Sport- und Bewegungsbildung an Städtischen Schulen
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Rathaus Umschau 212 / 2018, veröffentlicht am 07.11.2018
Sport- und Bewegungsbildung an Städtischen Schulen
Antrag Stadträtinnen Beatrix Burkhardt und Kristina Frank (CSU-Fraktion) vom 16.6.2015
Antwort Stadtschulrätin Beatrix Zurek:
Die verspätete Beantwortung bitte ich zu entschuldigen.
Sie haben das Referat für Bildung und Sport gebeten, ein Konzept für eine bewegungsreiche Schule mit täglicher Sport- und Bewegungsbildung zu entwickeln und dieses dem Stadtrat darzustellen. Dieses Modell soll exemplarisch an mindestens einer Schule für drei Jahre umgesetzt werden, wobei das pädagogische Personal gezielt geschult und begleitet werden soll.
Ihr Einverständnis vorausgesetzt, erlaube ich mir, Ihren Antrag per Brief zu beantworten und Ihnen die aktuelle Situation an den städtischen Schulen darzustellen.
1. Ist-Zustand an den Münchner Schulen
Derzeit werden an den 271 öffentlichen Münchner Schulen mit 4.589 Klassen und 5.354 Sportgruppen pro Woche 16.203,6 Stunden im Pflichtunterricht Sport unterrichtet. Zusätzlich werden an den 14 städtischen Gymnasien, den 20 städtischen Realschulen sowie den zwei Schulen besonderer Art 385,5 Stunden pro Woche in sportlichem oder bewegungsbildendem Kontext angeboten. Dies wird ergänzt durch 330 Wochenstunden Sportförderunterricht (ehemals „Sonderturnen“), der basierend auf einem Stadtratsbeschluss vom 31.1.1951 an Münchner Grund- und Mittelschulen erteilt wird.
1 a. Sportunterricht an den städtischen Gymnasien
Der Lehrplan für das Gymnasium in Bayern legt die Stundentafeln für die jeweiligen Fächer verbindlich fest. Der Sportunterricht besteht demnach im achtjährigen Gymnasium in den Jahrgangsstufen 5 bis 10 aus dem geschlechtsspezifisch erteilten „Basissportunterricht“ (BSU) beziehungsweise in Jahrgangsstufen, in denen die Stundentafeln drei Wochenstunden Sport vorsehen, ggf. auch aus einer Stunde „Differenziertem Sportunterricht“ (DSU). Hinzu kommt als Wahlunterricht der Sportförderunterricht. Die Inhalte der acht sportlichen Handlungsfelder (1. Gymnastik, 2. Leichtathletik, 3. Schwimmen, 4. Sportspiele, 5. Tanz, 6. Turnen, 7. Wahlbereich und 8. Wintersport) werden im Unterricht stets mit Zielen und Inhalten dervier Lernbereiche – 1. Gesundheit und Fitness, 2. Fairness und Kooperation, 3. Freizeit und Umwelt und 4. Leisten, Gestalten und Spielen – vernetzt. Im Lernbereich Gesundheit und Fitness erfahren die Schülerinnen und Schüler wesentliche Grundlagen gesundheits- und fitnessorientierter sportlicher Betätigung und deren Bedeutung für die eigene Leistungsfähigkeit und Lebensqualität.
Neben dem verpflichtenden Sportunterricht und der sportlich gestalteten Mittagspause im Rahmen des Ganztagsangebots (GTA) und „bewegter Pause“ bieten alle städtischen Gymnasien eine große Vielfalt an Wahlunterricht mit sportlichem Schwerpunkt an, den die Schülerinnen und Schüler auf freiwilliger Basis besuchen, u. a. Geräteturnen, Tanz (Rock‘n‘Roll, Zumba), Bewegungskünste, Fußball, Volleyball, Handball, Basketball, Tennis, Tischtennis, Badminton, Judo, Sportklettern, Leichtathletik, Hockey, Schwimmen. An einem städtischen Gymnasium werden im Rahmen der bedarfsorientierten Budgetierung nicht-schwimmende Schülerinnen und Schüler zusätzlich gefördert.
