Wie können und wann sollen ÖPNV-Kapazitäten ausgebaut werden
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Rathaus Umschau 150 / 2018, veröffentlicht am 08.08.2018
Wie können und wann sollen ÖPNV-Kapazitäten ausgebaut werden
Anfrage Stadtrats-Mitglieder Dr. Wolfgang Heubisch, Dr. Michael Mattar, Gabriele Neff, Thomas Ranft und Wolfgang Zeilnhofer (Fraktion FDP – HUT) vom 15.2.2018
Antwort Referent für Arbeit und Wirtschaft, Bürgermeister Josef Schmid:
Ihrer Anfrage vom 15.2.2018 führten Sie als Begründung aus:
„München ist Stau-Stadt im motorisierten Individualverkehr. Das Straßennetz ist begrenzt, so dass Erleichterungen und Verbesserungen nur durch eine Verlagerung auf andere Verkehrsmittel erzielt werden können. Auch der ÖPNV soll wie im Stadtratshearing am 7. Februar 2018 zu hören war, derzeit weitgehend ausgelastet sein. Ausbaumaßnahmen der Infrastruktur im ÖPNV dauern nicht nur sehr lange, sondern sind auch sehr teuer. Kurzfristige Verbesserungen können nur durch Taktverdichtungen bei U- und S-Bahnen, Straßenbahnen und Bussen sowie durch zusätzliche Buslinien erreicht werden.
Daher stellt sich die Frage, wie sich die Kapazitäten und deren Auslastung im zeitlichen Ablauf, vor allem an Werktagen, darstellen.“
Für die gewährte Terminverlängerung bedanke ich mich.
Die in Ihrer Anfrage gestellten Fragen können wie folgt beantwortet werden:
Frage 1:
Wie hoch ist die von der MVG angebotene Kapazität jeweils bei U-Bahnen, Straßenbahnen und Bussen (in Personenkilometer) von a) 5 bis 6 Uhr
b) 6 bis 9 Uhr
c) 9 bis 16 Uhr
d) 16 bis 20 Uhr
e) 20 bis 1 Uhr?
Frage 2:
Wie hoch ist die entsprechende Auslastung wieder jeweils bei U-Bahnen, Straßenbahnen und Bussen (in Personenkilometer und je nach Uhrzeit (entsprechend Frage 1)?
Antwort der SWM/MVG:
„Es ist festzuhalten, dass die Daten wie in der Anfrage formuliert nicht für alle Verkehrsmittel vorliegen oder nur mit immens hohem Aufwand erstellt werden können. Das dann gewonnene Ergebnis besitzt zudem keinerlei Nutzen für die Beantwortung der Anfrage. Die Anfrage zielt auf die Frage ab, mit welchen Indikatoren festgestellt werden kann, ob und wo der Öffentliche Personennahverkehr ÖPNV in München im Falle von Verlagerungen von anderen Verkehrsmitteln noch Kapazitäten besitzt, um diesen Mehrverkehr aufnehmen zu können – ohne Ausbaumaßnahmen.
Das Heranziehen von Personenkilometern oder Auslastung ist hierbei nur teilweise hilfreich für eine Beurteilung. Als alleinige Indikatoren führen sie oft zu Fehlschlüssen bzw. sind zu pauschal. Für die Angebotsplanung ist eine Kombination vieler Faktoren für eine Einschätzung von Kapazitätsreserven bzw. Fahrplananpassungen von Bedeutung.
Als eine der wichtigsten Planungsgrundlagen zur Fahrplanerstellung dient der Nahverkehrsplan der Landeshauptstadt München. Zahlreiche Qualitätskriterien (Taktdichten, Auslastungsgrenzen, Erschließungsradien) werden dort beschrieben. Ferner spielen wirtschaftliche und betriebliche Parameter eine Rolle. So sind beispielsweise die Takte der U-Bahn wegen zunehmender betrieblicher Engpässe, Tramlinien wegen der Auslastung von Straßenknoten und Buslinien wegen infrastruktureller Einschränkungen in den Umsteigeanlagen nicht ohne weiteres verdichtbar auch wenn sie vermeintlich noch Restplatzkapazitäten besitzen.
