Das Bundesministerium für Arbeit und Soziales hat der Bundesagentur für Arbeit mitgeteilt, dass nach seiner Ansicht das Familiengeld im Bereich SGB II (Grundsicherung für Arbeitssuchende) als Einkommen zu berücksichtigen und damit auf die Leistungen der Grundsicherung anzurechnen sei. Diese Rechtsauffassung ist für das Jobcenter München bindend. Es besteht deshalb kein rechtlicher Spielraum in der Umsetzung der Anrechnung des Familiengeldes. Deshalb müssen sich die Kundinnen und Kunden des Jobcenter München, das als gemeinsame Einrichtung arbeitet, darauf einrichten, dass diese Geldleistung auf die Grundsicherung angerechnet wird und gegebenenfalls zu viel gezahlte Leistungen zurückgefordert werden.
Auch Leistungsberechtigte, die Leistungen nach dem SGB XII (Sozialhilfe, Grundsicherung im Alter und bei Erwerbsminderung) beziehen, müssen damit rechnen, dass das Familiengeld auf die Leistungen angerechnet wird. Die Landeshauptstadt München gewährt im Vierten Kapitel SGB XII-Leistungen im Rahmen der Bundesauftragsverwaltung. Es gibt daher keine andere Möglichkeit, als der Rechtsmeinung des Bundes zu folgen. Grundsätzlich begrüßt die Landeshauptstadt München die Einführung eines Familiengeldes in Bayern. Es entspricht den sozialpolitischen Zielen der Stadt, wenn hilfebedürftige Familien mit Kindern zusätzliche Gelder erhalten.
Oberbürgermeister Dieter Reiter: „Ich appelliere deshalb an die bayerische Sozialministerin Frau Schreyer, sich im Kabinett für eine Änderung des Bayerischen Familiengeldgesetzes einzusetzen und durch eine deutlichere Klarstellung im Gesetzestext und in der Begründung eine auch vom Bund akzeptierte Anwendung sicherzustellen.“
Problematisch ist, nach Ansicht des Sozialreferates, dass sich die Landesregierung nicht vorab mit dem Bundesministerium abgestimmt hat und das Ganze jetzt auf dem Rücken der Bürgerinnen und Bürger und der Verwaltung ausgetragen wird. Besonders fatal ist die Bitte des bayerischen Arbeitsministeriums an kommunale Jobcenter, das Familiengeld nicht anzurechnen. Sozialreferentin Dorothee Schiwy: „Wenn Bund und Land unterschiedliche Ansichten haben und an die Jobcenter unterschiedliche Aussagen herausgeben, entsteht für die betroffenen Familien eine Rechtsunsicherheit, die sie im schlimmsten Fall in große finanzielle Bedrängnis bringen kann – nämlich dann, wenn die vom Land ausgezahlten Leistungen beim Jobcenter wieder zurückgezahlt werden müssen, was in München der Fall sein wird.“
Abgesehen davon fordert die Landeshauptstadt München schon lange eine Anpassung der Grundsicherungsleistungen auf Bundesebene, unter anderem über eine Anpassung der Regelbedarfe an die regionalen Lebensverhältnisse und die Wiedereinführung der einmaligen Leistungen.
Schreiben von OB Reiter an Staatsministerin Schreyer
Mit folgendem Schreiben an Staatsministerin Kerstin Schreyer hat sich Oberbürgermeister Dieter Reiter für eine Änderung des Bayerischen Familiengesetzes ausgesprochen:
„Die Landeshauptstadt München begrüßt die Einführung eines Familiengeldes in Bayern. Es entspricht auch unseren sozialpolitischen Zielen, wenn hilfebedürftige Familien mit Kindern zusätzliche Gelder erhalten. Leider vertritt der Bund die Rechtsauffassung, dass eine Anrechnung auf die Sozialleistungen nach dem SGB II zu erfolgen hat. Er hat die Jobcenter bereits entsprechend angewiesen.
Damit wird die Zielsetzung des Familiengeldes gerade für die Familien nicht mehr erreicht, die dieser zusätzlichen Gelder am dringendsten bedürfen. Denn mit der Einführung des Familiengeldes war ja beabsichtigt, dass gerade Geringverdiener und Alleinerziehende von der neuen Leistung profitieren.
Die Rechtsargumente des Bundes sind für mich nachvollziehbar. Eine Zweckbestimmung im Sinne des § 11 a Abs. 3 Satz 1 SGB II bzw. § 83 Abs. 1 SGB XII läge nicht vor. Es hat damit eine Anrechnung nach Bundesrecht zwingend zu erfolgen. Tatsächlich ergibt sich – ungeachtet der Regelung in Art. 1 Sätze 3 und 4 BayFamGG – aus der Gesetzesbegründung und der Äußerungen der Staatsregierung, dass mit dem Familiengeld lediglich eine Verwendungserwartung verbunden ist und die Familien die Leistung tatsächlich frei einsetzen können. Hinzu kommt, dass die in der Gesetzesbegründung genannten Zwecke, zu denen das Familiengeld eingesetzt werden soll, teilweise identisch mit den durch die Regelbedarfe gedeckten Bedarfen sind.
Das Familiengeld stelle auch keine dem früheren Erziehungsgeld vergleichbare Leistung im Sinne des § 27 Abs. 2 BEEG dar, sodass auch diesbezüglich keine Anrechnungsfreiheit in Betracht käme.
Ich entnehme dem Vollzugshinweis des Staatsministeriums für die Optionskommunen vom 14.08.2018 (Az. I3/6074.04-1/441), dass Ihnen und der Staatsregierung diese rechtlichen Probleme bekannt sind, die Rechtsauffassung des Bundes im Ergebnis jedoch nicht geteilt wird. Sie selbst äußerten sich in der Pressekonferenz am 10.08.2018 daher dahingehend, dass die Familien bei einer Anrechnung gegen die Bescheide der Jobcenter klagen müssten, wenn der Bund sich der Rechtsauffassung der Staatsregierung nicht anschließen sollte.
Um den von einer Anrechnung des Familiengeldes betroffenen Familien jedoch Rechtssicherheit zu gewähren und die belastende Situation eines Rechtsstreits vor den Sozialgerichten zu ersparen, appelliere ich an Sie, sich im Kabinett für eine Änderung des Bayerischen Familiengeldgesetzes einzusetzen.
Durch eine deutlichere Klarstellung im Gesetzestext und in der Begründung, dass mit dem Familiengeld die Erziehungsleistung honoriert wird und die Leistung (nur) dem Landeserziehungsgeld entsprechen soll, könnte meines Erachtens eine auch vom Bund akzeptierte Anwendung des § 27 Abs. 2 BEEG iVm § 8 BErzGG sichergestellt werden, der die Anrechnungsfreiheit der Leistung gewährleistet“.