Die Entscheidung über das Wahlfachangebot liegt allein in der Zuständigkeit der jeweiligen Schulleitung. Die Angebote im Rahmen des Wahlunterrichts hängen von dem zur Verfügung stehenden Stundenbudget für den Wahlunterricht sowie von den an der Einzelschule vorhandenen personellen und räumlichen Ressourcen ab.
1 b. Sportunterricht an den städtischen Realschulen und Schulen besonderer Art
An allen städtischen Realschulen und Schulen besonderer Art werden die vorgeschriebenen zwei Wochenstunden Basissport unterrichtet. Die zusätzlich vorgeschriebenen zwei Stunden erweiterter Basissportunterricht (EBSU) im Bereich der 5. und 6. Jahrgangsstufe werden ebenfalls an allen Schulen gegeben. Im Bereich des Differenzierten Sportunterrichts ab der 7.Jahrgangsstufe stellt sich die Situation folgendermaßen dar:
In allen rhythmisierten Ganztagsklassen werden die in der Stundentafel vorgeschriebenen Stunden unterrichtet. In einzelnen „Halbtagsklassen“ muss im Bereich der 9. und 10. Jahrgangsstufe mangels Hallenkapazitäten darauf verzichtet werden.
Somit kann für die „2 + 2“ Sportstunden im Bereich der städtischen Realschulen und Schulen besonderer Art gesagt werden, dass im rhythmisierten Ganztag 100% der Schülerinnen und Schüler diese Sportstunden haben und im Bereich der „Halbtagsklassen“ auch deutlich über 90% vier Sportstunden pro Woche in ihren Stundenplänen finden.
Im Bereich des rhythmisierten Ganztags besteht zudem noch eine Vielzahl an Zusatzangeboten im Rahmen des Mittagsbandes und des Wahlunterrichts. Beispielhaft sind hier Rope skipping, Hip Hop, Tischtennis, Krafttraining, Tanzen, Fitnesstraining zu nennen. Diese Angebote werden von Sportlehrkräften, aber auch externen Partnern (durch die Kapitalisierung von Jahreswochenstunden aus dem Bereich des Ganztags) gemacht.
Weiterhin sorgen Angebote von anderen Lehrkräften wie z. B. Geocaching oder fest in den Stundenplan integrierte Besuche des Abenteuerspielplatzes Maulwurfshausen für Bewegungsmöglichkeiten für die Schülerinnen und Schüler außerhalb des Klassenzimmers und des Schulgeländes.
1c. Ganztag
In Münchner Schulen sind die Ganztagesangebote zum Teil unterschiedlich organisiert. Allen gemein ist das bereits erwähnte breitgefächerte Sport- und Bewegungsangebot. Dieses Angebot orientiert sich an den Bedürfnissen und Wünschen der Schülerinnen und Schüler. Die Schulen evaluieren regelmäßig das bestehende Angebot und nehmen, wenn erforderlich, Änderungen vor, damit eine zeitgemäße und bedarfsorientierte Auswahl an Sport- und Bewegungsmöglichkeiten gewährleistet werden kann.
Bisweilen liegt von Seiten der Eltern und Erziehungsberechtigten eine bewusste Entscheidung für den „Halbtag“ vor, dessen freie Zeit u. a. im Rahmen von sportlichem Engagement in Vereinen genutzt wird. Diese Gruppe wird einer Erhöhung der Stundentafel und einer längeren Verweildauer ihrer Kinder in der Schule eher reserviert gegenüberstehen.
2. Wissenschaft
In der DAK Forsa-Umfrage zur Gesundheit von Kindern in Deutschland aus dem Jahr 2011 gaben rund 95 Prozent der befragten Kinderärzte an, in mangelnder Bewegung und ungesunder Ernährung die größten Risikofaktoren für die Gesundheit der Kinder zu sehen.
