Toll Collect ignoriert das Münchner Umleitungskonzept – was tut die Stadt?
Anfrage Stadtrats-Mitglieder Paul Bickelbacher, Gülseren Demirel, Anna Hanusch, Sabine Krieger und Dr. Florian Roth (Fraktion Die Grünen – rosa liste) vom 8.5.2018
Antwort Stadtdirektor im Kreisverwaltungsreferat Andreas Mickisch:
Ihrer Anfrage vom 08.05.2018 legen Sie folgenden Sachverhalt zu Grunde: „Die Toll Collect GmbH betreibt im Auftrag des Bundesverkehrsministeriums das System zur Einnahme der LKW-Maut auf deutschen Autobahnen und erhebt die fälligen Gebühren. Im Online-Portal und in der App von Toll Collect wird Lastkraftwägen, die sich München von Südosten nähern und Richtung Lindau passieren wollen, eine Strecke angezeigt, die über den Mittleren Ring führt – obwohl dieser Transit nach dem Münchner Umleitungskonzept verboten ist.“
Herr Oberbürgermeister Reiter hat mir Ihre Anfrage zur Beantwortung zugeleitet. Die darin aufgeworfenen Fragen beantworte ich in Abstimmung mit dem Referat für Gesundheit und Umwelt und dem Polizeipräsidium München wie folgt.
Frage 1:
Ist es der Stadtspitze und Stadtverwaltung bekannt, dass Toll Collect Lkw über eine Strecke führt, die für den Lkw-Durchgangsverkehr gesperrt ist?
Antwort:
Bis zur Medienberichterstattung war die Thematik weder der Stadtspitze noch der Stadtverwaltung bekannt.
Die Toll Collect GmbH wurde nach Kenntnis unverzüglich gebeten, eine schriftliche Stellungnahme zur bereits in der Presse am 11.05.2018 publik gemachten geänderten Routenführung abzugeben. Am 07.06.2018 wurde durch den Leiter der Kommunikation der Toll Collect GmbH folgende Stellungnahme übersandt:
„Toll Collect optimiert zum Start der Maut auf allen Bundesstraßen am 1. Juli 2018 fortlaufend das Routing im manuellen Verfahren und hat dieses mit Wirkung zum 1. Juni 2018 auch im Hinblick auf die Streckenführung auf dem Mittleren Ring angepasst. Zusätzliche Optimierungsmaßnahmen werden in Kürze umgesetzt, so dass der mautpflichtige Güterverkehr sowohl aus Richtung Stuttgart bzw. Rosenheim als auch aus bzw. in RichtungMemmingen über die Autobahn geführt wird. Lkw-Fahrer haben dann zwar die Möglichkeit, über Via-Punkte weiterhin über den Mittleren Ring zu fahren - das kann / muss auch erlaubt sein -, generell wird aber die Route über die Autobahn vorgeschlagen.
Ich möchte diese Gelegenheit auch dazu nutzen, Ihnen wichtige Hintergrundinformationen zu vermitteln. Für die Ausweitung der Mautpflicht auf alle Bundesstraßen wurde das Routing im manuellen Verfahren bei der Mauterhebung an stationären PCs oder über mobile Endgeräte bzw. an Mautstellen-Terminals Ende November 2017 umgestellt. Bis dahin berücksichtigte die Routenführung fast ausschließlich mautpflichtige Strecken, also Autobahnen und ausgewählte außerörtliche Bundesstraßen. Daher ist die verschiedentlich geäußerte Vermutung, dass im Rückblick auf die vergangenen Jahre die Toll Collect-Routenführung zu einer Missachtung des Transitverbots auf dem Mittleren Ring und damit zur Lärm- und Abgasbelastung in München beigetragen habe, unbegründet.
Die im November 2017 eingeführte Routenführung im manuellen Einbuchungsverfahren erlaubt ein Routing nicht nur über das mautpflichtige Streckennetz. Dabei greift Toll Collect auf Kartenmaterial eines Dienstleisters zurück. Generell werden dort hinterlegte Fahrverbote berücksichtigt. Dem Lkw-Fahrer obliegt es dabei jedoch weiterhin, die verkehrsrechtlichen Bestimmungen während seiner Fahrt zu beachten. Das manuelle Verfahren stellt in diesem Sinne nur eine Einbuchungshilfe und keine Routenplanung dar. Das Lkw-Mautsystem in seiner derzeitigen anforderungsgemäßen Ausprägung ist kein Verkehrsmanagementsystem. Vielmehr folgen die Streckenverläufe den betrieblichen Erfordernissen der Transportunternehmen, die sich bei der Routenplanung im Allgemeinen auf ihre eigenen Navigationssysteme verlassen.
