmstoffen intensiv diskutiert. Im Zusammenhang mit Wärmedämmverbundsystemen mit EPS an Bestandsbauten gibt es mehrere Veröffentlichungen bzw. Empfehlungen unter anderem des Deutschen Instituts für Bautechnik, wie ein Brandrisiko bei Bestandssystemen weiter reduziert werden kann. Die Branddirektionberät bei Anfragen von Münchener Bürgerinnen und Bürgern dahingehend, mithilfe welcher einfachen Maßnahmen die Sicherheit auf ein ausreichendes Niveau erhöht werden kann (z.B. ausreichend Abstand von brennbaren Stoffen wie Mülltonnen zum Gebäude und zu Fenstern oder Aufstellen von Mülltonnen in nichtbrennbaren Einhausungen). Regulative Maßnahmen sind weder geplant noch rechtlich möglich.
Das Baureferat teilte im Hinblick auf die stadteigenen Gebäude, welche in deren Betreuung stehen, mit, dass leicht entflammbare Baustoffe an den Fassaden nicht eingesetzt werden.
Seit 2009 ist in der internen Handlungsanweisung für Wärmedämmverbundsysteme nur noch der Aufbau mit Mineralfaserplatten und mineralischen Putzen ohne Biozid-Zusatz zulässig, sofern dies technisch möglich ist.