Die Vermutung, dass mehr sportliche Bewegung zu besseren Schulnoten führt, wurde von der Wissenschaft bis zum heutigen Tag noch nicht zweifelsfrei bewiesen. Beobachtungen lassen positive Tendenzen erkennen und stellen mögliche Wechselwirkungen heraus.
So lässt sich vielerorts finden, dass bei Kindern und Jugendlichen eine erhöhte sportliche Aktivität keine negativen Auswirkungen auf deren akademische Leistung hatte.
2004 konnte in einer Metastudie eine signifikante Verbesserung der kognitiven Leistung festgestellt werden. Hier wirft sich die Frage nach der Definition und Messung kognitiver Leistung auf.
Die Schwierigkeit an dieser Stelle besteht darin, valide Testverfahren zur Messung der akademischen Leistungsfähigkeit zu finden. Ebenso komplex gestaltet sich die Messung der möglichen Auswirkungen qualifizierter sportlicher Aktivität auf psychosoziale so wie affektive Verhaltenskomponenten der Schülerinnen und Schüler.Auch wenn sich positive Effekte bisher nicht statistisch signifikant und valide beweisen ließen, ist die präventive Wirkung von sportlicher Bewegung hinsichtlich degenerativer Herzkreislauferkrankungen unumstritten. Ebenso sind die beobachteten positiven Effekte auf das Verhalten der Schülerinnen und Schüler begrüßenswert. Bis zum heutigen Tag konnten Studien zwar positive Tendenzen im Zusammenhang von schulischer Leistung und sportlicher Bewegung erkennen lassen, aber signifikante Korrelationen blieben diese an renommierten Universitäten angestellte Forschungsarbeiten schuldig.
3. Interventionsmöglichkeiten
Der Antrag sieht die Entwicklung und Durchführung eines Schulversuchs zu täglich mindestens 45 Minuten qualifizierten Sportunterrichts vor. Bereits an dieser Stelle sollte der Blick auf die Zeit nach dem Abschluss dieses Versuchs und der flächendeckenden Implementierung des Konzepts gerichtet werden.
Neben den umfangreichen finanziellen Anstrengungen bedarf es hier zahlreicher Genehmigungen durch das Bayerische Staatsministerium für Unterricht und Kultus.
Das im Antrag aufgeführte „2 plus 2“ ergibt sich im Bereich der Realschulen aus den zwei Stunden des Basissports (BSU) und zwei Stunden des Erweiterten Basissports (EBSU) in Jgst. 5-6, und in den Jgst. 7-10 aus zwei Stunden Basissport und zwei Stunden Differenziertem Sportunterricht (DSU).
Das im Antrag darauf folgende „plus 2“ bezieht sich auf zwei weitere Stunden verpflichtender sportlicher Betätigung, die zum Teil aus den Mitteln des Wahlunterrichts (WU) bereitgestellt werden sollen. Die Entscheidung über die Verwendung dieser Stunden obliegt bisher zur Profilschärfung den Schulen selbst. Die restlichen Stunden, der Wahlunterricht alleine ist hier nicht ausreichend, müssten mit ministerieller Genehmigung durch Stundenmehrung erfolgen und mit städtischen Geldern finanziert werden.
Bei den Gymnasien wird Sport in den Jahrgangsstufen 5-7 verpflichtend dreistündig durchgeführt. Auch hier würden die zusätzlichen „plus 2 Stunden“ ebenfalls zum Teil aus dem Wahlunterrichtskontingent kommen. Auch hier müssten die restlichen benötigten Stunden, der Wahlunterricht alleine ist hier bei Weitem nicht ausreichend, mit ministerieller Genehmigung aus Stundenmehrung und den Mitteln der Stadt finanziert werden.