Des Weiteren möchte ich darauf hinweisen, dass nur ein geringer Teil der mautpflichtigen Lkw überhaupt das manuelle Einbuchungsverfahren nutzt. Der weitaus überwiegende Anteil der Transportunternehmen nutzt das komfortablere Fahrzeuggerät für die automatische Mauterhebung. Rund 96% der Mauteinnahmen werden über die derzeit 1,1 Millionen verbauten Fahrzeuggeräte generiert, die das Routing überhaupt nicht verwenden.“
Frage 2:
Wie schätzt die Stadt die zusätzliche Abgasbelastung und damit Gesundheitsbelastung (Feinstaub, NO2) aufgrund der durch die Stadt geleiteten, meist mit Diesel betriebenen Lkw ein?
Antwort des Referats für Gesundheit und Umwelt:
„Zu den lufthygienischen Auswirkungen unzulässig über den Mittleren Ring geleiteten Lkw-Verkehrs lassen sich mangels belastbarer Daten nur sehr generelle Aussagen treffen.
Aus Sicht der Luftreinhaltung hat sich die in München getroffene Kombination aus Umweltzone und Lkw-Umfahrungskonzept in Bezug auf die Feinstaubbelastung (PM10) bewährt. Gemeinsam mit einer Reihe weiterer Maßnahmen des Luftreinhalteplans und seiner sechs Fortschreibungen haben sie dazu beigetragen, dass seit 2012 die gesetzlichen Grenzwerte für Feinstaub eingehalten werden können.
Nichtsdestotrotz mag die Wirkung beider Maßnahmen auf die Feinstaubkonzentration durch eine noch höhere Befolgungsquote steigerungsfähig sein.
Aufgrund des hohen Diesel-Anteils am Lkw-Verkehr spielt dieser auch für die aktuelle NO2- Problematik im Stadtgebiet eine gewichtige Rolle. Nachweislich ist der Diesel-Verkehr der Haupt-Verursacher der NO2-Immissionsbelastung.
Eine Transit-Nutzung des Mittleren Rings durch nicht zur Durchfahrt berechtigten Lkw-Verkehr führt zu einer Erhöhung der NOx-Emissionen und trägt somit auch ursächlich zur Immissionsbelastung vor Ort bei. Tatsächlich ließe sich der Effekt der unzulässig fahrenden Lkw quantitativ nur dann näher einschätzen, wenn hierzu genauere Zahlen vorlägen.
Anhand der vorliegenden Unterlagen, nämlich der von der Regierung von Oberbayern veröffentlichten Karte „NO2-Jahresmittelwerte an der Randbebauung für den Analysefall 2015“, lässt sich dieser Effekt nicht abschätzen. Hier sind an den entsprechenden Bereichen des Mittleren Rings (Tegernseer Landstraße bis Höhe Westpark) modellierte NO2-Jahresmittelwerte in der Spanne von hoch belastet (> 60 µg/m3) bis zu unkritisch belastet (< 40 µg/m3) zu finden, wie sie auch an anderen Bereichen des Mittleren Rings vorkommen.
Es kann dementsprechend nicht ausgeschlossen werden, dass der unzulässige Lkw-Transit-Verkehr an einigen Streckenabschnitten „das Fass zum Überlaufen bringt“ und somit zu den Grenzwertüberschreitungen beiträgt (zulässiger Jahresgrenzwert liegt bei 40 µg/m3). Ebenso kann nicht ausgeschlossen werden, dass an einigen der Streckenabschnitten die Grenzwerte auch unabhängig von unzulässigem Lkw-Transit-Verkehr nicht eingehalten würden.Für eine solide Wirkungsabschätzung des unzulässigen Transit-Verkehrs wäre eine genaue Erhebung der Fahrzeuganzahl, Fahrzeugklassen, Emissionsklassen usw. erforderlich, die allesamt weder vorliegen noch geschätzt werden können.“
Frage 3:
Welche Schritte wird die Stadtspitze einleiten, damit diese Streckenführung durch Toll Collect geändert und allgemein das Lkw-Durchfahrtsverbot (etwa durch höhere Kontrolldichte) eingehalten wird?
Antwort:
Wie in der Antwort zu Frage 1 dargestellt, wurde die Toll Collect GmbH durch die Verwaltung angeschrieben und gebeten, bei der Routenführung für Lkw künftig das Lkw-Durchfahrtsverbot in München zu beachten. Der Presse war zu diesem Zeitpunkt bereits zu entnehmen, dass die Toll Collect GmbH eine Korrektur veranlasst hat.
Zudem wurde das Polizeipräsidium München gebeten, zur derzeitigen Kontrolldichte Stellung zu beziehen.
„In der 1. Fortschreibung des Luftreinhalte-/Aktionsplans München wurde die Maßnahme „Ableitung des Lkw-Durchgangsverkehrs über 3,5 t zulässiges Gesamtgewicht auf die Autobahnumfahrung A 99“ festgelegt. Die Überwachung dieses Durchfahrtsverbotes obliegt dem Polizeipräsidium München.