Maßgeblich für die Beurteilung der Auslastung von Verkehrsmitteln sind immer die stärksten Querschnitte einer Linie oder einer Strecke. Diese befinden sich bei der U-Bahn und der Tram z.B. in der Regel im Zentrum im Zulauf auf die großen Umsteigeknoten, wie dem Hauptbahnhof oder dem Sendlinger Tor, und bei Buslinien oft im Zulauf auf die Umsteigepunkte zu U- und S-Bahn oder wichtigen Zielen. An diesen Querschnitten wird das Angebot ausgerichtet und an diesen bemisst sich auch die noch verfügbare „Restkapazität“ des Netzes.
Was die zeitliche Verteilung der Auslastung betrifft, so bestehen die geringsten Kapazitätsreserven während des Berufsverkehrs. Je nach Jahreszeit und Verkehrstag können diese Reserven jedoch erheblich variieren. Die Fahrgastzahlen in den Wintermonaten sind beispielsweise signifikant höher als in den Sommermonaten. In den Ferien oder an vorlesungsfreien Tagen ergibt sich nochmals ein anderes Bild. Auch innerhalb einer Woche sind die Unterschiede z.T. erheblich.Die Auslastungsspitzen sind vor allem freitags anders ausgeprägt als an den anderen Werktagen.
Beispielhaft sei die Auslastung bei der U-Bahn für den Streckenabschnitt zwischen Universität und Odeonsplatz der Linien U3 und U6 dargestellt. In der Stunde 5 verkehren dort 2 Fahrten pro Richtung und 10 Minuten. Diese sind jeweils mit rund 15 Prozent besetzt. Grundlage der Bemessung ist eine durchschnittliche Platzkapazität von 880. Dies ist ein Mischwert des Zugeinsatzes im U-Bahnverkehr. In der Spitzenstunde (je nach Fahrtrichtung liegt dieser im Berufsverkehr im morgendlichen oder nachmittäglichen Berufsverkehr) liegen die Werte bei 4 Fahrten pro Richtung und 10 Minuten bei knapp 65 Prozent und damit an der Grenze der Richtlinie zu den Qualitätskriterien der empfohlenen Auslastung des Nahverkehrsplans der Landeshauptstadt München. In der Stunde 20 liegen die Werte im Bereich von rund 40 Prozent bei wiederum 2 Zugfahrten pro 10 Minuten. Mit jeder Stunde nehmen diese kontinuierlich ab und erreichen ab Mitternacht nur noch einstellige Prozentwerte. Für die anderen U-Bahnlinien ergeben sich ähnliche Werte an ihren jeweiligen bemessungsrelevanten Querschnitten. Eine Besonderheit weist die U-Bahnlinie 5 auf. Deren maximale Auslastung befindet sich nicht im unmittelbaren Zentrum der Landeshauptstadt München, sondern im Bereich des Ostbahnhofes.
Bei der Tram sind die Tagesganglinien, also die Verteilung der Fahrgäste pro Linie und Tag ähnlich wie im U-Bahnverkehr, jedoch in ihrer Spitze nicht so stark ausgeprägt. Das heißt, die Züge sind über den Tag betrachtet etwas gleichmäßiger ausgelastet. Die höchsten Auslastungen der einzelnen Linien befinden sich je nach Linienführung vor den Innenstadtknoten oder an U-Bahnhöfen, wie etwa dem Arabellapark oder dem Wettersteinplatz. Die höchsten Auslastungswerte, die unmittelbar die Richtlinien des Nahverkehrsplans erreichen, liegen im Bereich Lehel und Max-Weber-Platz der Linie 17 bzw. 16 sowie im Bereich Hopfenstraße der Linien 16 und 17 der jeweiligen Westäste und am Holzkirchner Bahnhof der Linien 18 und 19 sowie der Linien 27 und 28 an der Ottostraße.