Einige Schulen verlegen eine Stunde Sport aus der Jahrgangsstufe 7 in die Jahrgangsstufe 5. Diese Verschiebung ist generell zulässig und wird an zahlreichen Schulen durchgeführt. Zusammen mit Intensivierungs- und Skill-Stunden verbringen Schülerinnen und Schüler der städtischen Gymnasien, die im „Halbtag“ unterrichtet werden, ca. 2 Stunden zusätzlich pro Woche an den Schulen. Bei der Betrachtung der Stundentafeln der verschiedenen gymnasialen Zweige ist festzustellen, dass die Schülerinnen und Schüler bereits mindestens einen Nachmittag in der Schule verbringen. Die bewusste Entscheidung der Eltern für den Halbtag würde auf diesem Weg konterkariert werden.
4. Notwendige Rahmenbedingungen und Kosten
Bei flächendeckender Einführung dieses Konzeptes zur täglichen Sport- und Bewegungsförderung zu einem späteren Zeitpunkt ist ein jährliches Investitionsvolumen von ca. 42.271.600 Euro an Personal- und Betriebskosten für ca. 328 Lehrerinnen und Lehrer und ca. 153 Sporthalleneinheiten zu erwarten. Hinzu kommen noch die Baukosten von 611.866.667 Euro für die noch nicht verfügbaren 153 Halleneinheiten.
Eine Erhöhung des Pflichtunterrichts bedarf der Genehmigung durch das Bayerische Staatsministerium für Unterricht und Kultus. Eine staatliche Förderungsfähigkeit dieser Stunden muss vorab geklärt werden. Es ist zu erwarten, dass die Landeshauptstadt München die Kosten für diese Stunden im vollen Umfang tragen muss.
5. Fazit
Die städtischen Schulen organisieren bereits seit einigen Jahren zahlreiche freiwillige Zusatzangebote. Diese zusätzlichen Angebote tragen erheblich zur Schärfung des Profils der jeweiligen Schule bei. Es ist fraglich, ob ein zentral erstelltes Konzept ebenso zielgerichtet wirken kann wie ein an der jeweiligen Schule genetisch gewachsenes und an die örtlichen Gegebenheiten angepasstes.
Die Durchführung des geforderten exemplarischen Schulversuchs bedeutet einen Eingriff in bestehende Strukturen, die die Forderungen des Antrages, die tägliche Stunde Sport, bereits anbieten. Es ist fraglich, ob mit der Dokumentation und Auswertung des Schulversuchs tatsächlich valide Beobachtungen getätigt werden können und somit Aussagen über Erfolg oder Misserfolg möglich werden. Die zitierten und wesentlich umfangreicheren Studien konnten auch keine signifikanten Ergebnisse zu Tage bringen. Investitionen zur Verbesserung der Qualität des Unterrichts und dessen Ausrichtung auf gesundheitliche Aspekte, Investitionen zu lern- und gesundheitsfördernden Schulumwelten erscheinen erfolgversprechend. Insbesondere, da der Schulsportunterricht lediglich eine von vielen anderen Möglichkeiten darstellt, Gesundheitsförderung und sportliche Bewegung in den schulischen Alltag zu implementieren.Die Gestaltung bewegungsanimierender Aufenthalts- und Pausenräume, bewegungsfordernde Elemente im Unterricht, aktive Pausengestaltung (Spieleboxen), die zahlreichen bereits an den Schulen existierenden Wahlunterrichtsangebote und bewegungsorientierte Großveranstaltungen (Leichtathletikfest im Dantestadion) sind weitere Module in einem Gesamtkonzept zur stadtweiten schulischen Gesundheitsförderung, die bereits erfolgreich durchgeführt werden.
Das Anknüpfen an diese bestehenden Strukturen und deren Stärkung, Förderung und gegebenenfalls Ausweitung sind erfolgversprechender als eine schlichte flächendeckende Erhöhung der Pflichtstunden im Schulsport.
Um Kenntnisnahme von den vorstehenden Ausführungen wird gebeten. Ich gehe davon aus, dass die Angelegenheit damit abgeschlossen ist.