Um das Lkw-Durchfahrtsverbot durchsetzen zu können, bedarf es zunächst jedoch einer entsprechenden Sperrbeschilderung mit Z. 253 StVO und dem Zusatz „Lieferverkehr frei“ an den im Luftreinhalte-/Aktionsplan München, Anlage 3 und 4 vorgesehenen Standorten. Seit dem Neubau des Tunnels Mittlerer-Ring-Süd-West (MRSW) fehlt diese Verbotsbeschilderung im dortigen Bereich auf der Heckenstallerstraße, im Luise-Kiesselbach-Tunnel und auf der Garmischer Straße.
Die teilweise noch vorhandene Umfahrungsbeschilderung (Z. 421 StVO mit Layout „Lkw-Symbol“) reicht für die Durchsetzung des Lkw-Durchfahrtsverbotes nicht aus, da ein Verstoß gegen dieses Richtzeichen nicht bußgeldbewährt ist.
Zwischenzeitlich liegt ein Entwurf des KVR für eine aktualisierte Sperrbeschilderung im Bereich Tunnel MRSW vor. Diese Beschilderung soll in einem dreimonatigen Probelauf getestet werden. Nach Aufstellung der Sperrbeschilderung wäre zumindest die formale Grundlage für eine polizeiliche Überwachung geschaffen.Zusätzlich zu dieser Sperrbeschilderung benötigt die Polizei allerdings geeignete Kontrollörtlichkeiten.
Für die ganzheitliche Kontrolle eines Lkw muss die Kontrollörtlichkeit eine Mindestbreite von sechs Meter aufweisen. Bei einer geringeren Breite wäre das Risiko für die Kontrollbeamten, von vorbeifahrenden Fahrzeugen erfasst zu werden, zu hoch. Eine Kontrolle auf dem rechten Fahrstreifen des Mittleren Rings scheidet daher aus und würde wegen des hohen Verkehrsaufkommens auf dem Mittleren Ring zudem zu massiven Verkehrsbehinderungen führen.
Das Polizeipräsidium München sucht derzeit gemeinsam mit dem Kreisverwaltungsreferat nach geeigneten Kontrollörtlichkeiten entlang des Mittleren Rings. Bislang führte diese Suche noch zu keinem Erfolg.
In Bezug auf die Überwachung des Lkw-Durchgangsverkehrs weisen wir darauf hin, dass die Fahrbeziehungen zwischen der A 96 Lindau und der A 95 Garmisch sowie der gesamte Bereich zwischen der A 95 Garmisch und der A 995 Salzburg von der Durchfahrtssperre und den Ableitungen ausgenommen sind. Darüber hinaus gilt das Durchfahrtsverbot nicht für jeden Lkw über 3,5 t. Jeglicher gewerblicher und privater Lieferverkehr mit Lkw über 3,5 t zulässigem Gesamtgewicht zu oder von in der Landeshauptstadt München liegenden Betrieben bzw. Lieferanschriften ist von diesem Durchfahrtsverbot ausgenommen. Unter diesen Begriff fallen neben dem privaten und gewerblichen An- und Abtransport von Waren und Gütern, also dem gewöhnlichen Lieferverkehr, insbesondere Lkw-Fahrten zum Zweck der Erstellung oder Inanspruchnahme von Dienst- und Handwerkerleistungen sowie Bau- und Montagefahrzeuge.
Unabhängig davon sind Fahrzeuge von Gewerbebetrieben, die in der Landeshauptstadt München ihren Firmensitz haben oder Inhaber von individuellen Ausnahmegenehmigungen vom Durchfahrtsverbot nicht betroffen.
Diese umfangreiche Ausnahmeregelung erschwert die Überwachung des Lkw-Durchfahrtsverbotes insofern, als in jedem Einzelfall die Berechtigung zur Einfahrt in den Sperrbereich teilweise sehr aufwändig bei der angegebenen Lieferadresse überprüft werden muss.
Zusammenfassend bleibt festzustellen, dass eine effektive Überwachung des Lkw-Durchfahrtsverbotes aufgrund der unvollständigen Sperrbeschilderung und der fehlenden Kontrollörtlichkeiten entlang des Mittleren Rings derzeit effektiv nicht möglich ist.“
Hierzu nimmt das Kreisverwaltungsreferat Stellung.
Durch den Tunnelbau am Luise-Kieselbach-Platz ergibt sich eine neue Streckenführung. In enger Zusammenarbeit mit der Polizei wurden neueStandorte des Lkw-Durchfahrtsverbotes gefunden. Die verkehrsrechtliche Anordnung nach § 45 Abs. 1 StVO liegt bereits dem Baureferat zur weiteren Abstimmung vor.
Kontrollörtlichkeiten werden ebenfalls weiterhin in Zusammenarbeit mit der Polizei durch den Bereich Verkehrssicherheit geprüft.
Ich gehe davon aus, dass Ihre Anfrage abschließend beantwortet ist und stehe für Rückfragen jederzeit gerne zur Verfügung.