Für den Berufsverkehr ist diese skizzierte und pauschalisierte Aussage nicht möglich. Das Liniennetz ist in seiner Ausprägung und Funktion zu dispers und vielfältig. Einige Linien haben reine Zubringerfunktion zur U-Bahn, andere haben stadtteilübergreifende Funktionen, andere fungieren als reine Quartierslinie innerhalb eines Stadtteils. Die täglichen Auslastungen der Linien bzw. deren Tagesganglinien variieren enorm. Pauschale Kapazitätsreserven sind hier nicht ableitbar.Ein weiterer Einfluss für die Fahrplanerstellung sind Sondereffekte wie Oktoberfest, Großmessen oder Verkehrstage mit Fußballspielen. Für diese Tage gibt es wegen eines vom Regelbetrieb abweichenden Fahrgastaufkommens bzw. Fahrgastverhaltens auch eigens dafür erstellte Fahr- und Zugbildungspläne. Das heißt, auf bestimmten Linien wird ein anderer Takt oder mit längeren Zügen gefahren. Weitere Einflussgrößen, wie größere baustellenbedingte Änderungen des Fahrplanangebots und die damit verbundenen Verhaltensänderungen von Pendlern, sind hierbei noch gar nicht enthalten.
Um zusätzliche Kapazitäten zu schaffen, setzt die MVG bei der U-Bahn sukzessive neue Fahrzeuge mit höheren Kapazitäten ein oder plant, wie etwa auf der beispielhaft genannten Linie U3/6 eine Taktverdichtung im Berufsverkehr im Zuge der Auslieferung der nächsten Tranche an Neufahrzeugen sukzessive ab 2019. In einem weiteren Schritt sind Taktverdichtungen im Berufsverkehr auf der U5 in Planung. Neue Fahrzeuge und zusätzliche Verstärkerlinien sind beim Tramverkehr derzeit in Planung oder bereits in Umsetzung. Auf den hoch ausgelasteten Linien werden bereits längere Züge im Zuge der letztjährig eingeleiteten Liniennetzneugestaltung eingesetzt. Mit dem Einsatz der derzeit im Zulassungsverfahren befindlichen neuen Züge wird diese Vorgehensweise fortgesetzt. Durch das Weiterbetreiben der Altfahrzeuge der Baureihe R2 sind ab dem kommenden Fahrplanwechsel zusätzliche Kapazitätserhöhungen wie etwa auf dem Linienast der Landsberger Straße durch eine neue Linie möglich. Mit dem Erwerb neuer Züge in den kommenden Jahren, deren Bestellung derzeit in Vorbereitung ist, wird dieser Trend der Erhöhung von Platzangeboten fortgesetzt.
Abschließend kann festgehalten werden, dass, wie eingangs erläutert, eine pauschalisierte Darstellung von Kapazitätsreserven lediglich eine geringe Aussagekraft besitzt. Um dennoch ausreichende Reserven auch für künftige Planungen abschätzen zu können, wird neben kontinuierlichen Erhebungen und Analysen auch auf einen reichen Erfahrungsschatz der Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter vor Ort zurückgegriffen. Die künftigen Kapazitätsengpässe werden so in jedem Fall rechtzeitig erkannt und entsprechende Planungen zu Fahrplanausweitungen entsprechend eingeleitet. Im Falle von rasch auftretenden veränderten Rahmenbedingungen (etwa einem ad hoc verhängten umfangreichen PKW-Fahrverbot) bestehen jedoch vor allem im Bereich der Schienenverkehrsmittel kaum nennenswerte Kapazitätsreserven in der Innenstadt und im Berufsverkehr. In diesem Fall kann im Berufsverkehr durch den Einsatz von Expressbusverkehren, (jedoch immer verbunden mit einer entsprechenden Infrastruktur), adäquat und relativ rasch reagiert werden.“
Ich hoffe, dass der Intention Ihrer Fragen mit den obigen Ausführungen der MVG ausreichend Rechnung getragen werden konnte.